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Оглавление6. Gratwanderungen
Homiletische Anmerkungen zur medialen Verkündigung
David Hober, Geschäftsführer der Allgemeinen gemeinnützigen Programmgesellschaft mbH (APG) und Programmverantwortlicher katholisch.de
Relativ unspektakulär hat sich das durch die Kirchen gestaltgewordene Christentum mit seinen Inhalten, seiner Sozialgestaltungskraft und seinen religiösen Ritualen aus dem Bewusstseinshaushalt der meisten Menschen verabschiedet.
„Verdunstendes Christentum“, „nachchristliche Gesellschaft“, „Traditionsabbruch“ oder die Rede von der „Endphase eines kulturgeschützten Christentums“ (M. N. Ebertz) stehen stellvertretend als Überschriften für die Vielzahl kursierender Deutungsversuche, die sich weitgehend darin einig sind, dass es sich hierbei um Prozesse von Dispersion des Religiösen handelt.
Näher betrachtet geht es um eine „Aussiedlung des Religiösen in die nicht-religiösen Segmente der modernen Kultur, der Durchmischung von Glaubensinhalten unterschiedlicher Herkunft und der Herausbildung neuer religiöser Charaktere, die virtuos Versatzstücke aus verschiedenen Religionen kombinieren und neu aufbereiten. Dispersion heißt hier Dekonstruktion, zerlegendes Zusammensetzen, Religion im Plural, Verteilung religiöser Erwartungen – Sinnfindung, Identitätsstiftung, Kontingenzbewältigung – auf eine Vielzahl kultureller Adressen“85.
Die Medien, als Transmissionsriemen dieser Phänomene, scheinen geradezu dafür prädestiniert zu sein, den freien Umgang und die legere Adaption christlicher Glaubenstraditionen spielerisch zu variieren. Doch dabei wird es schwierig, in den Erregungskreislauf der allermeisten Menschen mit Religion in ihrer traditionellen, kirchlich institutionalisierten Form einzudringen. Die Gewichte in der Aufmerksamkeitsökonomie der breiten Masse sind kaum zugunsten kirchlicher Verkündigung verteilt. In diesem Zusammenhang kommt Karl Gabriel zu der nüchternen Feststellung, „dass das Religionssystem dem System medialer Öffentlichkeit innerhalb dessen eigener Leitorientierung wenig zu bieten habe und dementsprechend auch selten darin auftauche, ohne dass gezielt religionsfeindliche Mächte am Werke wären“86. Genau genommen macht diese Feststellung das mediale Verkündigungsdilemma der Kirche nur noch deutlicher, indem der notwendigen gesellschaftlichen Reibungs- und Resonanzfläche von medial vermittelter religiöser Rede faktisch die kollektive Gleichgültigkeit potenzieller Adressaten gegenübergestellt wird.
Hans Magnus Enzensberger hat das Fernsehen in einer überspitzten Analyse als Null-Medium bezeichnet, in dem leere Engel unablässig leere Botschaften produzieren. Man muss diese Einschätzung nicht in ihrer Schärfe teilen, zumal sie sich nicht explizit auf kirchliche Sendungen bezog. Ein Mahnruf für verkündigungsstrategische Überlegungen und Versuche der Kirche in den Medien ist sie jedoch allemal.
Bedeutet dies, dass das Religiöse allenfalls in einer medial ästhetisierten Formatierung überlebt und damit dem primären Geltungsanspruch der Religion, für eine transzendenzorientierte Lebensführung zu stehen, das Totenglöcklein geläutet werden muss? Der Eindruck drängt sich auf, werden der Kirche doch nolens volens die ureigensten Verkündigungsinstrumentarien aus der Hand genommen:
—Anstehende Hochzeits- und Trauermessen aus europäischen Königshäusern werden von Senderseite schon längst nicht mehr als liturgisches Geschehen gewertet, sodass die kirchlichen Beauftragten und ihre spezifische Expertise eher als Störung empfunden werden.
—Übergangsriten mit prominenter Beteiligung werden zum medialen Großereignis stilisiert, so als ginge es darum, den jeweils übertragenden Sender zumindest stundenweise in die Aura monarchistischer Dignität zu rücken.
Dass dabei die Börsennachrichten am unteren Bildrand unablässig laufen, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt und taucht die Szenerie in ein trostloses Aktualitäts-Envirement. In ähnlicher Umklammerung steht das gute alte „Wort zum Sonntag“ dann, wenn die jährlichen Offerten der Unterhaltungsredaktionen an die Kirchen herangetragen werden, das „Wort zum Sonntag“ doch bitte zwischen den Pausen der auf dem Programm stehenden Boxübertragung direkt aus dem Boxring oder im Rahmen der Übertragungsparty zum Grand Prix Eurovision de la Chanson zu sprechen. Die unentwegten Optimisten werden dies mit Blick auf versprochene hohe Quoten als Chance, nun endlich an den so oft zitierten „Hecken und Zäunen“ (vgl. Lukas 14,23) zu stehen, gutheißen. Eine andere Lesart wäre schlicht die, dass sich die Kirche hier zugunsten der Sendeanstalten zum Deppen macht.
Hans Magnus Enzensberger hat das Fernsehen in einer überspitzten Analyse als Null-Medium bezeichnet, in dem leere Engel unablässig leere Botschaften produzieren. Man muss diese Einschätzung nicht in ihrer Schärfe teilen, zumal sie sich nicht explizit auf kirchliche Sendungen bezog. Ein Mahnruf für verkündigungsstrategische Überlegungen und Versuche der Kirche in den Medien ist sie jedoch allemal.
Auf das in diesem Zusammenhang dahinterstehende theologische Desiderat hat überraschenderweise Jürgen Habermas in seiner vielbeachteten Rede bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2004 hingewiesen. Noch unter dem Eindruck des Attentats vom 9. September 2001 auf die Twin-Tower in New York mit seinen weltweiten Auswirkungen stehend, modifiziert er sein diskursethisches Paradigma und kommt zu folgender erstaunlicher Aussage in Bezug auf „postsäkulare“ Gesellschaften: „Säkulare Sprachen, die das, was einmal gemeint war, bloß eliminieren, hinterlassen Irritationen.“87
Habermas weist darauf hin, dass die Differenz zwischen dem, was moralisch falsch, und dem, was zutiefst böse ist, mit säkularer Sprache ebenso nicht beschreibbar ist wie der Wunsch, zugefügtes Leid wiedergutzumachen. Hier – und das ist das Erstaunliche seiner These – räumt er religiöser Sprache als Ressource der Sinnstiftung auch in der säkularen Gesellschaft hohe Bedeutung zu.
Es müsse als eine kooperative Aufgabe gesehen werden, die von beiden Seiten – der religiösen und säkularen – fordert, auch die Perspektive des jeweils anderen einzunehmen. Die dabei mitschwingende implizit theologische Herausforderung liegt auf der Hand. Die Foren hierfür sind vermutlich die von den Medien bereitgestellten. Letztlich stößt Habermas damit der religiösen Rede wieder ein durch eigenes Tun zu oft verstelltes Fenster auf und fordert offensiv dazu auf, die privatisierte, die „unsichtbare Religion“ (Thomas Luckmann) wieder an die Öffentlichkeit zu führen.
Insofern müsste jede homiletische Grundausrüstung in der Anerkennung und dem Wissen bestehen, dass das Medium die Botschaft ist, was nichts anderes meint, als dass das technische Medium noch vor jeder Sinnvermittlung sein eigener Inhalt ist.
Für den medialen Auftritt religiöser Rede bedeutet dies ein längst überfälliges Umdenken in der thematischen Akzentuierung und dem Versuch gnadenloser Anpassung an den jeweils vorgegebenen schönen Schein zum Preis der Inkaufnahme der Unerheblichkeit des verkündigungstheologischen Propriums. Die in der Habermas‘schen Aufforderung steckende Pointe zielt letztlich auf ein kulturell-religiöses Anschlussvakuum, das die Kirche mit ihrer religiösen Rede zu überwinden hätte. Hinweise, wo mögliche Ansatzpunkte zu finden sind, ergeben sich in nahezu allen Bereichen medialer Kommunikation. Das dort anzutreffende Spiegelbild religiöser Symbolsysteme und religionsanaloger Sinnofferten muss freilich nicht zuletzt vor dem Hintergrund der beschriebenen Spielart der Medien auf den Kern religiöser Bedürfnisse befragt werden. Dabei geht es dann um die Differenz, zwischen den von den Medien und in den Medien transportierten säkularen Fetischismen, die als bewusstlose Religionen zwar ihre Symbole, Kultstätten und Rituale haben, aber keine „Theorie“ dieser Praxis, da sie sich als religiöse Wege nicht ausdrücklich vor sich bringen und, was ihre Selbstreflexion angeht, weitgehend sprachlos sind.
Insofern müsste jede homiletische Grundausrüstung in der Anerkennung und dem Wissen bestehen, dass das Medium die Botschaft ist, was nichts anderes meint, als dass das technische Medium noch vor jeder Sinnvermittlung sein eigener Inhalt ist.
Die dem Medium aufgrund seiner Eigenstruktur eingestiftete Botschaft besteht nunmehr in der Veränderung der Maßstäbe, der Tempi und Schemata, die es dem Rezipienten auferlegt.88
Für den medialen Auftritt religiöser Rede bedeutet dies ein längst überfälliges Umdenken in der thematischen Akzentuierung und dem Versuch gnadenloser Anpassung an den jeweils vorgegebenen schönen Schein zum Preis der Inkaufnahme der Unerheblichkeit des verkündigungstheologischen Propriums.
Wie kein anderer muss Papst Johannes Paul II. um die Eigenlogik der Medien gewusst haben. Einerseits stand diese charismatische Figur für Intimität mit dem Heiligen und zum anderen für ein tiefes Bedürfnis nach Äußerlichkeit und Sichtbarkeit des Religiösen. Bis zu seinem öffentlichen Sterben setzte dieser Papst auf Gefühl, Geste, Symbol. Dabei riskierte er, indem er sich von den Eigengesetzlichkeiten einer weltweiten Medienindustrie ganz und gar in Anspruch nehmen ließ, die Kirche partiell in einen Relativierungsvorgang der öffentlichen Wahrnehmung hineinziehen zu lassen, die mitunter ihre Identität anfragte. Andererseits war er das personifizierte Statement einer weltweiten Enttabuisierung des Themas Endlichkeit menschlicher Existenz. So wurde er zu einer Ikone des 21. Jahrhunderts in ihrer sinnfälligen Ausstellung von körperlichem Verfall, Leiden und Erlösung. Mit weniger als diesem Wagnis war für ihn die öffentliche Bedeutsamkeit der christlichen Botschaft vermutlich nicht (mehr) zu gewinnen.
Auf einen durchaus vergleichbaren Anhaltspunkt hat Klaus Müller89 hingewiesen, indem er an die Arbeit des weltweit mit seinen Werbekampagnen für das Modelabel Benetton Furore machenden Fotografen Oliviero Toscani erinnert. Dessen Fotos von ölverschmierten Seevögeln, blutverschmierten Säuglingen oder sterbenden Aidskranken in den letzten Lebensmomenten hätten sich bei vielen ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Dabei sei, so der von Müller zitierte Schriftsteller Contrado Calligaris, „Toscanis entscheidende Überlegung in den Gedanken gefasst, er bringe humanes Gedankengut unter ausdrücklicher Anerkennung der Macht des Marktes, aber zugleich deren Nutzung zur Geltung, indem er beweise, wie man auf der mit Abstand größten Kommunikationsfläche der Welt von heute – der Werbung – auch etwas anderes vermitteln kann als diese Schmierenkomödien vom Glück, die Toscani selbst aufs Drastischste zu beschreiben weiß und mit seinen Bildern zu entlarven sucht“.90Diese „Skandal-Kampagnen“, wie Toscani sie selbst bezeichnet, „schöpfen offenkundig aus dem Glutstrom, der im Wurzelgeflecht des Christentums zirkuliert, ohne dessen Botschaft kategorial – im Sinne glaubender Zustimmung – etwas abzugewinnen, und sind Höchstfälle von Kommunikation“.91 Müller sieht in diesen Bildern Anhaltspunkte einer inkarnatorischen Such-Homiletik, die „im Fleisch des Menschlichen Ikonen des sich mitteilenden Gottes glaubhaft entdeckbar zu machen vermag (darauf wird sie gegen Toscani bestehen), ohne dazu ihre Absicht als solche thematisieren zu müssen, weil die Bilder, auch Sprachbilder, einfach für sich sprechen“92.
Mediale Verkündigung wird als Rede der Kirche das Paradox des in unserer Geschichte offenbarten und zugleich verborgenen Gottes aufnehmen und entfalten müssen. Dabei bleibt eine Antwort auf die Frage „Wo bleibt nun dein Gott?“ (Psalm 42,4) die bestimmende homiletische Herausforderung.
In diesen Beispielen liegen Ansatzpunkte für eine medientaugliche Rede der Kirche93, die sich im Anschluss an diese „Vorarbeiten“ an ihr kommunikatives Selbstverständnis zu koppeln hätte. Entgegen einer so oft überstrapazierten affirmativen Gottesrede, die in ihrer ungebrochenen „Liebes“-Semantik alles Zerrissene und Unabgegoltene zuschüttet und sich gerade dadurch den medialen Systemlogiken so ununterscheidbar anpasst, wäre der entgegengesetzte Weg zu gehen.
Mediale Verkündigung wird als Rede der Kirche das Paradox des in unserer Geschichte offenbarten und zugleich verborgenen Gottes aufnehmen und entfalten müssen. Dabei bleibt eine Antwort auf die Frage „Wo bleibt nun dein Gott?“ (Psalm 42,4) die bestimmende homiletische Herausforderung.
In den hierzu anstehenden Versuchen wird die Rede von Gott durch das Zeugnis des Lebens in seinen ganzen Ambivalenzen ausgesprochen werden müssen. Es wird dann von Verheißung und Erfüllung, von Schuld und Vergebung die Rede sein müssen – Grundthemen, die den Menschen und sein Menschsein betreffen und demnach radikal durchs Leben führen. Die Grundfigur einer dieser Perspektive verpflichtenden Rede wird sich an der Frage orientieren, die Jesus dem blinden Bartimäus stellt: „Was soll ich für dich tun?“ (Markus 10,51). Sie hätte sich ihrem Selbstverständnis nach immer auch in ihrer sozialen Dimension zu bewähren: als das Sprechen von den Armen, den unheilbar Kranken, den Marginalisierten und den an ihren Hoffnungen Gescheiterten.
Somit nimmt die Rede von Gott für sich in Anspruch, eine Erneuerung der Menschheit und der damit einhergehenden „inneren Umwandlung der Menschen“ zu einer universalen Solidarität voranzutreiben, indem sie konkrete Hilfestellung anbietet, das „persönliche und kollektive Bewußtsein der Menschen, die Tätigkeit, in der sie sich engagieren, ihr konkretes Leben und jeweiliges Milieu umzuwandeln“ (Evangelii nuntiandi 18). Bezugsgröße dabei ist die – scheinbar aus dem theologischen Repertoire zunehmend herausfallende – Reich-Gottes-Vorstellung. Von hier aus bestimmt sich diese Rede als Prozess einer Vorwegnahme von Kirche, der durch die Durchdringung der Welt mit dem Evangelium reklamiert wird.
Die erhoffte Glaubwürdigkeit und Legitimität innerhalb der Mediengesellschaft wird sich jedoch nur in dem Maße einstellen, wie es dieser Rede gelingt, in ihrem Sprechen von Gott die eschatologische Zukunft vom Reich Gottes als Zukunft und Bestimmung der Menschen hier und heute glaubwürdig zu repräsentieren.
Dabei wird diese Rede in ständiger Bewegung der tastenden Annäherung sein, möchte sie nicht banal, trivial und damit als unmöglich erscheinen. Trifft sie doch letztlich auf ein disperses Publikum, das nie bejaht, ohne zu verneinen, und das nie verneint, ohne zu bejahen.
Literatur
Hober, David: Die Radiopredigt. Ein Beitrag zur Rundfunkhomiletik, Stuttgart 1996.
McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Frankfurt 1970.
85 Höhn, Hans Joachim: Remedia? Phänomen und Kritik moderner Medienreligion. In: Garhammer, Erich/ Hober, David (Hgg.): Vom Non-Prophet-Unternehmen zu einer visionären Kirche. Verkündigung in der Mediengesellschaft. Würzburg 2002, S.64.
86 Gabriel, Karl: Konzepte von Öffentlichkeit und ihre theologischen Konsequenzen. In: Arens, Edmund / Hoping, Helmut (Hgg.): Wieviel Theologie verträgt die Öffentlichkeit? Freiburg 2000, S. 23.
87 Vgl. hierzu Knapp, Markus: Glauben und Wissen bei Jürgen Habermas. Religion in „postsäkularer Gesellschaft“. In: Stimmen der Zeit (4 / 2008), S. 270 –280.
88 Vgl. McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle. Frankfurt 1970, S. 17–31.
89 Vgl. Müller, Klaus: Mediale Verkündigung – möglich, wirklich, virtuell. In: Garhammer, Erich / Hober, David (Hgg.): Vom Non-Prophet-Unternehmen zu einer visionären Kirche. Verkündigung in der Mediengesellschaft. Würzburg 2002, S. 44f.
90 Ebd., S.45.
91 Ebd., S.47.
92 Ebd.
93 Vgl. hierzu: Hober, David: Die Radiopredigt. Ein Beitrag zur Rundfunkhomiletik, Stuttgart 1996.