Читать книгу Flüsterwald - Das Abenteuer beginnt (Flüsterwald, Bd. 1) - Andreas Suchanek - Страница 13
ОглавлениеEine Treppe im Bücherregal
Lukas blinzelte. Verwirrt setzte er sich auf. Eine Armeslänge entfernt plätscherte der Bach. Er musste auf dem Feld ausgerutscht sein, war mit dem Kopf gegen einen Stein geschlagen und bewusstlos geworden. Vorsichtig betastete er seine Stirn. Kein Blut. Risse überzogen seine Jeans, die Turnschuhe waren von Erde bedeckt.
»Mum wird mich umbringen.«
Er rappelte sich auf. Eigentlich hatte er den Wald erkunden wollen, doch das wurde heute nichts mehr. Die Sonne versank bereits am Horizont und tauchte den Himmel in einen rötlichen Schein. Der Wind frischte auf. Seltsam, hier lagen gar keine Steine. Woran hatte er sich dann den Kopf gestoßen?
Egal.
Lukas kehrte zum Haus zurück. Durch das kleine Wäldchen, das schmiedeeiserne Gartentor und über die Verandatür in die Küche. Vorsichtig lugte er ins Wohnzimmer. Seine Mum war gerade dabei, ihre heiß geliebten Figuren aus Bimsstein auf dem Regal aufzustellen. Sie war stolz darauf, die kleine afrikanische Herde aus Elefanten, Zebras, Giraffen und allerlei anderen Tieren kürzlich vervollständigt zu haben. Dahinter fanden die neuen Kerzen aus Bienenwachs Platz. Sein Pa lag auf der Couch und schlief, was ihm missmutige Seitenblicke einbrachte.
Leise schlich Lukas zur Treppe.
Eine Stufe knarzte.
»Lukas!«, erscholl sogleich der Ruf seiner Mum.
Ich muss mir die Stufe merken, dachte er grimmig.
»Was ist?!«
»Bist du schon fertig mit Auspacken?«
»Fast!«
Sie erschien an der Treppe. »Was ist denn mit dir passiert?!«
»Ausgerutscht.«
»Geht es dir gut?«
Er nickte.
Seine Mum ließ es sich nicht nehmen, ihn von oben bis unten zu mustern und nach Wunden zu suchen, nickte schließlich aber zufrieden. Er war entlassen.
Der Rest des Tages verging im Flug. Lukas räumte ein paar weitere Kisten aus, sie aßen gemeinsam zu Abend und als draußen bereits tiefste Dunkelheit herrschte, kroch er ins Bett. Morgen war Sonntag. Das bedeutete lange schlafen, Brötchen im Sonnenschein auf der Terrasse essen und die Füße hochlegen. Danach wollte er unbedingt den Wald erkunden.
Mit diesem Vorsatz schlief er ein.
Und wurde mitten in der Nacht von einem Geräusch geweckt.
Zuerst hatte er das eigenartige Gefühl, das schon einmal erlebt zu haben. Kurz fragte er sich, wo er sich befand. Richtig, das neue Haus. Aber weshalb war er wach geworden? Normalerweise konnte ein Elefant neben ihm trompeten, er schlief wie ein Stein. Lukas setzte sich auf.
Ein samtiges, blaues Licht drang unter dem Bücherregal hervor. Stirnrunzelnd ging er davor auf die Knie und schaute durch den Spalt zwischen Parkett und Regalboden. Tatsächlich! In dem geheimnisvollen Licht erkannte er Treppenstufen, die nach oben führten.
Doch wohin?
Es gab keinen Speicher, das hatte sein Pa heute beim Frühstück noch erwähnt. Das Haus besaß lediglich einen Keller. Einen ziemlich heruntergekommenen, um genau zu sein. Seine Mum hatte beim Abendessen seinen Pa gebeten, dort zu streichen und ein wenig aufzuräumen. Der hatte nicht begeistert geklungen und die Antwort war mehr ein Grunzen gewesen als ein deutliches »Ja«. Bekannte Taktik.
Führten die Treppen auf das Dach?
Aber wieso hatte der Vorbesitzer dann das Regal anstelle einer Tür eingebaut? Wie bekam man es auf?
Probeweise rüttelte Lukas daran. Nichts. Er griff nach dem Rahmen und zog. Keine Chance.
»Es muss einen Mechanismus geben, der es öffnet«, überlegte er laut und betastete die Bücher.
Der Schein verstärkte sich. Lukas wurde schwindelig, er taumelte. Reflexartig suchte er nach einem Halt. Und fand ihn in den Büchern. Seine Finger berührten einen Einband, er stützte sich ab. Oder er wollte es tun.
Der Wälzer glitt in die Wand und ein Klacken erklang, gefolgt von einem surrenden Geräusch. Das Regal fuhr zur Seite.
Lukas wich zurück, stolperte und landete auf dem Bett.
Das Schwindelgefühl war fort.
Verdattert starrte er auf die Treppenstufen, die frei vor ihm lagen. Seine Erinnerung kehrte schlagartig zurück. Das Leuchten war bereits am ersten Tag zu sehen gewesen. Er hatte es völlig vergessen. Wie war das möglich?
Vorsichtig ging er näher.
Als er direkt vor der untersten Stufe stand, flammten Lampen an der Wand auf. Bauchige Glaskolben, die Kupferdraht umhüllten. Die Glühbirnen wirkten, als habe sie jemand aus dem vorherigen Jahrhundert in das Heute transportiert. Sie flackerten zwei Sekunden, dann stabilisierte sich der Schein.
Gab es hier etwa eine Lichtschranke? Es musste so sein. Wie sonst hätten die Lampen auf seine Anwesenheit reagieren können?
Es waren etwa zwanzig unebene Stufen, die in die Höhe führten. Auf dem Holz lag eine dicke Staubschicht. Es musste einige Zeit her sein, dass jemand nach oben gestiegen war.
Lukas schluckte.
Ihm kam in den Sinn, dass der frühere Bewohner des Hauses – Professor Archibald von Thun – spurlos verschwunden war. Konnte es sein, dass er den Mann dort oben finden würde? In den Krimis, die er las, geschah so etwas oft.
Für einen winzigen Augenblick überlegte Lukas, seine Eltern zu wecken. Kopfschüttelnd verwarf er den Gedanken. Er hatte einen Geheimgang entdeckt! In seinem Zimmer! Möglicherweise gab es dort oben … er hatte keine Ahnung was. Aber egal, er wollte es auf jeden Fall alleine entdecken.
Im Schein der Lampen suchte er die Innenseite ab und fand tatsächlich einen Hebel in der Wand. Das musste der Öffner für die Geheimtür auf der anderen Seite sein. Probehalber zog er daran. Er ließ sich problemlos betätigen.
»Hallo?! Ist da wer?!«
Keine Antwort.
Lukas streifte eine Jogginghose über, dazu ein Paar Turnschuhe. Außerdem holte er die Taschenlampe aus seinem Rucksack. Er wollte schließlich nicht im Dunkeln stehen, wenn die Lampen abrupt erloschen. Bei dem Gedanken überzog eine Gänsehaut seinen Nacken.
Sicherheitshalber kritzelte er eine Notiz auf ein Blatt Papier.
Habe geheime Treppe entdeckt. Wenn man das Buch rauszieht, klappt das Regal zur Seite.
Sollte ihm etwas zustoßen, würde seine Mutter den Zettel finden und konnte jeden Schritt nachvollziehen. Auf diese Art vorbereitet kehrte er zurück zur Treppe.
Die erste Stufe knarzte, als er darauf trat. Es war ein seltsam unwirkliches Geräusch. Wieder musste er an den blauen Schein denken. Wo war der hergekommen? Hier gab es außer den Wandlampen keine weiteren Leuchtkörper.
»Na schön, eins nach dem anderen.«
Mit einem letzten Blick zurück in sein Zimmer, stieg er die Treppenstufen empor.