Читать книгу Flüsterwald - Das Abenteuer beginnt (Flüsterwald, Bd. 1) - Andreas Suchanek - Страница 10
ОглавлениеLicht in der Nacht
Lukas wusste nicht, was ihn geweckt hatte. Vielleicht ein Blitz oder der Donner. Möglicherweise auch die Regentropfen, die noch immer gegen die Scheibe prasselten.
Er lag unter der Bettdecke, konnte sich aber nicht daran erinnern, sich zugedeckt zu haben. Da auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett ein Wasserglas stand, hatte seine Mum wohl vorbeigeschaut.
Lukas wollte gerade aus der Jeans schlüpfen und gemütlich weiterschlafen, als er das Licht entdeckte. Es schimmerte durch einen Spalt unter dem Bücherregal. Was war das? Zwischen seinem Zimmer und dem seiner Schwester gab es außer der Rumpelkammer doch gar keinen weiteren Raum. Nur Wand.
Oder war irgendwie eine Speziallampe hinter das Regal montiert, die auf Bewegung reagierte? Etwas so Fortschrittliches hätte er hier nie vermutet.
Lukas ging auf die Knie und lugte unter das Regal. Er musste blinzeln. Vorsichtig hob er die Hand vor die Augen und spreizte leicht die Finger. Neben dem Lichtschein erkannte er Treppenstufen aus Holz. Sie führten nach oben.
War das eine geheime Treppe, über die man auf den Speicher gelangen konnte? Aber warum begann sie hinter dem Bücherregal in seinem Zimmer?
Lukas rüttelte am Rahmen des Regals.
Augenblicklich erlosch das Licht.
Er erhob sich und untersuchte die Bücher. Irgendwo musste ein geheimer Hebel verbaut sein, ein verborgener Mechanismus, der die Tür aufklappen ließ. Er bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass möglicherweise jemand durch sein Zimmer gegangen war, um hinauf auf den Speicher zu steigen.
Wie konnte man ein Haus nur so idiotisch bauen? Man musste die Tür erst einmal finden, um auf den Dachboden zu gelangen. Wo lag da der Sinn?
»Lisa, bist du das?!«
Keine Antwort.
»Wer ist da?«
Lukas griff erneut nach dem Regal.
Wusch!
Das Nächste, was er bewusst wahrnahm, war der Sonnenschein, der durch das Fenster hereinfiel.
Warum liege ich auf dem Boden?
Sosehr er sich auch konzentrierte, er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wieso er hier vor dem Regal lag. War er etwa geschlafwandelt? Aber warum tat sein Kopf weh?
»Lukas!«, erklang die Stimme seiner Mutter, gefolgt von einem Klopfen an der Tür. »Bist du wach?«
»J…ja«, stammelte er und rappelte sich auf.
Im nächsten Augenblick wurde die Tür aufgerissen und seine Mum stürmte herein. Mittlerweile war er überzeugt davon, dass sich ein Außerirdischer jeden Morgen in ihrem Körper einnistete. Während sein Pa, das Schwestermonster und er selbst Morgenmuffel waren, bezeichnete seine Mum dies als die beste Zeit des Tages. Bedauerlicherweise versuchte sie stets, ihre positive Energie auf alle anderen zu übertragen. Da wurden Aufgaben verteilt, jeder zu Gesprächen animiert und Pläne geschmiedet. War er dann endlich wach genug, um zu begreifen, wozu sie ihn überredet hatte, war es längst zu spät. So kam es zu Wandertouren, Einkaufsmittagen, Yogastunden, Aufräumarbeiten und Gartenpflege. Mittlerweile verlegte er sich grundsätzlich auf grummelndes Schweigen.
»Wir gehen zum Markt«, verkündete sie so energiegeladen, dass er am liebsten geflüchtet wäre.
»Muuum. Es ist Saaamstag.«
»Sag nicht ›Mum‹. Ein bisschen frische Luft tut dir gut.« Schon stand sie neben ihm und wuschelte durch seine Haare. Er hasste es. »Dir ist sicher nicht entgangen, dass unser Kühlschrank leer ist. Wenn du also Kakao und Müsli zum Frühstück willst, dann kommst du jetzt mit. Ich kann das nicht alles alleine tragen.«
Im Geiste sah sich Lukas mit gebeugtem Rücken riesige Kisten zum Haus schleppen, während seine Mutter neben ihm entlangstiefelte und die Landschaft betrachtete, in der einen Hand eine Tüte mit Früchten, in der anderen ihre Handtasche.
»Deute ich dein Schweigen korrekt als Zustimmung?«
»Hmmm.«
»Wunderbar. Ich wusste doch, dass ich mich auf meinen starken, hilfsbereiten Sohn verlassen kann.«
Lukas ahnte längst, dass eine hohe Zahl von lobenden Adjektiven reine Manipulation war. Das hatte sein Pa eines Abends wütend am Esstisch behauptet, als der Direktor seiner alten Schule ihn zum Vorstand des Planungskomitees für eine Sonntagsveranstaltung gemacht hatte.
»Du hast zehn Minuten im Bad, beeile dich, deine Schwester ist bereits wach. Und du weißt ja, wenn sie einmal im Bad ist und merkt, dass du auch hineinmagst, wird das für die nächste Stunde nichts mehr.«
Was genau genommen ein Grund war, sich Zeit zu lassen. »Toll, jetzt soll ich nicht nur ohne Frühstück Sklavendienste leisten, ich muss auch noch um das Bad kämpfen – schon wieder! Ich dachte, wir hätten in diesem Haus zwei!«
»Ach, lass das Trotzen.« Das waren ihre Lieblingsworte. Schon war sie halb aus der Tür. »Wenn ich nur an die Pubertät denke, bekomme ich Kopfschmerzen. Ach so.« Sie blieb noch einmal stehen. »Wir haben tatsächlich zwei Bäder. Im Erdgeschoss fließt allerdings nur kaltes Wasser. Du kannst gerne dort duschen.«
»Ich hasse dieses Haus!«
»Ich weiß, Schatz. Beeil dich. Und zieh eine frische Jeans an.«