Читать книгу Versklavt - Zurück zur Freiheit - Angela Finck - Страница 10
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ОглавлениеDas Einschlafen viel mir schwer, immer wieder sah ich den Großen vor mir, spürte den Schmerz, den er verursacht hatte. Und irgendwann wurde ich von dem Weckton aus meiner Starre gerissen, wie nach einer Hypnose. Jetzt musste ich wieder ich sein, vollkommen wach, schließlich sollte er nicht sehen, dass er mich fast gebrochen hatte.
Am Tisch fragte mich jeder, wie es mir ginge, ob ich noch schmerzen hätte und ob ich nicht lieber in der Baracke bleiben wollte. Doch genau dies widerstrebte mir. Was sollte ich denn tun, wenn er mich hier aufsuchen würde und mich noch einmal nehmen würde? Ich war mir ziemlich sicher, dass mir auf den Feldern weniger Gefahr drohte.
Pünktlich zum zweiten Signalton erschienen wir an der Säule, diesmal war auch der Große da. Als er mich so gequält dahin schleichen sah, verzog er seine Lippen so, dass es einem Grinsen ähnelte. Ich sah, wie Kai einen Schritt schneller und geradewegs auf den Großen zuging. Ich konnte mir vorstellen, dass er sich am liebsten jetzt sofort auf den Außerirdischen gestürzt und getötet hätte. Auch Jonas hatte das bemerkt und hielt ihn zurück. Was genau er Kai sagte, konnte ich nicht hören. Doch es schien Kai etwas zu besänftigen. Seine Zeit für Vergeltung würde kommen.
Einer der anderen Mächtigen teilte die Sklaven ein, nur noch Greta und ich standen als Letztes da. „Wir bekommen heute eine Fuhre neue Sklaven, ihr beiden werdet sie einweisen", sagte der Große. Er wandte sich an mich. „So werde ich dich heute Nacht besser gebrauchen können", flüsterte er mir, immer noch grinsend zu. Er drehte sich um und ging. „Wir sollten zur Scheune gehen“, sagte Greta. Langsam folgte ich ihr. „Wieso hast du mir letzte Nacht nicht geholfen?“, fragte ich sie direkt.
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“, sie sah mich verwirrt an.
„Na, von gestern Nacht, als ich Schlafzimmer des Großen eingesperrt war und du mir Wasser und einen Schwamm gebracht hast.“, natürlich erinnerte ich mich daran, dass sie überaus abwesend wirkte. Ich wollte einfach nur wissen, ob sie mitbekommen hatte, was da geschehen war, oder ob sie tatsächlich nur eine Puppe gewesen war.
Sie reichte mir ihre Hand, sah mir tief in die Augen. Eine Träne lief ihre Wange hinab. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde wurde mir klar, dass Greta ein ähnliches Schicksal ereilt haben musste. „War es auch der Große?“, fragte ich leise. Sie schüttelte den Kopf. Dann musste es einer der anderen gewesen sein, oder gar mehrere. Ich setzte eine weitere Frage an, doch sie wehrte sogleich ab. „Ich möchte nicht darüber sprechen.“ Mittlerweile glaubte ich, dass nicht das Alter, sondern die Taten der Außerirdischen, für ihr Aussehen verantwortlich waren. Ein unglaublicher Hass und Ekel gegenüber den Mächtigen stieg in mir auf, viel stärker als ich ihn bisher verspürt hatte. Im nächsten Moment verstand ich, warum sie mir nicht geholfen hatte. Sie war gebrochen, nur noch eine leere Hülle, ohne jedes Gefühl, ohne jede Hoffnung, innerlich tot nur noch darauf wartend, dass auch ihr Körper endlich starb, aber zu feige dem Selbst ein Ende zu setzen. Andererseits war sie vielleicht insgeheim sogar froh darüber, dass ich nun ihr Schicksal teilen musste. Es war in einer stillschweigenden Vereinbarung, in der wir uns versprachen, kein Wort mehr darüber zu verlieren. Für mich entschied ich, dass die Zeit der Flucht so schnell wie möglich kommen sollte. Ich wollte nicht so Enden wie Greta.
Seit meiner Ankunft hier war ich nicht mehr in der Scheune gewesen. Die kleinen Fenster waren mittlerweile eingeschlagen, ich vermutete, dass dies noch Schäden von dem Hagelsturm waren. „Jetzt heißt es erst mal warten“, erklärte Greta. Doch im selben Moment kam ein großes, silbrig glänzendes, futuristisches Gefährt um die Ecke. Es hatte scheinbar die Funktion eines LKW, allerdings schwebte es über dem Boden. Ich kannte dieses Gerät, mit so einem Gefährt wurden täglich unsere Fischrationen gebracht und auch die Kiste, die mein Unglück besiegelt hatte.
Zwei Mächtige stiegen aus. Einer von ihnen winkte uns zu sich. „Da drin sind zweiunddreißig Neuankömmlinge aus anderen Lagern, während wir ihre Sicherheitssysteme umstellen, schafft ihr die zusätzlichen acht Bewusstlosen in die Scheune.“
Wir kletterten in den LKW, um die Bewusstlosen in die Scheune zu schleppen. Die anderen zweiunddreißig Neuen wirkten irgendwie benommen. Saßen mit gesenktem Kopf dort und sahen nicht auf, scheinbar waren sie in körperliche Starre versetzt worden. In der rechten Ecke des LKW stand eine Kiste, sie war gefüllt mit Waffen aller Art, Gewehre, Handfeuerwaffen, Messer und sogar Handgranaten lagen darin. „Die haben sie von den Bewusstlosen", flüsterte Greta mir zu, als sie meinen Blick auf die Waffenkiste bemerkt hatte.
„Woher weißt du das?“, fragte ich völlig erstaunt. Doch sie winkte ab und sagte: „Erfahrung.“
Am Boden lagen vier Männer, die ich zwischen dreißig und vierzig Jahren tippen würde. Ein junge, der wohl gerade erst das sechzehnte Lebensjahr erreicht hatte und drei Frauen, deren Alter ich auch so zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig schätzen würde. Aber keiner von ihnen kam mir auf den ersten Blick, von damals, bekannt vor. Greta und ich schleppten gemeinsam einen Bewusstlosen. Den scheinbar Schwersten nahmen wir uns zuerst vor. Ich packte die Arme, Greta die Beine.
Nach den ersten Dreien hatte mich meine Kraft schon deutlich verlassen. Den Vierten schleiften wir mehr über den Boden, als das wir ihn trugen. „Jetzt beeilt euch aber mal. Wir haben nicht den ganzen Tag zeit", fuhr uns einer der Mächtigen an. Jetzt waren nur noch die drei Frauen und der Teenager übrig. Greta und ich nahmen jeweils eine der Personen in den Erste-Hilfe-Griff und schleiften diese so in die Scheune. Damals, im Erste-Hilfe-Kurs, hatte ich gesagt bekommen, dass sogar ich, mit diesem Griff, eine weit schwerere Person von der Gefahrenstelle wegziehen könnte. Nun, da ich diesen Griff tatsächlich einmal anwenden musste, kam mir das gar nicht so leicht vor. Im Gegenteil, die zierliche Frau, kam mir schwerer vor als der dicke Mann, den wir als Erstes fortgeschleppt hatten. Das konnte aber auch daran liegen, dass ich am Ende meiner Kräfte war.
Als wir gerade die letzten beiden Bewusstlosen in die Scheune gebracht hatten, rief einer der Mächtigen uns zu sich. Er drückte Greta eine Liste in die Hand. „Du weißt ja, was du zu tun hast.“ Sie ging zu dem LKW der Außerirdischen. Scheinbar sollte sie sich um die benommenen Neuankömmlinge kümmern. Ich stand noch da und wartete auf meine Anweisungen. Ich beobachtete, wie der weisungsbefugte Mächtige seinem Begleiter etwas zu zischelte. Es wäre nichts Besonderes gewesen, hätte ich nicht plötzlich in meiner Sprache die Worte, „… die kleine Hure vom Captain …“ gehört. Seine Mimik hatte sich während der Worte nicht verändert. Es war, als wäre nichts geschehen. Ich war mir nicht sicher, ob er dies wirklich bewusst so gesagt hatte, dass ich es verstehen konnte. Es war mir ein Rätsel.
Kurz darauf kam er auf mich zu. „Du holst jetzt noch die Wasserkisten aus dem Transporter und danach bleibst du hier um die Neulinge zu versorgen!“, befahl er mir, während der zweite Mächtige an mir vorbei schlenderte und zusammen mit Greta und den anderen neuen Sklaven Richtung Säule verschwand.
Als ich die Wasserkisten in die Scheune geschleppt hatte, versuchte ich natürlich einen Blick auf das zu ergattern, was der Mächtige da tat. Doch das Einzige, was ich sehen konnte, war, dass er ihnen die Uhren anlegte und ein kleines Gerät, ähnlich einem wissenschaftlichen Taschenrechner daran angeschlossen hatte. Er zischelte irgendetwas vor sich hin. Obwohl ich diesmal ganz deutlich hörte, dass er zischelte, verstand ich, was er sagte. In meinem Kopf wurde seine Sprache in meine umgewandelt, so schien es mir. Er murmelte so etwas wie: „Mist Ding. Muss mal wieder aufgeladen werden.“ Aber es hörte sich immer noch irgendwie dumpf an, nicht real, so als ob ich es durch eine Muschel hören würde.
Ich setzte mich vor die Wasserkästen, presste meine Hand gegen meine Stirn, die mit einem Mal unglaublich kribbelte. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, ob ich noch etwas verstand, wenn er etwas sagen würde. Doch er gab den Rest der Zeit keinen Laut von sich, weder einen menschlichen noch einen in seiner Sprache. Irgendwann ging er ohne ein Wort.
Nun saß ich alleine in der Scheune, dem Ort an dem mein Albtraum begonnen hatte. Was geschieht mit mir? Wieso kann ich sie verstehen? Nicht nur diese Fragen, auch Bilder, an die ich mich nicht mehr erinnern wollte, stiegen in mir auf. Es vergingen Stunden. Stunden, in denen ich nutzlos herumsaß und versuchte an etwas Anderes zu denken als an das, was sich mir aufdrängte. Lieber wäre ich auf den Feldern gewesen, als hier zu sitzen, ganz alleine mit mir selbst. Bei jedem Geräusch zuckte ich zusammen, in dem Glauben er würde kommen. Ich redete mir ein, dass er mich bewusst von den anderen isolierte, nur um noch einmal in die klaffende Wunde zu stoßen, die er hinterlassen hatte.
Noch immer rührte sich keiner der acht Bewusstlosen. Ich ging zu ihnen rüber um sie mir noch mal genauer anzuschauen, um zu sehen, ob ich einen von ihnen, von damals, kannte. Aber nichts. Ich sah mir den Jungen an, den ich für sechzehn getippt hatte. Ich dachte an mich, wie frei und ungezwungen ich in seinem Alter gewesen war. Diskotheken, Partys ohne Ende, all das würde er niemals kennen lernen. Mein Blick viel auf ihre Kleidung. Sie wirkten in ihrer Outdoorkleidung, mit den Springerstiefeln fast militärisch. Wenn die Waffen in dem LKW wirklich ihre gewesen waren, dann mussten sie bis jetzt in Freiheit gelebt haben, schlussfolgerte ich. Ein Umstand, um den ich sie beneidete. Hatten sie doch die letzten drei Jahre in Freiheit leben können, aber immer zum Kampf bereit, wenn ich bedachte, wie viele Waffen die Mächtigen ihnen weggenommen hatten. Dennoch hatten sie sich über die ganze Zeit gut vor der Schlangengrube schützen können. Wenngleich sie nun auch Gefangene waren, so gaben sie mir doch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass es auch hier in der Gegend noch freie Menschen und Gruppierungen gab. Zu gerne hätte ich in ihre Rucksäcke geschaut, doch in dem Moment, da ich jeden Respekt vor der Privatsphäre Anderer aufgegeben und die Neugier triumphiert hatte, regte sich eine der drei Frauen. Schnell holte ich eine Flasche Wasser und gab es ihr zu trinken. Als sie sich aufrichtete, schien sie noch völlig benebelt. Ich wusste, wie sie sich fühlte, war ich selbst vor drei Jahren an ihrer Stelle gewesen.
„Wo bin ich?“, flüsterte sie.
„Du bist in einem Sklavenlager, der Außerirdischen, die unsere Erde überfallen haben", antwortete ich mit sanfter Stimme.
„Haben sie uns letztendlich doch in die Finger bekommen? So ein Mist.“. Sie sah sich um. „Warum sind die alle bewusstlos? Oder sind sie tot?“, wollte sie wissen.
„Sie sind bewusstlos, warum genau kann ich dir leider nicht sagen. Das hätte ich damals auch gerne gewusst. Woran erinnerst du dich?“, fragte ich. Sie dachte nach, versuchte sich an das, was vor dem Dunkel war zu erinnern. „Ich weiß nur noch, dass das Letzte was ich wahrgenommen hatte, ein hellgrüner Blitz war.“
Sie raffte sich auf, krabbelte zu einem der Männer hinüber und schlug ihm fest gegen die Wangen. „Wach auf, Marcel, mach schon, wir müssen hier weg. Sie haben uns gefangen genommen.“, die Frau klang fast hysterisch.
„Das wird nichts nützen, ihr habt ein Sicherheitssystem an eurem Handgelenk.“, ich zeigte ihr meines. „Wenn es anfängt, zu piepsen und das rote LED leuchtet, kommt ihr nicht mehr sehr weit. Ihr kippt einfach um und seit tot.“
„Nein, nein, das kann nicht sein.“, sie brach in Tränen aus. Ich ging zu ihr, streichelte ihre Schulter um sie zu trösten. Mit der Zeit wachten auch die anderen auf und ich gab ihnen zu trinken. Als alle mehr oder weniger fit waren, setzten wir uns zusammen und ich erzählte ihnen, was hier auf sie zukam. Sie waren bestürzt, aber auch neugierig. Dem Jungen war anzusehen, dass ihn etwas Anderes schwer bedrückte; dass er etwas bereute. „Nachdem ich euch jetzt alles erzählt habe, sagt mir, was gibt es aus der Welt da draußen zu berichten?“ Bereitwillig erzählten sie mir, was ihnen aufgefallen war, sie erzählten von kuriosen Wesen mit Schuppen, die auf vier Beinen liefen und Ähnlichkeit mit großen Hunden hatten. Sie erzählten davon, dass sie Menschen gesehen hatten, die sich bekämpften. Das hatte ich nicht erwartet. Daher wollte ich wissen, wo sie herkamen und ob es dort noch mehr Menschen gab und ob sie friedlich miteinander lebten.
„Wir kamen gerade aus Köln; wir suchten dort nach Nahrung oder anderen friedlichen Menschen. Allerdings ist von Köln nichts mehr übrig. Nur noch ein paar der äußeren Stadtteile. Der Stadtkern ist ein Loch, gefüllt mit dem Wasser des Rheins. Allerdings war unser Rückweg zu unserem Domizil nicht derselbe, den wir nach Köln gegangen waren. Dies und die freien Felder der Gegend wurden uns zum Verhängnis. Als wir die Feinde und ihr Gefährt sahen, hatten wir keine Möglichkeit mehr uns zu verstecken. In der Hoffnung, der Gefangenschaft zu entgehen und die Feinde zu töten, stellten wir uns ihnen entgegen und schossen; trafen jedoch nur das Fahrzeug. Sie kamen sehr schnell näher, während sich einer von ihnen aus dem Fahrzeug heraus beugte; er zielte mit seiner Waffe auf uns; ein grünes Licht und dann kam die Dunkelheit.“, erklärte Marcel.
„Und wo …“, ich wurde von dem Erscheinen der Mächtigen unterbrochen, die gekommen waren, um ihre neuen Sklaven zu begutachten. Ich verbeugte mich tief, so dass ich den Großen nicht ansehen musste. Schmerzensschreie erfüllten die Scheune. Bevor sie mit der Durchsicht begannen, schickte der Große mich fort. Da Greta mit den Außerirdischen zurückgekommen war, würde sie Marcel und die anderen zu ihrem Quartier bringen.
Wenngleich ich mich gerne noch länger mit Marcel unterhalten hätte, war ich froh jetzt gehen zu können. Ich holte meine Essensration, ehe ich mich in meine Baracke zurückzog. Zu weiteren Gesprächen würde sich noch Zeit finden lassen.
Ich wartete auf die anderen, doch es dauerte noch eine Weile, bis sie kommen würden, also flüchtete ich mich in eines der Bücher, die wir noch gebunkert hatten. Ich schreckte auf, als sich die Tür öffnete, und seufzte erleichtert, als ich sah, dass es Anna und Silke waren, die zur Tür herein kamen. „Wo sind die Männer?“, fragte ich, wo ich doch darauf brannte, ihnen allen zu erzählen, was ich Neues über die Außenwelt herausgefunden hatte. „Die suchen noch ein paar Häuser, nach einem Funkgerät oder etwas Ähnlichem ab", antwortete Silke. Doch bald darauf kamen auch Kai, Jonas und Ben in die Baracke zurück, alle drei wirkten recht unzufrieden.
„Und habt ihr was gefunden?“, fragte Silke.
„Nein, leider nicht", antwortete Ben.
„Wir haben es jetzt so verabredet, dass wir uns jeden Tag nach Einbruch der Dunkelheit im Panik-Raum treffen, um uns über den neuesten Stand der Dinge auszutauschen, bis wir vollzählig sind", sagte Kai.
„Ich glaube, das ist eine gute Idee. Es besteht schließlich die Möglichkeit, dass sie auf unser Treiben aufmerksam werden, weil unser Funksignal ihre Signale stören könnte", gab ich zu bedenken.
„Das ist natürlich möglich, wieso hab ich nicht daran gedacht.“, Ben schüttelte den Kopf über seine eigene Gedankenlosigkeit.
„Ich hab euch übrigens noch etwas Wichtiges zu erzählen", begann ich, während wir uns ein paar Dosen öffneten und uns zum Essen an den Tisch versammelten. Natürlich waren alle neugierig und ich erzählte ihnen, was ich von Marcel und den anderen Neulingen über die Außenwelt erfahren hatte. Es war zwar nicht viel, aber immerhin konnte man sich einen Reim darauf machen, was da draußen, in der weiten Welt, vor sich ging.
Wir gingen in dieser Nacht gemeinsam zu dem Ort, an dem Jonas sterben sollte. Es hatte sich als Fehler herausgestellt, den anderen zu erzählen, dass der Große mit einer weiteren Liebesnacht gedroht hatte. Fortan war Ben dagegen, dass ich mit ihnen gehen würde. Im Gegenteil, er war der Meinung, dass ich hier bleiben und auf meinen Peiniger warten solle. „Was ist, wenn er Ami ausgerechnet jetzt holen will? Dann schauen die doch bestimmt auf ihrer Überwachungsstation nach, um zu sehen wo sie ist. Dann werden sie uns folgen und sehen, dass Jonas flieht. Das wird unser Todesurteil sein.“, begründete Ben seinen Einwand. Kai war richtig sauer und musste sich zusammen reißen. „Ben, es ist jetzt weit nach Mitternacht. Soweit ich mich erinnere, kann jeder von uns hier herum laufen wo er will. Keiner von uns ist seiner Baracke gefangen auch Ami nicht. Wenn es dir lieber ist, erledigen wir das schnell und gehen dann auf dem Rückweg getrennte Wege.“, antwortete Kai so ruhig es seine Gemütslage zuließ. Klar, Ben hatte gut reden, seine Frau, war ja nicht diejenige, die vergewaltigt worden war und Kai wollte mich nur vor weiteren Angriffen dieser Art schützen. Mir persönlich war es auch lieber, wenn ich nicht allein zurück bleiben musste.
Jonas war sehr nervös. Wenn unser Vorhaben nicht so funktionierte, wie es sollte, waren dies Jonas’ letzte Atemzüge, die er in diesem Leben tat. Kai trug Dominiks Leiche und legte sie ab. „Also, wenn du jetzt stirbst, wirst du erst morgen vom Leichendienst aufgesammelt. Es wird keine gesonderte Wache darauf aufmerksam. Mal abgesehen von meiner Frau, sind ihnen alle anderen Menschen egal.“, erklärte Kai. Ben schnaufte verächtlich, immer wieder wandte er sich um, um zu sehen, ob einer der Außerirdischen kam, um mich zu holen. Derweil schob Jonas langsam eine Zwei-Euro-Münze zwischen das Uhrenziffernblatt und sein Handgelenk. Das Geldstück passte genau unter die Uhr. „Seht, das LED wird blasser.“, sagte Jonas. Kurze Zeit später war es komplett erloschen. „Das war ja einfach.“, grinste Ben. Jonas war seine Anspannung anzusehen, er hatte die Luft angehalten. Mit gewohnten Handbewegungen ergriff Kai das Armband der Uhr: „Merke dir die Punkte gut. So kannst du später Anna oder Silke die Uhren abnehmen, damit ich nicht immer in der Nähe eines Toten bin.“, meinte Kai kurz.
„Ach, glaubst du jetzt auf einmal doch, dass sie unsere Standorte im Auge behalten?“, fragte Ben leicht provozierend.
„Nein, das nicht, aber sicher ist sicher. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich es tun. Wir können von Glück reden, dass sie nicht so clever sind, wie sie selbst glauben. Denn sonst würde unser Aufenthalt außerhalb der Baracke ja schon bestraft werden. Für meine Verhältnisse, lassen sie uns zu viele Freiheiten und das wird ihnen, so hoffe ich, irgendwann zum Verhängnis werden", antwortete Kai kühl, nun wandte er sich wieder an Jonas: „Hast du dir alle Punkte gemerkt, dann kann es jetzt losgehen.“
Jonas nickte und atmete tief durch. Kai drückte die Punkte an der Uhr, bis sie sich mit einem leisen Klicken öffnete. Jonas sah erleichtert auf; er stand noch. Das war ein gutes Zeichen. Kai nahm Jonas die Uhr ab und legte sie sofort dem toten Dominik an.
„Keine Zeit für Abschiede. Lauf Jonas. Wir treffen uns morgen nach Sonnenuntergang im Panik-Raum. Mit etwas Glück können wir dir Anna dann schon mitgeben", sagte Kai und gab Jonas einen freundschaftlichen, leichten Klaps auf die Schulter. Wir anderen verabschiedeten uns schnell mit einem „Ciao.“ von Jonas. Er verschwand im Dunkel der Nacht und wir trennten uns. Silke und Ben wählten einen anderen Weg als Anna, Kai und ich zurück in die Baracke.