Читать книгу Versklavt - Zurück zur Freiheit - Angela Finck - Страница 8

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Erst jetzt, in der Morgenröte, sah ich das ganze Ausmaß der Zerstörung, welches das Unwetter auf den Feldern hinterlassen hatte. Die selbst zusammengebauten Gewächszelte waren vollkommen zerstört, die Abdeckplanen, die auf den Feldern liegen sollten, waren vom Wind, von ihrem ursprünglichen Platz, fortgerissen worden. Wir würden alles wieder neu aufbauen müssen. Die Ernte war teilweise zerstört.

Dieser Arbeitstag zog sich viel länger als die sonstigen, nicht nur, wegen dem Wiederaufbau, sondern auch, weil ich unbedingt wissen wollte, was genau passiert war, dass es mir einen so fröhlichen Ehemann bescherte. Die Neugier trieb mich an. Vielleicht hat er etwas gefunden das uns die Flucht erleichtert, mutmaßte ich gedanklich, während ich meinem Tagewerk nachging. Ich sinnierte über diverse Möglichkeiten, die es geben, könnte von hier fortzukommen, dabei spielte es keine Rolle, ob es im Rahmen des Möglichen lag oder nicht. Die Gedanken sorgten dafür, dass sich meine Laune hob, so konnte ich mich jetzt auch darüber freuen, dass es heute Abend mal wieder etwas anderes zu Essen gab. Mich würde zwar kein Gala-Dinner erwarten, aber ich hatte hier lernen müssen, dass es gerade die Kleinigkeiten waren, die das Leben besonders machten.

Allerdings störten mich jetzt die immerwährend auf mir liegenden Blicke des großen Mächtigen umso mehr. Ständig musste ich mich darauf konzentrieren, meine Freude zurückzuhalten. Schließlich sollte er keinerlei Verdacht schöpfen. Nicht mal jetzt, wo ich tatsächlich einen Grund zur Freude gehabt hatte, konnte ich sie ausleben. Und das nur, weil ich seinerseits unter permanenter Beobachtung stand. Aber auch das würde bald vorbei sein.

Endlich Feierabend. Wie gewöhnlich holte ich meine Ration Fisch ab und ging schnellstmöglich zu unserer Baracke. Als ich dort ankam, bereitete Jonas des Esbitkocher vor. Ich legte den Fisch auf den Tisch und zog meinen Überpulllover aus, setzte mich an den Tisch und begann meinen Fisch zu entgräten. Nun kamen Anna und Silke in unsere Hütte, auch sie hatten ihre Rationen Fisch dabei. Ich nahm sie ihnen ab, wo ich einmal dabei war, den Fisch vorzubereiten, konnte ich ihre Rationen auch gleich mitmachen.

„Ha! Steht doch", hörte ich Jonas neben mir sagen. Scheinbar hatte er tatsächlich einen Weg gefunden, uns eine vernünftige Kochstelle zu bauen. Er zündete einige Esbitstäbchen an, die den handelsüblichen Grillanzündern ähnelten.

„Ich würde sagen, dass es heute Fisch in Bohnensuppe gibt", schlug ich vor und schnitt den Fisch in kleine Stücke.

Alle bisher Anwesenden waren einverstanden. Anna holte die Löffel und zwei Dosen Bohnensuppe aus unserem Vorratsraum. Sie öffnete diese mit dem Dosenöffner, den Jonas mitgebracht hatte.

„Wo bleiben Ben und Kai?“, wollte Silke wissen.

„Die werden schon noch kommen.“, völlige Ruhe und Gelassenheit steckte in Jonas’ Stimme.

Ich schmiss den Fisch in den Topf um ihn schon mal etwas anzubraten, ehe ich die zwei Dosen Suppe darüber schüttete. Und gleich stieg mir ein Geruch in die Nase, der mich ein klein wenig an Mutters hausgemachte Suppen erinnerte. Es gab mir ein winziges Gefühl von Geborgenheit und Heimat. Ausgerechnet in dem Ort, in dem ich aufgewachsen war. Anna schien es genau so zu gehen, denn ich sah wie in ihrem Augenwinkel eine kleine Träne, im Schein des Feuers, glitzerte.

Die Tür ging auf. Endlich kamen auch Kai und Ben nach Hause. Beide grinsten bis über beide Ohren. „Seht mal was wir euch noch mitgebracht haben", sagte Ben. Es waren sechs bunte Frühstücksschalen, jede in einer anderen Farbe. „Die können wir als Teller nutzen. Was anderes gab es leider nicht mehr", fügte Kai hinzu.

„Auf jeden Fall besser als die kleinen Sperrholzbretter", lachte ich.

Kai verteilte die Frühstücksschalen. „Ach ja hier, das brauchen wir auch noch.“, Ben griff nach hinten unter seinen Pullover und holte eine Suppenkelle hervor.

Die Stimmung war wirklich auf einem ungeahnten Höhepunkt angelangt. Es hatte fast etwas von den Grillpartys, an denen ich früher immer teilgenommen hatte. Fast schon unbeschwert und frei.

Während Silke jedem von uns etwas Suppe in die Schalen füllte, konnte ich es nicht mehr aushalten. „Was hast du denn nun entdeckt, Schatz?“, fragte ich ungeduldig.

„Lass uns erst mal Essen, danach erzähl ich euch alles.“, erwiderte Kai. Wieso musste er es immer so spannend machen? Ich wartete nun doch schon lange genug auf die ersehnten Auskünfte. Doch Kai ließ sich nicht erweichen und bestand darauf zuerst zu essen.

Gemeinsam saßen wir am Tisch, jeder von uns hatte ein Funkeln in den Augen. Nie hatte mir ein Konservenprodukt so gut geschmeckt wie in diesem Augenblick. Die heiße Suppe lief meinen Hals hinunter, wärmte mich von innen und spendete mir neue Energie. Neue Hoffnung. Dies war wahrlich ein Zeichen dafür, dass es nun endlich bergauf gehen würde. Wir ließen keinen Rest übrig, schleckten sogar die Schalen aus - nur um den Genuss unseres ersten richtigen Essens seit Jahren, noch so lang wie möglich auskosten zu können.

Satt und zufrieden räumten wir die Schalen weg. Endlich begann Kai zu erzählen. Wir anderen hörten andächtig zu, verschwendeten nicht einen Gedanken daran Kai zu unterbrechen.

„Als Jonas und ich auf der Suche nach Werkzeug und anderen nützlichen Dingen waren, ging ich in dem großen Haus, ganz links von hier aus gesehen, in den Keller, in der Hoffnung dort etwas Brauchbares zu finden. Als ich dort versehentlich ein paar Kisten umstieß, wurde eine Tür sichtbar, sie war groß und schwer. Zu schwer als dass ich sie alleine aufstemmen konnte. Gerade als ich nach Jonas rufen wollte, damit er mir half, sah ich unter dem Müll der umgestürzten Kisten einen Schlüssel liegen. Er passte und die Tür ließ sich leichter öffnen, als ich zunächst gedacht hatte. Ich ging in den Raum, der sich mir eröffnete. Es war ein versteckter Panik-Raum oder so etwas in der Art, vollgestopft mit Konserven und Wasserflaschen. Da können wir noch locker von Leben, bis wir alles für die Flucht zusammen haben. Ich ging weiter in den Raum hinein. Da waren noch Schlafsäcke, und am anderen Ende des Raumes eine weitere Tür. Dahinter war ein Tunnel, der Richtung Wald führt, würde ich sagen. Ich ging, soweit ich konnte. Bis das Warnsignal ertönte, waren es leider nur ein paar Schritte, aber der Tunnel schien noch viel weiter raus zu gehen. Raus aus dem sicheren Bereich. Raus in die Freiheit. Als ich wieder zurück in den Keller ging rief ich nach Jonas um ihm meine Entdeckung zu zeigen. Dabei sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir durch diesen Tunnel fliehen werden.“, Kai beendete seine Erzählung.

Nach all der Zeit hatte ich nicht mehr geglaubt, dass das Schicksal mir wohl gesonnen sein könnte, doch all das hörte sich an, als wäre dieser Ausweg genau für uns bestimmt gewesen. Als ob es sagen würde: wenn nicht jetzt wann dann!

„Das klingt sehr gut, wenn der Tunnel irgendwo im Wald endet, können wir im Schutz des Waldes weiter in die Stadt laufen", sagte ich.

„Genau so haben wir uns das auch gedacht. Wir bräuchten nur jemanden der sich hier in den Wäldern auskennt", stellte Jonas fest.

„Anna und ich kennen uns hier gut aus. Wir haben unsere Kindheit hier in dem Dorf verbracht. Von daher gibt es kein Problem", sagte ich gleich mit schnellen Worten.

„Wie sollen wir hier verschwinden? Ich meine alle gemeinsam oder in Gruppen?“, fragte Ben.

„Am besten wäre es in Gruppen, dann fällt es weniger auf, aber darüber sollten wir uns später Gedanken machen, wir haben schließlich erst eine Leiche", antwortete ich Ben.

Wir saßen alle noch ein klein wenig zusammen und sinnierten über unseren Fluchtplan, bis die Müdigkeit uns übermannte. Selig und voller Vorfreude auf das Kommende schlief ich in Kais Armen ein.

Der Wiederaufbau war immer noch nicht ganz abgeschlossen. Zu meinem persönlichen Bedauern musste ich mit Dominik arbeiten. Wieder belästigte er mich mit der Tatsache, dass der Große ein gewisses Interesse an mir hatte. Und ich fragte mich, wann er endlich damit aufhören würde mir nahe zu legen ein wenig freundlich zu dem Außerirdischen zu sein. Doch das Thema, welches er danach anschlug, war noch unangenehmer. „Bei euch hat es gestern Abend aber lecker gerochen, wo habt ihr denn jetzt noch etwas zu Essen gefunden?“, fragte er mit einem verächtlichen Grinsen.

„Da war noch eine Dose in dem Haus da drüben.“, da ich nicht mehr leugnen konnte, dass es bei uns etwas anderes zu Essen gab als üblich, konnte ich wenigstens seine Fährte ablenken, indem ich auf ein anderes Haus am anderen Ende des Waldes zeigte. Sofort rieb ich mir den Bauch. „Die war aber schon abgelaufen. War wohl noch aus dem Zweiten Weltkrieg oder so. Mir war danach richtig übel.“

Sein Blick war unergründlich. Ich konnte nicht annähernd daraus lesen, ob er mir glaubte oder nicht. Aber immerhin hatte ich es versucht. Immer wieder löcherte er mich mit fragen, immer in der Hoffnung ich könnte mich verraten. Doch ich hielt mich so kurz wie möglich und an meine Geschichte.

Als endlich der Feierabendton erklang, holte ich mir meine Nahrungsration und ging ohne jeglichen Umweg zur Baracke. Anna wollte gerade zwei Dosen Ravioli in den Topf kippen, als ich rein kam. „Nein!“, rief ich ihr zu.

„Warum nicht?“, fragte sie perplex.

Jetzt kamen auch die anderen. „Wie? Gibt’s heute nichts zu essen?“, fragte Ben.

„Wir sollten von heute an kalt Essen", sagte ich kurz und begann den anderen von Dominiks Neugier zu berichten.

„Ach, der Arsch kann von mir aus als Nächstes verrecken.“, Kai klang richtig wütend, als er das sagte. Ich konnte den Grund mir denken. Dominik war hinterhältig und könnte uns noch richtig gefährlich werden. Wir mussten unbedingt darauf achten, dass er sich von uns fernhielt.

Es vergingen einige lange Tage ohne einen einzigen Toten. Nicht dass uns der Tod unserer Kameraden nicht Leid getan hätte. Wir trauerten um jeden Einzelnen, der uns auf diese Weise verlassen musste. Aber wir waren auch dankbar, denn mit jedem Verstorbenen würde unsere Flucht näher rücken. Der Gedanke daran, kam mir irgendwie krank und egoistisch vor. Moral und Ethik ließen ein schlechtes Gewissen in mir aufwallen. Wie üblich gewann das Teufelchen auf meiner rechten Schulter, welches mir nur allzu leicht einreden konnte, das ich zu allererst nach meinem Leben schauen sollte. Auch wenn das Engelchen von links immer wieder in meine Gedankenwelt einbrach.

Silke hatte Recht behalten. Durch die menschlichen Verluste, die wir durch den Sturm erlitten hatten, mussten wir noch härter und schneller arbeiten. Der einzige Trost, an jedem der so harten Tage war, dass wir am Abend etwas anderes zu Essen hatten als den ständigen Fisch. Diese andere Ernährung, auch wenn wir sie kalt essen mussten, machte sich bei mir gleich bemerkbar. Ich spürte regelrecht, wie meine Kräfte wieder anstiegen.

Genau diese konnte ich auch gebrauchen als Greta mich eines Abends, kurz vor Feierabend, beiseite nahm und mich um Hilfe bat. Ich sollte mit ihr zusammen einen Wagen zum Raumschiff der Mächtigen schieben. Der Wagen war schwer, es war eine riesige Kiste darauf, sehr gut verschlossen. Ich hätte gerne gewusst, was darin war. „Entschuldige, die ist für dich sicher auch noch zu schwer", keuchte Greta, als sie sah, dass auch ich nach Luft schnappen musste. „Kein Problem, wir schaffen das schon.“, meine Worte kamen mir nur abgehackt über die Lippen. Ich hätte gerne noch eine dritte Person um Hilfe gebeten, aber ausgerechnet jetzt war niemand mehr in der Nähe. Es wäre kein Problem gewesen, den Wagen alleine zu den Mächtigen zu bringen, wenn es hier einen geteerten Weg gegeben hätte. Aber wir mussten diesen Karren über das matschige, unebene Feld schieben, um zum Raumschiff zu gelangen. Wir brauchten gefühlt ungefähr eine Stunde für das, eigentlich, kurze Stück. Die Dämmerung musste über dem Wolkenfeld begonnen haben, denn es war schon sehr dunkel. Ich dachte an die anderen, die jetzt bereits am Tisch saßen und sich unser Dosenfutter schmecken ließen. Aber jetzt hatten wir es endlich geschafft. Wir waren im Raumschiff.

„Wurde aber auch Zeit, dass ihr kommt!“; fuhr uns einer der Mächtigen an. Greta ging sofort in die Knie und zog mich mit runter.

„Steht auf! Hier!“, der Mächtige drückte uns wirsch eine Flasche Wasser in die Hand. Ich öffnete diese gleich und trank sie mit wenigen Zügen leer. Aus dem Augenwinkel, sah ich wie Greta bereits ging. Nun stand ich allein, in dem Raumschiff, um mich herum die Mächtigen, aber das war mir egal. Ich sah mich mit schnellen Blicken um, während ich bewusst langsam die Flasche wieder verschloss und sie in die Kiste zu meiner linken stellte. Alles um mich war metallisch, kalt, steril und voll mit technischem Schnickschnack von dem Ben wohl Träumen würde. Auf einem großen Bildschirm blinkten Lichter in den verschiedensten Farben. Wieder spürte ich die Blicke des Großen auf mir ruhen. Ich sah auf, wollte mich gerade umdrehen und gehen, doch ich war unfähig mich zu bewegen. Der Große kam direkt auf mich zu. Mit seiner großen Hand berührte er meine Wange. Seine Hand zitterte leicht, während er sie unter mein Kinn führte, um mein Gesicht anzuheben, damit ich ihm ins Gesicht sehen musste. „Sie mich an", flüsterte er fast. Was wollte er denn nun schon wieder? Starr und kalt sah er mir in meine Augen; ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Würden sich meine Befürchtungen nun bestätigen oder versuchte er mich zu Hypnotisieren, damit ich nicht zu viele schmerzen hatte, wenn er sich auf mich stürzte wie die Schlange auf seine Beute? Stille lag in dem ganzen Raum, sie war erdrückend, also nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte leise: „Darf ich bitte noch eine Flasche Wasser haben.“ Damit tat ich etwas, was sich niemand sonst gewagt hätte. Ich hatte den großen Mächtigen um etwas für mich gebeten. Ich erwartete eine Strafe; ich glaubte jeden Moment unter Schmerzen zusammenzusinken. Doch ich hörte nur ein lautes Zischeln, das ich nicht genau zu definieren wusste. Im ersten Moment hätte ich es für ein Lachen gehalten. Nach einer kleinen Geste seitens des Großen begannen auch die anderen Außerirdischen zu zischeln, was sich in meinen Ohren wie Gelächter anhörte.

„Du darfst noch etwas zu trinken haben, wenn du mir eine Frage beantwortest. Was macht ihr nachts?“

Oh nein, hatten sie etwa unser treiben bemerkt? Wussten sie, das wir im Begriff waren zu fliehen? „Was genau meinen sie?“, fragte ich dabei versuchte die Unsicherheit in meiner Stimme zu verbergen.

„Was macht ihr nachts, ihr Männchen und Weibchen. Irgendetwas müsst ihr doch gemeinsam tun, um eure Rasse zu sichern.“

Zuerst überlegte ich, was genau er damit meinen könnte. Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Sie brauchten Sklavennachschub. Es hatten über sechs Milliarden Menschen auf diesem Planeten gelebt. Sollten sie tatsächlich schon alle ausgerottet sein?

„Dir scheint der Durst vergangen zu sein, oder warum antwortest du mir nicht.“

„Verzeiht, ich suche nur nach den richtigen Worten", antwortete ich schnell.

„Schwing keine Reden, beantworte einfach nur meine Frage!“, befahl er.

„Naja, wir machen Sex.“

„Sex? Was ist das? Erzähl mir mehr darüber.“

Super, jetzt kann ich hier auch noch Aufklärungsarbeit leisten, dachte ich bei mir; war ich doch froh gewesen, das mir derartige Fragen, mangels eigener Kinder erspart geblieben waren.

„Wir Männer und Frauen sind biologisch so gebaut, dass wir ineinander passen. Der Mann produziert in seinem Hodensack Samenzellen mit unserer genetischen Struktur und mit Hilfe seines Penis' spritzt er die Samenzellen in das Loch der Frau. Wenn alles zeitlich passt, befruchtet er damit die Eizelle der Frau und sie lässt in ihrer Gebärmutter ein Kind heranwachsen. Nach neun Monaten kommt es unter Schmerzen heraus...“

„Ach, das will ich gar nicht wissen. Wie geht der Sex?“, er wirkte ungeduldig.

„Der Mann steckt seinen Stab in das Loch der Frau!“, antwortete ich nun leicht genervt. „Dabei kommt man sich ganz nah und hält sich fest in den Armen, damit alles genau zusammenpasst", fügte ich hinzu, als der Große mich weiter verständnislos ansah. Doch jetzt schien er es verstanden zu haben, so hoffte ich. Erneut begann er wieder etwas zu zischeln; wandte sich dabei an seine Untergebenen. Dieses Zischeln klang unangenehm in meinen Ohren und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich wieder gehen zu können.

„Gut, jetzt kannst du deine Flasche Wasser haben.“

Ich bedankte mich für seine unendliche Güte, nahm mir die gewährte Flasche und ging; immer noch verstört von den Geräuschen, die ich soeben vernommen hatte und den Kopf voll mit Mutmaßungen darüber, was hier noch geschehen würde.

Auf dem Weg zur Baracke kam Kai mir entgegen. Er lächelte mich an und zeigte mir einige Uhren. Also hatte es endlich wieder einige Tote gegeben. „Ich komme gleich nach", flüsterte Kai mir im Vorbeigehen zu.

Es dauerte eine Weile, bis Kai kam. Er war leichenblass und kalter Schweiß lag ihm auf der Stirn. Er war gerade die Tür rein gekommen, als er sich wieder umdrehte und nach draußen rannte. Ich nahm die Flasche Wasser, die ich soeben zusätzlich erhalten hatte, und ging Kai hinterher. Er übergab sich in das karge Skelett eines Gebüschs gegenüber der Baracke. Ich reichte ihm die Flasche Wasser, damit er sich den Mund damit ausspülen konnte.

„Was ist passiert?“, fragte ich Kai besorgt.

„Erzähle ich dir gleich", keuchte er, während wir langsam wieder zu unserer Hütte gingen.

Als wir uns an den Tisch setzten, brachte Anna uns kalte Chili con Carne. Kai aß recht wenig, scheinbar war ihn wirklich etwas auf den Magen geschlagen. Als ich ihn nochmals darum bat endlich zu erzählen, was der Grund für seine Übelkeit war, lehnte er sich auf dem klapprigen Stuhl zurück und begann zu erzählen: „Ich hatte heute wieder Leichendienst. Bei dieser Gelegenheit sah ich auch noch mal nach unserer Frauenleiche. Sie ist nicht mehr zu gebrauchen, total verwest und aufgeschwemmt, widerlich. Bei diesen Witterungen sollten wir keine Leiche länger als zwei Tage liegen lassen.“

„Und deswegen ist dir so schlecht?“, unterbrach ich Kai.

„Nein, das kommt später. Jedenfalls hatte ich bemerkt, dass Dominik mir gefolgt war, er hatte alles gesehen.“

„Und jetzt? Der wird uns noch verraten", entfuhr es Ben.

„Darum hab ich mich schon gekümmert.“, Kai zögerte eine Weile, „Ich hoffe, ihr werdet mich dafür nicht verurteilen. Aber ich konnte dieses Risiko nicht eingehen, daher traf ihn rein zufällig ein großer schwerer Ast am Hinterkopf. Ich nahm seine Uhr und verbuddelte ihn. Jetzt wird er doch noch zu etwas nutze sein.“, obwohl er die Worte ‚rein zufällig’ mit einem sarkastischen Unterton versehen hatte und sein letzter Satz wenig mit Reue zu tun hatte, konnte ich in seinen Augen lesen, dass er ein schlechtes Gewissen anlässlich seiner Tat verspürte. Ich schloss meinen Mann in die Arme und versicherte ihm, dass ich immer noch voll hinter ihm stand und er sich von mir nie ein Wort des Vorwurfes anhören müsste. Dies war der Anstoß für die anderen, Kai ebenfalls ihr weiteres wohlwollen und vertrauen auszusprechen.

„Du hast es nur getan um uns alle zu schützen. Wer dich dafür verurteilt, bekommt es mit mir zu tun", meinte Anna.

„Wo kein Kläger, da kein Richter", fügte Jonas hinzu und klopfte Kai auf die Schulter.

Kai war fast zu Tränen gerührt, als er weiter erzählte: „Gerade als ich die Uhren zu den Mächtigen gebracht hatte, geriet ich in einen Aufruhr. Irgendetwas war bei ihnen los. Einer von ihnen musste einen Streit mit dem Boss angefangen haben. Ich konnte leider nicht verstehen, worum es ging. Sie zischelten wie Schlangen, das muss wohl ihre Sprache sein. Ich war neugierig und blieb draußen vor der Tür stehen. Ich beobachtete im Dunkeln, durch einen Türspalt, von ihnen unbemerkt, was vor sich ging. Der Große packte sich einen von seinen Leuten, zischelte ihm irgendetwas zu. Auch wenn ich nichts von dem Verstand was er sagte, konnte ich den Befehlston genau heraushören. Der Untergebene änderte seine Gestalt. Sie sind Schlangen oder etwas Ähnliches. Die Haut, schuppig, glänzend. Der Kopf einer Schlange. Der Oberkörper, der eines Menschen mit den Oberarmen eines Bodybuilders, jedoch reptilienartig schuppig, fast schon wie eine undurchdringliche Rüstung. Dort wo bei uns die Beine anfangen, waren sie wieder wie Schlangen. Allerdings kroch er nicht am Boden, sondern stand irgendwie aufrecht, in etwa genau so groß, wie in seiner Menschengestalt. Dort wo bei uns die Füße sind, lief sein Schlangenkörper weiter nach hinten aus, wie ein Schwanz, noch mal fast genau so lang wie der restliche Körper.“

Wir anderen hörten interessiert zu. Nie vorher hatte jemand von uns die Mächtigen so privat gesehen.

„Es ist wirklich schwer für mich, zu beschreiben was ich gesehen habe aber eines ist mir sofort ins Auge gesprungen. Die Schlange hatte dort, wo sich bei uns Männern der Adamsapfel befindet, ein leuchtend gelbes Geschwür. Es schien sogar leicht zu pulsieren und war etwas kleiner als ein Adamsapfel. Es sah eher wie ein viel zu groß geratener Eiterpickel aus. …“

Silke und Anna verzogen ihr Gesicht bei der Vorstellung an einen so großen Pickel am Hals.

„… Der Große sah seinen verwandelten Untergebenen an, dieser konnte sich nicht mehr rühren. Während der Große ein leuchtendes Messer oder so etwas Ähnliches zückte, zischelte er etwas an die Zuschauer gewandt. Dann stach er mit dem Messer zu, genau in diesen Pickel hinein. Daraus quoll eine dicke, schleimige, gelb-transparente Flüssigkeit. Kurz darauf stieg mir ein fruchtbarer Gestank in die Nase.“

„Ist ja ekelhaft.“, Anna verzog bei der Vorstellung an das, was Kai gesehen hatte, das Gesicht zu einer angewiderten Fratze. Kai sah mich an. „Davon wurde mir so übel.“ Die bloße Erinnerung an das Gerochene löste einen weiteren Würgereiz bei Kai aus, den er aber wieder unter Kontrolle brachte und weiter erzählte: „Die Schlange brach zusammen, schnappte nach Luft. Er schien an seiner eigenen Körperflüssigkeit zu ertrinken. Ein qualvoller aber doch recht schneller Tod. Jedenfalls wissen wir jetzt, wo sie verwundbar sind, sollten wir ihnen bei unserer Flucht, in ihrer ursprünglichen Form begegnen.“, mit diesen Worten beendete Kai seine Erzählung.

„Allerdings. Das ist eine sehr wichtige Information, die wir mit Sicherheit in Zukunft nutzen können. Es scheint ja gerade alles zu unseren Gunsten zu laufen", meinte Jonas, „Aber was jetzt erst mal noch wichtiger ist: Du sagtest, wir können die Leichen nicht lange aufbewahren. Das heißt, wir müssen definitiv einzeln oder höchstens zu zweit verschwinden", wechselte Jonas das Thema.

„Genau. Ich schätze, zwei Tage sind das höchste der Gefühle", antwortete Kai.

„Gut wir haben also eine männliche Leiche, dann sollte auch ein Mann morgen gehen", schlug Ben vor.

„Also wer wagt es als Erstes?“, fragte Anna.

„Kai muss als Letzter gehen, wegen dem Leichendienst, und er hat eine Frau, genau wie Ben. Als einziger männlicher Single hier werde ich das Versuchskaninchen spielen", beantwortete Jonas Annas Frage.

„Wenn es klappt, wovon ich ausgehe, wo willst du hingehen?“, wollte ich wissen.

„Ich denke, ich werde mich mal umsehen, schauen, was ich noch so Nützliches finden kann. Und denjenigen die mir folgen schon mal ein sicheres Lager bereiten, bis der Letzte fliehen kann", antwortete Jonas.

„Aber wie halten wir den Kontakt zueinander?“, brachte Silke sich in das Gespräch ein.

„Da hast du recht, dazu sollten wir uns noch etwas zu überlegen", meinte Kai.

Wir sinnierten gerade über diverse Kommunikationsmöglichkeiten, als die Barackentür laut aufschlug. Innerhalb von Sekunden sah ich meine Freunde bewusstlos zu Boden fallen. Nur ich stand wie gelähmt daneben. Einer der Mächtigen kam auf mich zu und hob mich über die Schulter. Ich konnte mich nicht wehren, ich konnte nicht mal schreien. Er brachte mich in ihr Raumschiff, das neben der hohen Säule, das Zentrum des Lagers war. Er sperrte mich in einen Raum, der mehr oder weniger Ähnlichkeit mit einem Schlafzimmer hatte.

Versklavt - Zurück zur Freiheit

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