Читать книгу Maimorde - Angelika Godau - Страница 4

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Ich saß seit einer gefühlten Ewigkeit im Wartezimmer von Doktor Brandt und bemühte mich, die Gespräche um mich herum zu überhören. Schwangerschaftserbrechen, Komplikationen bei Geburten oder Stillprobleme waren nicht wirklich meine Lieblingsthemen. Also stellte ich die Ohren auf Durchzug und konzentrierte mich auf die Autozeitung, die sicherlich ein Jahr alt war.

„Wie geht es eigentlich Tabea?“, unterbrach jetzt meine Mutter meine Lektüre, entschlossen, ein Gespräch in Gang zu bringen.

„Gut“ gab ich knapp Auskunft, auch wenn ich ahnte, dass ihr das nicht reichen würde.

„Warum kommt ihr nicht heute Abend mit zu den Kreutzers? Roger wird vierzig und gibt eine Gartenparty. Ich kriege euch kaum noch zu sehen, das finde ich wirklich schade.“

Da ich nicht reagierte, bohrte sie gleich weiter.

„Das wäre doch eine schöne Gelegenheit. Walter kommt auch mit, und der unterhält sich so gerne mit deiner Freundin. Was ist? Kommt ihr?“

„Nicht, wenn ich es vermeiden kann“, wäre eine ehrliche, aber sicher keine kluge Antwort gewesen, daher versuchte ich es mit Ausflüchten.

„Kann ich nicht versprechen, ohne vorher Tabea zu fragen, das weißt du doch. Vielleicht hat sie Dienst, dann geht es so wieso nicht.“

„Nun, dann ruf sie an und frag. Ich möchte es gern wissen, damit ich mich darauf freuen kann.“

„Mama, ich kann sie nicht wegen einer Gartenparty bei der Arbeit stören, außerdem ist heute Freitag, da hat sie …“

„Ach was, sie wird bestimmt gern mitkommen. Ruf sie an, einmal ist bestimmt nicht schlimm.“

Auch die letzte Frau im Wartezimmer hatte mittlerweile ihre Zeitung sinken lassen, jedes Gespräch war verstummt, alles wartete gebannt auf meine Antwort.

Die Begnadigung erschien in Gestalt von Doktor Brandt, der meine Mutter bat, ihm ins Behandlungszimmer zu folgen.

Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, drehten sich die Gespräche jetzt um Eltern, Einladungen und unterschiedliche Vorstellungen von Freizeitgestaltung.

Wer mich noch nicht kennt, ich bin Detlev Menke, 27 Jahre alt, Sohn eines Weingutes in der schönen Pfalz, Porschefahrer und Besitzer eines heldenhaften Dackels namens Alligator vom Trifels, genannt Alli. Nach vielen, sehr sorglosen Jahren, die ich hauptsächlich mit Nichtstun und wechselnden Freundinnen zugebracht habe, bin ich jetzt ein viel beschäftigter Detektiv in Bad Dürkheim. Ich habe richtig gut zu tun, wenn ich nicht gerade meine Mutter zum Gynäkologen begleite, weil sie wegen häufiger Schwindelanfälle selbst nicht Autofahren kann. Ich hatte mich vehement gegen dieses Ansinnen gewehrt, denn Frauenärzte waren mir suspekt, aber Wiebke hatte darauf bestanden. Wiebke, meine große Schwester, konnte sehr energisch sein und ließ keine meiner Ausreden gelten.

Ich solle mich gefälligst nicht so anstellen, ich müsse die Mutter doch nur fahren und nicht während der Untersuchung ihre Hand halten. Sie selbst habe einen Termin mit einem Großkunden. Walter könne auch nicht, also sei ich dran, hatte sie argumentiert.

„Na gut, aber ich gehe auf keinen Fall mit rein, ich warte im Wagen“, hatte ich maulend klein beigegeben. Damit war allerdings meine Mutter nicht einverstanden gewesen.

„Nein, bitte komm mit rein, vielleicht will Doktor Brandt ja etwas mit dir besprechen“, hatte sie gebeten und so war ich in dieses Wartezimmer geraten.

Walter war übrigens seit fast zwei Jahren der Freund meiner Mutter, und damit konnte ich mich bis heute nicht anfreunden. Immerhin war sie Mitte sechzig und ich davon überzeugt gewesen, dass Frauen in ihrem Alter vielleicht in einer Rheumagruppe aktiv waren oder zum Yoga gingen, aber doch kein Interesse mehr an Männern hatten. Dazu kam, dass ich Walter schlicht zum Kotzen fand und wenn ich sah, wie er die Hand meiner Mutter hielt, hätte ich ihm eine reinhauen können.

Tabea lachte mich aus und behauptete, ich sei schlicht eifersüchtig. Eifersüchtig auf Walter, wie schräg war das denn?

Tabea Kühn, meine schöne Freundin und Oberkommissarin beim K11 der Ludwigshafener Mordkommission. Sie war, als wir uns kennenlernten, alles andere als begeistert von mir gewesen. Sie hielt mich nicht nur für einen Mörder, sondern auch für einen totalen Loser. Sie nannte mich überheblich, sexistisch, kindisch und noch einiges mehr und bemühte sich kein bisschen, ihre Abneigung zu kaschieren. Ganz im Gegenteil, sie ließ keine Gelegenheit aus, mich deutlich spüren zu lassen, wie unsympathisch ich ihr war. Nicht einmal meine bewährtesten Anmachsprüche hatten ihr ein Lächeln abringen können. Das schaffte dafür Alli, der eroberte sofort ihr Herz. Trotzdem hatte ich mein Leben komplett ändern müssen, damit aus uns ein Paar werden konnte. Ich arbeitete fleißig, verdiente genug Geld, um weder Mutter noch Schwester auf der Tasche liegen zu müssen und guckte andere Frauen nicht einmal mehr an. Hatte sich gelohnt, denn ich war nach wie vor hingerissen von dieser mega Frau.

Sie war schön, was sie völlig nebensächlich fand, klug, humorvoll und erfolgreich in ihrem Beruf. Das war nicht immer so einfach für mich, und manchmal tat ich mich damit noch immer schwer. Mein männliches Ego wollte sie beeindrucken, besser sein. Leider endete das regelmäßig im Chaos. Getreu dem Motto: Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet, hatte ich auch bei ihrem letzten Fall wieder alle Anweisungen und Warnungen ignoriert, um ihr zu beweisen, dass auch ich meinen Job verstand. Es nagte schwer an mir, dass ich den im Fernstudium erlernt hatte, darum war ich manchmal etwas übereifrig.

Zum Glück war am Ende alles gut ausgegangen, und noch bevor Tabea mir den Kopf abreißen konnte, weil ich mich wieder einmal eingemischt hatte, passierte etwas, womit ich in tausend Jahren nicht gerechnet hätte.

Der Sandmann, Norman Sand, Tabeas Kollege und nicht gerade ein Fan von mir, warf sich für mich in die Bresche. Er behauptete im Brustton der Überzeugung, er verdanke mir sein Leben. Das war zwar etwas übertrieben, aber unterbrach abrupt Tabeas Zorn und ich gebe zu, mir ging es runter wie Öl. Tabea war versöhnt, der Sandmann wieder gesund und der Täter dingfest gemacht. Weihnachten konnte kommen.

Mein Plan sah vor, unseren ersten gemeinsamen Heiligen Abend ganz besonders romantisch zu begehen, und ich hatte alles bis ins Detail geplant. Leider hatte ich versäumt Tabea in meine Pläne einzubeziehen, was dazu führte, dass ich am Ende wieder wie der Trottel vom Dienst dastand.

Kurz vor dem vierten Advent hatte ich bei einem Mannheimer Juwelier spontan einen Ring gekauft, einen ausgesprochen teuren Ring. Überzeugt, dass er auf Tabea mächtig Eindruck machen würde, hatte ich ihr das kleine Kästchen hingehalten und gespannt auf ihre Reaktion gewartet. Leider verstand sie die Botschaft nicht, oder wollte sie nicht verstehen. Wie auch immer, sie öffnete es, warf einen Blick hinein, lachte und sagte kopfschüttelnd: „Glaubst Du, Walter wird es gefallen, wenn du deiner Mutter einen solchen Ring schenkst, oder ist der für Wiebke?“

Ihre späteren Erklärungen, warum sie nicht einmal auf die Idee gekommen war, er könnte für sie sein, retteten die Situation nicht mehr. Meinen Ausflug in die Welt der Romantik hatte ich gründlich verkackt. Tabea war mir nicht selig lächelnd um den Hals gefallen, wir waren weiterhin nicht verlobt, nicht einmal eine gemeinsame Wohnung war in Sicht.

Sie fand, wir kannten uns für all das noch lange nicht gut genug, der jetzige Zustand sei völlig okay und Ringe unbequem. Am Ende fuhren wir zwischen den Jahren nach Mannheim und gaben das teure Teil zurück, was dem Juwelier Tränen in die Augen trieb. Bis Silvester hatte ich damit gehadert, danach war ich bereit, es im kommenden Jahr erneut zu versuchen.

Ich wollte und ich würde diese Frau heiraten, das war beschlossene Sache für mich. Solange musste ich daran arbeiten, sie zu einem Umzug in meine Wohnung zu bewegen, damit wir zumindest die Nächte zusammen verbringen konnten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erschien meine Mutter in der Tür und winkte mich zu sich.

Den etwas klein geratenen Mann im weißen Kittel hatte ich bereits auf diversen Weinfesten und natürlich dem berühmten Dürkheimer Wurstmarkt getroffen, kannte ihn aber nicht näher. Dass ich mal eine Nacht mit seiner Frau verbracht hatte, wusste er offenbar nicht und von mir würde er es auch nicht erfahren.

„Ihre Frau Mutter hat mich ersucht, Ihnen zu sagen, dass sie zu einem kleinen Eingriff in meine Klinik kommen muss. Nichts Besorgniserregendes, aber unumgänglich und möglichst zeitnah. Lassen Sie sich bitte gleich einen Termin geben, guten Tag“, sprach´s, quälte sich ein Lächeln ins solariumgebräunte Gesicht und verschwand.

Wie war der denn drauf? Sollte sich dringend mal eine Ärztesoap anschauen, da konnte der lernen, wie man mit Patienten umging. Kopfschüttelnd wandte ich mich der Dame hinter dem Counter zu, die bereits auf ihren Bildschirm starrte und mich wissen ließ, dass der nächstmögliche Termin in drei Wochen zu haben sei. Fragend schaute ich meine Mutter an, die zustimmend nickte.

Im Auto wolle ich Einzelheiten, aber sie weigerte sich, behauptete, das sei kein Thema für einen Mann, es sei aber nichts Ernstes. Damit musste ich mich zufriedengeben, war aber so besorgt, dass ich versprach, mit Tabea über die Party zu reden. Meine Mutter plauderte locker über Nebensächlichkeiten, aber ich spürte ihre Anspannung. Sie war selten krank, immer voller Tatendrang und einer schier unermüdlichen Energie. Daher war mir der Gedanke, dass sich das mal ändern könnte, bisher nicht gekommen. Zuhause drückte ich ihr, in einem seltenen Anfall von kindlicher Zuneigung, einen Kuss auf die Wange. Sie sah mich verwundert an, lächelte und sagte: „Keine Bange, ich habe nicht vor zu sterben, aber man weiß ja nie. Vergiss also nicht Tabea anzurufen, wir sehen uns heute Abend.“ Damit drehte sie sich um und verschwand im Haus.

Große Worte, überschwängliche Umarmungen oder gar Gefühlsausbrüche gab es in unserer Familie nie. Dafür war keine Zeit.

Mein Vater war früh gestorben und Mutter und Schwester hatten hart arbeiten müssen, das große Weingut rentabel zu führen. Das hatte ich allerdings erst begriffen, als Wiebke an Krebs erkrankt war und mir einige Leute sehr deutlich klargemacht hatten, dass ich ein krasser Egoist war, der nur auf Kosten anderer lebte.

Okay, die Zeiten waren vorbei, Wiebke wieder gesund, und ich ein nützliches Mitglied der menschlichen Gemeinschaft. Ich fuhr vom Hof, nicht ahnend, dass ich schon wieder auf dem Weg in einen Mordfall war.

Maimorde

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