Читать книгу Gelassenheit durch Auflösung innerer Konflikte - Angelika C. Wagner - Страница 45
Phase 1: Den Kern des Konflikts finden
ОглавлениеB: Worüber möchtest du heute sprechen?
K: berichtet, dass sie bereits seit zwei Wochen die Vorbereitung auf die Statistikklausur vor sich herschiebt und die Zeit nun knapp wird.
B: Was geht dir in dem Moment durch den Kopf, wenn du daran denkst, dass du jetzt für die Statistik-Klausur lernen solltest? Die Methode des Nachträglichen Lauten Denkens wurde in dem Kursus ausführlicher behandelt; die Studentin weiß, dass es darauf ankommt, in dieser Situation genau das auszusprechen, was ihr in dem Moment als Erstes »durch den Kopf schießt«: das, was sie wörtlich zu sich selber sagt (O-Ton) und/oder welches Bild oder Gefühl dabei auftaucht.
K: Da denke ich: »O Gott, das lerne ich nie!«
B: hört den darin implizit enthaltenen Imperativverletzungskonflikt heraus, bei dem die Gedanken sich im Kreis drehen: »Es darf nicht sein, dass ich das nicht lerne (Imperativ)« vs. »Es kann sein, dass ich das nicht lerne«(Subkognition). Sie gibt die Subkognition konstatierend wieder.
B: Es kann sein, dass du das nicht lernst. Sie sagt dies im Modus des konstatierenden Wahrnehmens ( Kap. 3), d. h. nicht anklagend, nicht herausfordernd, nicht tröstend, sondern einfach konstatierend, im Sinne von: »Die Möglichkeit besteht, dass du das nicht lernst.«
K: Das wäre schrecklich! Konfliktumgehungsstrategie: sich re-imperieren ( Kap. 4).
B: geht nicht auf diese Konfliktumgehungsstrategie ein, sondern wiederholt den vorhergehenden Satz als Einladung an die Klientin, diese Kognition, die Möglichkeit, dass sie es nicht lernen könnte, konstatierend wahrzunehmen.
B: Es kann sein, dass du das nicht lernst. Was daran ist unangenehm, irritierend, schlimm für dich?
K: richtet ihre Aufmerksamkeit konstatierend auf diese Kognition und fragt sich selber, was daran für sie das gefühlsmäßig Unangenehme ist. Es kommen ihr mehrere Dinge in den Sinn: »Dann schaffe ich mein Studium nicht – und das darf nicht sein!«, »Das ist zu blöd, dass ich mich nicht dazu kriege mich hinzusetzen, wie meine Freundin dies tut – es darf nicht sein, dass ich das nicht schaffe! Und wenn meine Eltern dies erfahren – nein das wäre das Allerschrecklichste.« Nach einer kurzen Pause sagt sie, mit leiser Stimme
K: Das Schlimmste ist, wenn ich meine Eltern enttäusche.
B: will sie ermutigen, diese Kognition samt den dazugehörigen Bild(ern), Gefühlen, Geräuschen etc. konstatierend wahrzunehmen und wiederholt deshalb konstatierend-wahrnehmend: Es kann sein, dass du deine Eltern enttäuschst.
K: O mein Gott, was wäre wirklich schrecklich.
B: Es kann sein, dass du deine Eltern enttäuschst. Möchtest du darauf jetzt KAW machen?
K: Ja. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit konstatierend auf diesen Satz, diesen Gedanken – »Es ist möglich, dass ich meine Eltern enttäusche« und dabei sieht sie ihren Vater vor sich, wie er sie anbrüllt – etwas, was in ihrer Kindheit öfter geschah. Das, so spürt sie, wäre bzw. war das Schrecklichste für sie.
K: Das Schlimmste für mich ist, wenn mich mein Vater anbrüllt.
B: Es kann sein, dass dich dein Vater anbrüllt. Möchtest du darauf jetzt KAW machen?
K: ganz still, leise: Ja, ich probiere es.
B: Was daran ist das Zentrum des Unangenehmen für dich?
K: Dann fühle ich mich »so klein mit Hut«. Man sieht ihrer Mimik an, dass das wirklich schlimm für sie ist. Auf diese Weise explorieren beide die dahinterliegende Imperativkette. Als Imperativkette werden imperativische Vorstellungen bezeichnet, die miteinander durch Wenn-dann-Annahmen verbunden sind. In diesem Fall handelt es sich um folgende Imperativkette: Ich muss das verstehen! (Imperativ 1). Wenn ich es nicht verstehe, dann falle ich durch und meine Eltern sind enttäuscht. Es darf nicht sein, dass sie enttäuscht sind! (Imperativ 2). Wenn meine Eltern enttäuscht sind, brüllt mich mein Vater an. Es darf nicht sein, dass er mich anbrüllt! (Imperativ 3). Wenn er mich anbrüllt, bin ich »so klein mit Hut« – das darf auf keinen Fall sein!« Am Ende dieser Imperativkette steht die Kern-Subkognition: Es kann sein, dass ich so »so klein mit Hut« bin. Die Kernimperative sind von Person zu Person unterschiedlich, haben jedoch inhaltlich oft etwas mit Hilflosigkeit, Wertlosigkeit oder Ungeliebtsein zu tun ( Kap. 4).