Читать книгу Maimorde - Angelika Godau - Страница 7
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„Ach komm, ich konnte es meiner Mutter einfach nicht abschlagen. Außerdem finde ich das immer noch leichter zu ertragen, als ein gemeinsames Abendessen nur mit Walter.“
Tabea war not amused, als ich sie bat, mich am Abend zu einer Gartenparty der Dürkheimer Honoratioren zu begleiten.
„Bitte, Deti, was soll ich da? Außer dir und deiner Familie kenne ich keinen, oder was noch schlimmer wäre, ich kenne einen, den ich schon mal verhaftet habe. Das könnte durchaus peinlich werden.“
„Unsinn, da sind nur hoch anständige Anwälte, Bankiers, Winzer, Ärzte und ein besonders hochanständiger Privatdetektiv“, versuchte ich sie zu überzeugen. „Wir müssen ja nicht lange bleiben, nehmen Alli mit, verschwinden nach zwei Stündchen und gehen dann händchenhaltend durch den Kurpark. Das kannst du mir doch nicht abschlagen.“
„Okay, ich komme mit, zwei Stunden, nicht länger. Du weißt, Smalltalk der Superreichen vertrage ich nicht besonders gut, davon kriege ich Plaque. Hoffentlich gibt es was Vernünftiges zu essen und kein Sushi, ich hasse das Zeug. Müssen wir Blumen mitbringen, oder was?“
„Das erledigt bestimmt meine Mutter, ich habe heute Mittag schon eine Kiste Sekt mitgenommen. Die dürfte jetzt allerdings weniger gut gekühlt als gut gerüttelt sein. Egal, ich glaube nicht, dass die Kreutzers auf unseren Sekt zurückgreifen müssen, damit ihre Gäste nicht verdursten. Du musst dich auch nicht ins kleine Schwarze werfen, Understatement ist angesagt.“
„Also gut, ich werde es überleben, bis nachher. Grüß Alli von mir“, flötete meine schöne Oberkommissarin ins Telefon und drückte mich weg. Tabea war eine Powerfrau, klug wie Einstein, witzig wie Loriot und schön wie … nein, dafür gab es überhaupt keinen Vergleich. Ich konnte sie stundenlang ansehen und bekam nie genug. Die kurzen schwarzen Locken, die strahlenden Augen, ihr schön geschwungener Mund, der so gern lachte, sie war einfach mega und ich nach wie vor davon überzeugt, mit ihr den absoluten Hauptgewinn gezogen zu haben. Sie konnte aber auch anders, davon hatte ich schon einige Kostproben bekommen. Wenn sie sich nicht ernst genommen oder übergangen fühlte, oder ich mich wieder einmal ungefragt in ihre Angelegenheiten eingemischt hatte, dann spuckte sie förmlich Feuer und schlug mit Worten gnadenlos zu. Ihr Sarkasmus war messerscharf und traf immer zielgenau dahin, wo es am meisten wehtat.
***
An die einhundert Personen verteilten sich bereits im großen Garten der Kreutzers, als Tabea und ich eintrafen. Alli hielt ich an sehr kurzer Leine, denn seine Nase zeigte bereits verdächtig in Richtung Buffet. Ein erster Blick überzeugte mich davon, dass es keine Wünsche übrigließ. Zum Glück gab es neben eisgekühltem Champagner auch frisch gezapftes Bier und eine angesagte Band sorgte zusätzlich für gute Stimmung. Auf einem der runden Bistrotische standen etwas verloren einige Geschenke, die meisten der Anwesenden waren offenbar dem Wunsch des Geburtstagskindes nachgekommen, für eine soziale Einrichtung zu spenden. Das enthob sie der Frage, was man jemandem schenken sollte, der bereits alles hat. Ich stellte trotzdem die mitgebrachte Kiste dort ab, auch wenn ich mich dabei ein bisschen wie der arme Verwandte fühlte.
Roger Kreutzer sah auch in Jeans und weißem Poloshirt ausgesprochen gut aus. Seiner Figur sah man den regelmäßigen Besuch im Fitnessstudio an und seiner gebräunten Haut den im Solarium. Diesem guten Aussehen und seinem Charme verdankte er einen großen Teil seiner überwiegend weiblichen Klienten. Er war kein Kind von Traurigkeit, widerstand aber offenbar seit Jahren allen Versuchungen, die der oftmals recht intime Kontakt zu seinen Mandantinnen mit sich brachte. Jedenfalls hatte ich nichts Gegenteiliges herausfinden können, obwohl das mein Job gewesen wäre. Seine Frau Melanie hatte mich nämlich vor einiger Zeit engagiert, weil sie den Verdacht hatte, er träfe sich mit anderen Frauen. Nicht beruflich, sondern sehr privat. Drei Wochen hatte ich ihn observiert, ohne den kleinsten Hinweis zu finden. Er ging golfen, anschließend in die Sauna, trank mit diversen Leuten ein Bier oder auch nur Wasser und das war´s. Der Mann war treu, ob aus Überzeugung, oder um seinen guten Ruf nicht zu gefährden, wusste ich natürlich nicht.
Im Augenblick stand er, zusammen mit seiner misstrauischen Gattin, bei meiner Mutter und Walter, ihrem Lebensabschnittsgefährten, der Tabea tatsächlich mit Handkuss begrüßt hatte. Mir hatte er dagegen nur knapp zugenickt und Alli mit einem schiefen Blick bedacht.
Melanie warf mir einen flehenden Blick zu, den ich mit beruhigendem Lächeln beantwortete.
„Guten Tag, ich freue mich, Sie kennenzulernen“, grüßte ich höflich und fügte einen Dank für die Einladung hinzu, bevor ich dem Geburtstagskind die Hand schüttelte und gratulierte.
Nach kurzem Smalltalk entschuldigten sich die Gastgeber, Walter schnappte sich Tabea und zog sie zu einem der Champagnerstände, so dass ich plötzlich allein mit meiner Mutter in der Gegend herumstand.
„Junge“, sagte sie gerade, laut genug, um es auch noch Gäste in drei Meter Entfernung hören zu lassen, „Junge, nun steh doch nicht nur so da, unterhalte dich ein bisschen, aber pass auf, dass der Hund nicht zu viel frisst, der ist jetzt schon zu dick.“
„Könntest du nicht noch ein bisschen lauter reden?“, gab ich leicht angefressen zurück, aber meine Mutter ließ sich dadurch nicht von ihrem Plan, dem Jungen Kontakte zu verschaffen, abbringen.
„Warum?“ gab sie mit der gleichen Lautstärke zurück, „hörst du neuerdings schlecht?“
Ich gab´s auf, ließ sie stehen und schlenderte durch die Menge Richtung Bier. Ich hatte ja vieles an mir geändert, nicht aber meine Abneigung gegen Wein und Sekt. Winzersohn hin, Winzersohn her, ich trinke lieber Bier und davon würde ich auch in diesem illustren Kreis nicht abweichen.
Vor mir ließ sich gerade ein älterer Mann in hipper Jeans und Sneaker eines zapfen, der mir vage bekannt vorkam. Er nickte mir zu und verschwand. Ich kam nicht drauf, woher ich ihn kannte. Ich sah ihm nach, wie er auf eine aufreizend attraktive Brünette zusteuerte, deren Lächeln ebenso falsch war, wie ihr Busen, der fast das enge T-Shirt zu sprengen drohte. Ich wusste das aus nächster Nähe, schließlich hatte ich mit ihr mal eine sehr lange Nacht verbracht. War eine Weile her, aber auch damals war Julia Brandt bereits verheiratet gewesen.
„Du siehst aus wie die Katze, die die Sahne gestohlen hat.“
Tabea hatte sich offensichtlich von Walter loseisen können und sich an mich erinnert.
„Wem gilt dein genüssliches Grinsen? Dem Busenwunder da drüben? Die ist doch mindestens zehn Jahre älter als sie gern aussehen würde und damit viel zu alt für dich.“
„Frau Oberkommissarin, Sie sind doch nicht etwa eifersüchtig?“, entfuhr es mir, und die Strafe folgte auf dem Fuße. Tabeas spitzer Ellbogen traf ein weiteres Mal meinen Solar Plexus und ich schnappte nach Luft.
„Polizei“, flüsterte ich mit versagender Stimme, „zur Hilfe, mir wird Gewalt angetan.“
Tabea kicherte vergnügt und ließ ihre scharfen Augen von Julia Brandt.
„Wann wird denn endlich dieses Buffet eröffnet“, begehrte sie zu wissen, „ich bin am Verhungern.“
„Sicher bald. Guck, die Gastgeber streben bereits dem Podest zu. Falls die nicht vorhaben, eine endlose Rede zu halten.“
Roger und Melanie Brandt erklommen die provisorische Bühne und der Schlagzeuger ließ einen Trommelwirbel hören.
Roger ergriff das Wort, versprach, uns nicht lange zu langweilen, bedankte sich für Erscheinen und Geschenke und verkündete dann, dass das Büfett nun eröffnet sei. Noch bevor höflicher Beifall aufkommen konnte, hob Melanie beide Arme, nahm ihrem Mann das Mikro ab und bat noch um einen Augenblick Geduld. Sie lächelte etwas gezwungen, holte tief Luft, bevor sie begann.
„Natürlich habe ich dir bereits heute Morgen gratuliert, aber mein Geschenk für dich habe ich mir für jetzt aufgehoben. Es ist nämlich ein sehr besonderes Geschenk, und ich bin glücklich, dass du es mit allen unseren Freunden teilen kannst.“
Sie breitete theatralisch die Arme aus, drehte sich mit strahlendem Lächeln ihrem Mann zu und sagte: „Mein Geschenk für dich ist ein Baby, du wirst Vater.“
Kreutzer war blass geworden, das konnte ich selbst unter seiner Bräune erkennen. Seine Mutter, die in der Nähe stand, riss den Mund auf, als wollte sie schreien und griff sich mit beiden Händen ans Herz. Die Gäste wechselten verunsicherte Blicke, bevor einer zu klatschen begann und alle anderen mit einstimmten.
„Hm, Begeisterung sieht anders aus“, flüsterte mir Tabea ins Ohr, und auch in unserer Nähe raunten die Gäste miteinander.
„Keine Ahnung, mir hat noch niemand in aller Öffentlichkeit eine derartige Ankündigung gemacht“, antwortete ich und dachte einen Moment darüber nach, ob mir das gefallen hätte.
Das Paar auf der Bühne hielt sich mittlerweile an den Händen und er griff wieder nach dem Mikro.
„Ja, liebe Freunde, ihr habt es gehört, was für ein Geschenk mir Melanie gemacht hat. Ich werde Vater, ich kann es wirklich noch nicht fassen, verzeiht mir also meine Sprachlosigkeit. So, jetzt genießt den Abend und freut euch mit uns.“
Sofort setzten die Gespräche wieder ein und die ersten Gäste bewegten sich auf das Büfett zu, hinter dem zwei Männer und eine Frau mit hohen Kochmützen darauf warteten, die hingehaltenen Teller zu füllen.
„Endlos lange“, „Alkohol, im Golfclub“, „Guck sie dir doch“, „Wie kann sie nur, seine Mutter und er auch“ waren Gesprächsfetzen, die ich auffing, während ich Tabea langsam durch die Menge schob.
***
„Bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen, Melanie? Was hast du dir bloß bei diesem Auftritt gedacht? Ich meine, ja natürlich, es ist eine riesige Überraschung und ich freu mich auch, aber ich hätte das lieber ohne hundert Zuschauer erfahren.“
Roger stand mit seiner Frau in der Küche und schaute aus dem Fenster in den Garten.
„Ich wollte dich eben überraschen, habe gedacht, du freust dich darüber. Ich meine, du hast heute Geburtstag und die Leute werden es sowieso früher oder später erfahren.“
„Sicher, aber ich war darauf so gar nicht vorbereitet, wir waren uns doch einig, dass es besser wäre … außerdem habe ich mich total überrumpelt gefühlt. Bist du dir wirklich ganz sicher, warst du schon bei Andreas?“
„Nein, war ich noch nicht, aber ich habe drei Tests gemacht und heute mit Andreas telefoniert. Er hat gesagt, diese Tests seien sehr sicher und es gäbe keinen Grund anzunehmen, dass das Kind geschädigt sein könnte. Du kannst ihn gern fragen, er wird sicher bald kommen.
„Was hat er denn überhaupt dazu gesagt, dass du schwanger bist? Ich meine, er muss doch ziemlich überrascht gewesen sein, oder?“
„Ja, schon, aber er hat sich für uns gefreut, hat mir gratuliert und versichert, dass bestimmt alles in bester Ordnung ist. Weißt du, jetzt kann ich es ja zugeben, ich hatte schon ein bisschen Angst, ich meine …“
„Das verstehe ich gut, ich habe im ersten Augenblick auch einen regelrechten Schock gehabt, als du es gesagt hast. Ich weiß ja, du bist jetzt trocken, aber all die Jahre …“
„Ja, ich weiß. Das alles habe ich auch gesagt, aber er hat mich beruhigt und gemeint, wir würden ganz sicher ein gesundes, hübsches Kind bekommen. Ich werde natürlich gleich morgen zu Andreas gehen, danach brav zu allen Vorsorgeuntersuchungen, zur Schwangerschaftsgymnastik, mich gesund ernähren, viel ruhen und alles tun, damit es unserem Kleinen bei mir gefällt.“
„Unserem Kleinen? Und wenn es ein Mädchen wird?“
„Nein, wird es nicht. Ich bin ganz sicher, es wird ein Junge. Andreas hat auch gesagt, Frauen haben ein Gespür dafür.“
„Na gut, ich würde mich auch über ein Mädchen freuen, solange es gesund ist, aber Papa wäre natürlich nur mit einem Jungen zufrieden, du weißt ja wie er ist.“
Roger Kreutzer lachte etwas gezwungen, als er daran dachte, wie sein Vater auf Melanies öffentliche Ankündigung reagiert hatte. Kaum vom Podest gestiegen, hatte er ihn am Arm ins Haus gezogen, ohne einen Blick an Melanie zu verschwenden, ohne ihr zu gratulieren.
„Hat deine Frau ihren Verstand jetzt endgültig versoffen? So etwas posaunt man doch nicht in aller Öffentlichkeit heraus. Na egal, ich hätte wirklich nicht gedacht, dass die noch mal schwanger wird. Ich hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dass wir noch einen Erben für die Kanzlei bekommen, aber, lieber spät als nie. Hoffen wir, dass ihre Sauferei in den letzten Jahren nicht dazu führt, dass sie das Kind verliert oder noch schlimmer, am Ende ein behindertes zur Welt bringt. Sie ist ja obendrein nicht mehr die Jüngste. Deine Mutter war gerade einundzwanzig, als du geboren wurdest, also fast zwanzig Jahre jünger. Na, wir können nur abwarten und das Beste hoffen. Pass bloß auf sie auf, dass sie nicht wieder mit der Sauferei anfängt, aber wir trinken jetzt einen Cognac auf meinen zukünftigen Enkel.“
***
„Es wird ein Junge, versprochen“, lachte Melanie und lehnte sich an ihren Mann. „Eines musst du mir aber versprechen, wenn das Kind auf der Welt ist, bauen wir uns ein eigenes Haus. Ich will dann nicht länger mit deiner Mutter unter einem Dach leben. Sie würde sich in alles einmischen und am Ende so tun, als wäre es ihr Kind und nicht meins. Bitte, versprich mir das.“
„Ja, natürlich, das machen wir, versprochen.“
Roger Kreutzer hatte mit Überzeugung gesprochen, aber er wusste, dass es sehr schwierig werden würde, sein Versprechen zu halten. Seine Eltern würden alles daran setzen, dieses Vorhaben zu verhindern.
Er straffte die Schultern, lächelte seine Frau an und zog dann sein Smartphone aus der Tasche.
„Ich versuche mal, ob ich Andreas erreiche und frage, wo er bleibt. Ich würde mich gern mit ihm unterhalten, damit ich beruhigter bin. Geh du bitte zurück zu unseren Gästen und lass dich feiern. Die werden sich ohnehin schon fragen, wo wir geblieben sind.“
Melanie nickte, blieb aber bewegungslos stehen und sah ihrem Mann nach, der mit dem Telefon am Ohr den Raum verließ. Nach ihrem Besuch bei Julia war die alte Wut auf ihn erneut aufgeflammt. Er hatte also die Nase voll von ihr, wollte sie lieber heute als morgen verlassen.
„Nein, mein Lieber, du verlässt mich nicht“, flüsterte sie, „ich bekomme den Kreutzererben. Mein Trojanisches Pferd wird dich an mich binden, so lange ich das für richtig halte.“
***
„Sag mal, hat das Busenwunder, das immer wieder so auffällig unauffällig zu dir rüber guckt, eigentlich keinen Mann? Sieht jedenfalls so aus, als sei es ganz allein zur Party gekommen.“
„Keine Ahnung, ich kenne die Dame nicht näher. Komm, hör auf zu lästern und lass uns etwas zu essen holen, bevor alles weg ist.“
Die Befürchtung hatte ich nicht wirklich, denn die Kreutzers hatten auffahren lassen, als gelte es, einer Hungersnot die Stirn zu bieten. Tabea kaute auf ihrer Unterlippe; ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie ein Veto einlegen wollte. Ich kam ihr zuvor, packte ihren Arm und zog sie in die von mir angestrebte Richtung. Das Glück war nicht auf meiner Seite, denn Walter tauchte auf, meine Mutter im Schlepptau.
„Ach, Frau Oberkommissarin, darf ich Sie schnell mal etwas fragen?“, blökte er, und ohne auf eine Antwort zu warten, packte er schon wieder ihren Arm und zog sie mit sich fort.
Ich durchbohrte seinen Rücken mit Blicken, die allesamt an ihm abprallten, gab meiner Mutter verzweifelte Zeichen, ihn aufzuhalten, aber die lächelte ihm nur verklärt nach. Jetzt reichte es mir. Erst schleppte man mich auf eine Party, auf die ich nicht wollte, konfrontierte mich mit allem möglichen, was ich auch nicht wollte und jetzt sollte ich auch noch verhungern. Schluss mit lustig, so ging es nicht weiter.
„Tschüss, sagte ich laut, „man sieht sich ja sicher mal wieder“, drehte mich um und ging zielstrebig auf das Buffet zu. Alli folgte mir ungewohnt begeistert. Niemand hielt mich auf, niemand folgte mir. In meinem Rücken hörte ich allerdings die Stimme meiner Mutter sagen: „Aber Junge, was hast du denn schon wieder?“
„Hunger“, dachte ich und ging wortlos weiter. Mit gut gefülltem Teller suchte ich mir ein freies Plätzchen, organisierte mir noch ein Bier und versuchte vergeblich, mich sauwohl zu fühlen. Ich hasste es, Beef mit Tabea zu haben, war aber auch nicht begeistert, für einen Typen über 70 einfach stehengelassen zu werden. Zum Trotz verfütterte ich gleich zwei Scheiben Saumagen an meinen angeblich zu dicken Hund. Zehn Minuten später kam Tabea, zusammen mit meiner Mutter und Walter.
„Junge, zieh die Stirn nicht so kraus, davon kriegst du Falten.“
Meine Mutter war in ihrem Element und fuhr missbilligend fort: „Das hat er als Kind schon immer gemacht, wenn er mit etwas nicht einverstanden war. Er brauchte gar nichts zu sagen, man sah es ihm schon von weitem an.“
Tabea lächelte still vor sich hin, nicht bereit, mich vor dieser Peinlichkeit zu bewahren, aber es kam noch dicker.
„Junger Mann“, begann nämlich der Weißkopfadler, „Sie haben wirklich eine sehr kluge Freundin, es ist eine Freude, sich mit ihr zu unterhalten. Ich meine, Sie sind doch Detektiv, also können Sie bestimmt eine Menge von ihr lernen. Sie müssen ihr einfach mehr zuhören. Sie erzählt so ungeheuer spannende Geschichten und Sie essen in aller Seelenruhe …“
„Mit der Seelenruhe scheint es ja jetzt vorbei zu sein“, maulte ich und wandte mich an Tabea.
„Hast du auch noch etwas an mir auszusetzen? Dann spuck´s nur aus! Aber bitte beeil dich, ich würde dann nämlich gern von hier verschwinden.“
Ich wusste genau, dass ich übertrieb, aber ich konnte nicht aufhören. Ich war angepisst und das sollte sie ruhig wissen.
„Wenn ich es mir genau überlege, im Augenblick sogar eine ganze Menge, aber ich habe keine Lust auf eine Auseinandersetzung.“
War das zu fassen? Meine Freundin dachte gar nicht daran, zu mir zu halten, die stellte sich auf die Seite von diesem alten Besserwisser und ließ mich wie den letzten Trottel auflaufen. Bevor ich mich weiter zum Affen machen konnte, kreuzte mein Blick den von Julia Brandt, die mit unserem Gastgeber an einem der hohen Tische stand.
„Gut, dann werde ich euch mal von meiner Anwesenheit befreien, damit ihr ungestört eure interessanten Gespräche fortsetzen könnt“, sagte ich, drehte mich um, zog den widerstrebenden Dackel hinter mir her, verließ die Runde und steuerte auf Julia zu. Hätte ich das nur gelassen, mir wäre viel Ärger erspart geblieben.
***
Die Diskussion mit seinem Vater war harmlos gewesen, gegen das, was seine Mutter vorbrachte. Natürlich war es Carolin Kreutzer gelungen, ihren Sohn zur Rede zu stellen. Der hielt den Kopf gesenkt, weil er wusste, dass es völlig sinnlos war, ihr zu widersprechen. Sie würde erst aufhören, wenn sie alles gesagt hatte, was sie an Einwänden vorbringen konnte.
„Du musst völlig verrückt sein, wenn du das glaubst, Roger, ich bitte dich! Du weißt doch ebenso gut wie ich, Melanie ist eine Säuferin und wird immer eine bleiben. Die hört damit nicht auf, nur weil sie jetzt angeblich schwanger ist. Was ich ihr außerdem nicht abnehme, die lügt doch. Nach über zehn Jahren und all den vergeblichen Versuchen, nein, ich bin sicher, sie macht dir was vor. Du hast ihr gesagt, dass du dich scheiden lässt, oder? Und prompt kommt sie mit einer derartigen Nachricht. Wo ist Doktor Brandt? Ich habe nur seine Frau gesehen! Ist er noch nicht hier? Du musst auf alle Fälle mit ihm reden, verstehst du? Du musst dafür sorgen, dass sie sich umgehend von ihm untersuchen lässt. Hast du das verstanden? Selbst wenn sie tatsächlich schwanger sein sollte, wird das Kind wahrscheinlich schwer behindert sein. Roger, sei vernünftig, ich bitte dich. Ein behindertes Kind von einer Alkoholikerin ist wirklich das Letzte, was wir gebrauchen können.“
„Mutter, ich kann mir nicht vorstellen, dass Melanie eine Schwangerschaft erfindet. Sie muss sich doch im Klaren darüber sein, dass das schnell auffliegen würde. Nein, ich bin sicher, sie erwartet ein Kind. Aber, du hast Recht, ich mache mir auch große Sorgen darüber, ob es gesund sein kann. Sie hat mir zwar versichert, Andreas habe sie total beruhigt, aber ich will selbst mit ihm reden. Wenn er nicht noch kommt, fahre ich später zu ihm. Versprochen. Jetzt beruhige dich erst einmal, und vor allen Dingen, lass Melanie in Ruhe. Sie kann jetzt keine Aufregung gebrauchen.“
„Schon gut, ich werde mich zurückhalten, versprochen. Aber informiere mich bitte umgehend, was Andreas gesagt hat.“
„Ja, mache ich Mutter, und jetzt gehen wir zurück zu unseren Gästen, die können wir nicht ewig sich selbst überlassen.“
***
Auf dem Weg in den Garten, zog er erneut sein Smartphone aus der Tasche und rief Brandt an. Wieder meldete sich die Mailbox mit der Nachricht, dass der Teilnehmer augenblicklich nicht zu sprechen sei. Ein Blick über seine Gäste zeigte ihm, dass er auch nicht unter den Feiernden war. Er suchte nach Julia, die allein an einem der Tische stand. Er ging auf sie zu, nickte lächelnd nach rechts und links und blieb dann bei ihr stehen.
„Wo ist Andreas? Der arbeitet doch nicht etwa so spät noch?“
„Na wo könnte der wohl sein? Vermutlich braucht er mal wieder länger, bei seiner neuesten Eroberung einen hochzukriegen. Ich rufe ihn mal an und frage, wo er bleibt.“
„Kannst du dir sparen, habe ich schon versucht, ist nur die Mailbox dran. Wenn er nicht kommt, komme ich später noch kurz zu euch, ich muss mit ihm reden.“
„Ja, das dachte ich mir schon. Du bist sicherlich genauso begeistert von Melanies Überraschung wie ich, oder?“
Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, war alles andere als freundlich.
„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, und darum will ich mit Andreas reden. Mach mir jetzt hier bitte keine Szene, ich habe davon schon einige hinter mir. Wie du dir vorstellen kannst, sind meine Eltern geradezu geschockt. Und vor allen Dingen, meine Mutter hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn ihr etwas nicht gepasst hat.“
„Ich mache dir keine Szene, auch wenn ich wirklich nicht verstehen, wie Melanie schwanger werden konnte, obwohl du doch angeblich nicht mehr mit ihr …“
„Julia bitte!“ Roger beherrschte sich mühsam.
„Ich bin immer noch mit ihr verheiratet, da kommt es schon mal vor, dass …“
„… Man seine Geliebte mit der Ehefrau betrügt. Schon klar!“ Julia klang eher amüsiert, als verärgert oder gar verletzt.
„Ich habe dich nicht belogen, nur manches eben nicht erzählt, weil es überhaupt nicht wichtig war.“
„Ich verstehe, aber jetzt wird es dafür umso wichtiger werden. Du wirst Papa, mein lieber Freund, bessere Fesseln konnte sich deine Frau kaum ausdenken. Sie war übrigens heute Nachmittag bei mir und wenn du glaubst, sie …“
„Hallo, ihr Beiden, was habt ihr so Spannendes miteinander zu reden? Ich hoffe, ich störe euch nicht?“
Melanie unterbrach das Gespräch so laut, dass es an allen Nebentischen zu hören war.