Читать книгу Maimorde - Angelika Godau - Страница 5
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„Ich sage es dir noch einmal, hör mit deiner verdammten Sauferei auf. Du bist ekelhaft, wenn du getrunken hast. Ganz abgesehen davon, guck mal in den Spiegel. Dein Gesicht ist aufgedunsen und deine Haare sehen aus, als hättest du sie ewig nicht mehr gewaschen. Wie eine Pennerin. Außerdem hast du mittlerweile mindestens zehn Kilo zu viel. Es wird nicht mehr lange dauern, dann reicht Roger die Scheidung ein und niemand wird ihm das verdenken. Die Leute reden über euch und das kann er sich in seiner Position einfach nicht leisten. Kein Mann zeigt sich gern mit einer Frau in der Öffentlichkeit, die aussieht wie die Putzfrau. Ich habe dich nie gemocht und daraus habe ich weder dir noch Roger gegenüber einen Hehl gemacht. Heuchelei liegt mir nicht. Und darum sage ich dir jetzt ganz offen, dass ich dich mittlerweile geradezu abstoßend finde. Du bist zu gar nichts nutze, nicht einmal ein Kind kannst du auf die Welt bringen. Jammern und saufen, das ist alles, was du kannst; dabei hast du nicht den geringsten Grund. Weißt du, auch wenn Roger es nicht wahrhaben will, ich habe dich schon lange durchschaut. Du bist ganz zufrieden damit, dass du nicht schwanger wirst, du wolltest nie Kinder, du wolltest Karriere machen. Hat wohl auch nicht so geklappt hat, wie du gedacht hast, sonst hättest du deinen Job nicht einfach hingeschmissen. Jetzt geh unter die Dusche und sorg dafür, dass du zumindest heute Abend einigermaßen präsentabel aussiehst. Und noch was, solltest du dich betrinken und die Leute anpöbeln, werfe ich dich eigenhändig aus dem Haus. Ich hoffe, wir haben uns verstanden!“
Carolin Kreutzer winkte ab, noch bevor ihre Schwiegertochter den Mund zu einer Erwiderung aufmachen konnte, drehte sich um und verließ den Raum. Vor der Tür blieb sie stehen, legte eine Hand auf ihr Herz und holte tief Luft. Das hatte verdammt gutgetan. Endlich hatte sie ausgesprochen, was sie schon lange dachte. Melanie war einfach nicht die passende Frau für ihren Sohn. Ja gut, sie war Juristin und einmal recht hübsch gewesen, aber sie kam aus keinem guten Stall, war labil und hatte nicht gelernt, sich in ihren Kreisen zu bewegen. Seit zehn Jahren jammerte sie über ihre Kinderlosigkeit und rannte von Arzt zu Arzt, wenn sie nicht gerade vollkommen betrunken im Bett lag. Roger war wirklich zu vielem bereit gewesen, hatte klaglos Spermatogramme machen lassen und seiner Frau bei diversen Inseminationen die Hand gehalten. Er hatte mit ihr gehofft und getrauert, wenn es wieder einmal nicht funktioniert hatte. Er war mit ihr sogar bis nach Amerika geflogen. Erst als sie begonnen hatte, immer obskurere Heiler aufzusuchen, Schamanen, Gesundbeter und Handaufleger, die alle nur an ihrem Geld interessiert waren, hatte er sich geweigert. Als sie begriff, dass sie ihn nicht mehr umstimmen konnte, hatte sie angefangen zu trinken. Erst nur hin und wieder, aber mittlerweile war sie selten ganz nüchtern. Sie ließ sich gehen, hatte weder ihre Zunge noch ihre Wortwahl unter Kontrolle und vergaß allzu oft, wo sie sich befand und wer sie war. Nein, sie würde Melanie keine Träne nachweinen, im Gegenteil, sie war entschlossen, ihren Sohn zu ermutigen, sich von ihr zu trennen. Die Peinlichkeiten und das Gerede wegen einer Scheidung waren in diesem Fall das kleinere Übel.
Melanie Kreutzer stand bewegungslos mitten im Raum und starrte ihrer Schwiegermutter nach. Die hatte sie in der Diele abgefangen, kaum, dass sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich derartige Vorwürfe anhören musste, aber so deutlich war sie noch nie geworden. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Flaschen in der Bar, riss sich zusammen und wandte sich ab. Langsam stieg sie die lange Wendeltreppe mit dem kostbaren, geschnitzten Geländer hoch und ging in ihr Zimmer.
Vor dem großen Spiegel ihres Kleiderschranks blieb sie stehen und betrachtete sich kritisch. Es stimmte, sie sah schlecht aus und ihre Haare brauchten dringend einen Friseur. Sie fuhr sich mit den Händen über die Hüften und dann über ihren Bauch, bevor sie sich seufzend auf das breite Bett fallen ließ, die Hände hinter dem Kopf verschränkte und über ihre Situation nachdachte.
Ihre Schwiegermutter hatte keine Ahnung, die sah nur, was sie sehen wollte. Roger war nicht das Opfer, er war der Täter. Jahrelang hatte sie alles getan, um seinen immer zwanghafter werdenden Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Unzählige schmerzhafte, demütigende Untersuchungen und Eingriffe hatte sie über sich ergehen lassen. Sich immer öfter als Versagerin gefühlt, weil einfach nichts klappen wollte. Rogers Beitrag war dagegen lächerlich gewesen, auch wenn er sich von seinen Eltern wie ein Held feiern ließ.
Als sie ihn vor fünfzehn Jahren geheiratet hatte, war es für sie die große Liebe gewesen. Dass seine Eltern, und dabei besonders Carolin, über seine Wahl alles andere als begeistert waren, hatte ihr Glück kaum getrübt. Kreutzers gehörten zu den reichsten Familien, der ansonsten eher armen Pfalz und vererbten ihr Vermögen von einer Generation zur nächsten. Für sie war es daher selbstverständlich, dass ihr ältester Sohn sich eine Frau suchen würde, deren Eltern das ebenso hielten. Umso entsetzter waren sie, als Roger ihnen ein Mädchen präsentierte, dessen Eltern geschieden waren und deren Mutter sich das Studium buchstäblich vom Munde abgespart hatte. Dass die angehende Schwiegertochter einen hervorragenden Abschluss vorweisen konnte und einer vielversprechenden Zukunft als Anwältin entgegensah, interessierte sie nicht sonderlich.
„Am Ende zählt nur, aus welchem Stall jemand kommt“, beendete ihr Schwiegervater jede Diskussion. Roger und sie hatten über derart antiquierte Ansichten gelacht, waren jung und zumindest ihr war Geld völlig egal gewesen. Sie hatten von einer gemeinsamen Kanzlei geträumt, vom eigenen Haus und waren sich ihrer ewig währenden Liebe sicher gewesen. Nächtelang konnten sie über Mandanten oder juristische Fragen fachsimpeln, sich zwischendurch lieben und danach weiter diskutieren. Oftmals bis zum Morgengrauen. Ob sie jemals über eigene Kinder gesprochen hatten, daran erinnerte sie sich nicht mehr, auch nicht, ob sie selbst den Wunsch nach Kindern gehabt hatte. Ihre eigene Kindheit war von der Enttäuschung der Mutter geprägt, die von ihrem Freund verlassen worden war, kaum dass er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte. Regelmäßig hatte sie darüber geklagt, wie schwer ihr Leben war, wie jeder Mann das Interesse an ihr verlor, nur weil sie ein Kind hatte. Daran erinnerte sie sich gut, und auch an das diffuse Gefühl von Schuld, so als könne sie etwas dafür, dass die Mutter unglücklich war. Trotzdem hätte sie sicherlich Kinder gewollt, irgendwann, aber erst nachdem sie sich als Anwältin einen Namen gemacht, mit Roger zusammen brisante Fälle bearbeitet hatte. Das erste Jahr ihrer Ehe war genauso verlaufen, wie sie es sich erträumt hatte, aber dann fragten seine Eltern immer öfter, wann es denn endlich so weit sei. Anfangs hatte Roger lachend erwidert, sie müssten noch etwas üben, aber irgendwann hatte auch er damit angefangen.
„Andere Frauen sind auch berufstätig und bekommen Kinder, das ist doch heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Meine Mutter ist da und wird dich sicher unterstützen. Ach komm, Melli, lass und ein Baby bekommen.“
Sie war dazu noch nicht bereit gewesen, und je mehr er sie bedrängte, umso weniger konnte sie es sich vorstellen. Ein Kind in die Welt zu setzen, um die Schwiegereltern zufrieden zu stellen, fand sie lächerlich. Sie war eine großartige Anwältin und plötzlich drehte sich die Welt nur noch darum, wann sie endlich schwanger wurde. Alles in ihr hatte sich dagegen gesträubt, und sie nahm heimlich weiterhin die Pille. Natürlich war es ihre Schwiegermutter gewesen, diese misstrauische, alte Hexe, die dahinterkam und umgehend ihren Sohn informierte. Anstatt sich darüber zu empören, dass seine Mutter in ihren Schubladen schnüffelte, war er nur sauer auf sie gewesen. Hinterhältigkeit, Berechnung und Karrieregeilheit hatte er ihr vorgeworfen. Aus rein egoistischen Motiven würde sie ihm das Recht, Vater zu werden, verweigern. Nicht einmal den beschissenen Hinweis, dass er genug Geld verdiente, um eine Familie ernähren zu können, hatte er sich verkniffen. Sie hatte sich nicht verteidigt, warum nur nicht? Warum hatte sie nicht ausgesprochen, wie anmaßend und unverschämt sie sein Verhalten fand? Weil er sie nicht verstanden hätte? Warum war hatte sie ihn nicht verlassen, irgendwo weit weg ein anderes, eigenes Leben begonnen. Sie hatte es nicht getan, weil sie ihn immer noch liebte und auch, weil irgendwo, ganz tief in ihrem Inneren eine Stimme ihm Recht gab.
Es war normal, dass er sich Kinder wünschte, es war die Bestimmung einer Frau Kinder zu bekommen, eine liebevolle Mutter zu sein, ihren Ehemann glücklich zu machen. Sie schämte sich, dass sie so egoistisch war, lieber ihrem Beruf nachgehen zu wollen. Wochenlang war er damals mit vorwurfsvoller Miene durchs Haus gelaufen, kaum dass er ein Wort mit ihr gewechselt hatte. Jeder ihrer Versuche, ein Gespräch in Gang zu bringen, wurde von ihm abgeblockt. Irgendwann hatte sie kapituliert, sich eingeredet, ein Kind müsse nicht das Ende ihrer Karriere bedeuten, ein Kind würde sie und Roger wieder näher zusammenbringen. Ihrer einzigen Bedingung, ein eigenes Haus, damit sie nicht länger mit den Schwiegereltern unter einem Dach leben mussten, hatte er sofort zugestimmt.
Fünf Jahre später wohnten sie immer noch zusammen und das eigene Haus war längst kein Thema mehr zwischen ihnen. Dafür umso öfter ihre Kinderlosigkeit. Anfangs war es nur eine leichte, allmonatliche Enttäuschung gewesen, aber nach und nach war ein Drama daraus geworden. Ihr Liebesleben, einst prickelnd und leidenschaftlich, wurde für ihn zur Manie und für sie zu einer lästigen Pflicht. Roger wollte nicht einsehen, dass man auch ohne Kinder ein glückliches Leben führen konnte. Jeder Versuch, mit ihm darüber zu reden, endete auf die gleiche Art.
„Du weißt doch genau, wie sehr ich mir ein Kind wünsche, und meine Eltern hätten so gern einen Enkel und späteren Erben für die Kanzlei. Bitte Melli, lass es uns weiter versuchen.“
Leider änderten die Besuche bei den verschiedensten Ärzten nichts, sie waren aus medizinischer Sicht beide gesund und gemeinsamen Kindern stand, außer der Tatsache, dass sie keine bekamen, nichts im Weg.
„Du bist zu angespannt, Melli, immer mit deinen Gedanken bei den Mandanten. Hör auf zu arbeiten, ich glaube, dann klappt es eher.“
Ihren Protest, dass sie gerne arbeitete, ihr der Job Freude machte, sie ausfüllte, hatte er nicht gelten lassen.
„Ich glaube aber, dass es dich zu sehr anstrengt und du darum nicht schwanger wirst. Wenn du mich liebst, dann tu mir den Gefallen und hör auf. Ich habe Mandanten genug, wir sind auf deine nicht angewiesen und selbstverwirklichen kannst du dich, wenn du erst unser Kind im Arm hältst. Außerdem, wenn der Kleine erst mal in den Kindergarten geht, kannst du ja halbtags wieder einsteigen.“
Natürlich hatten auch seine Eltern ihr immer wieder zugesetzt, ihr Egoismus und Herzlosigkeit vorgeworfen. Sie sei schuld am Unglück ihres Sohnes, weil sie nicht wirklich bereit sei, ihm den natürlichen Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. Mit der Zeit war sie sich wie ein Monster vorgekommen, nicht normal, irgendwie anders als andere Frauen. Nach einem besonders heftigen Streit, in dem zum ersten Mal das Wort Scheidung gefallen war, hatte sie aufgegeben. Sie bat ihren Chef, den Seniorpartner einer alteingesessenen Kanzlei, um ein Gespräch. Sie kannte Dr. Krübel schon seit sie in den Kindergarten gegangen war, ihre Mutter hatte für ihn als Schreibkraft gearbeitet. Er reagierte entsetzt, als sie ihn bat, ihre Mandanten auf die anderen Anwälte zu verteilen.
„Melanie, überleg dir das bitte. Du solltest das nicht überstürzen. Du kannst doch nicht vergessen haben, wie schwierig das Studium war, den Stolz deiner Mutter, als du alle Prüfungen bestanden hattest. Willst du das alles wegwerfen? Dein Mann ist doch auch Anwalt, was sagt denn er dazu?“
Als sie nicht geantwortet hatte, schien er zu ahnen, um was es ging und nickte langsam: „Oh, ich glaube, ich verstehe. Du tust das gar nicht für dich, du tust das für ihn. Dann kann ich dir nur umso eindringlicher raten, es dir noch einmal zu überlegen. Nimm dir meinetwegen eine Auszeit, aber schmeiß jetzt nicht alles hin.“
Sie hatte nicht auf ihn gehört, blieb fortan zu Hause und verbrachte ihre Tage in endloser Langeweile. Sie hatte Fieber gemessen und Kurven angelegt, kiloweise Obst und Gemüse gegessen und nach dem Sex die Beine in die Luft gehalten, schwanger geworden war sie trotzdem nicht.
Der einzige, der für sie Verständnis aufgebracht hatte, war Torben, Rogers jüngerer Bruder. Er ließ sich nur selten bei der Familie sehen, tingelte durch die Welt, frei und ungebunden.
„Heiraten und dann so ein Leben führen, wie all diese Spießer, wie Roger? Das ist nichts für mich, du siehst doch, was dabei herauskommt“, hatte er gelacht. „Du warst mal eine mega Frau, Melanie, eine stolze Rose, die ich bewundert habe. Heute bist du nur noch ein Veilchen, sittsam, bescheiden und rein, ein blasses Blümchen, das keiner mehr sieht. Genau, ich werde dich ab jetzt Veilchen nennen, so lange, bis du dich endlich wehrst und nicht länger von dieser Familie fertigmachen lässt. Glaubst du denn, denen geht es um dich? Für die bist du austauschbar, nur ein Uterus, sie wollen ihren Erben, egal, von wem. Ja, auch Roger, dem ist es schon als Kind nur darum gegangen, unsere Eltern zufrieden zu stellen, der brave, bessere Sohn zu sein. Ein Mann, der seine Frau liebt, guckt nicht zu, wie sie immer unglücklicher wird. Ich an seiner Stelle wäre längst mit dir weggegangen. Verlass ihn und komm mit mir. Ich verspreche, dich nicht damit zu nerven, unbedingt ein Kind zu bekommen.“
Er hatte gelacht, sein Glas ausgetrunken und war wieder für Monate verschwunden; keiner wusste, wohin. Sie hatte Roger nie von diesen Gesprächen erzähl. Sie wollte nicht noch Öl ins Feuer gießen. Er hielt ohnehin nichts von seinem jüngeren Bruder, für ihn war er ein verantwortungsloser Taugenichts.
„Torben lebt nur auf Kosten anderer. Würden die Eltern ihn nicht ständig finanziell unterstützen, müsste er wohl unter einer Brücke campieren. Das Leben ist nun mal kein Wunschkonzert, in dem jeder nur das tun kann, was ihm Spaß macht. Aber so war er schon immer. Während ich im Studium geackert habe, ist er durch Nepal getrampt, hat in obskuren Ashrams nach dem Sinn des Lebens gesucht und sich einen Scheiß um die Familie geschert. Er taucht auch heute nur auf, wenn er wieder einmal pleite ist.“
Darum hatte sie die Worte von Torben verdrängt und schließlich sogar getan, was sie bisher vehement abgelehnt hatte: Sich von Andreas Brandt untersuchen lassen. Er war der Mann ihrer besten Freundin Julia und auch mit Roger und ihr selbst befreundet. Sogar ihr Schwiegervater kannte ihn schon aus alten Studientagen. Daher war ihr der Gedanke peinlich gewesen, auch wenn er als Koryphäe auf dem Gebiet der ungewollten Kinderlosigkeit galt. Es war Roger gewesen, seine Verzweiflung, seine dauernden Vorwürfe, die sie am Ende doch in seine Praxis gebracht hatten. Nach einem kurzen Blick in die dicke Akte vorausgegangener Untersuchungen, hatte er genickt und sie dann schnell und geschickt untersucht. Seine Worte hallten bis heute in ihrem Kopf nach.
„Melanie“, hatte er gesagt, und seine Stimme war so emotionslos gewesen, als würde er über das Wetter reden. „Melanie, lass uns nicht lange drum herumreden, wir wissen beide, dass du eigentlich kein Kind willst. Es ist nicht dein Körper, es ist dein Unterbewusstsein, das sich weigert, eines zu empfangen. Daran kann man arbeiten, hast du schon einmal über eine Therapie nachgedacht?“
Sie hatte genickt und geschwiegen, auch wenn sie ihn am liebsten geschlagen hätte. Woher nahm er sich das Recht, eine solche Diagnose zu stellen? Hatte er die leiseste Ahnung davon, wie sehr Roger sie mit seinem zwanghaften Kinderwunsch unter Druck setzte? Bestimmt nicht. Vermutlich hatte ihr Mann sich noch darüber beklagt, dass seine böse Frau hinter seinem Rücken die Pille schluckte und er sich somit vollkommen vergeblich abrackerte. Nein, alle waren sich einig, sie war diejenige, mit der etwas nicht stimmte und die zum Psychiater gehörte. Einen Augenblick war sie versucht gewesen, es einfach herauszuschreien.
„Ja, es stimmt, ich bin ein Monster. Keine richtige Frau, weil ich viel lieber Karriere machen möchte, als Kinder zu kriegen. Und diesen ganzen Schwachsinn hier, den mache ich nur für Roger und meine beschissenen Schwiegereltern.“
Davor bewahrt hatte sie nur die Gewissheit, dass er sie nicht verstehen, höchstens für hysterisch halten würde. Zu Hause angekommen, hatte sie einen doppelten Wodka runtergekippt und einen zweiten gleich hinterher. Erstaunt darüber, dass sie sich danach umso vieles leichter fühlte, war sie dazu übergegangen, regelmäßig nach dem Abendessen ein, zwei Gläser zu trinken. Roger, der immer mehr arbeitete und immer später nach Hause kam, hatte vorwurfsvoll den Kopf geschüttelt und ihr Vorhaltungen gemacht.
„Melanie, du solltest nicht so viel trinken. Was, wenn du schwanger wirst und das Kind damit schädigst?“
Sie hatte genickt, versprochen nicht mehr zu trinken und es nicht gehalten. Im Gegenteil, ihre endlosen Tage, das Genörgel ihrer Schwiegermutter und die Enttäuschung ihres Mannes brachten sie immer öfter dazu, schon morgens anzufangen. An einem Abend, sie hatte mehr als gewöhnlich getrunken, weil sie wieder einmal mit Carolin aneinandergeraten war, war es zum Eklat gekommen. Er hatte nach ihr gegriffen und doch tatsächlich: „Na, dann wollen wir mal“ gesagt.
„Hör auf“, hatte sie geschrien, „hör sofort auf, mich rammeln zu wollen, nur um ja keine Gelegenheit zu verpassen, deinen Samen in ein zufällig vorbeikommendes Ei zu spritzen.“
Er hatte sich von ihr abgewandt und geantwortet, sie sei frigide, ihre Eier längst vertrocknet und ihm sei die Lust, sie zu ficken, schon lange vergangen. Jede Katze könne Junge kriegen, nur sie kein Kind. Er hatte sein Bettzeug gepackt und war aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen.
Zuerst war sie erleichtert gewesen, aber mit der Zeit ertrug sie diesen Zustand immer weniger. Sie würde sich scheiden lassen, in ihren Beruf zurückkehren, endlich das tun, was sie gern tat. Sie brauchte die Kreutzers nicht, keinen von ihnen. Mit jedem Glas nahm ihre Entschlossenheit zu, aber wenn sie am nächsten Morgen verkatert und mit höllischen Kopfschmerzen aufwachte, verließ sie der Mut. Von ihrem früheren Selbstbewusstsein, ihrem Vertrauen in sich selbst, war nichts mehr übriggeblieben. Sie fühlte sich leer und diffus schuldig. Das war so unerträglich, dass sie immer größere Mengen Wodka brauchte. Irgendwann kam ihr der Verdacht, Roger schliefe mit anderen Frauen. Darüber hatten sie mehr als nur einen hässlichen Streit gehabt. Sie hatte geweint und geschrien, er geleugnet. Als er sie dabei erwischt hatte, wie sie seine Manteltaschen nach Beweisen durchsuchte, hatte er gedroht, sie in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Sie leide unter Paranoia, sei hysterisch und er habe sie langsam endgültig satt. Er stieß sie zurück, wenn sie taumelnd und lallend versuchte, ihn zu verführen. Seine angewiderten Blicke taten ihr körperlich weh, aber aufhören zu trinken konnte sie schon lange nicht mehr. Immer öfter gelang es ihr nicht einmal, in der Öffentlichkeit den Schein aufrecht zu erhalten.
Ausgerechnet am 70. Geburtstag ihres Schwiegervaters war es dann zum Eklat gekommen. Während der Feier im Golfclub, zu der aus dem Nichts heraus auch Torben erschienen war, hatte sie sich mit Roger gestritten. Ein Wort hatte das andere ergeben, und ein Wodka war dem nächsten gefolgt, bis sie irgendwann schwer betrunken über ihre eigenen Füße gefallen und nicht mehr hochgekommen war. Am Boden liegend hatte sie Roger lallend angeklagt, eine andere zu haben. Alle Gäste hatten es mitbekommen und betreten zugeschaut, wie ihr Mann sie hochgezogen und zum Auto geschleppt hatte.
Zwei Tage später fuhr er sie in eine elegante, diskrete, und weit entfernt von Bad Dürkheim liegende Klinik. Es war ihre erste, vierwöchige Entziehungskur. Außer Torben, der zu ein paar kurzen Besuchen gekommen war, hatte sie niemanden von der Familie zu sehen bekommen.
„Ach Veilchen, jedes Mal, wenn ich nach Deutschland komme, ist weniger von der Frau übrig, die ich gekannt habe. Willst du dich umbringen, oder was wird das? Hör auf mit der Sauferei, nimm dein Leben wieder selbst in die Hand und ergreif die Flucht. Mach´s wie ich, hau ab, bring möglichst viele Kilometer zwischen dich und den Kreutzerclan. Ich helfe dir, du musst es nur sagen.“
Sie hatte ihm zugehört, genickt und gewusst, dass sie nicht mehr die Kraft finden würde, etwas zu ändern.
Auch der Erfolg des Entzugs hatte nicht lange angehalten, schon zwei Wochen nach ihrer Entlassung war sie rückfällig geworden. Rogers Schweigen, die bösen Blicke ihrer Schwiegermutter und jeder Blick in den Spiegel waren zu viel für sie gewesen. Sie traute sich kaum noch aus dem Haus, mied jeden Kontakt, trank oft bis zur Bewusstlosigkeit. Ihr Aussehen war ihr längst gleichgültig, sie ließ sich gehen, lief in ausgebeulten Jogginghosen und schlabbrigen T-Shirts herum. Obwohl sie kaum noch regelmäßige Mahlzeiten kannte, nahm sie Kilo um Kilo zu. Roger sah sie nur noch selten, er ging früh aus dem Haus, wenn sie noch ihren Rausch ausschlief und kam zurück, wenn sie längst wieder lallend auf ihrem Bett lag. Jahre waren so vergangen und dann hatte Roger ihr eröffnet, dass er sich scheiden lassen würde.
„Das weißt du doch selbst“, hatte er gesagt, „unsere Ehe ist am Ende. Wir haben keine Kinder und uns nichts mehr zu sagen. Meine Eltern sind verzweifelt, weil es keinen Erben für die Kanzlei gibt, und ich will mir nicht den Rest meines Lebens ihre Vorwürfe anhören müssen. Du bist glücklich mit deinen Flaschen, du wirst mich daher kaum vermissen. Ich werde dich finanziell nicht hängen lassen, das versteht sich von selbst. Allerdings knüpfe ich das an die Bedingung, dass du aus dieser Gegend verschwindest. Wir haben genug Mandanten durch dein peinliches Benehmen in der Öffentlichkeit verloren.“
Schweigend hatte sie ihm zugehört. Sie wusste, dass nichts, was sie jetzt sagen konnte, ihn umstimmen würde. Sie hatte bereits zu viel getrunken und in ihrem Kopf herrschte Chaos. Erst am nächsten Morgen war sie in der Lage gewesen, den Kampf aufzunehmen. Über ein Jahrzehnt hatte diese Familie alles getan, ihr Selbstwertgefühl zu zerstören, indem man sie auf die Fähigkeit reduziert hatte, ein Kind zu gebären. Nie hatte sie den Satz ihres Schwiegervaters vergessen, Eine Kuh, die keine Milch gibt, kommt zum Abdecker. Roger hatte ihm nur halbherzig widersprochen und sie war weinend auf ihr Zimmer geflüchtet. Jetzt, mit vierzig, alkoholabhängig und ohne Job, wollte er sie also loswerden. Vermutlich, um mit einer anderen den Wunsch seiner Eltern nach einem Erben zu erfüllen. Nein, das würde sie nicht zulassen, sich nicht einfach beiseiteschieben lassen. Julia musste ihr helfen, ihre alte Freundin aus Kindertagen wusste sicher, was sie jetzt tun konnte, wie sie sich verhalten sollte. Frisch geduscht und halbwegs zurechtgemacht war sie am nächsten Morgen zu ihr gefahren, hatte sie um Verzeihung bitten wollen, dass sie sich so lange nicht bei ihr gemeldet hatte. Es war anders gekommen, banal und so billig, dass sie fast laut aufgelacht hätte. Ihr Ehemann und ihre beste Freundin trieben es auf der edlen Kücheninsel. Julia hatte die Beine fest um Rogers Hals geschlungen und beide waren so vertieft, dass sie die Zuschauerin am Fenster überhaupt nicht bemerkten.
Mit fest zusammengebissenen Zähnen war sie in einen abgelegenen Wingert gefahren, hatte dort das Auto abgestellt, und dann Wut und Enttäuschung so laut herausgeschrien, dass eine Schar Krähen erschrocken aufflog und krächzend das Weite suchte. Danach hatte sie sich zusammengerissen und einen Plan ausgedacht, den sie am Abend Roger präsentieren konnte.
Geduscht, zurechtgemacht und vollkommen nüchtern, hatte sie ihm erklärt, sie wolle noch einmal in diese Klinik nach Zweibrücken gehen und sich danach einen Job suchen. Sobald sie den gefunden habe, sei sie bereit, der Scheidung zuzustimmen. Er hatte sie verwundert angeschaut, die Schultern gezuckt und zugestimmt.
Während ihres Aufenthaltes wälzte sie in langen Nächten Pläne, brachte Julia auf hundert verschiedene Arten um, konfrontierte Roger mit dem, was sie gesehen hatte. Sie ließ ihrer Fantasie freien Lauf, während sie sich real auf die profanste Art rächte, die man sich denken kann, sie ging mit dem Pfleger Björn Henning ins Bett.
In ihren Therapiesitzungen wiederholte sie in einer Endlosschleife, dass ihr Mann sie mit der besten Freundin betrog, um dann irgendwann, zu ihrer Verwunderung feststellen zu müssen, dass ihre Wut auf Roger verschwunden war. Nach drei Wochen war sie überzeugt, dass Julia die alleinige Schuld traf. Männer waren leicht verführbar und sie selbst hatte ihn mit ihrer Trinkerei in die bereitwillig geöffneten Arme ihrer besten Freundin getrieben. Diese falsche Schlange wollte ihr den Mann wegnehmen, aber das würde sie nicht zulassen, egal, was sie dafür tun musste.
Als sie schließlich nach Hause zurückkehrte, war ihre Verzweiflung gänzlich kühler Planung gewichen. Die erste Zeit hatte Roger sie argwöhnisch beobachtet, war aber nach einer Weile zugänglicher geworden und irgendwann gelang es ihr, ihn zu verführen. Dabei war etwas von der früheren Nähe zwischen ihnen entstanden und sie noch einmal auf seinen Kinderwunsch zu sprechen gekommen. Ein einziger Satz nur, aber Rogers Reaktion war unerwartet heftig gewesen. Er hatte sich abrupt auf den Rücken gedreht, eine Weile geschwiegen und dann gesagt: „Melanie, hör auf mit diesem Thema, ein für alle Mal! Ich habe jahrelang alles dafür getan, dass du schwanger wirst. Du weißt doch, wie wichtig ein Erbe für uns alle gewesen wäre. Jetzt ist der Zug abgefahren, jetzt will ich nicht mehr. Du hast zehn Jahre lang tagtäglich getrunken, das hinterlässt Spuren, wer weiß also, was dabei herauskäme? Das Risiko ist mir viel zu groß. Wenn du weiterhin auf Alkohol verzichtest, kann es von mir aus so bleiben, wie es jetzt ist.“
Nach einem Blick in ihr Gesicht hatte er sich ihr zugewandt und ungeduldig gesagt: „Melanie, ich meine das bitter ernst.
Es ist schon schlimm genug für mich, dass ich nie Vater werden darf, keinen Erben für eine so renommierte Kanzlei wie die unsere habe, aber noch schlimmer wäre es … Mensch, Melli, jetzt tu doch bloß nicht so, als würdest du nicht verstehen, wovon ich rede. Du bist Alkoholikerin und solltest du es tatsächlich noch schaffen, ein Kind zu bekommen, wäre es vermutlich geistig behindert. Welch eine Ironie des Schicksals. Wir hätten zwar einen Erben und doch wieder nicht. Nein, schlag dir das aus dem Kopf und lass uns dieses Thema ein für alle Mal beenden.“
Sie hatte genickt und versucht, ihn erneut zu stimulieren, aber er hatte sie abgewehrt, sich umgedreht und war wortlos eingeschlafen. Gedemütigt, zurückgewiesen und wütend war sie aufgestanden, hinunter ins Wohnzimmer gegangen und hatte eine halbe Flasche Wodka geleert.
Als ihre Regel ausblieb, hatte sie das nicht weiter beunruhigt, aber als auch zwei Wochen über die Zeit hinaus nichts passierte, war sie schließlich ins entfernte Neustadt gefahren und hatte in drei verschiedenen Apotheken je einen Schwangerschaftstest gekauft. Verständnislos hatte sie auf der Toilette einer Autobahnraststätte gesessen und auf die positiven Ergebnisse gestarrt. Panisch hatte sie Andreas Brandt angerufen und um einen umgehenden Privattermin gebeten. Warum sie das getan hatte, warum sie nicht zu einem anderen Arzt gegangen war, verstand sie danach selbst nicht mehr.
Sie hätte mit seiner Reaktion rechnen müssen, aber musste er gleich den Teufel an die Wand malen, bevor er überhaupt etwas wusste? Warum hatte er nicht einfach die Klappe halten können? Warum hatten nicht all die vielen Ärzte, zu denen Roger sie geschleppt hatte, einfach die Klappe halten können? Was wussten die denn? Nichts wussten die und doch hatten sie in ihren weißen Kitteln hinter ihren Scheißschreibtischen gesessen und sie gedemütigt. Alle hatten so getan, als sei Kinderkriegen die naturgegebene Pflicht einer jeden Frau. Kein einziger von ihnen schien zu begreifen, dass die Fähigkeit, etwas zu können, nicht die Verpflichtung enthält, es auch zu tun. Keiner erwähnte, dass die Welt ohnehin schon überbevölkert war und sie daher nur vernünftig. Nein, sie taten, als sei es eine Tragödie und heuchelten Mitgefühl. Nur wegen dieser Verlogenheit hatte sie angefangen zu trinken, weil sie sich so unverstanden und verraten gefühlt hatte.
Und dabei hatte es all die vielen Jahre überhaupt nicht an ihr, sondern an Roger gelegen. An ihrem, ach so tollen Ehemann, der ihre beste Freundin fickte. Der mit ihr jetzt kein Kind mehr wollte, nachdem er ihr Leben mit diesem Wunsch zerstört, und sie in den Alkohol getrieben hatte. Der die Frechheit besaß, sie zurückzuweisen und zu beschimpfen, es war alles seine Schuld. Wenn dieses Kind jetzt nicht gesund war, auch das, allein seine Schuld. Hätte er sie nicht wie Dreck behandelt, wäre sie trocken geblieben. Nun konnte sie nur hoffen, dass es dem Baby nicht geschadet hatte und Brandts düstere Prophezeiungen Unsinn waren. In ihrer Angst und Verwirrung hatte sie zuerst Björn und später Torben angerufen. Sie hatte einfach mit Menschen reden müssen, denen sie vertraute. Jemand musste verhindern, dass ihr Mann mit wilden Spekulationen beunruhigt wurde. Andreas konnte ihr viel von Schweigepflicht erzählen, darauf würde sie sich nicht verlassen. Er blieb eine Bedrohung und ihre Aufgabe war es, sich und ihre kleine Familie zu schützen. Das hatte höchste Priorität, erst danach kam ihre Rache an Julia.
Sie erhob sich, ging ins Bad, duschte und wusch sich die Haare. Gerade als sie ihre Strümpfe anzog, kam ihr die Idee, wie sie alles, was notwendig war, miteinander verbinden konnte.