Читать книгу Versklavt - Zurück zur Freiheit - Angela Finck - Страница 11

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JONAS

Das ist es also, unser Tor zur Freiheit, dachte ich, als ich nach oben sah und die quadratische Falltüre betrachtete. Vor mir, an der Wand, am Ende des Ganges waren Tritte befestigt, die mich an die Abstiege in einem Kanal erinnerten.

Ich versuchte mir vor Augen zu rufen, was passiert war. Aber die Erinnerung war verschwommen, mehr intuitives Handeln als bewusstes Erleben hatte mich bis hier hergebracht. Seit Kai mir die Uhr abgenommen hatte, war ich einfach nur gelaufen, hatte die Tür des Panik-Raums geöffnet, mir die Sachen geschnappt, die wir bereitgelegt hatten, und war dem Tunnel bis hierher gefolgt. Jetzt stand ich hier, meine Freiheit zum Greifen nah, und doch wagte ich es nicht, die Trittleiter zu besteigen und die Luke zu öffnen.

Was hatte Ami noch mal gesagt, ehe wir aufgebrochen waren, um mich sterben zu lassen?

„Wenn der Tunnel Richtung Westen verläuft, wie ihr sagt, dann müsstest du, wenn du ihn verlassen hast, nach rechts gehen. Da geht es zu einigen Häusern die am Waldrand liegen.“

„Woher weist du das?“, hatte ich sie gefragt.

„Wenn der Tunnel dort endet, wo ich es vermute …“, es war ihr deutlich anzusehen, dass sie in ihren Erinnerungen grub. „… und der Aufgang des Tunnels mit einer quadratischen Metalltür verschlossen ist, müsstest du an der alten Burgruine herauskommen.“ Sie wandte sich an Anna: „Weißt du noch, wie wir als Kinder immer dort gespielt haben?“

Annas Gesicht erhellte sich: „Ja, aber wir haben nie herausgefunden, wofür die Luke war.“

„Scheint so als würden wir das jetzt herausfinden", sagte Ami mit einem Lächeln im Gesicht, dann wandte sie sich wieder an mich. „Jonas sei bitte vorsichtig, wenn du da draußen bist. Marcel hatte erzählt, dass sie so eine Art Wachhunde haben, die da draußen herumstreunen. Sie haben die Körperform von Hunden, aber anstatt mit Fell, ist ihr Körper mit kleinen Schuppen überzogen.“

„Ich werde die Augen und Ohren offen halten.“

„Am besten schlägst du in einem der Häuser dein Lager auf, bewege dich nur nach Einbruch der Dunkelheit und ohne Taschenlampe. Diese Viecher sollen wohl eher tagsüber unterwegs sein. Suche alles Nützliche, was du finden kannst, Essen, Wasser, Waffen, Karten, Kompass. Versuch einfach alles in deine Tasche zu packen, was du auch in deinem Bundeswehr Equipment hattest. Es muss alles bereit sein, wenn Kai und ich als Letztes kommen, damit wir direkt weiter laufen können.“

„Natürlich, ich kümmere mich darum.“

„Die Außerirdischen sind da draußen nicht unsere einzigen Feinde. Auf den Straßen herrscht Krieg, nicht nur, Menschen gegen Außerirdische. Unsereins hat wohl immer noch nicht gelernt, wie man richtig zusammenhält. Jeder, der da draußen noch lebt, kämpft für sich, anstatt sich als Gemeinschaft gegen den Feind aufzulehnen.“

Es war erstaunlich, wie die Zufälle, der letzten Tage, sich zu unseren Gunsten ausgewirkt hatten. Ich hatte erfahren, dass es noch einen freien Ort auf dieser Welt gibt, zu dem wir gehen konnten. Wir hatten es geschafft, mit den einfachsten Mitteln, das Sicherheitssystem auszuschalten. Kai hatte die wahre Gestalt der Außerirdischen gesehen dabei ihre Schwachstelle entdeckt und den Tunnel gefunden. Ami hatte genug über die, uns schon fast unbekannte, Außenwelt herausgefunden. Ich bewunderte Ami dafür, dass sie angesichts der Tat, die an ihr begangen wurde, so stark war und jetzt das Zepter in die Hand nahm, wo sie vorher immer so ruhig gewesen war. Oder vielleicht lag es auch gerade daran. Ich konnte verstehen, dass sie jetzt, mehr denn je, aus dieser Hölle entfliehen wollte. Ich hoffte für sie und für die anderen, dass meine Flucht unentdeckt blieb, dass Ami nicht doch noch an dem zerbrechen würde, was geschehen war und dass Kai stark genug war, um damit leben zu können und sich nicht zu überstürzten Handlungen hinreißen ließ.

Ohne noch weiter darüber nachzudenken, was mich da draußen erwarten könnte, stieg ich die Leiter hinauf, packte den Griff der Luke, drückte ihn nach links und nach rechts. Obwohl ich mich mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, dagegen stemmte, rührte sich nichts. Mist, das war wohl nix, das verfluchte Ding klemmt!, dachte ich wütend, doch das durfte mich jetzt nicht aus der Ruhe bringen. Ich stieg die Leiter wieder hinab, leuchtete noch mal mit der Taschenlampe die Luke aus und erkannte das Problem: Der Griff war vollkommen mit Dreck verkrustet. Ich kramte in meiner Tasche nach dem kleinsten Messer, das ich bei mir trug, kletterte wieder hinauf und versuchte den Dreck mit dem Messer abzuschaben. Dabei fielen mir größere Dreckklumpen ins Gesicht, kleinere Staubkörner brannten in meinen Augen. Aber ich hörte nicht eher auf, bis sich der Griff endlich bewegen ließ.

Ich stieg erneut hinab um meine Augen mit etwas Wasser aus meinen Flaschen auszuwaschen, als ich hörte, wie etwas Kleines, Metallenes zu Boden fiel. Wieder leuchtete ich mit der Taschenlampe umher und direkt unter den Tritten der Leiter blinkte ein kleiner Schlüssel auf, der an einem Lederband befestigt war. Dich muss ich wohl bei meinem letzten Abstieg losgetreten haben. Du wirst mir sicher noch nützlich sein, dachte ich, als ich den Schlüssel aufhob und mir diesen, wie Heinz’ Bunkerschlüssel, um den Hals hing.

Langsam presste ich die schwere Luke nach oben, immer in der Hoffnung, dass es von jedem Lebewesen da draußen unbemerkt blieb. Vorsichtig blickte ich nach draußen, doch ich sah nichts, die Nacht war zu dunkel. Stufe für Stufe stieg ich nach oben, verharrte dabei auf jeder Einzelnen um mich erneut umzusehen, doch weiterhin sah ich nichts, außer dem schwarzen Kleid der Nacht, welches sich über den Wald gelegt hatte. Ich setzte mich auf den Rand des Abstiegs, gab meinen Augen Zeit sich an diese Dunkelheit zu gewöhnen, denn jetzt war die Taschenlampe absolut tabu. Zusätzlich schärfte ich mein Gehör, um jedes Geräusch um mich wahrnehmen zu können.

Langsam taten sich die Bäume vor mir auf, noch dunkler als die Nacht, wie dämonische Schatten. Links vor mir konnte ich ein großes Mauerwerk erkennen. Das muss die Burg sein, von der Ami gesprochen hatte. Nachdem ich jetzt einigermaßen sehen konnte, tastete ich den Deckel der Luke nach einem Griff ab. Als ich endlich gefunden hatte, wonach ich suchte, kletterte ich noch einmal in den Tunnel hinab um meine Sachen zu holen. Wieder oben angelangt schloss ich die Luke und ging nach rechts, wie Ami gesagt hatte. Ich kam nur langsam voran. Ständig blickte ich mich um, sobald ich das Rascheln des Windes in den Blättern hörte oder, wenn ich glaubte, etwas gesehen zu haben. Immer wieder stolperte ich über irgendwelche Wurzeln, was mir meinen Weg nicht erleichterte. Obwohl sich meine Augen nun an die schlechten Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, war der Wald immer noch dunkel. Ich befand mich mitten im nirgendwo, ohne einen Anhaltspunkt zu haben, wo ich genau war. Das Einzige, was ich wirklich sehen konnte, waren die blinkenden Lichter am Sendeturm des Lagers, rechts von mir. Ich war nicht so weit vom Lager weg, wie ich gehofft hatte. Das machte es für mich unmöglich mich tagsüber draußen aufzuhalten, schließlich bestand die Gefahr, dass sie am Rand des Lagers wache gingen und mich möglicherweise entdecken würden.

Auch wenn ich es nicht wirklich erkennen konnte, schien der Wald um mich lichter zu werden. Hoffentlich weiß ich morgen Abend noch, wie ich zu der Luke komme, dachte ich besorgt. Endlich ein Haus, ich suchte nach dem Eingang. Als ich diesen gefunden hatte, brach ich das Schloss so leise wie möglich auf. Glücklicherweise hatte Anna mir noch eine Haarnadel mitgegeben. Drinnen war alles staubig, aber wenigstens stieg mir kein Verwesungsgeruch in die Nase, daher mutmaßte ich, dass die ehemaligen Eigentümer ebenfalls Sklaven geworden waren. Ich, an Stelle der Außerirdischen, hätte alle Dorfbewohner zu Sklaven gemacht, wenn ich mich so nah an einem Wohngebiet niederlasse.

Während ich mich durch die Zimmer tastete, ließ ich die Fenster-Rollos hinab, so konnte ich die Taschenlampe einschalten. Nach der Möblierung, die unter der dicken Staubschicht zu erkennen war, schloss ich, dass dieses Haus einmal von älteren Menschen bewohnt worden war. Ich öffnete jede Tür, doch in allen Räumen das gleiche verstaubte Bild, bis ich eine Tür fand, hinter der sich eine Treppe hinab in den Keller verbarg. Langsam stieg ich die Steinstufen hinunter. Der Keller war geräumig. Es gab einen Vorratsraum mit Regalen voll mit Dosennahrung, Getränken, Kerzen, Batterien und Anderem. Eine Waschküche und einen weiteren Raum, der wohl als allgemeine Abstellkammer genutzt wurde. Darin standen einige ausrangierte Möbelstücke, die mit Bettlaken abgedeckt waren. Unter anderem etwas, das aussah wie ein Sofa. Eine etwa hüfthohe Kommode und mehre Kisten.

In der Waschküche stand ein Besen. Ich nahm ihn mit in den großen Abstellraum und kehrte die Staubteppiche beiseite. Der Staub brannte in meinen Lungen und ständig musste ich husten. Ich nahm die Bettlaken von dem Sofa und stellte fest, dass dies auch, durch seine Ausziehfunktion als Schlafmöglichkeit nutzbar war. Ich ließ es gleich offen, damit ich mich später direkt hinlegen und schlafen konnte. Doch zunächst ging ich in den Vorratsraum und holte einige Kerzen, stellte diese auf die Kommode und zündete sie mit meinem Feuerzeug an. So hatte ich wenigstens in diesem Raum etwas Licht. Nun lag ich auf dem Sofa, hatte eines meiner Messer griffbereit neben mir liegen und dachte darüber nach, dass ich jetzt zwar nicht mehr in Gefangenschaft war, mich aber dennoch nicht wirklich frei fühlte. Freiheit würde ich erst verspüren, wenn wir diese Wesen von unserem Planeten vertrieben hatten.

Ich wurde von trübem Tageslicht geweckt, das durch ein kleines Fenster direkt unter der Zimmerdecke hineinschien. Mist! Das hab ich gar nicht gesehen, hoffentlich ist das Kerzenlicht nicht aufgefallen. Sofort nahm ich mir eines der Sofakissen und stopfte es vor, das Fenster. Viel hatte ich nicht geschlafen, ständig war ich aufgeschreckt, weil ich glaubte, etwas gehört zu haben. Doch jetzt lohnte es sich auch nicht mehr, sich noch einmal hinzulegen. Mein Magen knurrte und ich hatte noch viel zu tun. Ich ging in den Vorratsraum, um mir eine Dose zu nehmen, und stieg ins Erdgeschoss hinauf in die Küche, um nach einem Dosenöffner zu suchen. Ich zog die Rollos leicht hoch, so dass durch die Schlitze ein wenig Tageslicht hineinkam. In einer Küchenschublade fand ich endlich, was ich gesucht hatte. Ich öffnete die Dose, nahm mir einen Löffel und aß.

Für heute nahm ich mir vor, das ganze Haus nach nützlichen Gegenständen zu durchsuchen. Vorsichtig stieg ich die Stufen der Holztreppe nach oben. Das Holz knarrte und ächzte gefährlich unter meinen Füßen. Mir wehte ein kühler Wind entgegen und der Boden war nass, als ich aufsah, erkannte ich warum. Das Dach war zum Teil eingestürzt. Ich konnte noch nicht mal alle Räume betreten, lediglich einen. Das Schlafzimmer war nicht betroffen gewesen und doch war jeder weitere Schritt eine Mutprobe. Zunächst hievte ich die Matratzen auf, ließ sie hochkant die Treppe hinunter rutschen und warf ich die Kissen und Decken ins Erdgeschoss. Im Kleiderschrank suchte ich nach weiteren Decken, dabei stellte ich fest, dass der damalige Eigentümer meine Kleidergröße hatte. Die Kleidung war zwar nicht ganz mein Stil, aber es wurde wirklich Zeit sie zu wechseln. Ich sah aus dem zerstörten Fenster hinaus. In direkter Umgebung standen noch zwei weitere Häuser, welche ich durch die Gärten erreichen konnte. Ich ging hinunter, um die Matratzen und die Decken in den Keller zu schaffen und damit für die anderen ein Schlaflager zu errichten. Danach nahm ich mir die Kisten im Keller vor. Oh man, da hab ich ja einiges zu tun, dachte ich bei mir, als ich die ganzen Kisten genauer betrachtete. Sie waren hauptsächlich gefüllt mit überflüssigem Kleinkram wie Porzellanfiguren. Nichts Nützliches. Stundenlang durchsuchte ich die unzähligen Kisten, doch nichts. Langsam ödete mich das alles an und ich sehnte mich nach Gesellschaft. Es würde sicherlich mehr spaß machen, wenn noch jemand bei mir gewesen wäre. Als ich mir eine weitere Dose zu Essen öffnete, sah ich, dass die Dämmerung langsam eintrat, und entschied nach dem Essen wieder nach der Luke zu suchen.

Ich steckte mir zwei Messer und die Taschenlampe an den Gürtel. Vorsichtig öffnete die Tür und schlich hinaus. Es war noch nicht ganz dunkel, aber wenn ich die Luke sicher finden wollte, musste ich das restliche Tageslicht nutzen. Als ich sah, dass die Luft rein war, lief ich schnell nach rechts, robbte von Baum zu Baum, die Augen und Ohren immer offen, bis ich endlich die Burgruine sah. Ich kletterte auf einen Baum hinauf, beobachtete meine Umgebung genau. Nachdem ich alles überblickt hatte, sprang ich von dem Baum hinunter und rannte zu der Luke. Packte den Griff, doch er ließ sich nicht bewegen. Ich nahm den kleinen Schlüssel, den ich im Tunnel gefunden hatte, und steckte ihn in das Schlüsselloch auf dem Griff, nachdem ich den Schlüssel umgedreht hatte, bewegte sich auch der Griff und ich konnte die Luke öffnen. Schnell stieg ich hinab und schloss den Deckel über mir. Unten im Tunnel schaltete ich die Taschenlampe ein und ging bis zum Panik-Raum. Dort wartete ich auf Nachricht von den anderen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen Kai und Anna in den Raum. Anna war außer Atem, aber sie lächelte. Kai hingegen wirkte gedrückt. Ich konnte mir vorstellen, was los war, zumal Ami nicht dabei war, um ihre Schwester zu verabschieden. Ich klopfte ihm auf die Schulter, versuchte ihn zu ermuntern, weiter durchzuhalten. Seine Frau hatte eindeutig das schlimmere Los gezogen. Natürlich konnte ich mich nicht annähernd in Kai rein versetzten, ich wusste nicht was ich tun und denken würde, wenn ich an seiner Stelle wäre. Doch es war wichtig, für uns alle, dass er Ruhe bewahrte.

„Ben wird morgen mit Silke kommen, wir können die Leiche, die wir für Anna benutzt haben morgen noch einmal verwenden. Zumal ich sie versteckt habe und kein Anderer aus dem Leichendienst sie finden wird", sagte Kai gedrückt, „Ich komm dann morgen etwas später hierher.“

„Das ist gut, je schneller es geht, desto besser", sagte ich. Anna nahm Kai zum Abschied noch einmal in den Arm, ehe wir den Tunnel entlang zur Luke gingen.

„Es ist so befreiend, dieses Ding am Arm los zu sein", sagte Anna mit einer Euphorie, wie ich sie bei ihr noch nie wahrgenommen hatte.

„Wie geht es Ami und Kai?“, das interessierte mich, nachdem ich Kai gesehen hatte, viel mehr.

„Ami geht’s richtig schlecht. Als wir gestern wieder zur Baracke kamen, stand bereits einer der Mächtigen da. Mit relativ ungehaltenem Tonfall hatte er uns beschimpft und Ami gleich zum Raumschiff gezerrt. Heute früh kam Ami in die Baracke gekrochen und konnte sich nicht mal richtig rühren. Silke und ich hatten sie aufs Bett gelegt. Als ich ihr half die Hose auszuziehen, lief das Blut immer noch die Schenkel runter. Sie sagte, er habe sich drei oder vier Mal brutal an ihr vergangen und sie geschlagen, weil sie nicht in der Baracke gewesen war und er deshalb auf sie warten musste.“

„Das tut mir so leid", erwiderte ich bestürzt, „Und Kai, was hat er getan?“

„Er war voll ausgerastet. Er hatte sich gleich eines der Messer geschnappt und wollte den Großen umbringen. Ben hatte alle Mühe Kai zurückzuhalten. Kai meinte nur, dass es ihm reiche, dass wir alle heute Abend verschwinden sollen. Wenn unsere Flucht später sowieso auffiele, könnten wir es auch gleich tun, war Kais Begründung.“

„Und was hat Ami gesagt?“

„Dass es nicht ginge, weil sie jetzt sowieso nicht laufen könne. Aber damit es schneller geht, benutzten wir meine Leiche für Silke noch einmal", erzählte Anna weiter.

„Nun, an sich ist sein Ansatz nicht verkehrt, ob es jetzt eine falsche oder gar keine Leiche von Ami gibt, macht eigentlich keinen Unterschied. Wenn sie fort ist, wird es dem Großen sowieso auffallen. Aber trotzdem sollten sie noch ein bis zwei Tage warten, zumindest bis Ami sich ein wenig erholen konnte. Ich werde es Ben morgen sagen, wenn er Silke bringt.“.

„Ich hoffe nur, dass Kai sich wieder einkriegt. Er schaut Ami ja nicht mal mehr an. Ich hab so Angst, dass das alles ihre Beziehung zerstören könnte. Sie sind doch so ein Dreamteam", sagte Anna traurig.

„Ich werde mit ihm reden, sobald ich die Gelegenheit dazu habe.“, ich nahm Anna in den Arm um sie zu trösten und dann waren wir auch schon an der Luke angekommen. Ich öffnete sie wieder mit größter Vorsicht und sah mich erst mal um. Es war in der Dunkelheit nichts Gefährliches zu entdecken. Ich half Anna rauf, und nachdem ich die Luke wieder verschlossen hatte, gingen wir sofort los. Wir waren gemeinsam viel schneller an dem Haus, in dem ich mich eingenistet hatte. Sie führte mich noch einen anderen Weg entlang, als jenen, den ich gestern eingeschlagen hatte. Daran erkannte ich, dass sie wirklich lange hier gelebt hatte. „Wo habt ihr denn früher gewohnt?“, wollte ich wissen. „Weiter unten im Dorf, an der Hauptstraße, aber wir waren früher oft hier und haben gespielt. Wenn wir mit den Dorfjungs unterwegs waren, haben sie sich mit Ästen bekämpft. Ami und ich waren Prinzessinnen, die von dem bösen Ritter entführt worden waren“, berichtete Anna in Erinnerungen schwelgend, „Das waren noch Zeiten, in denen wir Kinder noch mit Phantasie gespielt haben, nicht mit Konsolen oder Computern.“

Ich öffnete die Türe und ging gleich mit Anna in den Keller. Ich stellte wieder ein paar Kerzen auf die Kommode. „Wenn du müde bist, leg dich hin. Ich muss hier noch ein paar Kisten durchwühlen, hab bisher noch nichts Nützliches gefunden.“

„Nein, ich helfe dir.“

„Das ist lieb von dir. Ich werde mich morgen mal zu den Nachbarhäusern rüber schleichen, mal sehen, was ich da finden kann.“

„Ja, mach du nur", sagte sie, während sie sich eine Kiste schnappte und mir beim suchen half. Sie erzählte von ihrer Kindheit hier in dem Dorf und ich hörte aufmerksam zu. Es war, um einiges angenehmer jetzt wieder Gesellschaft zu haben. Nachdem wir drei Jahre auf engstem Raum miteinander gelebt hatten, waren mir die Stunden allein, wie eine Ewigkeit vorgekommen. Es war fast eine Qual gewesen, obwohl ich es doch eigentlich, von früher, gewohnt war, alleine zu sein.

„Hab eine Kiste mit altem Werkzeug gefunden. Meinst du, wir könnten davon etwas gebrauchen?“, fragte Anna.

„Im Moment wäre eine Heckenschere nicht schlecht. Damit ich mich durch die Hecken im Garten zu dem andren Haus kämpfen kann.“

Wir suchten weiter. „Da ist ja eine", sagte Anna und gab mir die Schere.

„Ah, und ich habe hier ein schönes Taschenmesser gefunden", sagte ich, während ich es Anna zeigte. „Kannst du haben", fügte ich hinzu. Sie nahm es an sich. „Danke. Aber kannst du das nicht besser gebrauchen?“

„Ich hab genug Messer. Das Militärmesser, fünf Wurfmesser, zwei Kampfdolche und noch ein kleines Klappmesser. Das reicht mir erstmal.“

„Ein Militäresser hatte mein Vater auch mal, das hatte im Griff sogar einen Kompass.“, erzählte Anna.

Anna untersuchte ihr neues Taschenmesser, es schien zwar nicht viele Funktionen zu haben, Messer, Säge, Flaschenöffner, Dosenöffner Nagelfeile, Zahnstocher und Korkenzieher, aber für das zierliche Persönchen, das neben mir am Boden saß, völlig ausreichend.

„Waren in der Messersammlung aus dem anderen Haus, welches wir als Sklaven erreichen konnten, nicht noch mehr Militärmesser drin?“, wollte Anna wissen.

„Ja, noch zwei. Ich hatte eins Kai und eins Ben gegeben.“

„Ach so.“, sie blickte enttäuscht drein, für mich sah es so aus, als wollte sie auch eines haben.

Die Kerzen begannen zu erlöschen. Anna und ich legten uns auf die Schlaflager und redeten noch ein wenig. Da wir nun zu zweit waren, hätte einer von uns Wache halten sollen, doch gerade, als ich das vorschlagen wollte, war Anna auch schon eingeschlafen. Ich selbst legte mein Messer neben mich um es für den Notfall bereit zu haben. Ich versuchte mich so lange wie möglich wach zu halten, indem ich meinen Kopf mit allerhand Gedanken füllte. Allerdings brachte das nicht viel, die Müdigkeit hatte meinen inneren Zweikampf gewonnen. Gegen meinen Willen schlief ich ein.

Als wir aufwachten frühstückten Anna und ich zunächst einmal. „Wenn du nachher in den anderen Häusern bist, durchsuche ich hier oben die Schränke. Was brauchen wir?“

„Nach ganz oben brauchst du nicht zu gehen, da ist nur noch das Schlafzimmer begehbar, aber da ist nichts Besonderes drin. Im Erdgeschoss kannst du dich austoben.“

„Gut, aber worauf soll ich achten?“

„Kompass, Fernglas, Atlanten, Rucksäcke. Eure Handtaschen werden euch nur stören.“

„Na gut, ich schau mal, was ich hier oben noch alles finden kann", sagte Anna und begann sämtliche Schränke im Wohnzimmer zu durchwühlen.

„Wenn du etwas hörst, verbarrikadier dich im Keller. Ich lass’ dir das Militärmesser da, ich nehme die Kampfdolche mit.“, mit den Worten ging ich noch mal in den Keller hinab. Ich klemmte mir die beiden Dolche zwischen Gürtel und Hose und nahm die Heckenschere mit nach oben. Durch die Terrassentür ging ich in den Garten hinaus.

Mühselig kämpfte ich mich mit der Heckenschere durch das Gestrüpp. Die harten, kleinen Äste und Dornen zerrissen meine Kleidung; zerkratzten mein Gesicht und die Hände.

Natürlich hatte ich ein mulmiges Gefühl dabei, Anna alleine zurückzulassen. Für mich war sie immer noch ein hilfloses, kleines Mädchen. Deshalb nahm ich mir vor mich zu beeilen, damit Anna nicht allzu lang alleine zurückblieb.

Endlich hatte ich es geschafft durch die Hecken hindurch zu kommen. Ich schlich durch den Garten in Richtung Terrassentür. Das Glas der Tür war bereits zerstört, so konnte ich ohne Aufsehen zu erregen in das Haus eindringen. Dieses Haus war etwas moderner eingerichtet, soweit ich das unter der dicken Staubschicht erkennen konnte. Zunächst durchsuchte ich alle Wohnzimmerschränke, doch hier war nichts Brauchbares zu finden. Auch in der Küche war nichts, also ging ich nach oben in den ersten Stock. Im Schlafzimmer gab es ebenfalls nichts Besonderes; einzig die Kleidung im Schrank war um einiges moderner, allerdings für mich eine Nummer zu klein. Daher ging ich die anderen Zimmer ab. Die beiden Kinderzimmer waren wohl zuvor von Jugendlichen bewohnt worden. In dem ersten Zimmer, das ich mir ansah, hatte eindeutig ein junger Mann gelebt, der gerade bei der Bundeswehr gewesen war oder sich zumindest für den Stil interessierte. In seinem Zimmer fand ich zwei Bundeswehrrucksäcke, einen großen und einen kleinen. Ein Butterfly-Klapp-Messer, ein weiteres Taschenmesser, mit den Standardfunktionen, die Annas Messer auch hatte.

In dem zweiten Kinderzimmer fand ich nichts. Es war das typische Mädchenzimmer eines Teenagers, Spiegel, Make-up, schicke Kleidung, aber nichts was wir gebrauchen konnten. Obwohl ich mir sicher war, darin nichts Nützliches zu finden, sah ich in den Kleiderschrank. Das könnte Annas Größe sein, dachte ich und machte mich auf, Anna hier herüberzuholen.

„Ach, du bist es!“, rief Anna mir entgegen, die erschreckt zusammengezuckt war und mir ihr blutiges Militärmesser entgegen hielt.

„Ist was passiert? Du solltest dich doch im Keller verstecken", sagte ich.

„Nur eine Ratte", winkte Anna ab, „Konntest du etwas finden?“, wechselte sie das Thema.

„Ein klein wenig, aber du solltest mitkommen. Da drüben ist Kleidung, die dir möglicherweise passen könnte.“

„Das wäre gut.“, sie sah mich erleichtert an, „Wird auch Zeit, dass ich mal wieder was Neues zum Anziehen bekomme.“

Wir gingen wieder zu dem anderen Haus und ich führte Anna nach oben ins Zimmer des Mädchens. „Tob dich aus", sagte ich und ging wieder ins Zimmer des Jungen um die Messer in den Rucksack zu packen und nach weiteren nützlichen Dingen zu suchen. Etwas später kam Anna in das Zimmer des Jungen. „Du hast nicht zufällig einen Rucksack gefunden? Ich möchte mir noch etwas zum Wechseln einpacken", sagte sie mit einem seligen Grinsen im Gesicht.

„Doch hier.“, ich reichte ihr den kleineren der beiden Bundeswehrrucksäcke.

„Danke.“

Ich folgte ihr, blieb im Türrahmen stehen und beobachtete wie sie voller Eifer Slips und Socken einpackte, sowie noch zwei Jeans, vier Langarmshirts und zwei Tops. „Wofür brauchst du das alles? Ich mein, Unterwäsche kann ich ja noch verstehen aber den Rest", fragte ich.

„Na ja, ein komplettes Wechseloutfit für mich und für Ami auch was Frisches zum Anziehen. Und wir müssen noch mal mit Silke hierher kommen.“

„Das könnt ihr ja machen, während ich das nächste Haus inspiziere. Aber wir sollten wieder zurückgehen. Es wird bald dunkel und ich muss Silke holen.“

„Soll ich mitkommen?“, fragte Anna.

„Ich denke, es ist besser, du bleibst im Keller.“

Wir gingen zurück zu unserem Lager und nahmen noch etwas Dosenfutter zu uns. „Hast du eigentlich hier noch etwas gefunden?“, fragte ich zwischen zwei bissen.

„In einem der Schränke waren ein Kompass und ein paar Atlanten. Ich hoffe, damit kommen wir zurecht.“

„Werden wir sehen, nimmst du das bitte gleich alles mit runter", sagte ich und nickte zu den beiden Rucksäcken hinüber.

„Klar, aber nur wenn du die paar Klamotten für Ami mitnimmst, es wird sie sicher freuen.“

„Aber sicher.“, ich fand es rührend, wie Anna sich um ihre Schwester sorgte.

Unten im Panik-Raum wartete ich auf Ben und Silke. Glücklicherweise war der Weg durch den Wald ereignislos gewesen. Keine außergewöhnlichen Aktivitäten von Tieren, die es hier nicht geben dürfte.

Es dauerte eine Weile bis Ben und Silke kamen und zu meinem Verwundern war Kai auch dabei. Ich nahm Kai beiseite, um mit ihm über den weiteren Verlauf zu sprechen. So hatten Silke und Ben die Möglichkeit sich in ruhe voneinander zu verabschieden.

„Wolltest du nicht später nachkommen?“

„Ich musste da raus. Aber ich bin auf einem anderen Weg hierher gekommen. Du weißt, nur für den Fall, dass sie unsere Wege doch beobachten.“

„Du hast Recht, was euere Flucht betrifft. Wenn es sowieso auffällt, warum dann noch mehr Zeit verlieren?“, versuchte ich Kai zu ermutigen.

„Es geht mir dabei nur um Ami, dass sie das nicht mehr ertragen muss", sagte Kai, doch an seiner Stimme war deutlich zu hören, dass es da noch um etwas Anderes ging.

„Wie geht es dir?“, fragte ich. Zum einen interessierte es mich wirklich, zum anderen wollte ich ihm damit zeigen, dass auch jemand da ist, der sich, in dieser Sache, auch um seine Gefühle sorgte.

„Na ja, wie soll es mir gehen? Ich hasse diese Wesen jetzt mehr denn je. Ich muss mich furchtbar zusammenreißen, dass ich ihm nicht mit meinem Messer die Kehle durchschneide. Es macht mich einfach wahnsinnig, dass ich nichts dagegen machen kann. Diese abrupte Flucht sehe ich als einzigen Ausweg, damit es aufhört.“

„Du wirst deine Rache noch bekommen. Wenn er uns folgt, bist du derjenige, der ihn töten darf, das verspreche ich dir.“

„Wenn Ami das überhaupt möchte.“, es lag etwas Gehässiges in seinem Tonfall.

„Wie kommst darauf, dass sie das nicht wollen würde?“

„Ach, keine Ahnung. Es ist halt nur so, dass sie mir gesagt hat, dass sie glaube zu verstehen, was die Außerirdischen untereinander sprechen oder sogar denken. Sie glaubt, dass es von den Vergewaltigungen kommt. Und eben ist sie auch noch ohne sich zu sträuben mitgegangen. Nicht, dass sie noch eine von ihnen wird.“

„Tut mir leid, dass ich das jetzt so sagen muss, aber wenn es stimmt, was sie glaubt, kann das für uns nur von Vorteil sein. Bitte halte noch bis übermorgen aus. Danach ist es vorbei. Du schaffst das.“

„Ich versuch mich zu zügeln.“

„Gut, dann gib das bitte deiner Frau, sie soll es aber erst anziehen, wenn ihr flieht. Anna hat das ausgesucht.“, ich gab Kai die frische Kleidung für Ami.

„Mach ich, wir treffen uns dann übermorgen Abend am Ende des Tunnels.“

„Klar, ich mach alles bereit, damit wir direkt weiter laufen können", sagte ich zum Abschied. Ich ging zu Silke und Ben hinüber: „Wir müssen los.“

„In Ordnung, ich komme.“, Silke wirkte etwas nervös, gab Ben noch einen Kuss, doch dann folgte sie mir. Wir gingen schnell durch den Tunnel und bahnten uns im Wald den schnellsten Weg, den ich mir hatte merken können, bis wir das Haus erreicht hatten.

Anna hatte im Keller auf uns gewartet. Die beiden Frauen fielen sich in die Arme, um sich zu begrüßen. Doch ich musste ihre Wiedersehensfreude dämpfen: „Wir sollten jetzt schlafen, wir haben morgen noch viel zu tun. Ich muss das Haus nebenan noch nach nützlichen Dingen durchsuchen.“

„Ich will aber noch mal in das andere Haus.“, Anna verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund und legte einen Hundeblick auf, so wie kleine Mädchen es zu tun pflegten, wenn sie ihren Vater um den Finger wickeln wollten.

„Ja, machen wir auch noch. Silke soll ja schließlich auch die Möglichkeit haben sich etwas Neues anzuziehen", gab ich nach.

„Oh ja, das wird aber auch langsam mal Zeit", sagte Silke, während sie sich auf eine der Matratzen legte.

Während die Frauen schliefen, nahm ich mir einen der Atlanten zur Hand. Auf welchem Weg sollten wir nach Afrika gelangen? Am günstigsten erschien mir der Westeuropäische weg: Frankreich über die Pyrenäen, Spanien und wenn wir es schafften, die ‚Straße von Gibraltar’ zu überqueren, waren wir auch schon in Afrika. Aber zwischen uns und dem Dschungel würden dann immer noch einige tausend Kilometer liegen. Eine furchtbar beschwerliche Reise für unsere Freiheit. Niemand von uns wusste, wie es um die nordafrikanischen Länder bestellt war. Waren sie auch ausgerottet worden? Gab es noch terroristische Organisationen?

Der andere Weg, den ich in meinem Kopf durchspielte, war auch nicht viel besser und vor allem um einiges länger: über die östlichen Länder in die Türkei, Syrien, Libanon, den Gazastreifen oder den Suezkanal nach Ägypten, dann auch nur Wüste. Ich zweifelte daran, ob wir überhaupt einen der Wege einschlagen sollten. Es konnte doch nicht sein, dass im Dschungel Afrikas der einzige freie Ort sein sollte. In Russland war doch auch weit und breit nichts, riesige Bereiche ohne Machtzentren. Da müssten doch auch noch freie Orte sein, an denen die Menschen noch ohne Furcht vor den Eindringlingen leben konnten. Doch dann dachte ich wieder an uns: Berlin, unser Machtzentrum lag mehrere hundert Kilometer von uns weg und dennoch haben sie sich hier auf dem Land breit gemacht und unsere kleine Stadt zerstört. Unsere Lage schien mir ausweglos. Es würde sich ja nicht mal lohnen die freien Menschen dieses Landes zu vereinen, um einen offenen Krieg gegen die Außerirdischen zu führen; wir bekämpften uns lieber gegenseitig. Mal abgesehen davon, war zu erwarten, dass die Eindringlinge im Falle eines Kampfs Verstärkung anforderten, um uns wie lästige Insekten zu zerquetschen.

Am nächsten Morgen stiegen Silke, Anna und ich noch einmal in das Haus, welches vom Garten aus gegenüberlag, damit Silke sich etwas Frisches anziehen konnte. Doch mit der Kleidung im Zimmer des Mädchens konnte sie nichts anfangen. Aber im Schlafzimmer der Eltern fand sie etwas, das passte.

Während Silke sich umzog, machte Anna sich an der Frisierkommode des Mädchens zu schaffen. Sie fand eine Bürste, eine Schere sowie mehrere Haargummis verschiedener Größen und natürlich Haarspangen.

„Silke, wenn du gleich fertig bist, kannst du bitte mal rüber kommen. Du müsstest mir mal die Haare schneiden", rief sie durch die geschlossene Tür des Schlafzimmers, während sie sich mit der Bürste durch ihr schmutziges Haar kämpfte.

„Ja, klar. Dann schneidest du mir meine Haare aber auch wieder kurz. Ich kann diese schulterlangen Spagetti auf meinem Kopf nicht mehr sehen", antwortete Silke.

Auf der einen Seite fand ich, dass wir Wichtigeres zu tun hatten, als Frisör zu spielen, andererseits gönnte ich ihnen den lang ersehnten Spaß. Sie waren ja noch jung, und wenn es in dieser Zeit etwas gab, was ihnen einen Moment der Freude bereiten konnte, sollten sie diesen auch genießen können.

Silke kam frisch umgezogen aus dem Schlafzimmer, sie trug jetzt eine dunkle Jeans, ein graues Longshirt und darüber eine dunkelgraue Fleeceweste. Sie trug noch ein paar Kleidungsstücke in der Hand. „Ich brauch einen Rucksack", sagte sie trocken. „Klar, der Nächste, den wir finden, ist für dich", versprach ich ihr. Dann wandte Silke sich an Anna: „Wo soll ich abschneiden?“

„Einfach an dem Ansatz entlang, das blond weg", sagte Anna mit einem angewiderten Blick in den immer noch verstaubten Spiegel.

Silke schnitt langsam, versuchte die Frisur so vernünftig wie möglich aussehen zu lassen. Die blondierten Haare fielen zu Boden. Nachdem Silke fertig war, bürstete Anna ihre Haare noch mal durch und machte sich rechts und links jeweils einen kleinen Zopf, mit ihrem jetzt kinnlangem Haar. Während nun Anna, Silke die Haare abschnitt, ging ich runter ins Erdgeschoss um es nach nützlichen Dingen für unsere Reise zu durchsuchen. Jedoch erwartete ich, hier nichts Besonderes zu finden. Ich nahm ein Bild, von einer der Kommoden im Wohnzimmer, und pustete den Staub runter. Hier hatte das klischeehafte Bild einer Vorstadtfamilie gelebt. Sie lächelten alle, allerdings wirkte es zu gedrungen, um echt zu sein. Dieses Foto hatte wohl den Schein einer perfekten Welt wahren sollen, obwohl sie gar nicht mehr so perfekt war.

Als die beiden Frauen runter kamen, gingen wir aus dem Haus raus und versuchten uns, mit Hilfe der Heckenschere, durch das Gestrüpp zu kämpfen, welches die Gärten trennte. Mit einigen Kratzern kamen wir endlich im anderen Garten an. Hier war die Gartentür nicht eingeschlagen. Ich müsste sie einschlagen, doch zu meinem persönlichen Bedauern, waren wir nicht weit genug vom Lager der Außerirdischen weg. Ich befürchtete, dass einer von ihnen es hören könnte, vor allem, wenn er sich gerade am Außenrand des Lagers befand. Ich musste es riskieren, ich hatte keine andere Wahl und konnte nur hoffen, dass unsere Anwesenheit unbemerkt blieb.

„Wir bleiben zusammen", befahl ich meinen Begleiterinnen. Mit der Heckenschere schlug ich die Scheibe ein, die sogleich klirrend zerbrach und zu Boden fiel.

Im Haus bot sich dasselbe Bild wie in den anderen, Staubteppiche hatten sich ausgebreitet. Allerdings stieg mir hier der widerliche Geruch von Verwesung in die Nase. „Los durchsucht die Schränke und packt alles in den Rucksack, was wir brauchen könnten", sagte ich zu Anna und Silke, während ich meinen Rucksack auf den Couchtisch stellte.

Auch ich fing an die Schränke zu durchsuchen, spitzte dabei meine Ohren um jedes Geräusch, das nicht von uns kam, mitzubekommen. Ständig sah ich zu der Terrassentür. Auch in diesen Schränken und Schubladen war mehr unnötiges Zeug als Nützliches. Anna hatte ein paar Feuerzeuge in den Rucksack gepackt. Silke hatte in einer Schublade ein paar Pflaster und eine Taschenlampe gefunden. „Habt ihr eigentlich schon irgendwo Verbände und Salben gefunden?“, fragte Silke.

„Nein, bisher noch nicht", antwortete ich, doch Silke schüttelte mit dem Kopf, „Wie unverantwortlich die Menschen sind. Eine Hausapotheke sollte doch jeder haben.“

Als wir unten fertig waren, gingen wir nach oben. Der Fäulnisgeruch wurde stärker. Im Schlafzimmer fanden wir den Grund dafür: Dort lag eine stark verweste Leiche, männlich, soweit ich das, anhand der Kleidung, erkennen konnte. Neben dem Toten lag eine Pistole; er musste sich selbst umgebracht haben. Ich hob die Pistole auf, sicherte diese, damit ich mir das Magazin und den Lauf ansehen konnte. Insgesamt fehlte nur eine Patrone. Ich steckte die Pistole im gesicherten Zustand in meine Gürtelschlaufe und suchte nach weiterer Munition, welche ich auch gleich in einer der beiden Nachtkommoden, neben dem Bett, fand.

Wir gingen ins Bad und dort hatte Silke gefunden, was sie wollte: eine Hausapotheke. Silke packte sofort Pflaster und Verbandmaterial ein; begutachtete diverse Fläschchen und Tuben, ob sie noch etwas gebrauchen konnte. Das Einzige, was sie mitnahm, war eine Wundheilsalbe und Schmerztabletten.

Weitere nützliche Dinge konnten wir im Obergeschoss nicht mehr finden. Deshalb gingen wir wieder zurück ins Erdgeschoss und von dort folgten wir der Treppe weiter in den Keller. Auch dieser stand voll mit Kisten. Wir würden einiges zu tun haben und ich hoffte, dass wir auch entsprechend viel finden würden. Stunden verbrachten wir unten in dem Keller, doch auch hier waren die Kisten voll mit altem Porzellan sowie alter Kleidung und ich fragte mich, warum die Menschen so etwas aufbewahrten. Unter all dem Müll, den ich schon längst weggeschmissen hätte, fanden wir lediglich noch einen Kompass, ein Fernglas sowie eine kleine Sammlung aus der asiatischen Kampfkultur, bestehend aus sechs Dolchen, mehrere Wurfsterne und einen zusammensteckbaren Zweihandkampfstock. Zu guter Letzt fanden wir noch einen alten Rucksack.

Nach dieser recht guten Ausbeute gingen wir wieder zurück in unseren Keller, dort breitete ich unsere gesamten Fundstücke aus und teilte sie auf. Zunächst gab ich Silke den dritten Rucksack, damit sie dort ihre Ersatzkleidung einpacken konnte. Sie übernahm ebenfalls die Verantwortung für das Verbandmaterial, dazu bekam sie von mir das zweite Taschenmesser und zwei Kampfdolche.

Anna gab ich ebenfalls zwei Messer, die sie nun zu ihrem Inventar zählen konnte.

Alles andere behielt ich erst mal bei mir, wobei ich vorhatte, Ami ebenfalls etwas von der Ausbeute zu geben. Kai sollte den zweiten Kompass und die Pistole samt Munition bekommen, da ich ihn für den besten Schützen hielt. Und für Ben legte ich das Butterfly beiseite.

Während Anna, ein paar Dosen fürs Abendessen öffnete, kletterte ich noch einmal nach oben ins Schlafzimmer, um mir ein wenig Unterwäsche zum Wechseln einzupacken.

„Morgen werde ich euch noch mal im Nahkampf mit den Dolchen trainieren, dann werden wir für jeden von uns eine Wasserflasche und Dosenfutter einpacken und natürlich Besteck", teilte ich Anna und Silke beim Abendessen mit, „Sobald es dunkel wird, werden wir zur Luke gehen und dort auf die anderen warten.“

Ich hatte diese Nacht sehr schlecht geschlafen. Mich beschlich ein schlechtes Gefühl, Bens, Amis und Kais Flucht betreffend. Ich befürchtete, dass dort irgendetwas schief laufen würde. Bisher war einfach alles viel zu glattgegangen. Nachdem auch die Mädels aufgewacht waren, machten wir uns gleich an das Nahkampftraining. Wobei sich Anna als besonders talentierte Kämpferin darstellte; Silke hingegen noch ein paar Anlaufschwierigkeiten hatte.

Nach einem späten Mittagessen packten wir noch Essen, Wasser und Besteck in die Rucksäcke und ruhten uns noch einmal für den Abend aus. Wir unterhielten uns darüber, was wir möglicherweise in der Stadt vorfinden würden. „Anna, wie weit ist es in etwa von der Ruine bis in die Stadt?“, wollte ich wissen. „Im Dunkeln und mit aller Wachsamkeit werden wir wohl unsere drei Stunden brauchen", antwortete sie.

„Wo werden wir denn als Erstes hingehen?“, fragte Silke.

„Ich dachte mir, wir gehen als Erstes zu Heinz’ Bunker, ich hab den Schlüssel noch und da sind Waffen. Danach sollten wir mal sehen, wie weit der U.S.-Army-Shop schon geplündert wurde oder die Outdoor-Abteilung in den Kaufhäusern, wir brauchen schließlich festeres Schuhwerk und noch drei Rucksäcke", erklärte ich. „Also, ich wäre dafür, wir gehen auch mal schauen, was aus unserem Haus geworden ist.“, schlug Silke noch vor.

„Und außerdem brauchen wir einen sicheren Ort, an dem wir unser weiteres Vorgehen planen können", warf Anna noch ein.

Die Dämmerung brach ein. Ich packte mir meinen Rucksack auf den Rücken und fixierte meine Dolche und die Pistole am Gürtel. Die Frauen taten es mir gleich. Wir machten uns zu der Luke auf, um dort auf die anderen zu warten. Wir schlichen langsam von Baum zu Baum, und als wir die Ruine erreicht hatten, kletterte ich wieder auf einen Baum, diesmal nahm ich das Fernglas, in der Hoffnung einen Blick ins Lager zu erhaschen. Glücklicherweise konnte ich etwas erkennen, ich sah, wie Greta und Ami von unserer Baracke aus in Richtung Raumschiff gingen. Ich kletterte wieder runter. „Wir werden wohl noch etwas warten müssen. Ami wird gerade wieder zu ihm gebracht", sagte ich, während ich einen langen Ast aufhob und seine Stabilität testete. „Hier, gib den gleich Ami, zur Stütze, falls sie das braucht“, sagte ich an Anna gewandt. Ich ging zur Luke und öffnete diese mit dem Schlüssel. „Silke, wir werden gleich sofort weiterlaufen, du wirst also keine Zeit haben Ben überschwänglich zu begrüßen.“, vielleicht sagte ich das etwas zu schroff, aber es ärgerte mich einfach, dass Ami jetzt noch einmal ran musste, um die Gelüste des Großen zu befriedigen.

JONAS ENDE

Versklavt - Zurück zur Freiheit

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