Читать книгу Die Kunst Einwanderer zu sein - Andrzej Olkiewicz - Страница 11
ОглавлениеIntegration handelt nicht nur von sozioökonomischen Problemen sondern auch von soziokulturellen Fragen und muss von beiden Seiten kommen. Das Individuum muss sich integrieren wollen und die Gesellschaft muss die Voraussetzungen schaffen, damit dies möglich werden kann.
Ayaan Hirsi Ali5
DIE VERANTWORTUNG DER GESELLSCHAFT
Wenn wir in einer paradiesisch offenen und konfliktlosen Gesellschaft leben würden, wäre dieses Buch überflüssig. Ebenso im entgegengesetzten Fall, also wenn jene Gesellschaft nie irgendeinen Fremden über die Schwelle kommen ließe. Nun ist das aber nicht so. Ein Paradies auf Erden gibt es nicht und ebenso wenig gibt es hermetisch abgeschlossene Länder.
Ich möchte in diesem Buch über unsere Rolle und unsere Verantwortung als Einwanderer schreiben, und darüber, was wir tun können, um die Tür von unserer Seite aus offen zu halten. Aber ein einzelner Einwanderer vermag wenig und selbst der stärkste ist schwach, wenn die Gesellschaft nicht mithilft und alles tut, um ihre Türen zu öffnen. In einer Demokratie ist es die Pflicht der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass alle Menschen, die innerhalb der Landesgrenzen wohnen, ihren angemessenen Platz darin finden.
Der Forscher Ronald Taft schreibt in seinem Buch From Stranger to Citizen (Vom Fremden zum Bürger), dass die Einstellung der Einwanderer zu Australien und der Bevölkerung des Landes in hohem Grade darauf beruhte, wie sie bei der Ankunft behandelt wurden.6 Gruppen, die diskriminiert wurden, schlossen sich schnell in ihren nationalen Gruppen zusammen und isolierten sich von der Gesellschaft.7 Die Gruppen, vor allem Briten, die von der Umgebung freundlich empfangen wurden, kamen schnell in die Gesellschaft hinein. Das Erleben von Vorurteilen und Diskriminierung spielte für die Anpassung der Einwanderer eine wichtige Rolle.
Kurz gesagt: Freundlichkeit bringt Freundlichkeit hervor.
Fremdenfeindliche Gruppen gibt es in jedem Land. Ob sie größer oder kleiner sind, hängt in hohem Maße von denen ab, die steuern und Macht haben und wie sie in diesen Fragen agieren. Das bedeutet, der gesellschaftliche Zerfall beginnt immer bei der Führungsspitze. Das polnische Sprichwort lautet: „Der Fisch verdirbt am Kopf zuerst“. Und das ist tatsächlich wissenschaftlich belegt. Professor Freda Hawkins von der Universität in Warwick stellt fest:
„… in Ländern, in denen Regierungsmitglieder und andere Verwaltungsvertreter sich öffentlich negativ über Einwanderer äußerten, waren Vorurteile und Diskriminierung gegenüber Einwanderern weit üblicher als in anderen Ländern.“ 8
Der Mensch hat ein Grundbedürfnis, dazuzugehören, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Wenn er nicht „einbezogen“ wird, wird er daher andere Alternativen suchen und zur Gesellschaft auf Abstand gehen. Das kann dazu führen, dass die nachfolgende Generation sich in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, fremd fühlt. Deshalb liegt es im Interesse der Gesellschaft, eine möglichst große Offenheit zu schaffen. Es ist leicht, Menschen auszustoßen, aber schwer – um nicht zu sagen unmöglich – mit den Konsequenzen zu leben.
Politiker, die nicht aktiv mithelfen, eine für alle Einwanderer, gleich welcher Herkunft, offene Gesellschaft zu schaffen, laden sich schwere Verantwortung auf. Die Folgen können verhängnisvoll sein. Wir können bereits jetzt die Ergebnisse einer solchen Politik sowohl in Europa wie auch in der übrigen Welt sehen: Enklaven isolierter Ausländer, die außerhalb leben, oft in Konflikt mit der Gesellschaft oder untereinander. Ghettobildung, Rassismus, Arbeitslosigkeit und Kriminalität sind die Konsequenzen.
Die Geschichte zeigt, dass es viel Geld und Zeit kostet, Diskriminierung und Separatismus einzuschränken. Das deutlichste Beispiel sind die Schwarzen in den USA, die von der weißen Bevölkerung diskriminiert und ausgegrenzt wurden. Das führte u. a. zu Ghetto-Bildung, Armut und Kriminalität. Obwohl die offizielle Diskriminierung aus den Gesetzestexten verschwand, ist der Weg heraus aus dieser Misere für die Betroffenen lang und mühsam. Die Menschheit ist nicht immer edel. Einer öffentlichen Diskriminierung folgen oft volkstümliche Vorurteile. Dann braucht es eine lange Zeit, wenn es überhaupt geht, die negativen Stempel, die einer Gruppe aufgedrückt wurden, wieder zu beseitigen.
Die heutige Gesellschaft, insbesondere die Führungsriege, muss erkennen, dass die Zeiten für begrenztes nationales Denken vorbei sind. Wir müssen den Begriff „national“ umdefinieren und ausweiten. Veränderungen dieser Art sind in der Geschichte immer wieder vorgekommen, aber in unserer Zeit geschieht dies schneller denn je. Nationalstaaten werden in allen Bereichen jetzt schon und künftig immer stärker von Einwanderern und in neuester Zeit von Flüchtlingen aus vielen Ländern der Welt beeinflusst.
Es gilt, die häufig noch abwartende Einstellung gegenüber Einwanderern zu ändern und aktiv zu beginnen, die hier geballt auftretenden dynamischen Kräfte von Zuwanderern in die richtigen Bahnen zu lenken und somit positiv zu nutzen.