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6. Die Nachsaison
ОглавлениеDer Juli war vorbei und damit auch die Hochsaison, die ersten Gäste fuhren ab. Hauptsächlich die Familien mit Kindern, denn in Berlin begann am 1. August die Schule. Mir war es gerade recht, denn so bekam ich immer weniger Kunden, denen ich das Frühstück bringen musste. Jetzt hatte ich nicht mehr so viel Arbeit, ich atmete wirklich auf.
Als erster wurde der Konditor entlassen, Herr Piltz übernahm wieder die Konditorei. Jetzt stand der Meister wieder öfter vor dem Ofen, aber Herr Piltz sprang ein, sobald es ihm möglich war. Es wurde auf allen Gebieten weniger gearbeitet. Noch war ja Gerhard da und mit Arno wurde die Arbeit geschafft. Ich kam eher von meinen Touren zurück und war wieder länger in der Backstube. An den Nachmittagen hatten wir bereits um zwei Uhr Feierabend und morgens fingen wir eine halbe Stunde später an. Nun konnte ich wieder die langen Spaziergänge unternehmen. Mitte August gab es immer noch schöne Tage, so dass ich öfter baden konnte. Am 15. August wurde auch Gerhard entlassen. Ihm tat es leid und mir auch. Jetzt war ich wieder mit Arno allein in der Backstube.
Nun dachte ich an die versprochene Bootsfahrt und fragte Kurt Schönberg, er war sofort damit einverstanden. Wir verabredeten uns alle vier. Das große Boot wurde fertig gemacht und sogar ein Segel sollte gesetzt werden. Es wehte eine leichte Brise. Arno und Kurt hatten ihre Mandolinen mitgenommen und machten es sich im Innern des Bootes bequem. Hans bediente das Segel und Arno nebenbei das Steuer.
„Komm, mein Schatz, wir wolln ja nur ein bisschen segeln, denn der Wind weht grad so wunderschön!“ Das war ihr Lieblingslied und das stimmten sie auch jetzt an. Zunächst verlief alles wunderbar und ich war begeistert. Je weiter wir jedoch kamen, desto höher wurden die Wellen. Unser Boot schaukelte auf den Wellen und legte sich beängstigend auf die Seite. Wir rückten auf den gegenüberliegenden Bootsrand, um es herunter zu drücken. Nun sahen wir kein Land mehr, die Wellen wurden immer größer. Der sanfte Wind, der sich zum Sturm entwickelt hatte, blies tüchtig in unser Segel und das Boot legte sich noch mehr auf die Seite. Wir setzten uns nun alle vier auf die obere Kante. Vergebens! Ein Wellenberg nahm unser Boot mit nach oben und im nächsten Augenblick sausten wir in die Tiefe. Sofort hob uns die nächste Welle wieder empor. Eine wogende Wasserwüste rings um uns. Kein Land war zu sehen und es gab auch keine Orientierung. Arno und Kurt hatten längst aufgehört zu spielen. Krampfhaft hielt Arno das Steuer, während Hans und Kurt das Segel bedienten. Zieht doch das Segel ein, schrie ich ihnen zu, dann gleitet das Boot doch ruhiger. Kurt sah mich an und fragte: Jetzt hast du doch wohl Angst oder tust du nur so? Ich sah ihn ebenfalls an und sagte: Nicht so schlimm! Keine Angst, wir sinken nicht, rief Kurt zurück. Ich verlass mich auf euch, rief ich zurück. Endlich zogen sie das Segel ein, ich war erleichtert.
In welche Richtung müssen wir überhaupt? fragte Arno, der das Steuer krampfhaft umklammert hielt. Moment, rief Kurt und holte den Kompass aus der Tasche. Wir fahren ja nach Norden, schwenk mal herum mit dem Boot! In diese Richtung! Er zeigte Arno die Richtung an, in die das Boot fahren musste. Nun warf Hans den Motor an. Wir saßen alle vier auf den Bänken und hielten uns fest. Die Fahrt verlief jetzt ruhiger, wir fuhren dem Strand zu. Wie fühlst du dich jetzt? fragte Hans und lachte mich an. Danke Hans, es geht. Schon seekrank, Otto? fragte nun auch Kurt. Nein, Freunde, rief ich zurück, von der Seekrankheit noch weit entfernt.
Bald sahen wir einen kleinen Streifen Land, das tauchte aber nur zeitweilig auf und war im nächsten Augenblick wieder verschwunden. Hier waren immer noch drei Meter hohe Wellen. Unser Boot schwebte wie eine Nussschale auf den wogenden Wellen. Einige Brecher stürzten und ihr weißer Schaum leuchtete. Jetzt hatte ich Zeit zur Überlegung, denn man hörte nichts, als das eintönige Geräusch des Motors. Wenn ich allein gewesen wäre, dachte ich, hätte ich mich nicht in solche Gefahr begeben. Haushohe Wellen und keine Orientierung, bei so einem Sturm auch noch das Segel gesetzt. Leichtsinnig! Wir hätten doch umkippen können.
Jetzt geht’s der Heimat zu, rief Hans in den Sturm, ich sehe schon ganz deutlich das Land. Ich fühle mich auch schon ganz beruhigt, antwortete ich. Euer Boot ist wirklich seetüchtig, sagte ich anerkennend. Arno war ganz vergnügt, sicherlich hatte er schon öfter solche Sturmfahrt mitgemacht. Jetzt hatten wir den Wind im Rücken und waren beruhigt. Ich hatte jedenfalls genug von dieser Fahrt, denn ich hatte mir eine ruhige und gemütliche Fahrt vorgestellt. An so einer Sturmfahrt war mir nichts gelegen. Kurt und Arno holten ihre Mandolinen wieder hervor und setzten sich ganz tief nach unten. Nun spielten sie ihr zweitliebstes Lied, nämlich: „Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren“. Es wirkte ungeheuer beruhigend auf mich. Jetzt wusste ich, es kann nichts mehr passieren. Hans bediente das Ruder und den Motor. Langsam und gleichmäßig setzte das Boot seine Reise fort. Die Wellen wurden immer kleiner, wir sahen nun recht deutlich den Strand mit seinen Strandkörben und den vielen fröhlichen Menschen. Fahnen und Fähnchen flatterten im Wind. Kurze Zeit später legten wir an.
Theodor Schönberg kam langsam auf uns zu, sein Fernglas hing an einem Lederriemen um seinen Hals. Wir stiegen aus dem Boot, da sprach er auch schon mit seinen Söhnen. Wart wohl ziemlich weit draußen? fragte er ohne viel Umschweife. Konnte euch mit dem Glas nicht mehr sehen. Warum habt ihr das Segel eingezogen? Ist was passiert? Nein! sagte Hans. Es ist nichts passiert, aber es hätte leicht etwas passieren können. Woran lag denn das? wollte er wissen. Am Sturm, sagte Hans, da draußen ist ganz schöner Sturm. Kurt und Arno beruhigten den Vater Schönberg, so gut sie konnten. Für mich war diese Bootsfahrt ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde.
Nun war Mitte August, viele Gäste waren abgefahren, der Strand wurde allmählich leer und mit Wehmut im Herzen schaute ich jetzt von der Düne auf den Strand. Silbern glänzte die See im Schein der untergehenden Sonne. Nur noch vereinzelte Urlauber machten einen Spaziergang am Strand entlang, noch weniger lagen in den windgeschützten Burgen oder in den letzten noch verbliebenen Strandkörben.
Herr Piltz war der einzige Geselle, der uns noch geblieben war. Wie lange noch? konnte man fragen. Er war als erster gekommen und er ging auch als letzter. Mir war es ganz recht so, denn ich stand in einem guten Verhältnis zu ihm. Von ihm konnte ich etwas lernen, er beantwortete mir alle Fragen in Bezug auf die Konditorei. Arno wurde mit dem Ofen immer vertrauter und schob sehr oft Brot und Brötchen. Der Ehrgeiz schien ihn gepackt zu haben. Die Mittagsbrötchen machten wir zusammen, die schob er selbst. Ich fragte ihn, ob ich nicht auch einmal einige Schläge hineinschieben dürfe. Arno lachte nur und sagte: Das hat doch noch Zeit, du willst doch deinen Beruf nicht schon in einem halben Jahr lernen. Ich musste klein beigeben, denn Arno hatte natürlich recht. Ich hatte nun einmal solchen Tatendrang. Wenn man in Fahrt ist, soll man nicht abspringen, sonst kommt man nie ins Ziel.
Nach der Arbeit in der Bäckerei hielt ich mich oft in der Konditorkammer auf. Ich half Herrn Piltz und konnte ihm dabei viele Fragen stellen, die er immer zu meiner Zufriedenheit beantwortete. Er gab mir auch Hinweise und Erklärungen, die für mich von Nutzen waren. Der Meister kümmerte sich fast gar nicht um mich, von ihm hatte ich noch keine Anregung oder Belehrung erhalten. Für ihn war ich eine billige Arbeitskraft, so kam es mir jedenfalls vor. Arno amüsierte sich über mich und meine Unkenntnis. Er war mir ja um drei Jahre voraus, er war Geselle und ich Lehrling. Alles, was ich lernen wollte, das wusste er schon. So wandte ich mich an Herrn Piltz., der war 30 Jahre alt und aus den Kinderschuhen heraus, was man von Arno nicht sagen konnte. Ich hatte mir schon so manches Rezept von ihm aufgeschrieben und so manche andere Anregung.
Heute war wieder einmal Sonntag und ich wollte nach Hause fahren zu meinen Eltern und Geschwistern. Ich war lange nicht mehr dort gewesen und hatte in der Zwischenzeit viel gelernt und viel erlebt, da gab es viel zu erzählen. Vor allem wollte ich ihnen meine Backkünste vorführen. Ich wollte Amerikaner backen. Sie sollten sehen, dass ich schon etwas gelernt hatte.
Willi beauftragte ich, den Backofen in der Küche zu heizen. Luise und Elfi suchten alle verfügbaren Bleche heraus und richteten sie her. Ich wog die Zutaten ab und begann in einer Schüssel zu rühren. Zuletzt mischte ich das Hirschhornsalz unter das Mehl und vermengte es mit der Milch und den Zutaten. Noch einmal wurde die Festigkeit geprüft und dann ging es los. Ich setzte sie mit einem Esslöffel auf, genau wie ich das in der Bäckerei gelernt hatte. Mit einem zufriedenen Lächeln sahen nicht nur Luise und Elfie zu, sondern auch Vater und Mutter, ja sogar Willi und Helmut. Ich ließ mich indessen nicht nervös machen, sondern ich arbeitete so, wie ich es gelernt hatte. Als der Ofen ausgebrannt war, wurde die letzte Glut entfernt und der Herd wurde geschleudert. Das machte ein wenig Dreck und Gestank, aber es ging nicht anders. Nun schob ich die Bleche hinein, eins nach dem andern. Im Ofen war es dunkel und so ließ ich mir mit der Taschenlampe leuchten. Zwischendurch rührte ich die Glasur zusammen, denn die durfte doch nicht fehlen, sie sollte genau so sein, wie die im Laden. Ich war schon ein bisschen aufgeregt, denn es war die erste Probe meines Könnens. Es war ein großes Wagnis! Erstens dieser Ofen, er war zwar neu, aber man musste sich fast auf die Erde legen, wenn man hinein
schauen wollte. Dann die ungewohnte Arbeitsweise. Ich ließ mich jedoch nicht beirren und tat mein Bestes. So nahm ich sie rechtzeitig heraus, bevor sie zu braun wurden. Ich drehte sie um, damit sie abkühlen. Nun bestrich ich die unterste Seite mit der Glasur, dazu benutzte ich natürlich ein Messer. Wirklich, sie sahen genau so aus, wie die in der Bäckerei meines Lehrmeisters. Ich war sehr zufrieden und die anderen freuten sich auch. Nun wollten wir einen kosten, aber der strenge Geruch von Hirschhornsalz stieg uns in die Nase. Wir ließen sie daraufhin abkühlen und Luise kochte zuerst den Kaffee. Nun war auch der strenge Geruch weg. Als wir dann Kaffee tranken und die Amerikaner dazu aßen, wollte jeder sein Urteil abgeben. Natürlich schmeckten sie ganz vorzüglich, das sagte auch Vater und wenn er das sagt, dann stimmt das auch.
Ich erzählte von der vielen Arbeit, die wir in den Sommermonaten hatten und das ich gar nicht dazu kam, etwas zu lernen. Vater hörte gespannt zu und machte manchmal ein erstauntes Gesicht. Wie stehst du denn jetzt zu der Lehrstelle, fragte er, ist es dir auch nicht zu viel? Ich lächelte nur und sagte: Die viele Arbeit gibt es ja nur in der Hauptsaison. In der Vor- und Nachsaison ist ja nur halb so viel Arbeit und im Winter ist es dann ganz ruhig. Dann bin ich ja zufrieden, sagte er und man sah es ihm an. Es war jedenfalls dein eigener Wille, fügte er noch hinzu. Wir alle kannten den Beruf vorher nicht und mussten uns überraschen lassen. Nun bin ich einmal dabei und nun bleibe ich auch. Es kann ja nur noch leichter werden. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, sagte Vater. Diese Zeit geht schneller vorbei, als du denkst. Ich gab ihm recht, obwohl ich diesen Satz schon öfter gehört hatte. Wenn du erst Geselle bist, brauchst du nicht all die viele Nebenarbeit zu machen, dann kannst du auch schon ein Wörtchen mitreden. Es stimmte ja, was er sagte.
Ich erzählte nun aber auch von der vielen Freizeit, die ich in der Vor- und Nachsaison hatte, von den langen Spaziergängen am Strand oder im Dorf und natürlich auch von der Bootsfahrt mit Arno und den Zwillingen Hans und Kurt. Nun waren alle beruhigt und nickten mir begeistert zu. Die schmecken wirklich gut, sagte Luise noch einmal und bekam Zustimmung von allen Seiten. Gelernt ist gelernt, sagte ich und tat dabei ganz gleichgültig. Ich hab noch eine Menge auf Lager, das werde ich bei einer anderen Gelegenheit vorführen. Luise schrieb sich das Rezept auf, sie wollte es bei nächster Gelegenheit selbst ausprobieren. Noch vor dem Abendbrot machte ich mich auf den Weg, denn ich musste ja zum Sauer machen da sein. Ich hatte mich bei Arno nicht abgemeldet.
Jetzt begann der Tag immerhin erst um halb fünf. Ich war um diese Zeit zwar noch ganz schön müde, aber ich ließ mir nichts anmerken. Vor allem musste man immer in Bewegung sein, dann konnte keine Müdigkeit aufkommen. Wenn wirklich einmal nichts zu tun war, ging ich für einen kleinen Sprung auf den Hof oder auf die Düne und tat ein paar kräftige Züge. Als dann die Zeit herankam, wo ich mich aufs Fahrrad schwingen konnte, da war es vorbei mit der Müdigkeit. Und ich war wieder froh und ganz hellwach. Es war mir schon zur lieben Gewohnheit geworden, durchs Dorf zu radeln.
Manchmal traf ich auf so einer Fahrt meinen Berufskollegen Willi Freitag und es
wurden schnell ein paar Worte gewechselt. Dann wurden Neuigkeiten ausgetauscht und jeder schnitt ein wenig auf. Jeder wollte dem andern einen Bären aufbinden. Wenn ich dann zu Hause Arno davon erzählte, meinte der nur: So ein Aufschneider! Sogar Herr Piltz hörte zu und amüsierte sich. Musst ihm mal sagen, du kannst schon Brötchen schieben, sagte er. Dann sagt er, dass er das schon lange könne. Ich kenne ihn doch. Da kann man sagen, was man will, er kann alles besser. Arno und Herr Piltz lachten. Dann musst du ihn zuerst erzählen lassen und am Schluss sagst du dann, das ist doch gar nichts, das kann ich schon lange. Nun wollten sie selbst, dass ich mehr erzähle, als ich in Wirklichkeit konnte. Mit der Aufschneiderei ist das eine verflixt heikle Sache!
Wir arbeiteten zu dritt und es gefiel mir sehr gut. Ein Arbeitsgang folgte dem anderen, bis der letzte beendet war. Am Schluss holten wir Mehl und räumten die Backstube auf. Ich versuchte schon selbst einen Zweizentner Sack mit Mehl auf den Rücken zu nehmen. Zunächst nur probehalber und dann trug ich ihn doch in die Backstube. Vorerst blieb ich aber bei den leichteren Säcken, denn ich wollte mich nicht überanstrengen.
Am Nachmittag fuhr ich mit Pferd und Wagen nach Ziegenberg, ich sollte Brot lie-fern. Mir machte diese Fahrt besonders viel Spaß, ich konnte mit dem Pferd umgehen und ließ es auch mal antraben. Ich musste also nicht auf dem Fahrrad strampeln, sondern saß gemütlich auf dem Wagen und für mein Fortkommen sorgte der Braune. Er zog den Wagen mit einer Gemütsruhe, war aber sofort bereit, in einen leichten Schuckeltrab überzugehen, wenn ich ihm einmal die Peitsche zeigte. Ich jedoch, der ich das Antreiben kannte, dachte dabei: Geh nur ruhig alter Brauner, du bist ja auch nicht mehr der Jüngste und ich habe Zeit. Meine Arbeit in der Backstube war getan und ich rechnete diese Tätigkeit zu meiner Freizeitbeschäftigung.
Ich hatte die beiden Geschäfte in Ziegenberg beliefert und auch die Bauernhochschule, die auf halbem Wege lag. In etwas mehr als einer Stunde hatte ich meinen Auftrag erfüllt, alles verlief reibungslos. Der Braune war den Ziegenberg hinunter getrabt, er lief sogar noch, als er schon längst unten war. Er kannte den Weg genau und wusste, nun ging es nach Hause in den Stall, dann hatte er Ruhe. Ich ließ ihn ruhig traben und freute mich, dass er es von selbst tat. Angetrieben hätte ich ihn bestimmt nicht.
Zu Hause warf ich einen Blick in die Backstube, aber sie war aufgeräumt. Ich hatte nur noch einige Bleche zu putzen. Ich hatte vorher das Pferd in den Stall gebracht und ihm zu fressen gegeben. Nun hatte ich Zeit, ich war ausgeruht und wollte noch ein wenig auf die Straße gehen. Ich ging zunächst in östlicher Richtung, ganz planlos, denn ich hatte nichts Besonderes vor. So kam ich nach einer Wanderung von einer knappen halben Stunde am Ende des Dorfes an. Nun wollte ich noch bis an den Waldrand gehen, um mich dort auf die Bank zu setzen. Die Bank schien besetzt zu sein, wie ich aus einiger Entfernung feststellen musste. Doch als ich näher kam, erkannte ich Willi Freitag und Charly. Schon von weitem rief Willi: Hallo Otto, willst du dich nicht ein wenig zu uns setzen? Hallo! sagte ich zu ihnen, das trifft
sich aber gut. Ich ging zu ihnen, begrüßte sie und sie rückten sofort auseinander. Ich nahm zwischen ihnen Platz.
Nun, fragte Willi, wie geht’s? Was macht die Arbeit? Hast du schon viel gelernt? Heute schon Feierabend? So viele Fragen kann ich nicht auf einmal beantworten, da musst du schon noch mal von vorn anfangen. Charly staunte über so viel Schlagfertigkeit. Also, du kannst beruhigt sein, es geht mir gut, die meiste Arbeit ist getan, so viel wie wir im Juli hatten, ist heute nicht mehr. Das wird bei euch wohl auch so sein, denn sonst säßet ihr jetzt nicht hier. Du hast recht, sagte Charly. Wie war der Sommer bei euch? Danke, lieber Charly, für die Nachfrage. Aber für mich war es der erste Sommer und da kann ich mir noch kein Urteil erlauben. Wir haben immer noch ganz schön zu tun, sagte Willi, denn wir haben immerhin noch zwei Gesellen. Die haben wir auch, erwiderte ich. Unser Geselle aus Breslau ist noch da und Arno. Charly hatte interessiert zugehört. Wie viele seid ihr denn noch, fragte ich ihn. Nur der Meister und ich, sagte er klipp und klar, wir waren auch im Sommer nicht mehr. Nun musste ich doch staunen, denn ich konnte es mir nicht so recht vorstellen, dass der Meister Radtke und Charly den ganzen Sommer allein gearbeitet hatten. Aber Willi war wieder einmal besser informiert. Er sagte zu meiner Überraschung: Na ja, bei euch war ja nicht viel los. Habt ihr eigentlich nur die Afrika Diele beliefert? Wir haben außerdem noch ganz schöne Lieferungen, sagte Charly zu seiner Verteidigung. Wir beliefern auch das Kurhaus, verschiedene Hotels und verkaufen privat. Hast du im Laufe des Sommers viel gelernt, fragte Willi nun mich, oder kamst du wegen der vielen Fahrten nicht dazu? Ich habe gehört, du musstest viele Brötchen ausfahren? Lieber Willi, sagte ich sehr betont, man lernt jeden Tag, solange man was lernen will. Und wie ist es bei dir? fragte ich, was hast du hauptsächlich gemacht? Willi sah mich zunächst erstaunt an, dann holte er tief Luft. Mensch, was denkst du eigentlich von mir? Ich lerne doch schon ein bisschen länger als du. Ich habe heute schon den ersten Tortenboden angeschlagen, garniert habe ich auch schon und die Creme habe ich selbst gemacht. Ich lerne in der Konditorei mehr als in der Bäckerei. Die Bäckerei beherrsche ich nahezu vollkommen. Mein Erstaunen wurde immer größer und ich beneidete ihn fast.
Wie viele Pressen hattet ihr in der Hauptsaison an den Sonnabenden? fragte Willi nun. Ich dachte ein wenig nach und fragte: Alles zusammen? Ja, sagte er, den gazen Tag zusammen gerechnet. Nun überlegte ich nochmals und sagte dann: Vier-hundert! Das war nicht übertrieben, ich hatte ein ruhiges Gewissen. Er jedoch grinste ein wenig und sagte dann: Wir hatten fünfhundert. Dann verstehe ich nicht, wie du dem Konditor so viel helfen konntest. Wer macht denn die ganzen Brötchen und wer fährt sie aus? Nun wusste Willi nicht mehr, was er sagen sollte. Das mache ich nebenbei, murmelte er. Donnerwetter, sagte ich, kaum zu glauben! Kannst du schon Knüppel drücken? fragte er weiter. Noch nicht ganz, die machen Arno und Herr Piltz. Bedauerlich! hörte ich Willi sagen. Hast du schon einmal Brötchen geschoben, fragte er weiter, oder Blätterteig gezogen oder Torten garniert? Ich sah ihn etwas ungläubig an und dachte: Das kann doch nicht sein Ernst sein. Wenn ich das alles schon könnte, dann bräuchte ich ja nicht mehr weiter zu lernen. Willi gab weiterhin den Überlegenen und sagte ganz nebenbei: Ich kann das alles schon. Ich kann nur Bämbrötchen drücken und Amerikaner von Anfang an herstellen. Sie lachten alle beide. Außerdem kann ich überall helfen, wo ich gebraucht werde. Ich war ein wenig ärgerlich über so viel Unverschämtheit. Na ja, du lernst ja erst knapp ein halbes Jahr, ich dagegen bin bereits im zweiten Jahr, sagte Willi und kam sich dabei sehr wichtig vor. Ich komme auch mal dahin, verteidigte ich mich. Ich werde dir immer voraus sein, sagte Willi betont.
Otto (links) mit einem Kollegen
Charly hatte die ganze Zeit zugehört und manchmal den Kopf geschüttelt. Nun konnte er sich nicht mehr zurückhalten und schaltete sich ein. Wollt ihr nicht bald aufhören, euch zu verkohlen? fragte er dazwischen. Verkohlen, fragte ich, wer verkohlt denn hier wen? Willi hielt sich den Bauch vor Lachen, dann sagte er zu Charly: Hättest nur mal dabei sein müssen, als er bei uns den Herdhobel holen wollte. Ich wollte ihn nicht holen, ich sollte ihn holen. Ich konnte doch nicht wissen, dass Arno mich verkohlen wollte. Ach nein, sagte Charly, wirklich? Ja, ja, sagte Willi und konnte vor Lachen kaum sprechen. Lieber Willi, sagte ich und schaute ihn dabei ganz ernst an, wenn du ein richtiger Kollege gewesen wärst, hättest du mir gesagt,
was das mit dem Herdhobel auf sich hat. Charly hörte jetzt auf zu lachen, Willi lachte jedoch weiter. Charly schlug vor, das Thema zu wechseln. Willi wurde nun ebenfalls ernst. So ist das doch nicht gemeint, sagte er, es war doch nur ein kleiner Spaß. Mir genügt der Spaß, er muss doch mal aufhören, sagte ich halb im Ernst und halb im Spaß. Es darf doch nicht jeder von sich denken, dass er schlauer ist, als sein Kollege. Dann kommen wir doch nie zu einer Übereinkunft, sagte ich nach einer kurzen Pause. Da hat Otto recht, bestätigte Charly meine Worte, wir müssen uns als Kollegen betrachten und uns gegenseitig achten, auch wenn der eine schon länger lernt als der andere. Charly war in dieser Beziehung schon ein wenig vernünftiger. Er war bereits im dritten Lehrjahr. Wir blieben noch lange auf dieser Bank und sprachen am Ende ganz vernünftig miteinander. Ich fragte des Öfteren nach der Uhrzeit, denn ich musste rechtzeitig nach Hause, um den Grundsauer für den nächsten Tag machen. Nichts für ungut! sagte ich, als ich mich von meinen beiden Kollegen verabschiedete und ging.
Am nächsten Tag erwartete mich wieder eine Überraschung. Als ich nach dem Ausfahren am Frühstückstisch saß, kam der Meister zu mir und fragte: Möchtest du heute nicht mit aufs Feld kommen? Natürlich Meister, sagte ich, wenn sie es wünschen, gehe ich mit aufs Feld. Ich dachte, weil du aus einer Landwirtschaft kommst, könntest du helfen, das Korn einzufahren. Jawohl Meister, wenn Ihnen damit geholfen ist, mache ich es gern, sagte ich und beteuerte nochmals meine Bereitschaft.
Emil hatte das Korn bereits gemäht und Marie und Onkel Theodor hatten es gebunden und aufgestellt. Marie war heute nicht abkömmlich und da hatte Emil keinen zum Laden des Korns. Von Onkel Theodor konnte man es nicht verlangen. Er war schon älter und nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Also bestiegen wir drei den Wagen. Emil hatte ihn vorher zu einem Erntewagen umgebaut. Wir fuhren einen Feldweg entlang, der für mich unbekannt war, denn ich war noch nicht auf dem Feld gewesen. Die Sonne schien warm an diesem späten Augusttag. Überall stand das Korn in Mandeln und wartete darauf, dass man es heimholt. Plötzlich hielt Emil das Fahrzeug an und sagte: Da sind wir. Wir standen an einem Kornfeld, wo die Mandeln ebenfalls in Reih und Glied standen. Wie viele sind es denn? fragte ich. Vierundzwanzig, sagte Onkel Theodor. Drei Fuder zu je acht? fragte ich. So ist es, acht Mandeln sind genug für ein Pferd, sagte Emil. Schaffen tun wir das sowieso.
So ganz wohl wurde mir bei der Vorstellung nicht, denn ich hatte doch noch nie geladen, hatte es immer nur von Luise gesehen. Sie lud bei uns zu Hause das ganze Korn. Was sie kann, das werde ich ab heute auch können. Schließlich muss jeder einmal anfangen, dachte ich. Dann müssen wir dreimal fahren, sagte ich und Emil stimmte mir zu: Drei Fuhren, vormittags fahren wir einmal und am Nachmittag zweimal. Das wird dann ein ganz gemütlicher Tag, stellte ich fest. Onkel Theodor war auch ganz zufrieden, er sollte mit einem Rechen die vorbeigefallenen Halme aufnehmen.
Wir fuhren an das äußerste Ende und begannen dort oben mit dem Laden. Emil
gab mir die Garben mit einer Gabel nacheinander herauf und ich legte sie säuberlich auf den Wagen. Zuerst lud ich hinten, dann vorn und dann in der Mitte. Nun ging es in die Breite über die Leitern hinweg. Ich tat es genau so, wie ich es von Luise gesehen hatte. Ich sagte den beiden aber nichts davon, dass es meine erste Fuhre war, die ich lud. Sie sollten denken, ich konnte das schon lange. So ist es gut, rief Emil mir zu, pack nur weiter so, dann schaffen wir das mit Leichtigkeit. Gelernt ist gelernt, sagte ich, bei uns zu Hause musste jeder alles können. Ich schaute mir die Reihe an, die noch vor mir lag; es waren nur noch zwei Mandeln. Noch zwei Mandeln, rief Emil mir zu, dann hast du es geschafft. Ich sah von Oben, wie Onkel Theodor schmunzelte. Er nahm mit dem Rechen die einzelnen Halme auf. Mit der letzten Mandel packte ich die Fuhre zu; ich legte die Garben quer über die Fuhre, mal nach rechts und mal nach links. Emil warf mir die Leine nach oben, die ich festhielt. Er kletterte von der Deichsel daran herauf. Onkel Theodor tat dasselbe, denn er wollte auch nicht laufen. Ihm mussten wir die Hand reichen und ihm helfen, denn er war nicht mehr der Jüngste. Emil lenkte den Braunen, Onkel Theodor und ich lagen auf dem Rücken und schauten ins Blaue.
Wohlbehalten kamen wir zu Hause an und stiegen von der Fuhre. Emil brachte das Pferd in den Stall und dann gingen wir alle drei ins Haus und aßen unser zweites Frühstück. Marie hatte uns ein gutes Frühstück gemacht, es gab Schinken und dazu ein Bier. Nach dem Essen gingen wir in die Scheune und luden das Fuder ab. Emil, Marie und Onkel Theodor nahmen die Garben ab, die ich ihnen zuwarf. Es kostete ein bisschen Schweiß, aber wir ließen nicht nach, bis der Wagen leer war. Kurz nach dem Mittagessen spannte Emil wieder das Pferd an und wir fuhren wieder aufs Feld. Auf geht’s! sagte er dann, als wir auf dem Wagen Platz genommen hatten. Er hatte die Leine in der Hand und auch die Peitsche. Der Braune wusste sofort Bescheid und zog an. Das Wetter war so geblieben, die Sonne strahlte vom tiefblauen Himmel auf die Erde herab. Beim Laden kamen wir alle drei bald ins Schwitzen. Im Nu hatten wir diesmal die acht Mandeln aufgeladen und konnten uns wieder auf den Heimweg begeben. Marie stand schon bereit und half sofort. Zunächst stärkten wir uns jedoch mit einem kühlen Trunk. Nun luden wir das Fuder ab und waren froh, als wir fertig waren. Wir waren durchgeschwitzt und staubig.
Es war wirklich schon sechs Uhr vorbei, als wir mit der dritten Fuhre fertig waren. In der Backstube räumte man gerade auf, denn dort war es auch ein wenig später geworden. Vielleicht, weil ich fehlte. Nun half ich ihnen noch beim Aufräumen. Ich putzte die Bleche, die ich in zehn Minuten fertig hatte. Emil nahm sich die Karre und holte Kohlen. Es war wirklich eine Freude, festzustellen, wie einer dem anderen half. Nach dem Essen gingen Emil und ich noch schnell an den Strand. Es war noch warm. Die Sonne hatte den ganzen Tag das Wasser so erwärmt, dass wir uns zu einem Bad entschlossen. Wir wollten uns erfrischen und den Staub und Schweiß abspülen. Es war eine herrliche Erfrischung. So endete dieser für mich ungewöhnliche Tag sehr angenehm.
Am nächsten Tag ging es in der Backstube weiter. Diese Arbeit wurde für mich immer mehr zur Selbstverständlichkeit. Jeden Tag reisten mehr Gäste ab, meine
Frühstückskunden wurden mit jedem Tag weniger. Oft brauchte ich knapp eine Stunde, dann war ich wieder da. Heute war ein besonders schöner Tag. Wir waren in der Backstube bald fertig. Arno hatte sich sehr bald verzogen, weil er sich nicht wohl fühlte. Nur Herr Piltz war in der Konditorkammer und arbeitete. Ich stand in der Tür und schaute zunächst zu. Wie lange haben sie noch zu tun, fragte ich ihn. Zuerst mache ich Teegebäck, dann Makronen und zuletzt schlage ich noch drei Böden an. Einige Mürbteig Böden mache ich auch noch. Ich staunte, was er noch alles machen wollte. Du kannst mir ruhig helfen, wenn du willst, sagte Herr Piltz zu mir. Ich war sofort damit einverstanden, denn das war eine einmalige Gelegenheit für mich. Kannst sofort für das Teegebäck abwiegen: 2 Pfund Mehl, 400 Gramm Zucker und 400 Gramm Butter, 4 Eier und 10 Gramm Trieb, dann etwas Milch und etwas Aroma. Ich durfte sogar den Teig machen und Herr Piltz sah mir zu. Nicht zulange arbeiten, wenn alles zusammenhält, ist er gut. Er legte den Teig für einen Augenblick in den Kühlschrank.
Nun sollte ich für die Makronen abwiegen. Dazu brauchten wir 1 Kilo Kokosraspel und 2 Kilo Zucker, 150 Gramm Eiweiß musste ebenfalls eingeweicht werden. Ich tat alles, wie er mir befohlen, denn ich war ja froh, dass ich dadurch etwas lernen konnte. Nun wiege bitte für die Mürbteig Böden ab. Herr Piltz war sehr gewissenhaft. Erst als das eine fertig war, befahl er mir das nächste. 1 Pfund Zucker, 2 Pfund Butter und drei Pfund Mehl. Ich sagte: Das ist ja ganz einfach, eins, zwei, drei! Ja, sagte auch er, leicht zu merken. Er beobachtete mich, als ich den Teig machte. Wenn er zu fest wird, nehmen wir ein wenig Milch, sagte er. Dieser Teig kann ebenfalls in den Kühlschrank.
Nun begannen wir mit dem ersten Mürbteig und machten Teegebäck. Hol bitte drei Bleche, dann fangen wir sofort an. Er rollte ein Stück aus, während ich die Bleche auf den Tisch legte. Nun nahm er den runden Ausstecher und stach munter aus. Die Stücke legte er nebenan auf den Tisch. Ich nahm mir sofort die Milch und den Pinsel und begann sie zu bestreichen, wie ich es von der Arbeit mit Arno kannte. Anschließend warf ich sie mit der feuchten Seite in den Zucker und setzte sie auf das Blech. Das war das Einzige, was ich schon konnte. Herr Piltz zeigte mir, wie es hier auf Geschicklichkeit und Schnelligkeit ankam. Die musste ich mir angewöhnen. Es wurden drei Bleche und wir trugen sie an den Ofen. Sie kamen auf den oberen Herd und er sagte: Pass gut auf sie auf! Ich schaute von Zeit zu Zeit hinein und als sie gut waren, nahm ich sie heraus. Macht dir das Spaß? fragte er. Ich nickte: Alles, was neu ist, macht mir Spaß. Wir schütteten die Plätzchen auf ein Blech und ich trug sie in den Laden. Die Verkäuferin packte sie anschließend auf eine runde Platte und stellte sie ins Schaufenster.
Herr Piltz hatte inzwischen die Böden ausgerollt, sie lagen auf den Blechen und konnten abgebacken werden. Schieb sie auf den oberen Herd und pass gut auf! sagte er zu mir. Nimm sie ganz hell heraus. Wieder stand ich am Ofen und hatte Verantwortung. Auch jetzt kam Herr Piltz und schaute in den Ofen. Schon gut! sagte er. Ich wollte noch sagen: Einen Augenblick noch, aber er nahm sie schon heraus. Wofür sollen die Böden sein? fragte ich. Der eine ist für einen gedeckten Apfelkuchen und ein anderer ist für eine Masse gedacht. Sie werden noch einmal gebacken, deshalb ganz hell herausnehmen. Das leuchtete mir ein.
Nun begann er, die Masse für die Makronen vorzubereiten. Er stellte den Kessel mit den Zutaten auf eine Gasflamme und rührte mit einer Holzkelle ständig um. Erst als die Masse dressierfähig war, hörte er auf. Nun musste ich die Bleche mit Papier belegen. Er füllte die Masse in einen Spritzbeutel mit einer großen Tülle. Dann spritzte er die Makronen sauber auf die Bleche. Sie brauchen einen sehr schwachen Ofen, deshalb schoben wir sie wieder nach oben und zogen den Zug, außerdem ließen wir auch die Tür ein wenig auf. Nach dem Backen drehte er sie mit dem Papier um und bestrich die Rückseite mit Wasser. Nur so lösen sie sich vom Papier, ohne zu zerbrechen, erklärte er mir. Wieder legten wir sie alle auf ein Blech und kosteten sie. Anschließend brachte ich sie in den Laden.
Gern hätte ich zugesehen, wie Herr Piltz zu den Böden abwog, aber er war bereits beim Anschlagen. Als ich mit fragendem Blick neben ihm stand, sagte er: Für einen Boden braucht man 8 Eier und 200 Gramm Zucker, dann noch 200 Gramm Mehl. Ich mache jetzt drei Böden und habe also dreimal so viel. Nun schlage ich zweimal kalt und zweimal warm, immer abwechselnd. Ich sah gespannt zu. Die Ringe standen schon da, sie waren von Papier eingefasst. Als die Masse fertig war, verteilte er sie in die drei Ringe. Auch sie kamen auf den oberen Herd. Nach dem Backen drehte er sie um, legte sie auf Pergament und ließ sie stehen.
Inzwischen hatte er die Konditorkammer aufgeräumt und alles an seinen Platz gestellt. Was machst du nachher? fragte mich Herr Piltz. Ich gehe nachher an den Strand, sagte ich, denn da ist es immer schön. Gut, sagte er, das will ich auch gern tun. Wir wuschen uns in der Backstube und gingen jeder auf sein Zimmer. Zuerst schrieb ich alles in mein Büchlein ein, denn ich wollte nichts vergessen. Später trafen wir uns wieder und gingen gemeinsam an den Strand. Es war später Nachmittag und das Wetter war noch gut. Es war unten am Strand ruhig, nur wenige Badegäste waren noch zu sehen, kein Mensch war im Wasser. Die Fischer hatten ihre Netze zum Trocknen aufgehängt. Die Boote waren auf den Strand gezogen und lagen verlassen da. Es ist doch komisch, sagte Herr Piltz, wenn die Hauptsaison vorbei ist, dann ist hier auch nichts mehr los, obwohl doch noch schönes Wetter ist. Das alles richtet sich nach den Schulferien in Berlin, versuchte ich ihn aufzuklären. Wenn die Kinder in Berlin wieder zur Schule müssen, dann ist auch für die Eltern der Urlaub vorbei. Etwas ungläubig sah mich Herr Piltz an. Diejenigen, die jetzt noch hier sind, das sind kinderlose Ehepaare oder Junggesellen, eben Männer und Frauen ohne schulpflichtige Kinder. Du bist gut informiert, bemerkte Herr Piltz anerkennend. Was macht ihr hier eigentlich im Winter? fragte er weiter. Da ist es doch kalt am Strand und öde. Ja, das ist schon war, aber an den Strand werden wir wohl immer gehen, auch wenn es stürmisch und kalt ist. Die Menschen hier lieben das Meer. Wenn es ihre Zeit erlaubt und sie sich danach fühlen, gehen sie eben hinunter. Auch wenn der Sturm heult. Herr Piltz sah das schließlich ein. Ich bin zwar erst seit dem 1. April hier, aber soweit ich das beurteilen kann, geht man zu jeder Zeit an den Strand. Eine Strandwanderung gehört zum Leben der Bewohner, erklärte ich.
Bei uns in Breslau, erzählte mein Begleiter, gibt es im Winter allerhand Abwechslung, da spielt sich das Leben in den Wirtschaften, den Cafés oder im Kino ab. Hoffentlich bekommen Sie bald Arbeit, wenn sie wieder in Breslau sind oder haben Sie schon etwas in Aussicht? Ich muss natürlich zuerst aufs Arbeitsamt, meinte er. Dort wird man sicherlich was für mich haben. Ich kenne das Leben in den Städten noch gar nicht. Wenn ich erst ausgelernt habe, dann werde ich mir auch Arbeit in einer Stadt suchen, vielleicht sogar in Berlin, erklärte ich. Wenn du erst ausgelernt hast, steht dir die ganze Welt offen. Herr Piltz begeisterte mich. Aber vieles sieht dann auch anders aus, als du es dir in der Lehrzeit vorgestellt hast. Man muss manchmal ganz schön lange nach einer geeigneten Arbeit suchen und muss dann nehmen, was einem angeboten wird, führte er weiter aus. Ein kleiner Wehrmutstropfen trübte meinen Optimismus, aber das durfte nicht sein; ich wollte mein Leben nach meinen Wünschen gestalten.
Unter diesen Gesprächen waren wir am Ende des Dorfes angelangt. Diese Treppe müssen wir hochgehen, dahinter kommt keine mehr. Wenn wir dann vom Strand weg wollen, müssen wir durch den Dünensand stapfen, erklärte ich. Wir gingen also hoch und kamen an eine wunderschöne Anlage, die direkt am Waldrand lag. Sie gehörte zum Kinderheim, das Herr Kreutz mit Brot, Brötchen und Kuchen belie-ferte. Das Kinderheim bestand aus mehreren Flachbauten, einem großen Garten nebst Spiel- und Sportstätten. Große Bäume umrahmten es und spendeten Schatten in den heißen Tagen. Gutgepflegte Hecken trennten die Sportstätten voneinander. Wir standen eine ganze Weile und sahen es uns an. Sieht gut aus! sagte Herr Piltz anerkennend. Sind alles Waisen oder andere hilfsbedürftige Kinder, die hier die Sommermonate verbringen. Im Winter leben sie in Berlin, in Heimen, erzählte ich. Wir sahen einige an den Geräten, andere wurden von Erwachsenen beaufsichtigt.
Hier vermischte sich das Rauschen des Waldes mit dem Rauschen des Meeres. Im Walde gab es viele verschlungene Pfade, die neben einem Hauptweg in die verschiedenen Richtungen verliefen. Büsche und kleine Bäumchen versperrten uns manchmal den Blick. Ein kleiner Bach schlängelte sich am Hauptweg entlang. Wohin kommen wir, wenn wir in östlicher Richtung weitergehen? fragte Herr Piltz. Zunächst kommen wir in den Kösliner Kreis. Gehen wir dann weiter, kommen wir an den Wonnebach, in den auch dieser Bach hineinfließt. Dort liegen die Dörfer, die zu einer großen Domäne gehören, Arbeiterdörfer. Da ist am Strand nichts los, die Leute haben keine Zeit. Höchstens an den Sonntagen tummeln sich dort einige wenige. Aber alles unorganisiert, kein Vergnügen, keine Fischerboote. Herr Piltz machte große Augen und fragte: Bist du denn schon in den Dörfern gewesen? Na klar! Ich bin doch in einem der Dörfer in den letzten Jahren zur Schule gegangen, weil es in Lindenhof keine Schule gab. Und sind denn die Leute dort zufrieden? fragte er weiter. Aber gewiss doch, sagte ich überzeugt, sie bilden sich auch ein, sie sind wer. Diejenigen, die mit den Pferden zu tun haben, glauben, sie sind den anderen überlegen. Da gibt es nur Landarbeiter? fragte er interessiert. Ja, das ist doch klar. In der Mitte des Dorfes stehen die Kirche und die Schule und noch ein Gasthof, wo sie sich auch gleich alles kaufen können.
Weiter hinten, wo es wieder Bauerndörfer gibt, mit großen Bauernhöfen, da ist auch am Strand wieder mehr los. Die Bauern vermieten an Badegäste, aber nicht so viel wie hier. Bauerhufen heißt das nächste größere Dorf, da gibt es einen kleinen Badebetrieb. Wie viele Bäckereien gibt es dort, wollte er wissen. Nur eine und die hat zu tun, wenn sie sich im Winter über Wasser halten will. Weiter hinten kommt dann Groß-Mölln, der Badeort der Kösliner. Dort fährt sogar eine Straßenbahn hin. Die meisten Kösliner verbringen ihren Urlaub dort, weil sie schnell und einfach dorthin kommen. Du weißt aber gut Bescheid, lobte Herr Piltz mich. Er zeigte großes Interesse für die Ostseeküste. Im Westen ist es natürlich besser, berichtete ich weiter. Der ganze Strand ist für den Badebetrieb wie geschaffen. Vor allem Kolberg, das ist ein Bad, wie geschaffen für die Berliner. Dorthin fahren die Bäderzüge mehrmals am Tag direkt aus Berlin. Bequemer kann man es überhaupt nicht haben. Kolberg hat einen wunderbaren Strand, eine Strandpromenade und einen Kurpark. Es ist ein Kurbad mit 33000 Einwohnern. Dort würde ich gern einmal arbeiten, wenn ich ausgelernt habe, sagte ich und war mit meinen Ausführungen auf dem Höhepunkt angelangt. Na, vielleicht gelingt es dir, ermutigte mich Herr Piltz.
Wir waren langsam die Fischerstraße entlang gegangen und standen bereits wieder vor dem Strandschloss. Die wohlige Wärme des Nachmittags war einem stärkeren Wind gewichen, der bereits die ersten Blätter von den Bäumen wehte und auf der Straße vor sich her trieb. Langsam geht der Sommer zu Ende, sagte ich. Wir müssen uns damit abfinden, dass auf den Sommer der Herbst folgt und somit die kältere Jahreszeit. Ja, es war für mich eine schöne Zeit hier in Henkenhagen, sagte Herr Piltz. Nun werde ich bald Abschied nehmen müssen. Ich bedauerte diesen Ausspruch. Es freut mich, wenn es ihnen bei uns gefallen hat, tröstete ich ihn ein wenig.
Wir gingen ins Haus und setzten uns an den Abendbrottisch. Einen recht schönen guten Abend wünschten wir den bereits versammelten Familienangehörigen. Arno saß bereits am Tisch, er sah uns ein wenig erstaunt an. Sonst wurde beim Essen nicht viel gesprochen, jeder ging seinen eigenen Gedanken nach.
Auf den August folgte der September, das Wetter verschlechterte sich und immer mehr Gäste fuhren ab. Schon in der ersten Septemberwoche bekam Herr Piltz die Mitteilung, dass er am nächsten Wochenende ebenfalls gehen müsse. Nun verschlechterte sich auch bei mir die Stimmung, obwohl ich damit eigentlich hätte rechnen müssen. Trotzdem war es für mich nicht einfach, einen Menschen zu verlieren, den ich gern mochte und mit dem ich mich verstand.
Am letzten Sonnabend wollte Herr Piltz zum Abschluss seines hiesigen Aufenthalts noch einmal in der Ostsee baden. Ich wollte natürlich, wie konnte es anders sein, ihm dabei Gesellschaft leisten. Jedoch das Wetter meinte es gar nicht gut mit uns. Ein scharfer Wind blies von Norden her. Wir wollten es trotzdem versuchen. Ich werde zuerst die Wassertemperatur messen, sagte ich, nahm mir ein Thermometer und ging hinunter. Ich zog Schuhe und Strümpfe aus und ging ein Stück ins Wasser. Au, war das kalt! Ich hielt das Thermometer hinein, aber immer neue Brecher
kamen und ich musste zurückweichen. Herr Piltz, der auf der Düne stand, rief mir etwas zu, aber ich konnte es nicht verstehen. Ich schaute auf das Thermometer und stellte fest: 17 Grad! Unmöglich konnte man da baden, dachte ich. Ich ließ den Kopf ein wenig hängen und stieg die Treppe hinauf. Auf halber Höhe rief ich ihm zu: 17 Grad, das ist unmöglich! Er jedoch meinte: Für die Ostsee ist das nicht zu kalt. Machst du auch mit? fragte er Arno, als wir wieder in der Backstube waren. Der war ganz überrascht und sagte: Ich hatte eigentlich nicht die Absicht, weil mir gestern Mittag nicht ganz wohl war. Aber du machst doch mit? fragte er nun mich. Ich nickte mit dem Kopf und war einverstanden.
Wir gingen sofort nach oben, zogen unsere Badehosen an und den Bademantel drüber und kamen wieder in die Backstube. Arno nahm die Uhr in die Hand und sagte: Fertigmachen! Auf los, geht’s los. Es ist genau 14 Uhr fünf. Wir eilten vom Hof auf die Straße und gleich die Treppe hinunter zum Strand. Dicht am Wasser warfen wir den Bademantel ab und taten zunächst ein paar Sprünge am Strand. Arno, stand auf unserer Düne und beobachtete uns. Wir winkten ihm zu und riefen: Es ist wunderbar! Nun gingen wir mit den Füßen hinein, aber schon im nächsten Augenblick waren wir wieder draußen. Das Wasser war kalt und es gab auf der ganzen Linie Brecher; durch die galt es erst mal hindurch zu kommen. Immer weiter wagten wir uns hinein, vor den Brechern sprangen wir hoch. Zur gleichen Zeit durchbrachen wir die Brecher und waren im nächsten Augenblick im ruhigen Wasser. Nun warfen wir uns hinein und begannen zu schwimmen; es war auf einmal nicht mehr kalt. Die Frau Meisterin und Marie hatten sich zu Arno gesellt und schauten uns zu. Wir tummelten uns im Wasser, standen auf und warfen uns wieder hin, begannen erneut zu schwimmen. Nach etwa zehn Minuten rannten wir aus dem Wasser, zogen unsere Bademäntel an und eilten sofort die Treppe hinauf. Im Laufschritt erreichten wir die Backstube und stellten uns sofort an den Ofen. Nun erst trockneten wir uns ab. Sofort zogen wir unsere Sachen an, die schon vorgewärmt waren. Wir fühlten uns sehr wohl. Es ist 14 Uhr dreißig, sagte Arno. Fünfundzwanzig Minuten hat das gedauert. Es war wirklich fabelhaft und wir freuten uns über die gelungene Tat. Nun habe ich doch ein letztes Andenken an die Ostsee, sagte Herr Piltz nachdenklich.
Am Montag, es war der 15. September, nahm Herr Piltz Abschied von uns. Ich wollte ihn zur Bahn begleiten. Im Strandschloss wurden noch Gäste erwartet und deshalb fuhr Helmut mit dem Pferdewagen zur Bahn. Für uns kam das gerade recht, denn wie sollten wir sonst die Koffer zur Bahn bekommen. Er bekam ein gutes Trinkgeld dafür. Wir erreichten den Bahnhof rechtzeitig und Herr Piltz holte sich eine Fahrkarte nach Breslau. Er fuhr über Frankfurt/Oder. Die Fahrt dauerte sicherlich sehr lange. Ich hatte noch nie eine so lange Fahrt unternommen und konnte mir das gar nicht vorstellen. Ich winkte ihm solange nach, bis ich vom Zug nichts mehr sah.