Читать книгу Versklavt - Zurück zur Freiheit - Angela Finck - Страница 7
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ОглавлениеWir hatten beschlossen, dass die Zeit zur Flucht gekommen war. Wir wussten nun in etwa, wohin wir gehen konnten. Dieses wissen, alleine dieser Beschluss erweckte in mir sämtliche Lebensgeister. Die Freiheit war nun in fast greifbare nähe gerückt, allerdings bedachte ich in meiner Euphorie nicht das größte Problem: diese Uhr an unserem Handgelenk.
„Um von hier verschwinden zu können, müssen wir dieses Ding an unserem Arm loswerden. Ich mein, ich hab zwar Ahnung von Technik, dennoch wäre es besser, wenn ich mir diese Uhr einmal von innen ansehen könnte", meinte Ben.
„Dann werde ich wohl beim Leichendienst, eine Leiche verschwinden lassen müssen", antwortete Kai leichthin, ohne dass er es wirklich ernst meinte.
„Das ist doch eine super Idee", ermunterte ich Kai. „Erzähl doch mal allen, was du da genau machen musst?“
„Ja, sag mal.“, Ben und Silke sprachen die Worte gleichzeitig.
„Nun ja, ich muss hier durch das Gebiet laufen und die Leichen einsammeln. Dabei helfen für gewöhnlich noch drei Leute aus den anderen Baracken. Bernd, Michael, Sascha und ich. Wobei wir alles getrennt abgehen, niemals gemeinsam, so schaffen wir es in kürzerer Zeit. Bevor wir die Toten auf den Schubkarren laden, nehmen wir ihren die Uhren ab. Bei den Toten geht das, weil kein Puls mehr da ist. Na ja, und dann legen wir die Leichen auf einen Haufen und sie werden verbrannt. Danach gibt einer von uns die Uhren bei den Mächtigen ab.“
„Werden die Leichen noch mal von ihnen gezählt?“, wollte Jonas wissen.
„Nein.“
„Dann ist es ja kein Problem jemanden verschwinden zu lassen.“, Jonas grinste.
„Wenn es nur die Leichen wären, dann nicht. Bei den Uhren mache ich mir Gedanken“, erwiderte Kai.
„Wieso?“, wollte Ben wissen.
„Sie haben eine Überwachungsstation. Damit überwachen sie ihren Sklavenbestand. Wenn nun einer von uns stirbt, also kein Puls mehr da ist, wechselt das jeweilige Licht auf der Überwachungsstation die Farbe von Grün nach Rot, dann werden wir losgeschickt, die Leichen zu suchen und ihnen die Uhren zu bringen.“
„Dann fällt ja sofort auf, wenn eine Uhr fehlt.“, ein Hauch von Verzweiflung tat sich in mir auf. Es ist hoffnungslos, wir kommen hier nie raus.
„Bei zwei oder drei Signalen auf jeden Fall, aber wenn mehr als 10 gleichzeitig sterben und dann am besten auch noch eine krumme Zahl, neunzehn oder so, haben wir eine Chance, obwohl es immer noch ein Risiko darstellt.“
„Wir sollten es auf jeden Fall ausprobieren, sobald die nächste größere Menge Menschen verstirbt", sagte Jonas.
„Kein Problem. Ich werde mich darum kümmern.“, als Kai das sagte, sah ich in seinen Augen wieder etwas Lebensfreude aufflackern. Endlich, nach all den Jahren, hatten wir wieder ein Ziel, das es zu verfolgen galt.
Am nächsten Morgen nahmen wir ganz normal unsere Arbeit auf und vermieden es unseren Fluchtplan außerhalb der Baracke zu erwähnen. Es regnete wieder einmal, und ich kniete am Wassersammelbecken, um das Regenwasser in die Flaschen abzufüllen. Ich bemerkte, dass ich beobachtet wurde, und blickte mich um. Etwas weiter sah ich den großen Mächtigen stehen; ich glaubte, seinen Blick fast körperlich zu spüren. Ich verbeugte mich kurz, um meine Unterwürfigkeit zu demonstrieren. Er lachte amüsiert. Seinen Blick auf mir zu spüren fand ich unangenehm. Die ganzen drei Jahre, seit unserer ersten Begegnung, fühlte ich mich von ihm beobachtet. Als hätte er nichts Besseres zu tun als mir Tag für Tag nach zu stellen. Ich fragte mich warum er das tat; was er von mir wollte. Was war denn jetzt noch an mir interessant? Bevor sie unsere Erde heimgesucht hatten, hatte ich mich selbst auch als hübsch empfunden. Aber jetzt, nach all den Strapazen und dem Hunger, war ich doch nichts mehr. Eine graue Maus unter vielen, nicht mehr halb so ansehnlich wie früher. Ich wunderte mich sogar darüber, dass Kai mich noch mit Liebe in den Augen ansah.
„Wenn mich jemand fragen würde, wo seine Schwäche liegt, würde ich sagen sie liegt bei dir", hörte ich eine Männerstimme hinter mir sagen. Erschreckt drehte ich mich um. Es war Dominik, er lebte in Baracke Nummer zwei.
„Ich weiß, was du meinst. Es nervt schon, ständig unter Beobachtung zu stehen.“
„Mich würde ernsthaft interessieren, was er denkt, wenn er dich so ansieht", meinte Dominik.
„Er wird wahrscheinlich darauf achten, dass wir unsere Arbeit richtig machen. Was denkst du denn?“, antwortete ich leicht genervt von dem speziellen Unterton, den er in seine Stimme gelegt hatte.
„Nun ja, er ist immerhin männlich. Seine Blicke folgen dir ständig. Er sucht quasi nach dir. Wäre er einer von uns, würde ich fast sagen, dass er sich vorstellt wie du und er zusammen …“
„Sieht das wirklich so aus?“, unterbrach ich Dominiks Ausführungen.
„Vermutlich stellt er sich gerade vor, wie er dich auch in einem anderen Sinne benutzt.“
„Hör auf, das will ich mir gar nicht vorstellen", gab ich verärgert zurück. „Bisher hat er mich immer nur aus der Ferne begafft, und das soll auch so bleiben.“
„Wenn du mich fragst, ich finde, du solltest dich für uns alle opfern, mal etwas freundlich zu ihm sein. Vielleicht ging es uns dann allen besser.“
„Erstens hat dich niemand gefragt und zweitens, glaubst du wirklich das dieses Wesen tatsächlich ein amouröses Interesse an einem Menschen haben kann?“, sagte ich kühl und begann schnell weiter Wasser in die Flaschen zu füllen, als ich sah, dass der Große sich direkt auf uns zu bewegte. Dominiks schelmisches Lachen verstummte.
„Was gibt es hier zu quatschen, hast du nichts zu tun, zurück an die Arbeit, aber sofort.“
Dominik verbeugte sich schnell und lief zurück zu den Feldern. Auch ich sah zu Boden, da ich bereits kniete, brauchte ich nur noch meinen Blick zu senken, um Demut zu beweisen.
„Du darfst wieder aufsehen", sagte er schroff.
Unsere Blicke trafen sich, doch anstatt ihn hasserfüllt anzusehen lag Dankbarkeit in meinem Blick. Dankbarkeit dafür, dass ausgerechnet er mich vor weiteren demütigenden Worten geschützt hatte. Ein schüchternes Lächeln huschte über meine Lippen. Unwillkürlich beugte er sich ein Stück zu mir herunter, nur wenige Zentimeter. Sein Blick war starr. Was bezweckte er damit, wenn er mir so in die Augen sah? Was würde er nun machen? Er war zu nah. Eine gespaltene Zunge kam zum Vorschein. Die Zunge einer Schlange, passend zu seinen Augen. Ein weiterer Beweis dafür, dass ich es hier nicht mit einem übergroßen Menschen zu tun hatte, der einfach nur böse war. Er will dich besitzen, mehr noch als alles andere auf dieser Erde – fuhr es mir, angesichts Dominiks Mutmaßungen, durch den Kopf. Ich machte mich bereit zu laufen, für den Fall das er sich noch mehr nähern würde. Doch er zog sich zurück.
„An die Arbeit, Wildkatze", sagte er ungewohnt ruhig. Als er ging, sah ich, wie er kurz seine Hand zu einer Faust ballte. Eine solche Reaktion kannte ich als Zeichen, der Selbstbeherrschung.
Der Regen wurde stärker, viel stärker und es zog ein unnatürlich wüster Wind auf. Er pfiff wild über die Felder. Es begann zu hageln, ich hob meine Flaschen auf und versuchte gegen den Wind anzukämpfen, um in meine Baracke zu gelangen. Selbstschutz trieb mich an; es war mir egal, dass die Mächtigen wollten, dass wir unsere Arbeit fortsetzten. Ich wollte irgendwo hin, wo ich vor dem geschützt war, das vom Himmel auf uns niederschlug. Doch ich hatte kaum eine Chance gegen den Wind. Nur mühsam kam ich voran. Die Hagelkörner, golfballgroß trafen mich schmerzhaft an Kopf und Rumpf. Sie würden gut sichtbare Spuren hinterlassen. Ich sah Kai, wie er zu den Baracken lief. So laut ich konnte, rief ich nach ihm. Doch ich hatte Zweifel, dass er mich durch das laute Pfeifen des Windes hören konnte. Aber ich hatte mich geirrt: Kai hatte mich gehört oder zumindest gesehen, denn er kam auf mich zu und zog mich mit sich in die Baracke. Wir waren die Ersten, die zu Hause ankamen, ich stellte die Wasserflaschen auf den Boden. Kai zündete die Feuerstelle an. Laut knallten die Hagelkörner auf das Wellblechdach und der Wind ließ das Gebäude beben. Kurz nach uns kamen auch Anna und Silke. „Das sind keine Körner mehr, das sind Bälle.“, rief Anna mir zu. Durch den Krach, der von dem Dach ausging, konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Jonas und Ben kamen. Ben hatte etwas in der Hand. „Seht euch das an!“, rief er und zeigte uns ein Hagelkorn von der Größe eines Tennisballs. Jetzt konnten wir nichts tun als warten, bis dass sich das Unwetter gelegt hatte. Der Wind wurde noch stärker. Die Baracke vibrierte unter den kräftigen Windstößen. Ich hatte Zweifel daran, dass dieses Gebäude dem Sturm standhalten würde. Kai ging gerade zu unserem Schlaflager, er wollte sich ein wenig hinlegen, als uns ein extrem lauter Schlag zusammenzucken ließ. Dort wo Kai noch vor einer Sekunde gestanden hatte, war ein Hagelball durch das Wellblech geschlagen. Er war etwa so groß wie ein Handball; so etwas hatte ich noch nie gesehen. Du Glückspilz, dachte ich, der hätte dich erschlagen können. Kai war die Erleichterung, darüber das er einige Schritte beiseite gegangen war, deutlich anzusehen. Kleinere Körner fielen durch das Loch im Dach und der Wind pfiff unangenehm und wild in die Baracke. „Das werden wir schnellstmöglich reparieren müssen.“, rief Jonas.
Der Sturm hatte einige Opfer gefordert, daher musste Kai noch an diesem Abend zum Leichendienst. Ich war bereits eingeschlafen, aber als tief in der Nacht die Barackentür geöffnet wurde saß ich wieder hellwach in meinem Schlaflager. Auch die anderen standen auf, langsam kamen sie in den Gemeinschaftsbereich. Wir setzten uns zusammen an unseren Tisch, während Kai eine Uhr auf denselben legte.
„Jetzt sind wir aber gespannt.“, damit sprach ich für alle.
„Der Sturm hatte dreiundzwanzig Tote zur Folge. Wobei zwei von ihnen über die unsichtbare Grenze gelaufen waren", begann Kai zu erzählen.
„Was ist mit ihnen passiert?“, fragte Anna.
„Ihre Uhren waren zerstört. Die Leichen waren in Ordnung, keine besonderen Merkmale, lediglich einen Einstich in die Hauptschlagader.“
„Wie bist du denn zu den beiden Toten hin gelangt, ohne selbst dabei zu sterben?“, wollte ich wissen.
„Als ich gemerkt hab, dass die Leiche außerhalb des sicheren Gebiets lag, ging ich zurück zum Raumschiff und bat um Hilfe. Da ihnen die Uhren wichtig sind, wurde ich von einem der Mächtigen, der einen gesonderten Sender hatte, begleitet, in dessen Gegenwart konnte ich die Grenze überschreiten, ohne dass mir etwas zustieß.“
So wussten wir wenigstens, was passierte, wenn man das immer schneller werdende Piepsen und das rote Warnlicht in den Uhren ignorierte.
„Gibt es keine Möglichkeit an so einen Sender zu kommen?“, fragte Ben.
„Die sind sehr gut unter Verschluss und wer die Schlüssel hat weiß ich nicht", antwortete Kai.
„Jetzt erzähl weiter. Wie bist du denn jetzt an die Uhr gekommen?“, drängte ich ungeduldig.
„Als die Mächtigen sich wieder zurückgezogen hatten, suchte ich nach weiteren Leichen, eine lag im Wald. Es war eine Frau, sie hatte ein Messer neben sich liegen, sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich nahm ihr die Uhr ab, steckte mir diese in die Tasche und begrub sie in der Nähe des Hauses mit der Bibliothek. Als wir uns am Scheiterhaufen trafen, gaben mir die anderen ihre Uhren und ich brachte sie zu den Mächtigen.“
„Und haben sie etwas gesagt? Ist ihnen aufgefallen, dass eine Uhr fehlte?“, wollte Anna wissen.
„Die waren von irgendetwas abgelenkt. Für mich sah es so aus, als würden sie mit einem anderen Lager kommunizieren. Einer von ihnen sagte nur ‚Leg sie da drüben auf den Tisch und dann verschwinde.’“
„Bleibt zu hoffen, dass die fehlende Uhr nicht doch noch auffällt", meinte Jonas.
„Dreiundzwanzig Tote - wisst ihr, was das bedeutet? Wir werden jetzt noch härter arbeiten müssen. Das ist fast ein Viertel der Leute hier", sagte Silke entsetzt, wobei ihr entsetzten eher der Mehrarbeit als den menschlichen Verlusten galt.
„Ich glaube, der Sklavenverlust wird schon sehr bald wieder ausgeglichen werden. Also mach dir über die zusätzliche Arbeit keine Gedanken", meinte Jonas trocken mit einem leichten Anflug von Ärger. Wie konnte Silke nur so kalt sein, dass sie sich mehr über die Arbeit als über den Verlust von Menschenleben sorgte?
Ben hingegen interessierte Silkes Einwand weniger. Er experimentierte gleich mit der Uhr herum und verglich sie mit der, die er am Arm trug. Alles ganz normal, nur das grüne LED leuchtete nicht mehr. Er drehte die Uhr um, damit er die Auflageseite genauer betrachten konnte. „Da ist ja ein kleines Loch drin. Hat mal jemand einen kleinen Schraubenzieher für mich?“, fragte Ben.
„Wir haben kein Werkzeug", sagte Jonas. Anna allerdings kramte in ihrer Handtasche herum und holte zwei Haarnadeln und eine Nagelfeile heraus. Sie gab sie Ben. „Versuch es mal hiermit.“
„Was soll ich denn damit?!“, sagte Ben abfällig über diese eine Möglichkeit, die uns blieb.
„Du brauchst doch etwas, das schmal genug ist, um in den Schlitz der Schraube zu passen, damit du sie drehen kannst. Ich gebe dir etwas und das ist das Einzige, was wir haben. Also mach es damit, oder lass es!“, Anna war regelrecht beleidigt über Bens verhalten. Völlig perplex von Annas Ansage versuchte Ben zuerst mit einer der Haarnadeln und danach mit der Nagelfeile die Schrauben in der Uhr zu lösen. Es dauerte eine Weile. Ich für meinen teil, hätte nicht Bens Geduld gehabt und die Uhr schon längst in eine Ecke geschmissen. Doch dann hatte Ben die Uhr oben am Gehäuse geöffnet. „Ha! Ich hatte Recht. Ein Computer, aber wir müssen aufpassen. Hier ist eine Nadel drin und eine kleine Ampulle mit einer Flüssigkeit; das könnte Gift sein. Du sagtest, die Leute die über die Grenze getreten waren hatten einen Einstich, an ihrem Handgelenk“, sagte Ben an Kai gewandt.
„Ja.“
„Sieh mal hier, das ist alles miteinander verbunden. Hier der Sender, die Nadel und die Ampulle. Und das hier scheint der Pulsmesser zu sein", sagte Ben und zeigte dabei auf die kleinen Apparaturen, die er meinte.
„Bei dieser Uhr hier ist die Nadel im Gehäuse geblieben", sagte Ben weiter.
„Wie bei allen anderen die innerhalb der Grenze gestorben waren", warf Kai ein.
„Das heißt, wenn der Puls aufhört, zu schlagen wird der komplette Mechanismus deaktiviert?“, mutmaßte ich, wobei sich das Ende des Satzes als Frage darstellte.
„Genau so denke ich mir das.“, Ben nickte, „Wenn wir also den Pulsmesser deaktivieren könnten, hätten wir eine Chance darauf die Uhr gefahrlos abzunehmen.“
Ben sprang auf, ging in seinen Schlafbereich und kam mit seinem Handy wieder. „Ich weiß zwar nicht, ob sich das bei dieser Uhr noch lohnt, aber ich muss das einfach ausprobieren", erklärte Ben.
Er baute den Akku aus, legte sich die Haarklammern zurecht. „Haben wir irgendwo Tesafilm?“, wollte Ben wissen. Wir alle schüttelten den Kopf, nur Silke suchte in ihrer Handtasche. „Ich hab Pflaster.“
„Das ist gut Schatz, gib her.“, er nahm die Pflaster entgegen und warf Silke einen Luftkuss zu. Mit den Pflastern fixierte er die Haarklammern am Akku, damit erzeugte er eine Überspannung am Pulsmessgerät.
Ein kleiner Funke stieß hervor, aber die Nadel war an Ort und Stelle geblieben. „Ich denke es hat geklappt, damit dürfte es gehen.“
„War das jetzt nicht überflüssig?“, wollte ich wissen, „Schließlich hast du an einer Uhr herum experimentiert die keinen Puls mehr wahrnahm. Es muss eine andere Lösung geben", fügte ich hinzu. Ich wandte mich Kai zu, „Also noch einmal von vorne. Kai, die Uhren lassen sich nur dann öffnen, wenn kein Puls mehr gemessen werden kann, hab ich das richtig verstanden?“
„Ja. Wenn kein Puls da ist, kann ich das Band ohne Probleme öffnen. Da dann das Licht nicht mehr leuchtet. Solange das Licht leuchtet, bleibt sie verschlossen.“
„Dann brauchen wir doch nur einen Weg zu finden, wie wir den Puls für eine gewisse Zeit unterdrücken können und du machst die Uhr dann ab", mutmaßte ich weiter.
„Das stimmt. Und das dürfte ja ein Leichtes sein. Entweder mit einem Druckverband oder wir schauen, dass wir eine Münze oder so was zwischen Haut und Uhr geschoben bekommen", bestätigte Kai.
„Sehr gut, jetzt müssen wir uns nur noch überlegen wie wir hier weg kommen ohne das es auffällt", meinte ich.
„Dazu brauchen wir noch mehr Leichen", meinte Jonas.
„Wieso brauchen wir noch mehr Leichen?“, wollte Anna wissen.
„Wenn ein Signal an ihrem Bildschirm ausgeht, muss es eine Leiche geben. Und wenn es Leichen gibt, besteht eher die Chance, dass unser verschwinden nicht sofort auffällt. Also werden wir, nachdem wir die Uhren abgenommen haben, unsere Uhren den anderen Leichen ums Handgelenk legen", erklärte Jonas, „Oder wäre das ein Problem?“
„So lange wir die Uhren nicht brauchen ist das kein Problem, immer wenn genug Leute sterben hol ich mir eine Leiche mit.“, Kai war ganz euphorisch.
„Was wir definitiv noch brauchen ist Verbandszeug, falls das mit den Münzen nicht klappt", meinte Ben.
„Dann lasst uns am besten zu den Häusern, am Wald gehen. Die haben wir ja schon ein paar Mal aufgesucht. Da werden ja wohl noch irgendwo Verbandsmaterialien zu finden sein", bemerkte Kai.
Jonas stimmte zu. Gleich machte er sich zum Aufbruch bereit. Er steckte sich ein Messer in seine Stiefel und legte sich eine Umhängetasche um, welche er vormals aus einem der Häuser entwendet hatte. Kai gab mir noch einen flüchtigen Kuss. „Ich bin bald wieder da, Schatz.“ Daraufhin gingen die beiden zur Tür.
Wir anderen legten uns wieder schlafen. Nur Ben ging noch einmal kurz raus: „Ich geh schnell hinter die Baracke und vergrabe die Uhr.“ Er war wirklich nur fünf Minuten fort.
Der Weckton klang laut und schrill in meinen Ohren. Müde und benommen fühlte ich neben mich. Kai war nicht da. Ich schreckte auf und versuchte mich daran zu erinnern, was passiert war. Ach ja, Kai ist ja mit Jonas unterwegs; Materialien für unsere Flucht zu sammeln, fiel es mir wieder ein. Hoffentlich ist ihnen nichts passiert, sie hätten schon längst zurück sein müssen, dachte ich besorgt.
Ich rappelte mich auf, trank etwas aus meiner Wasserflasche. Anna, Ben und Silke kamen müde in den Gemeinschaftsbereich der Baracke getrottet. „Wo sind Kai und Jonas?“, gähnte Anna.
„Ich weiß nicht, sie müssten eigentlich längst wieder hier sein.“, die Besorgnis in meiner Stimme war für niemanden der Anwesenden zu überhören.
Meine Schwester nahm mich in den Arm. „Sie kommen sicher gleich", versuchte sie mich zu trösten.
Ich ging nach draußen vor die Baracke, um zu sehen, ob ich die Vermissten im Zwielicht des Morgengrauens entdecken konnte. Zuerst war nichts zu sehen. Ich atmete tief durch und füllte meine Lungen mit der kühlen Luft dieses Morgens. Als ich zwei Gestalten zwischen den Baracken herumschleichen sah. „Mach mal die Tür auf, Schatz", keuchte Kai, der nun direkt auf mich zulief und völlig außer Atem war. Als er an mir vorbei ging, lag ein fröhliches Grinsen auf seinem Gesicht.
Kai legte erst einmal alles, was er in den Armen trug, achtlos auf den Tisch. „Was ist das? Und wo habt ihr das her?“, wollte ich wissen.
„Essen. Erzähl ich euch später, wir haben jetzt nicht mehr so viel Zeit", grinste Kai mich an.
„Lasst uns das alles am besten hinter dem rosa Duschvorhang verstecken, da hat niemand von uns sein Nachtlager, daher können wir das als Vorratsraum nutzen", schlug Jonas vor.
„Auf jeden Fall besser als es hier offen rum stehen zu lassen", erwiderte Kai und nahm wieder einige von den Konserven, die er mitgebracht hatte. Ich half ihm, diese in unseren Vorratsraum zu bringen. Auch Jonas folgte uns hinter den Vorhang und begann die Dosen zu stapeln. Hühnersuppe, Erbsen-, Bohnen- und Linsensuppe, Ravioli, Chili con Carne. „Da war noch einiges mehr und alles noch haltbar.“, Kai kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus.
„Wahnsinn, endlich mal wieder was anderes…“, freuten sich Anna und Silke.
„Genau deswegen hab ich die Fischkonserven gar nicht erst mitgebracht", lachte Kai.
„Und womit sollen wir das Kochen, wenn ich fragen darf.“, meine Skepsis sorgte dafür, dass ich Kais Freude noch nicht teilen konnte.
Jonas zog grinsend einen Esbitkocher, ein kleines dreibeiniges Gestell mit einer Halterung für Teelichter, aus seiner Umhängetasche. Er präsentierte uns die Teelichter und einen Topf. Jonas kramte weiter in seiner Tasche herum, dann holte er einen Dosenöffner hervor und legte diesen in den Topf. Kai griff in seine hinteren Hosentaschen und holte je sechs Löffel und Gabeln hervor. Echtes Besteck, kein selbst gebasteltes aus Holz, wie wir es vorher verwendet hatten.
Ben kam hinzu: „Habt ihr auch die anderen Sachen gefunden, die wir zur Flucht benötigen?“
„Aber sicher, alles hier drin.“, Jonas deutete in seine Tasche.
Schrill ertönte der Ton, der uns zur Arbeit rief. „Mist, jetzt müssen wir wieder ran. Seid ihr sicher, dass ihr Arbeiten könnt? Schatz, du hast noch gar nicht geschlafen.“, als ich das sagte, hörte ich mich an wie eine überfürsorgliche Mutter.
„Ja, ich kann arbeiten, bin nicht mal müde.“, entgegnete Kai.