Читать книгу Versklavt - Zurück zur Freiheit - Angela Finck - Страница 4

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Ich saß auf einer Holzpalette vor unserer Baracke, einem spärlich zusammen gezimmerten Gebäude aus Wellblech und Holz. Ich starrte in die Pfütze unter mir und begutachtete mein Spiegelbild. Es war schwer vorstellbar, dass ich die Person sein sollte, die aus dem Wasser zu mir hoch starrte. Das eingefallene Gesicht mit tiefen Augenringen, dünn und ausgemergelt, wie ein mit Haut überzogenes Skelett. Meine dunkelbraunen Augen hatten jeden Glanz verloren, völlig leer und ausdruckslos. Selbst wenn ich mich zu einem Lächeln durchringen konnte, sah die Fratze im Wasser immer noch gruselig aus. Meine Haare, die mir einst lang, braun und glänzend über den Rücken fielen, waren nun stumpf, verdreckt und verklebt zu einem Knoten im Nacken gebunden. Im Laufe der Jahre war das Haar so nachgewachsen, dass sich nun auch dieser Haarknoten herausgehangen hatte. Das Haargummi war untrennbar mit dem Gewirr auf meinem Kopf verbunden. Ich sah einfach nur aus wie ein Zombie, mehr tot als lebendig.

Ich versuchte mir vor Augen zu führen, wie ich einst gewesen war. Meine Gedanken schweiften ab - ich blickte zurück in die Zeit, in der es mir noch um einiges besser ging.

Ich fand mich auf einer grünen Wiese wieder. Mein Mann, unsere Freunde und ich machten ein Picknick am See. Wir tranken Bier, aßen, auf offenem Feuer, gegrilltes Fleisch; wir unterhielten uns ausgelassen und lachten viel. Es war richtig warm. Der Himmel war hellblau. Der See glitzerte in der Sonne. Wir waren einfach nur sorglos und glücklich. Nichts hätte dieses Glück trüben können. Ich wollte in diesen Gedanken versunken bleiben, denn jetzt spürte ich noch einmal die Wärme der Sonne - ich musste sogar unwillkürlich lächeln.

Allein diese kleine, banale Erinnerung sorgte dafür, dass ich mich besser fühlte. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als noch einmal die satten Farben eines Sommers zu sehen. Ich war dieses grau in grau dieser Zeit leid, es war wie ein kalter Herbst mit zu viel Regen. Hier und heute war keine Sonne mehr zu sehen. Blickte ich gen Himmel, war es ständig grau und bewölkt - blickte ich zu Boden, sah ich auch nur ein graues Aschefeld, dort wo einmal eine schöne Grünfläche gewesen war. Die Bäume waren schwarz, kahl und tot. Nie wieder würden sie von einem Blattwerk oder gar Blüten geziert werden. Der Anblick der Welt, die mich umgab, war einfach nur noch deprimierend.

Der beißende Geruch von verbranntem Fleisch und angesengten Haaren stieg in meine Nase und ließ mich ungewollt in die Gegenwart zurückkehren. Der Scheiterhaufen war gerade angezündet worden. Wieder einmal hatten die derzeitigen widrigen Umstände einige von uns dahin gerafft. Ihre Leichen wurden auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Jetzt würde mein Mann, Kai, bald zu mir nach Hause kommen. Er war, wie so häufig, dazu aufgerufen worden sich um die Toten zu kümmern. Vor etwa drei Monaten wurde ihm diese Aufgabe zusätzlich zugeteilt. Nun wartete ich ungeduldig auf seine Rückkehr.

Ich sah Kai schon von weitem; mit gesenktem Kopf kam er auf mich zu. Die Zeichen der Zeit hatten auch bei ihm Narben hinterlassen. Hauptsächlich Seelische. Auch er hatte abgenommen. Allerdings verarbeitete sein Körper die ehemaligen Fettzellen zu Muskeln, dass lag an den körperlichen Arbeiten, welche er hier zu verrichten hatte. Zusätzlich trainierte er regelmäßig, wodurch er ein noch breiteres Kreuz bekommen hatte. Nun hatte er die Statur eines jungen Gottes. Ach, wenn er sich nur rasieren könnte, dachte ich bei mir. Sein Gesicht hatte ich schon seit Jahren nicht mehr richtig gesehen, da nun ein Vollbart, das einst hübsche Gesicht zierte. Doch dies hatte nur wenig Bedeutung, angesichts der Tatsache, dass er seine geradezu ansteckende Fröhlichkeit verloren hatte. Damals hatte er immer einen Witz auf den Lippen; er war immer dazu in der Lage mich zum Lachen zu bringen, selbst wenn es mir mal nicht so gut ging. Heute sprach er eher selten. Selbst er, der allem eine positive Seite abgewinnen konnte, hatte die Hoffnung verloren.

Ich stand auf, ging ihm entgegen und schloss ihn zur Begrüßung in die Arme. Es fühlte sich immer noch gut an. Ein kurzer Moment der Zufriedenheit. Kai gab mir einen Kuss auf die Stirn und wir gingen gemeinsam, uns an den Händen haltend, in unsere Baracke.

Ich sah mich erneut in der Baracke um. In der Mitte war eine Feuerstelle, die gleichzeitig zum Kochen und zum Heizen genutzt wurde. Daran stand meine Schwester Anna, auch sie hatte ihre einstige Schönheit verloren. Ihr Körper ausgezehrt. Das Gesicht eingefallen, ihre Haare hingen stumpf, dreckig, und strähnig herunter. Damals, kurz vor dieser Zeit, hatte sie sich die Haare blondieren lassen. Jetzt war sie zweifarbig: oben einen kinnlangen Ansatz in ihrer dunklen Naturhaarfarbe, die Längen in einem, mittlerweile, hässlich dreckigem wasserstoffblond. Schon öfter hatte ich ihr angeboten, das blond mit einem Messer weg zu schneiden. Doch sie war immer der Meinung, dass ihr Naturhaar noch zu kurz wäre.

Neben der Feuerstelle stand ein Tisch mit sechs Stühlen, so klapprig, dass sie jeden Moment zusammenfallen konnten. Quer durch den Raum waren unter der Decke Seilzüge gespannt – an ihnen hingen alte Duschvorhänge. Sie waren von unseren Vorgängern angebracht worden. Hinter diesen improvisierten Wänden befanden sich unsere Schlafbereiche – dreckige, durchgelegene Matratzen und eine dünne Decke. Ich fragte mich erneut, wie es so weit kommen konnte. Wieder schweiften meine Gedanken ab, zurück zu dem Tag, an dem alles begann.

Versklavt - Zurück zur Freiheit

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