Читать книгу Flüsterwald - Das Abenteuer beginnt (Flüsterwald, Bd. 1) - Andreas Suchanek - Страница 9

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Die Villa

Die Lippen seiner Schwester zuckten verdächtig. Lukas löste seinen Gurt und sprang aus dem Auto. Wenn das Schwestermonster anfing zu plärren, wollte er nicht in der Nähe sein. Sie war mit ihren sechs Jahren einfach so … kindisch.

»Also schön.« Es war so weit, seine Mutter hatte ihren Schock überwunden und übernahm das Kommando. »Diese aufziehenden Regenwolken gefallen mir gar nicht. Gehen wir rein und schauen uns um.«

Lukas rannte zum Kofferraum und zog seinen Rucksack daraus hervor. Den würde er niemals zurücklassen. Dann folgte er seinen Lebensabschnittsdiktatoren – sein Pa hatte Lisa auf den Arm genommen – ins Haus.

Glücklicherweise trog der erste Eindruck. Die Dielen knarzten zwar, als sie eintraten, doch sie glänzten auch frisch gebohnert. Weder Staub noch Spinnenweben waren zu sehen, im Gegenteil: Es roch nach Bohnerwachs, Zitronenreiniger und Veilchen. Hinter der Eingangstür wartete ein kleiner Erker mit einer eingepassten Garderobe. Ein flauschiger Teppich lag auf dem Boden, der ihre Schritte dämpfte, als sie durch den Flur zur Küche gingen. Und die war durchaus gemütlich.

An der Seite stand ein Holztisch, auf den jemand eine Schale mit Obst gestellt hatte. An den Wänden hingen Emaille-Schilder mit alten Werbesprüchen. Der Herd erhob sich in der Mitte des Raumes und war von überallher zugänglich. Auf den Regalen gab es kleine Holzdosen, aus denen der Duft von frischen Kräutern und Gewürzen in seine Nase stieg.

Die Terrassentür war leicht angelehnt und gab den Blick auf einen herrlichen Garten frei. Die Beete waren gepflegt, Blumen sprossen. Zwischen den Bäumen hing eine Schaukel, die im Wind sacht hin und her schwang.

Lukas fröstelte.

»Mum, ich schaue mir mein Zimmer an«, sagte er. Da sie noch dabei war, die Küche mit ihrem Blick zu sezieren, murmelte sie eine abwesende Zustimmung. Normalerweise hasste sie es, wenn er Mum sagte. Dann folgte eine lange Erklärung darüber, dass sie seine Mutter war und nicht aus einem englischsprachigen Land stammte.

Sein Pa war schon auf dem Weg ins Wohnzimmer. Lisa flitzte an ihm vorbei und machte sich auf die Suche nach ihrem Kinderzimmer.

Die Holzstufen der Treppe knarzten, als Lukas hinter ihr nach oben stieg. Im ersten Stock gab es ein Badezimmer mit gusseiserner Wanne, wie er im Vorbeigehen erkannte. Die Frage nach dem warmen Wasser kam ihm wieder in den Sinn, doch er verschob sie auf später.

Auf dem Gang verteilt standen die Umzugskisten, zwischen denen er sich hindurchschieben musste. Danach folgte Lisas Zimmer, das diese gerade akribisch untersuchte. Als Nächstes kam eine Rumpelkammer, die mit allerlei Plunder vollgestellt war, der eigentlich in einen Trödelladen gehörte.

Schließlich übertrat er die Schwelle zu seinem eigenen Reich. Der Raum war … anders, als Lukas erwartet hatte. Nicht schlechter. Aber eben anders. Die Wand gegenüber der Tür bestand aus einem einzigen ovalen Fenster. Davor ragte eine Fensterbank ins Zimmer, auf der Kissen ausgebreitet lagen. Die perfekte Leseecke. Links daneben stand ein wuchtiger Schreibtisch aus schwarzem Holz, der ab jetzt ihm gehörte. Seine Eltern hatten das Haus mitsamt der Möbel gekauft. Und auch wenn einiges davon hoffentlich bald auf dem Sperrmüll landete, wollte er diesen Tisch auf jeden Fall behalten.

Daneben gab es ein in die Wand eingelassenes Regal, auf dem sich dicke Folianten stapelten. Lukas ging näher heran. Die Wälzer waren von einer fingerdicken Schicht aus Staub bedeckt, die Einbände abgewetzt. Sie mussten verdammt alt sein. Wieso war im übrigen Haus geputzt worden, hier aber nicht? Gerade, als er nach einem der Bücher greifen wollte, polterte jemand ins Zimmer.

Das abrupte Aufkreischen ließ ihn zusammenzucken. Lisa sprang auf das riesige Bett, das auf der anderen Seite stand.

»Ich will auch so eines.« Hüpf. »Das ist toll.« Hüpf. »Mein Zimmer ist viel schöner.« Hüpf. »Aber deins ist auch nicht schlecht.« Hüpf.

»Runter von meinem Bett!« Er sprang nach vorne. Doch Lisa war zu schnell, tauchte unter seinen Händen hindurch und rannte davon. Schon auf dem Gang begann sie, lauthals zu schluchzen. »Mama, Lukas ärgert mich!«

Die genervte Stimme seiner Mum schallte empor. »Lukas, lass deine kleine Schwester in Ruhe!«

Er verdrehte die Augen. Die Fäuste geballt blieb er im Türrahmen stehen. Lisa streckte ihm die Zunge heraus, dann flitzte sie die Treppe hinunter. Er stapfte zurück ins Zimmer und knallte die Tür wuchtig ins Schloss. Erfreut stellte er fest, dass an der Innenseite ein Riegel angebracht war. Selbst wenn seine Eltern ihm den Schlüssel abnahmen – Ich will keine verschlossenen Türen in diesem Haus, pflegte sein Vater zu sagen –, konnte er trotzdem absperren.

Entgegen seinem Vorsatz begann ihm die alte Bruchbude zu gefallen. Er trat ans Fenster. Von hier oben konnte er nicht nur den Garten überblicken, auch der kleine Fluss hinter dem Haus war zu erkennen und dort, gerade noch sichtbar, ragten die dichten Bäume des Waldes empor.

Für einen Augenblick glaubte er, einen dunklen Schemen im Dämmerlicht auszumachen, der sich vor den Fichten, Eichen und Sträuchern abzeichnete. Im nächsten Moment war er verschwunden. Lukas rieb sich die Augen und gähnte.

Jetzt sehe ich schon Gespenster.

Er kickte seine Turnschuhe davon, warf den Rucksack aufs Bett und sich selbst daneben. Draußen wurde es immer dunkler. Dichte Wolken waren aufgezogen. Das Firmament glich einem Wasserglas, in das jemand Tinte gekippt hatte. Nur Sekunden später prasselten dicke Regentropfen gegen das Fenster. Es donnerte und blitzte, wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte.

Während er dem Regen lauschte, wurden seine Augen schwer und nur Minuten darauf war er eingeschlafen.

Flüsterwald - Das Abenteuer beginnt (Flüsterwald, Bd. 1)

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