Читать книгу Versklavt - Zurück zur Freiheit - Angela Finck - Страница 6
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ОглавлениеEs wurde wieder heller um mich. Schemenhaft nahm ich die Umrisse einer Person wahr, die sich über mich beugte. Dumpf hörte ich ihre Stimme: „Bleib ruhig noch etwas liegen, Kind.“ Ich spürte, wie Wasser meinen Mund benetzte. „Hier trink das.“ Auch wenn das Wasser fahl und abgestanden schmeckte, tat es meiner trockenen Kehle gut. Mein Blick schärfte sich und ich erkannte, dass es eine Frau war, die mich versorgte. Sie war schon etwas älter. Der Großteil ihres Haupthaares war ergraut, Falten hatten sich tief in ihr Gesicht gegraben. Sie lächelte freundlich.
„Wo bin ich? Wo sind mein Mann und meine Freunde?“, flüsterte ich. Ich wollte mich aufsetzen, doch meine Muskeln waren noch zu schwach. Ich sackte wieder hinab auf den harten, holzigen Boden.
„Du solltest wirklich noch etwas liegen bleiben, Kind.“, ihre Stimme klang besorgt.
„Was ist passiert?“
„Die Mächtigen haben euch gefunden. Sie haben euch betäubt und hierher gebracht.“
„Und wo bin ich?“
„In einem Arbeitslager zum Anbau von Kartoffeln, Getreide und Mais.“
Na toll, von einem Gefängnis in ein Arbeitslager, dachte ich bei mir. „Wieso Arbeitslager?“
„Die Mächtigen haben hier ein Arbeitslager zum Ackerbau eingerichtet um ihre Sklaven weltweit, also uns, mit Nahrung zu versorgen.“
„Was sind denn bitte Mächtige? Wie sehen die aus und vor allem, was wollen die von uns?“
„Die Mächtigen sind die Außerirdischen, die uns vor knapp zwei Monaten angegriffen haben. Aber ich weiß nicht viel über sie. Und bitte nenne mich Greta.“
„Ich bin Ami", sagte ich und reichte ihr die rechte Hand. „Sag mir bitte, was du weißt.“
„Ich weiß eigentlich nur, dass sie hier auf der Erde eine große Menge ihres Energiespenders geortet haben und dass sie das nun hier abbauen wollen, beziehungsweise sie uns es abbauen lassen. Aber was ihr Energiespender ist, weiß ich nicht.“
Ist nicht wahr. Ich träume das nur. Jetzt konnte ich auf dem harten Boden nicht länger liegen bleiben. Ich wollte zu Kai. „Wo ist mein Mann?“
„Welcher von den Leuten, mit denen du gebracht wurdest, dein Mann ist, weiß ich nicht, aber sie sind alle hier, allerdings immer noch ohne Bewusstsein.“
Ich setzte mich auf, was jetzt schon viel besser ging und sah mich um, spürte dabei aber ein leichtes Schwindelgefühl im Kopf. So wie das hier aussah, waren wir in einer Scheune, die Wände aus Holz, mehrere kleine, schmutzige Fenster und ein großes geschlossenes Tor. Um mich herum lagen noch einige andere Leute, alle bewusstlos. Etwa drei Personen von mir entfernt konnte ich Kai ausmachen. Noch etwas weiter glaubte ich, meine Schwester zu erkennen.
Erst jetzt spürte ich, dass etwas fest um mein linkes Handgelenk gelegt war. Nun, da ich wusste, dass es da war, störte es mich ungemein. Ich betrachtete das metallene Band, und als ich meinen Arm umdrehte, sah ich auf meinem Aderverlauf etwas liegen, dass Ähnlichkeit einer Digitaluhr hatte. Eine Anzeige blinkte grün. Ich fummelte an dieser Uhr herum; ich wollte es loswerden. Nie hatte ich eine Uhr am Arm getragen, weil ich es als störend schon fast widerlich einengend empfunden hatte und jetzt das.
„Lass das mal lieber in ruhe, Kind.“
Meine Güte, sag doch nicht immer Kind zu mir, ich bin 29 Jahre alt, stehe mitten im Leben; habe - hatte - einen gut bezahlten Job in einer großen Firma; bin verheiratet. Also bitte hör’ auf mich Kind zu nennen, alte Frau – dachte ich genervt. „Was ist das?“, fragte ich dagegen nur knapp.
„Da ist ein Peilsender drin, der uns anzeigt, wie weit wir uns von dem Turm da draußen entfernen dürfen, wenn er rot blinkt und schnell piepst, solltest du wieder zurück zum Turm gehen, wenn dir dein Leben lieb ist.“
„Was passiert, wenn man es ignoriert?“
„Das hat noch niemand ausprobiert. Sie haben uns gesagt wir würden sterben.“ Sie machte eine kleine Pause und griff hinter sich. „Hier ist übrigens deine Handtasche. Keine Sorge ich hab nicht rein gesehen. Ich weiß ja das, die Handtasche heutzutage das Heiligtum einer jeden jungen Frau ist.“
Dennoch sah ich gleich rein. „Du hast vielleicht nicht rein gesehen aber diese Außeririschen mit Sicherheit.“ Eigentlich suchte ich nur nach meinem Handy, schließlich hatte ich ja versuchen wollen meine Eltern zu erreichen. Ich schaltete es ein, doch zu meinem Bedauern musste ich feststellen, dass ich immer noch keinen Empfang hatte. „Ach, das liebe Handy. Nun das wirst du wohl nicht mehr gebrauchen können.“ Eine ernüchternde Aussage, die mich dazu veranlasste das Handy wieder auszuschalten und in die Tasche zurückzustecken.
„Wieso ist es noch da, die müssten sich doch eigentlich für unsere Technik interessieren? Oder irre ich mich da?“
„Sie halten unsere Technik für zu primitiv, als das sie ihnen etwas anhaben könnte.“
Wir wurden von einem Stöhnen unterbrochen. Ich drehte mich um. Es war Kai, der gerade wach wurde. Greta sah meinen erleichterten Ausdruck in den Augen und gab mir eine Flasche Wasser. „Geh zu ihm", sagte sie liebevoll. Ich kletterte noch etwas unbeholfen über die anderen Bewusstlosen zu meinem Mann hinüber. Ich streichelte seine Stirn. „Bleib noch etwas liegen, Schatz“, flüsterte ich ihm zu. Ich hob lediglich seinen Kopf leicht an, um ihm das Wasser einzuflößen. „Was ist passiert?“, flüsterte Kai kraftlos. „Wir wurden von Außerirdischen gefangen genommen", antwortete ich mit ernster Stimme. Doch Kai grinste ungläubig: „Ja, sicher.“
Ich sah mich um, nun regten sich auch Anna und Silke. „Bleib noch etwas liegen, ich komme gleich wieder", sagte ich zu Kai und legte behutsam seinen Kopf zu Boden.
„Greta, wo sind die Wasserflaschen?“, rief ich zu ihr hinüber. Sie kümmerte sich gerade um jemand anderen, der erwachte.
„Die stehen da hinten rechts in der Ecke, Kind", antwortete sie und deutete auf den Punkt, den sie meinte. Ich ging dort hin, und nahm zwei Wasserflaschen aus dem beachtlich großen Vorrat. Ich ging zu Anna und Silke, die beide nebeneinander lagen, und brachte ihnen das Wasser. Auch sie wollten wissen, was passiert war. „Wir wurden gefangen genommen", antwortete ich, „Den Rest erkläre ich euch später.“
Anna und Silke waren schneller auf den Beinen, so konnten sie auch helfen, die weiteren Erwachenden zu versorgen. Die Dosis, mit der wir Frauen betäubt worden waren, war bestimmt schwächer, nur so konnte ich mir erklären, warum wir schneller wieder fit waren als unsere Männer.
Es war bereits einige Zeit vergangen, mittlerweile waren alle wieder wach. Jonas, Ben, Silke, Anna, Kai und ich saßen zusammen in einer Ecke und ich erzählte ihnen, was ich von Greta erfahren hatte. Am meisten waren wir von dem Sicherheitssystem schockiert, welches um unser linkes Handgelenk gebunden war. Lediglich Ben hatte ein leichtes Grinsen auf den Lippen. Für ihn war es wohl ein wahnsinniges Gefühl, einen seiner heiß geliebten Filme am eigenen Leibe zu erfahren.
Auch die anderen Gefangenen, die vorher noch in kleinen Gruppen zusammen gesessen hatten, gesellten sich nun zu uns. Ich erkannte niemanden aus meiner Vergangenheit wieder und auch ihre Namen sagten mir nichts. Keiner von ihnen hätte mir Hinweise über den Verbleib meiner Eltern nennen können. Unter ihnen war jede Altersgruppe vertreten, und als ich ihre Geschichten hörte, war mir klar, warum sie so viel ausgemergelter aussahen als wir. Sie hatten die letzten Wochen schon um ihr Überleben kämpfen müssen, während wir gut versorgt im Bunker gesessen hatten. Nun begann Greta, noch einmal für alle, zu erklären, was sie mir bereits gesagt hatte. Fassungslosigkeit machte sich in der ganzen Gruppe breit, einige protestierten. Greta wurde mit Fragen überhäuft, die sie bei weitem nicht alle beantworten konnte.
Das Stimmengewirr in der Scheune unterbrach, als sich das Tor öffnete. Das trübe Licht blendete mich, doch dann sah ich drei Männer im Eingang der Scheune stehen. Sie alle waren komplett in schwarzes Leder gekleidet. Springerstiefel, Lederhose, schwarzes Shirt und ein Ledermantel. Alle drei hatten glänzend polierte Glatzen. Sie sahen ganz und gar nicht wie Außerirdische aus, eher wie die Bösen in einem Actionfilm. Was mir noch auffiel, war, dass sie zumindest für meine Verhältnisse riesig waren. Der rechte und der linke Mann maßen ungefähr 2,20 Meter. Der in der Mitte war noch etwas größer, 2,50 Meter würde ich schätzen. Dem entnahm ich, dass er wohl der Boss dieser Gruppe war.
Ich sah, wie Greta sich zu Boden warf. Ein stechender Schmerz in meinem linken Arm trieb mir die Tränen in die Augen und ließ mich auf die Knie sinken. Allerdings ging es nicht nur mir so, die ganze Scheune war mit Schreien erfüllt und alle sackten zu Boden.
„So ist es besser", hörte ich eine tiefe rauchige Stimme sagen. Ich hörte Schritte. Ich spähte nach oben. Das sind also die Mächtigen. Die Außerirdischen gingen durch die Reihen und betrachteten jeden Einzelnen von uns. Sie blickten sich an, aber niemand von ihnen sagte etwas.
Der Schmerz war bereits etwas abgeebbt, doch erheben konnte ich mich nicht. Ich war wie gelähmt. Die Schritte wurden lauter und kamen nun vor mir zum Stehen. Ich spürte wie sich eine Hand grob unter mein Kinn legte, mein Gesicht nach oben zog und mich zwang dieses menschlich Aussehende etwas anzusehen. Ein hämisches Grinsen lag auf seinen falschen Lippen. In seinen Augen, den kalten Augen einer Schlange, funkelte etwas, das ich nicht zu deuten vermochte. Ich sah ihn eindringlich an und versuchte seinem Blick stand zu halten. Meine ganze Wut, meinen Hass und Unmut gegen diese Situation legte ich in meinen Blick, in der Hoffnung, dass er spürte, wie sehr ich ihn verabscheute. Seine Hand zitterte leicht unter meinem Kinn. „Hübsches kleines Ding, und so wilde Augen", sagte er und stieß meinen Kopf wieder hinunter, so dass ich ihn nicht mehr ansehen musste.
Sie gingen weiter durch die Reihen. „Greta, bring sie zu ihren Quartieren!“, sagte der Große in einem rauen Befehlston. Doch erst als sie außer Sichtweite waren, konnte ich mich wieder selbständig bewegen.
Greta führte uns nach draußen. Das Licht brannte in den Augen, die Sonne musste über der Wolkendecke scheinen, dennoch war es eisig kalt. Das Sonnenlicht über den dunklen Wolken ließ ihr Grau unnatürlich hell wirken. Draußen stand eine hohe Säule. Das musste der Sendeturm sein, von dem Greta gesprochen hatte. Neben der Säule stand etwas, das wohl ihr Raumschiff sein sollte. Ein ziemlich großes ovales Gebilde, metallisch silbern. Um die Säule herum standen Baracken, an denen wir zunächst vorbei, zu den Anbaufeldern, gingen. Die Meisten waren noch von Asche bedeckt andere bereits umgegraben. Die Menschen, auf diesen Feldern ackerten sich den Rücken krumm. Niemand von ihnen blickte auf und doch konnte ich erkennen, dass ihre Gesichter eben so schmutzig waren wie ihre Kleidung. Hinter den Feldern sah ich Bahngleise entlang laufen und dahinter lag ein Wald mit einigen Häusern. Ich kannte diese Gegend, wir waren auf den freien Feldern eines Vorortes unserer Stadt, hier hatte ich als Kind oft mit meinen Freundinnen gespielt. Weiter links von uns sah ich auch das große Wasser-Sammelbecken, welches bereits vor knapp zwanzig Jahren dort in den Boden eingelassen worden war. „Hier werdet ihr ab morgen arbeiten. Der Sendeturm wird zwei Signale von sich geben: eines zum Wecken, das Zweite, wenn ihr am Turm zu erscheinen habt. Dort bekommt ihr euer Tagewerk zugeteilt. Solltet ihr nicht erscheinen, wäre es besser, es läge daran, dass ihr die Nacht nicht überlebt habt. Denn sie werden euch bestrafen. Vorhin habt ihr bereits nur einen kleinen Vorgeschmack von den Schmerzen bekommen, die sie uns zufügen können", erklärte Greta.
„Kannst du mir sagen, wie weitläufig der Bereich ist, in dem wir uns aufhalten dürfen?“, wollte Jonas wissen.
„Probiert es aus. Diese Häuser, da drüben, erreichen wir, aber bis ins Dorf kommen wir nicht rein", antwortete Greta.
„Gibt es einen Namen, bei dem wir diese Wesen nennen können, wenn wir Fragen haben, oder Hilfe brauchen?“, fragte er weiter.
„Herr! Doch rate ich dir, nicht zu viele Fragen zu stellen. Das könnte dir übel bekommen.“
Wir gingen wieder zu den Baracken. Mehr oder weniger einsturzgefährdete Gebilde aus Holz und Wellblech. Greta öffnete eine Sperrholztür, auf der mit roter Farbe eine Sechs geschrieben stand. „Das ist euer Quartier", sagte Greta und zeigte mit dem Finger auf mich und meine Freunde. „Ihr habt Glück, die vorherigen Bewohner haben bereits einige Vorarbeit geleistet.“
„Wo sind diese Leute jetzt?“, wollte Kai wissen.
„Tot.“, ein leichter Ausdruck von Trauer legte sich auf Gretas Gesicht. Greta wies uns an, dieses Gebäude zu betreten. „Das ist jetzt euer Neues zu Hause.“, ihre Stimme klang etwas sarkastisch. Sie wandte sich ab und schloss sie die Tür von außen. Aus dem Fenster konnte ich sehen, wie sie den anderen Gefangenen ihre Quartiere zeigte.
Jetzt saßen wir in der Baracke fest und ein zermürbendes Gefühl beschlich die ganze Gruppe. Wir setzten uns an den Tisch in der Mitte des Raumes, nachdem Jonas die Feuerstelle daneben angezündet hatte. Wir überlegten, was wir nun tun könnten, ob wir überhaupt etwas tun konnten oder ob wir uns einfach diesem Schicksal ergeben sollten. „Wir könnten wenigstens die Gegend auskundschaften, mal sehen wie weit wir gehen können. Wir sind schließlich nicht in der Baracke gefangen, sondern nur im so genannten sicheren Bereich", schlug Ben vor.
„Das werden wir auch machen, doch nicht gleich heute, lasst uns erst mal friedlich sein, vielleicht gewinnen wir so ihr Vertrauen, dann können wir langsam ausloten, wie weit wir gehen können, ohne ihre Nerven zu überstrapazieren", erklärte Jonas, dabei umspielte ein hinterhältiges Grinsen seine Lippen.
Der Weck –Ton der Säule war schrill und laut. Das Aufstehen viel uns schwer. Nicht, weil wir gerne noch etwas weiter geschlafen hätten, sondern weil uns der Rücken von den alten durchgelegenen Matratzen schmerzte. Ein Frühstück gab es nicht. Lediglich sechs große Plastikflaschen Wasser standen vor der Tür. Wir hielten uns an Jonas’ Plan und wollten nicht gleich am ersten Tag als Rebellen auftreten. Deshalb erschienen wir pünktlich zur Arbeit an der Säule. Dort bekamen wir unsere Aufgaben für den Tag zugeteilt. Wir Frauen mussten die bereits gepflügten Felder bewirtschaften. Und die Männer, die noch vorhandenen Aschefelder umgraben. Durch die körperliche Arbeit wurde mir etwas wärmer. Doch der Regen, der am Nachmittag auf uns niederprasselte, ließ mich wieder gefrieren. Ich sehnte mich nach der Wärme des Bunkers zurück, der mir plötzlich wie reiner Luxus vorkam.
Gegen Abend wurden einige Leute vom Feld gerufen; es sei ein Wagen gekommen, der Fisch brachte. Bevor wir in die Baracken gingen, durfte sich jeder eine Ration Essen und eine Flasche Wasser für den nächsten Tag abholen.
In der Baracke spießten wir den Fisch auf Holzstöcke und hielten diese in die Feuerstelle, damit er wenigstens über offenem Feuer gegrillt war und nicht roh. Doch das machte für mich keinen Unterschied, ich mochte keinen Fisch. Das erste Stück spie ich wieder aus. Ich wollte derlei Nahrungsaufnahme verweigern doch Kai zu liebe würgte ich etwas davon herunter.
Mit der Arbeit auf dem Feld zogen die Tage ins Land. Kein fließendes Wasser, womit man sich mal hätte waschen können, kein Strom, und auch keine Heizung, geschweige denn von Handys, Fernsehen oder Internet. Es war wie ein unerwünschter Zeitsprung in die Vergangenheit. Aufgrund dessen nannten wir diese Zeitepoche: zweites Mittelalter. Der wesentlichste Unterschied zwischen uns und den Menschen im ersten Mittelalter bestand darin, dass wir bereits die Annehmlichkeiten des technischen Fortschritts kannten. Was für uns noch, vor einigen Monaten, allzu selbstverständlich war, vermissten wir nun umso mehr. Damit hatte sich der Satz - ‚Man merkt immer erst, was man hatte, wenn man es verloren hat.’ - zu einer unwiderruflichen Wahrheit entwickelt.
Mit der Zeit lernten wir auch die anderen Sklaven dieses Lagers kennen. Einige von ihnen kannte ich noch aus meiner Kindheit, allerdings erst nachdem ich ihre Namen gehört hatte. Rein vom Aussehen hätte ich sie nicht wieder erkannt. Aber niemand konnte mir etwas über den Verbleib meiner Eltern sagen. Die älteren unter ihnen sagten lediglich: „Bist du nicht das Kind von Viktor und Katharina? Du bist aber groß geworden.“
Immer wenn sich uns der große Mächtige zeigte, hatten wir in die Knie zu gehen, sollten wir das nicht freiwillig machen, wurden wir unter Schmerzen dazu gezwungen. Dabei hatte ich ständig das Gefühl, der Große würde mich beobachten. Immer wieder spürte ich seinen Blick auf meinem Körper ruhen, denselben Blick, mit dem er mich bei unserem Ersten Zusammentreffen angesehen hatte. Den Blick einer Schlange, kurz davor sich auf ihre Beute zu stürzen. Was hatte das nur zu bedeuten?
Da wir beschlossen hatten nicht negativ aufzufallen, zwangen wir uns dazu rechtzeitig in die Knie zu gehen. Diese Unterwürfigkeit widerte mich an. Ich war ein freier Mensch gewesen, aber jetzt als Sklave fühlte ich mich gleichzeitig, wie ein Haustier. Immer wieder musste ich mich selbst zur Ordnung rufen; mir sagen, das Jammern nichts nützte: Entweder ich würde mich fügen oder dagegen kämpfen.
Nach einigen Wochen begannen wir nach dem Tagewerk unsere Grenzen auszuloten, gingen so weit wir konnten, bis der Sender an unserem Arm anschlug. Tatsächlich konnten wir einige Häuser erreichen. Wir nahmen uns aus dem Haushaltsvorrat, was wir gebrauchen konnten.
Unter anderem nahm ich das angebrochene Duschgel und stellte mich nackt in den kalten Regen, um mir wenigstens etwas von dem Dreck und Schweiß weg waschen zu können. Ich fror unter dieser kalten Dusche, doch Kai kam zu mir um mich etwas warm zu halten. Während er seine Arme um mich legte, spürte ich diese Geborgenheit, die nur ein liebender Partner geben konnte. Ein Kuss in tiefer liebe und die Leidenschaft ließ uns noch enger zusammenkommen. So nah, dass uns sehr warm wurde und wir unter dem modrigen Holz des Waldes einige kurze aber intensive Glücksmomente empfanden. Aber wirklich fallen lassen konnte ich mich nicht. Jedes Mal hatte ich das Gefüh,l beobachtet zu werden. Nicht von unseren Leuten, nein von ihnen, genauer gesagt von ihm.
Allerdings waren derlei Vorräte schnell verbraucht. In einem der Häuser fanden wir, eine menge Bücher und eine Messersammlung an denen wir uns bedienten. So konnten wir in unserer Freizeit auch etwas anderes tun, als stumm vor uns hinzuvegetieren. Ich las sämtliche Bücher, die ich finden konnte. Nie hatte ich so viel gelesen. Doch, während ich las, konnte ich in diese Traumwelt, von Piratengeschichten und leidenschaftlichen Liebesromanen, entfliehen. Selbst das herzzerreißende Drama oder der grausame Psychothriller war weniger furchtbar als unser Dasein in Gefangenschaft; in der Tristesse dieser Zeit. Als die Gewohnheit sich in unseren Muskeln und Gliedern einstellte und diese nicht mehr von der harten Arbeit schmerzten, nahmen wir unser Nahkampf-Training wieder auf. Eine weitere Abwechslung in unserem langweiligen Leben.
Ich konnte die diversen Mangelerscheinungen körperlich spüren, die ich durch die einseitige Ernährung hatte. Was gab es denn schon? Fisch, welchen ich nur durch den Hunger hinunter bekam, ein paar Kartoffeln, Mais und Regenwasser aus dem Sammelbecken. Ab und an mal eine frisch erlegte Ratte. Mein Körper wurde zunehmend schwächer, auch wenn der Tod eine Erlösung aus diesem Elend gewesen wäre, weigerte ich mich zu sterben. Irgendwo da draußen musste noch etwas anderes sein.
Mein Gefühl, mein sehnlichster Wunsch, bestätigte sich. Menschen starben, andere Menschen kamen und mit ihnen wurden Gerüchte laut, über einen Ort auf dieser Welt, an dem die Menschen noch frei waren. Dort wollte ich hin und ich war bereit alles dafür in kauf zunehmen.
„Der Fisch ist fertig", riss Anna mich aus meinen Gedanken und führte mich wieder, aus den drei Jahre alten Erinnerungen, zurück in die Gegenwart. Ich setzte mich zu den anderen an den Tisch und brachte das Notwendigste in den Magen.
„Es wird Zeit, dass wir unseren Ausbruch planen", sagte Jonas zwischen zwei bissen. Alle wurden hellhörig.
„Wie kommst du jetzt darauf?“, wollte Kai wissen.
„Heute hat mir einer der Lieferanten erzählt, dass der freie Ort im Dschungel Afrikas liegt", erzählte Jonas.
„Wie kommt er darauf?“, fragte Ben.
Jonas erzählte uns, dass dieser Lieferant zum Zeitpunkt des Vorfalls in Afrika auf Safari gewesen war. Zwar hatte er Lichter am Himmel gesehen, aber dort mitten im Dschungel und in der Steppe sei nichts passiert. Er selbst sei erst gefangen genommen worden, als ihn die Neugier nach Norden trieb. Er sagte, dass für sie die Wüste und der Dschungel uninteressant seien, da sich dort keine Machtzentren befinden, die ihnen auch nur im Geringsten gefährlich werden könnten.
„Dann sollten wir uns auf machen.“, sagte ich.
„Sind alle dafür, dass wir nach Afrika aufbrechen, die lange beschwerliche Reise auf uns nehmen, um endlich wieder frei zu sein?“, fragte Jonas hoffnungsvoll.
Wir alle hoben zeitgleich die Hände.
„Dann ist es beschlossen, wir verschwinden. Die Frage ist nur: wie?“