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4. Der erste Tag in der Backstube
ОглавлениеDer erste Tag brachte für mich nicht nur Überraschungen, sondern er setzte mich vollends in Erstaunen. Als ich um fünf Uhr herunterkam, war die Backstube bereits warm. Der Ofen, dieser stolze Gigant, strahlte eine behagliche Wärme aus und versprach, allen Anforderungen gerecht zu werden. Ich war aufs Äußerste gespannt.
Der Meister war gerade dabei, Kohlen in die Feuerung zu werfen, denn er hatte die Feuerung selbst übernommen. So ein Ofen braucht fachmännische Pflege. Arno stand an der Knetmaschine, die er eingeschaltet hatte. Sie rührte den Teig durcheinander, während Arno den Bottich hin und her drehte. Als der Teig eine einzige Masse war und nicht mehr am Rand des Bottichs klebte, schaltete er die Maschine aus. Nun warf er eine Handvoll Mehl auf den Teig, dann nahm er ihn in kleinen Portionen heraus und warf ihn auf den Tisch, den er Beutendeckel nannte. Der Teig wurde gedrückt und übereinandergeschlagen, bis er zu einem runden Ballen geworden war. Stück für Stück nahm er den Teig heraus, machte immer neue Ballen und legte sie dann auf eine mit Mehl bestaubte Stelle. Er deckte die Ballen dann mit einem Tuch zu.
Jetzt nahm er aus einer Molle einen anderen Teig, der schon locker auseinander- gegangen war. Er schlug und drückte diesen Teig ebenfalls, bis auch er ein runder Ballen geworden war. Ausstoßen nannte Arno diese Tätigkeit. Dann machte er ein langes Stück daraus, nahm das Rollholz und rollte den Teig zu einer langen dünnen Fläche aus. Ich dachte schon, das sollte ein Kuchen werden, aber dazu war das Stück zu groß. Arno rollte das Stück so groß wie der ganze Tisch aus. Nun fragte ich doch: Was soll das werden? Schnecken, sagte Arno. Hol schnell fünf saubere Bleche!
Der Meister war mit dem Heizen fertig geworden und ging in die Küche, sicher holte er etwas zu essen für uns. Arno bestrich nun den Teig mit Fett und streute anschließend Zucker drauf. Ich stand dabei und dachte: Komisch! Nun rollte er ihn zusammen zu einer Wurst, legte sie ganz gerade an den Rand des Tisches, nahm ein Messer und schnitt fingerdicke Stücke ab. Leg sie auf die Bleche! sagte er dann zu mir. Ich tat, wie mir geheißen. So nicht! korrigierte er mich. Schön gleichmäßig und der Reihe nach. Nun bekam die Arbeit auch einen Sinn.
Der Meister kam und brachte auf einem Teller Brötchen Hälften bestrichen mit Butter und eine Kanne Kaffee. Nun beteiligte er sich auch an den Schnecken. Ich wunderte mich zuerst, dass aus diesen kleinen Dingern Schnecken werden sollten. Aber, dachte ich, die gehen ja noch auseinander. Als der Teig verarbeitet war gingen wir an den anderen Teig. Zuerst wog Arno Stücke zu 1700 Gramm ab, die der Meister zustieß. Er legte die einzelnen Stücke nebeneinander auf den Tisch. Arno wog den ganzen Teig ab. Ich zählte die Stücke, es waren 30 Stück. Vom Rest machen wir Weißbrot, sagte Arno. Der Meister war einverstanden.
Nun ging es weiter. Arno drückte ein Stück breit, legte es auf die Fläche der Presse
und mit ein paar Handbewegungen war aus dem großen Stück eine Anzahl kleiner Stücke geworden. Der Meister hatte inzwischen Bretter auf den Tisch gelegt und bedeckte das obere mit einem Tuch. Nun nahm er in jede Hand ein Stück und ruck, zuck waren runde Kugeln daraus geworden, die er in Reih und Glied auf das Brett mit dem Tuch legte. Als Arno einige Stücke zerteilt hatte, half er dem Meister. Im Nu war das Brett voll, es wurde zugedeckt und auf die Garstange gestellt. Genauso wie am Vortage, das kannte ich ja schon. Ein Brett nach dem anderen wurde voll gesetzt und weggestellt. Bis der ganze Teig verarbeitet war.
Zwischendurch zeigte mir Arno, wie das mit der Presse funktioniert. Ich tat mein Möglichstes, aber es klappte noch nicht. Was macht es schon, dachte ich, ich bin ja erst den ersten Tag hier. Arno jedoch zeigte es mir immer intensiver, ich sollte es schon heute begreifen. Kaum hatten wir das letzte Brett hinauf gestellt, sah Arno nach den Schnecken. Sie waren zwar noch nicht gut, aber sie waren schon ganz schön aufgegangen.
Nun nahm er ein Brett Brötchen herunter und wir drückten sie. Ich bekam den Fettpinsel in die Hand und wusste bereits, wie die Sache vor sich ging. Arno drückte mit einem Stock jedes Mal drei Stück. Der Meister drehte sie um. Anschließend deckten wir sie zu und stellten sie wieder auf die Garstangen. So machten wir es mit allen Brötchen. Nun konnte ich mich nützlich machen, denn ich wusste schon einiges. Ich konnte sie fetten und sogar umdrehen.
Der Meister war noch einmal verschwunden und Arno nutzte die Gelegenheit, mir einiges zu erklären. Dann musste er wieder nach den Schnecken sehen, sie waren gut und er stellte sie auf das Ofenbrett. Als der Meister kam, schoben sie sie in den Ofen. Arno rührte die Glasur durch, dann stellte er die Bretter mit den Brötchen auf die Erde, er deckte sie ab. Die Schnecken kamen aus dem Ofen und Arno glasierte sie.
Nun nahm der Meister die Schlagschieber herunter, legte sie aufs Ofenbrett und Arno stellte das erste Brett mit Brötchen dazu. Sogleich begannen sie, die beiden Schieber voll zu setzen. Ein Schieber nach dem anderen wurde nun hineingeschoben und leer wieder herausgezogen. Alle zehn Bretter gingen auf einmal in den Ofen, die letzten hatte ich dem Meister aufgesetzt. Arno hatte inzwischen den restlichen Teig auf den Tisch geworfen und wog erneut ab. Der Meister holte die ersten Brötchen aus dem Ofen, sie waren bereits gebacken. Ich trug die vollen Körbe in den Laden.
Arno wog noch einige Pressen Brötchen ab, die wir gemeinsam aufmachten. Ich beherrschte die Presse noch nicht ganz, aber mit Arnos Hilfe kam ich schon zurecht. Wir waren mit dem Aufmachen fertig, als der Meister den Ofen leer hatte. Es waren nochmals 16 Pressen.
Ich staunte über den Werdegang der Brötchen. Es waren ja richtige Wunder, die ich am ersten Tage in der Backstube erlebte. Ich hätte gern ein frisches Brötchen gegessen, doch ich dachte an die mahnenden Worte meiner Mutter, die gesagt hatte:
Iss nur keine warmen Semmeln, denn dann isst du sie dir bald über und magst sie nicht mehr sehen. Da zügelte ich mein Verlangen.
Als die Brötchen fertig waren, fuhr ich zu den Frühstückskunden und brachte ihnen die ersten Selbstgebackenen. Nun gab es Frühstück auch für uns. Wir aßen ebenfalls die selbstgebackenen Brötchen, die jetzt bereits kalt waren. Marie hatte uns die Brötchen in die Backstube gebracht. Sie waren wieder mit Butter bestrichen und hatten obendrauf einen Klecks Marmelade. Eine Schnecke war ebenfalls für jeden dabei. Dazu gab es duftenden Kaffee. Ich wusste wirklich nicht, was ich dazu sagen sollte. So sollte es nun wohl immer bleiben. Zum Frühstück frische Brötchen! Das verdankte ich alles meiner Berufswahl. Ich hatte das Glück beim Schopfe gefasst und würde es nicht mehr loslassen, dachte ich.
Nach dem Frühstück ging Arno an den Ofen. Der Meister hatte gesagt: Dreißig Stück auf jede Seite! Damit meinte er die Kohlen. Mit einer Krücke stocherte er die restliche Glut durcheinander und warf die erforderliche Menge hinein. Er schloss anschließend die Tür zur Feuerung und machte die Lüftungsklappe auf. Das Feuer brannte.
Wir wuschen uns die Hände und begaben uns an die Knetmaschine, wo Arno den Brotteig vorbereitete. Er warf zunächst den Sauerteig aus der Beute in den Bottich, goss lauwarmes Wasser dazu, schüttete Salz hinein und schaltete die Maschine ein. Er schaufelte so viel Mehl aus der Beute dazu, dass es ein fester Teig wurde. Der Arm der Knetmaschine wühlte sich immer wieder durch den Teig, bis Arno sagte: Nun wird er wohl gut sein. Er schaltete den Motor aus und der Arm blieb stehen. Zuerst putzte er den Arm ab und warf dann den Teig auf den Tisch und stieß ihn leicht zusammen.
Dieser Teig fasste sich ganz anders an als der, aus dem die Brötchen gemacht wurden. Wieder wurde abgewogen und die Stücke wurden der Reihe nach nebeneinander gelegt. Nun rief Arno den Meister und sie machten die Brote auf, wie Arno das bezeichnete. Er drückte die Stücke rund und der Meister formte Brote daraus, ähnlich wie es die Mutter zu Hause machte. Natürlich ging es hier bedeutend schneller. Diesmal legte er keine Tücher auf die Bretter, sondern er streute Mehl darauf. Als alle Brote aufgemacht waren, nahm Arno einen Eimer mit Wasser und eine Streiche und bestrich sie mit Wasser. Nun bekamen sie auch an jedem Ende einen Schnitt quer über das Brot. Verschiedene Male bestrich Arno das Brot, bis es in den Ofen kam. Zum Schieben musste wieder der Meister gerufen werden. Er schob das Brot hinein, während Arno es ihm auf den Schieber setzte. Es ging alles wieder sehr schnell. Als der Meister das letzte Brot geschoben hatte, ließ er Dampf in den Ofen. Dadurch sollte das Brot schön braun werden. Nach 10 Minuten wurde das Brot aus dem unteren Ofen in den oberen Herd geschoben. Ich durfte in die Fußgrube steigen und mit dem Schieber ein Brot nach dem anderen herausholen, das Arno mir mit dem Schieber abnahm. So holte ich ein Brot nach dem anderen aus dem Ofen, bis er leer war.
Nun sollte es nochmals Brötchen geben. Arno hatte schon das Hefestück angesetzt,
als ich mit dem Fahrrad unterwegs war. Es lag bereits im Bottich. Arno wog Salz und Zucker ab, schüttete es hinein, holte warmes Wasser und goss es ebenfalls hinein und schaltete die Maschine ein. Es war nur ein kleiner Teig. Arno warf ihn sofort auf den Tisch. Er nahm Tücher und deckte ihn zu, denn der Teig musste zuerst ruhen, bevor er verarbeitet werden konnte.
Wir machten jetzt alle die Nebenarbeiten, die am Schluss gemacht werden mussten. Dann war auch der Teig gut und wir begannen mit der Aufarbeitung. Es waren ja nur acht Pressen, die hatten wir bald auf den Brettern. Wir machten alles allein, der Meister kam nur und sah einen Augenblick zu. Arno schob sie in den Ofen und holte sie heraus, als sie gebacken waren.
Nun begannen wir, die Backstube gründlich aufzuräumen. Wir fegten den Fußboden und kratzten die Tische ab. Ich putzte die Bleche und wusch das Geschirr ab. Dann holten wir Mehl und zum Schluss Kohlen.
Gerade als wir alles geschafft hatten, rief Marie zum Mittagessen. Wir setzten uns wie gewohnt an den Tisch. Nach dem Essen fragte ich Arno, was zu tun sei. Arno sagte, ich solle mich nur einige Stunden aufs Bett legen, ich sei doch sicherlich müde. Er würde dasselbe tun. Es war ein wohliges Gefühl, nach getaner Arbeit auszuruhen. Ich schlief auch sofort ein und erwachte erst nach zwei Stunden. Sofort zog ich mich an und wartete gespannt, ob mich jemand rufen würde. Nichts Derartiges geschah. Langsam ging ich die Treppe hinunter, da stieß ich auf Arno. Was soll ich tun? fragte ich ihn und hätte es am liebsten gesehen, wenn er mir Arbeit gegeben hätte. Arbeit ist jetzt für uns nicht mehr, wir haben unsere Arbeit getan. Du kannst ja an den Strand gehen, sagte er.
Dazu war ich sofort bereit. Ich kämmte nochmals mein Haar und ging auf die Straße und dann an den Strand. Zunächst blieb ich einen Augenblick auf der Bank sitzen, die auf der Düne stand. Ich hielt Ausschau. Aber auf wen sollte ich schon warten, ich kannte außer Schönbergs Jungs keinen und die standen jetzt im Laden. Also entschloss ich mich, die Treppen hinunter zu steigen. Hier unten war es ganz ruhig, die Sonne schien, der Wind wehte nur mäßig und leichte Wellen spülten an den Strand. Spaziergänger gab es hier fast keine, denn dazu hatte hier keiner Zeit. Die Leute waren an einem so schönen Maientag bei der Arbeit, auf den Feldern oder im Garten. Ich kam mir ein wenig überflüssig vor und hatte ein klein wenig so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Wenn nun der Meister oder die Frau Meisterin mich brauchten, war ich nicht da. Aber Arno hatte ja gesagt, ich könne jetzt an den Strand gehen. Gewiss, der Sinn des Lebens konnte es nicht sein, anstatt zu arbeiten, ging ich spazieren.
Ich verscheuchte alle diese Gedanken und begann meine Wanderung. Ich wandte mich nach links, also nach Westen und die Sonne schien mir ins Gesicht. Bald hat-te ich das Dorf hinter mir und war nun völlig einsam. Ich hielt Zwiesprache mit dem Wind und den Wellen. Kein Wölkchen war zu sehen, nur einige Möwen zogen ihre Bahnen, immer nach etwas Fressbarem Ausschau haltend. Eine leichte Brise war aufgekommen, als ich das Dorf verlassen hatte. Der Schrei der Möwen drang
an mein Ohr, sie setzten sich aufs Wasser und ließen sich von den Wellen schaukeln.
Ich ging dicht am Wasser entlang und musste einen gewaltigen Satz machen, wenn ich nicht nasse Füße bekommen wollte, so heimtückisch waren manchmal die Wellen. Dicht am Wasser war der Strand fest; die Wellen spülten immer wieder an den Strand und der Sand sog das Wasser sofort auf. Ich beobachtete die See, die noch niemals so schön war wie heute. Die Sonne spiegelte sich im Wasser und ich musste die Augen manchmal zukneifen. Mein Gewissen hatte sich langsam beruhigt und ich fühlte mich frei.
Immer neue Wellen spülten an den Strand, ein Teil des Wassers versickerte und ein Teil lief wieder ins Meer zurück. So ging das unentwegt, die einen wagten sich weiter auf den Strand und die kleineren überspülten nur zaghaft den Sand. Bald war der Strand mit feinem, weißem Sand bedeckt, dann kamen wieder Stellen mit feingeschliffenen Steinen. Kein Staubkörnchen kam auf, das Wasser ließ es einfach nicht zu. Die Luft war rein und gesund.
Wenn ich einmal einen besonders schönen Stein sah, nahm ich ihn auf, betrachtete ihn eine Weile und warf ihn dann flach aufs Wasser und freute mich, wenn er einige Sprünge machte. Weiter oben war der Strand hügelig, hier wuchs der Strandhafer, der die Dünen vor der Verwehung schützen sollte. Hier konnte man Plätzchen finden, die windgeschützt waren, wo man ungestört sonnenbaden konnte. Leise strich der Wind durch die hohen Grashalme und bog die elastischen Stängel fast bis zur Erde. Stellenweise war der Strand bis zu 300 Meter breit und manchmal war er nur schmal, so dass man bei stürmischer See Mühe hatte, daran vorbei zu kommen.
Meine Wanderung wurde bald beendet, denn ich kam nun an eine Stelle, an der ein Fluss in die See mündete. Eine Brücke gab es leider nicht und überspringen konnte man ihn auch nicht. Also musste ich umkehren. Mal ging ich oben auf den Dünen entlang und manchmal war ich unten am Wasser. Oben auf der Düne schaute ich mich nach allen Seiten um, denn ich wollte doch wissen, was dahinter lag. Groß war mein Erstaunen, als ich die letzten Häuser unseres Ortes sah und die ersten Häuser von Ziegenberg vor mir hatte. Ich lief nun von einer Düne zur nächsten und war die ganze Zeit allein. So konnte ich mich völlig frei bewegen, ohne Gefahr zu laufen, beobachtet zu werden. Es waren schon mehr als zwei Stunden vergangen, denn die Sonne war schon beträchtlich gesunken. Mich zog es jetzt nach Hause. Ich war vom vielen Laufen und von der frischen Luft müde geworden; aber das tat gut.
Zu Hause schmeckte das Abendbrot besonders gut. Nachher gingen Arno und ich in die Backstube. Er machte den Sauerteig für das Brot des nächsten Tages. Natürlich wollte er wissen, was ich den ganzen Nachmittag getan hatte. Ich war am Strand, verkündete ich stolz. Arno staunte und fragte: So ganz allein? Ja, ganz al-lein, sagte ich. Es ist auch einmal schön, mit sich ganz allein zu sein. Anerkennend sagte Arno: Es ist immer ein schöner Ausgleich, wenn man nach der Arbeit in der Backstube an den Strand geht; dort findet man die frische Luft, die man braucht.
Ja, der Strand ist schön, sagte ich, man kann stundenlang laufen und der Strand hört nicht auf. Arno war erstaunt über meine Begeisterung.
Kann man eigentlich bis Kolberg laufen? fragte ich. Man könnte schon; immerhin ist das der kürzeste Weg, sagte er, aber es fließen einige Bäche in die Ostsee, die man nicht überspringen kann. Ach ja, entfuhr es mir, ich war ja schon bis zu dem ersten Bach; da kam ich nicht weiter. Sonst hätte man die Strecke in zwei Stunden bewältigt und es wäre ein schöner Sonntagsausflug, bemerkte ich begeistert. Man könnte dann mit der Bahn zurück fahren, wenn man zu müde ist, schaltete sich Emil ein, der auch in die Backstube gekommen war. Keine schlechte Idee, meinte Arno, da spart man das Fahrgeld. Nicht deswegen, verteidigte ich mich, aus rein sportlichen Erwägungen.
Nachdem die Arbeit in der Backstube beendet war, ging ich nach oben, denn ich wollte am nächsten Morgen ausgeschlafen sein. Die lange Wanderung am Strand hatte mich doch ein wenig angestrengt.
Der nächste Tag fing für mich wiederum um fünf Uhr an. Der Meister war beim Heizen und Arno stand wieder an der Knetmaschine und machte den Brötchen- teig. Heute kam mir das alles nicht mehr so fremd vor, denn ich wusste ja schon vom Vortage, wie alles gemacht wird. Als der Brötchenteig auf der Beute lag, machten wir uns an die Schnecken. Arno hatte den Teig bereits gemacht und den Vollsauer für das Brot hatte er auch schon gemacht. Ja, Arno fing bereits um vier Uhr an, hatte er mir erzählt, als ich ihn danach fragte. Während Arno den Schneckenteig ausrollte, holte ich die Bleche. Dann bestrich ich die Länge mit Fett und Arno streute den Zucker darauf. Sogar beim Zusammenrollen half ich. Dann schnitt er sie und ich setzte auf; alles klappte heute schon viel besser. Nun kamen die Semmeln an die Reihe; die Arbeit von gestern kannte ich noch. Ich ging an die Presse, als wenn es nicht anders sein konnte. Immer besser war meine Arbeit, sodass ich mir sogar ein Lob vom Meister einstreichen konnte.
Vor allem immer frisch sein, dachte ich, nicht dösen oder zeigen, dass man müde ist. Alles ging heute schon bedeutend schneller und die ersten 30 Pressen waren bald auf den Brettern. Beim Drücken nahm ich sofort den Fett Topf und betupfte die einzelnen Brötchen mit Fett. Arno drückte sie mit einem Knüppel und der Meister drehte sie um. Beim Schieben sollte ich jetzt aufsetzen. Der Meister nannte eine Zahl und ich musste mich danach richten. Die Schieber wurden ja nicht immer voll gesetzt, das wusste ich noch vom Vortage. Man fing links im Ofen an und ging dann über den ganzen Herd nach rechts. Erst in der Mitte wurden die Schieber voll gesetzt. Der Meister hatte immer zwei Schieber im Gebrauch, damit er die Tür nicht so oft aufzumachen brauchte. Zwischendurch ließ er immer wieder Dampf in den Ofen. Schau immer wieder in den Ofen, sagte der Meister, damit du siehst, warum wir jetzt so viel auf den Schieber setzen. Ich schaute in den Ofen, aber ich musste aufpassen, denn oft schlug mir der Dampf ins Gesicht und ich nahm den Kopf schnell wieder zurück. Im Ofen standen die Brötchen in Reih und Glied, wie die Soldaten, wenn sie angetreten sind. Wenn ich das nur erst könnte, dachte ich, aber
das wird wohl schwer sein, wenn es nur der Meister tat. Mittags, wenn es nicht so viele Brötchen waren, schob Arno ja auch manchmal. Aber er war ja schon Geselle. Für den Meister war das eine Kleinigkeit, das sah man sofort, aber ich als Lehrling musste schon noch eine Weile warten.
Kaum waren alle im Ofen, da wurden die ersten auch schon braun. Ich reichte dem Meister einen Korb herüber und er sagte nur: Ausbäcker! Ich wusste sofort, was er meinte und reichte ihm das Monstrum. Die ersten nahm der Meister mit einem kleinen Schlagschieber heraus und warf sie in den Korb. Dann holte er die große Masse mit dem Ausbäcker heraus. Ich sammelte die auf, die vorbeigefallen waren und verbrannte mir bald die Finger.
Arno war tüchtig dabei, die zweiten Brötchen aufzumachen, denn es musste ja zügig weiter gehen. Ich trug den vollen Korb in den Laden und schüttete die Brötchen ins Fach. Inzwischen war auch der zweite Korb voll. Arno war bereits beim Drücken; ich sprang sofort dazu und half ihm. Anschließend brachte ich den zweiten Korb in den Laden und nun begrüßte ich auch die Frau Meisterin mit einem freundlichen „Guten Morgen!“ Als ich zurück kam, war der Meister bereits dabei, die nächsten Brötchen in den Ofen zu schieben. Das ging nun abwechselnd; die einen kamen hinein und die anderen kamen heraus. Nun rührte Arno Amerikaner ein. Das hatte ich auch schon am Vortage gesehen, deshalb wusste ich das. Er setzte sie bereits auf die Bleche. Wir setzten zusammen die Bretter fort, Arno backte die letzten Brötchen aus und wir backten zusammen die Amerikaner ab.
Dann musste ich mich fertig machen, um meine Frühstückskunden zu beliefern. Draußen war herrlichster Sonnenschein und es machte mir Spaß, in der weißen Kluft die Dorfstraße entlang zu radeln. Auch das Abliefern war mir zur Routine geworden; ich hing den Beutel an die Türklinke, drückte auf den Klingelknopf und verschwandt wieder. Zu Gesicht bekam ich die Kunden nie.
Wieder kam ich zum Frühstück zurück, Arno hatte inzwischen Weißbrot gebacken. Die Brote lagen noch auf dem Brett vor dem Ofen. Ich trug sie sofort in den Laden. Nun ging es ans Brot. Ich sollte den Sauer aus dem Bottich in die Beute werfen. Natürlich griff ich mit beiden Händen in die Mitte. Aber ach, ich wäre beinahe zusammen gesunken, ein sehr kräftiger, säuerlicher Geruch stieg mir in die Nase. Was ist denn das? fragte ich Arno. Das riecht ja so streng! Jawohl, bestätigte Arno meine Frage, wenn der Sauer reif ist, muss er so riechen. Aber dass du das gerochen hast, wundert mich eigentlich. Wenn der Sauer nicht so riecht, dürfen wir gar nicht anfangen. Warum? fragte ich neugierig. Dann bekommen wir fehlerhaftes Brot, belehrte mich Arno. Ich dachte darüber nach, denn das war mir nicht einerlei. Sauber auskratzen! sagte Arno. Sonst bekommen wir Putzel. Was ist denn das nun wieder, fragte ich ernst. Die lernst du auch noch kennen, wenn du zum Putzeläcker geworden bist. Arno lachte herzlich. Nun wiege zwei Pfund Salz ab, sagte Arno, als er das Wasser in den Eimer ließ. Warum gerade zwei Pfund? fragte ich. Nun wird mir deine Fragerei bald zu viel, sagte Arno und ich sah, dass er es ernst meinte. Ich war einfach von den Socken und dachte: Wie kann ihm die Fragerei zu viel sein?
Zum Aufmachen sollte ich den Meister rufen, der sicherlich keine Zeit haben würde. Wenn ich das nur erst könnte, dann brauchten wir den Meister nicht. Musst nur immer tüchtig üben, dann kannst du es bald, sagte Arno, aber du hast schon noch ein bisschen Zeit. So schnell geht das alles nicht, denn der Teig klebte mir noch zu sehr an den Händen; das sah ich wirklich ein. Es musste also doch der Meister kommen und dann ging alles sehr schnell. Beim Schieben konnte ich zusehen und die leeren Bretter wegstellen.
Beim Hochschieben verstand ich meine Sache schon recht gut. Ich ging in die Fußgrube, nahm den Schieber in die Hand und los ging es. Ein Brot nach dem anderen nahm ich heraus und Arno nahm es mir ab. Manche wollten zuerst gar nicht auf dem Schieber bleiben und je mehr ich versuchte, das Brot auf den Schieber zu bekommen, um so heißer wurde der Schieber. Ich wurde schon ungeduldig und sagte: Ist der Schieber aber heiß. Ich pustete mir in die Hände. Arno spöttelte natürlich: So schlimm kann es doch gar nicht sein, sagte er. Daran wirst du dich schon gewöhnen; sei erst mal solange Bäcker wie ich. Das glaube ich auch; es wird schon alles werden, dachte ich.
Nachdem die ersten nun gebacken waren, holte Arno die restlichen Brote heraus und warf sie mir zu. Ich sollte sie auffangen. Das war für mich eine Qual, denn sie waren sehr heiß. Ich war froh, als das letzte Brot aus dem Ofen war. Wir trugen sie gemeinsam in den Laden und packten sie in die Regale.
In der Backstube
So, nun lass alles stehen und liegen und fahr mit dem Handwagen zum Bäcker Kreutz und hole den Herdhobel, das ist erst mal sehr wichtig, beauftragte mich Arno. Ich wurde ein wenig stutzig, ging aber daran, den Auftrag auszuführen. Gehst gleich in die Backstube und fragst den Gesellen oder Willi Freitag, ob sie uns den
Herdhobel leihen könnten, sagte Arno. Ich zog meine weiße Jacke an und wollte mich gleich auf den Weg machen, als Arno mir noch zurief: Nimm dir einen Sack mit, denn das Ding ist schwer. Ich fuhr also guten Muts zum Bäcker Kreutz. In der Backstube traf ich den Gesellen und Willi an. Sie wunderten sich, dass ich schon wieder da war. Noch mehr wunderten sie sich, als ich ihnen meinen Auftrag unterbreitete. Willi zog die Stirne kraus und sagte: Na ja, das könnte gehen, wir brauchen ihn im Augenblick nicht. Ich gab ihm den Sack, den ich bereits unterm Arm hatte. Sie gingen beide nach hinten und ich wartete. Nach einer Weile kamen sie wieder und hatten den Sack bis oben vollgepackt und zugebunden. Sie grinsten ein wenig und Willi sagte: Na, wirst du das auch tragen können? Ich sagte: Ich glaub schon, ich hab ja den Wagen. Sie halfen mir noch, den Sack mit dem Herdhobel auf den Wagen zu legen. Ich sagte: Dankeschön! spannte mich vor den Wagen und zog an. Gute Fahrt! riefen sie mir nach, als ich durchs Tor verschwand.
Ich fuhr genau so unbeschwert die Dorfstraße entlang, wie auf meiner Hinfahrt. Unterwegs traf ich noch Bekannte, die ich freundlich grüßte. Ich hatte meinen Auftrag fast erfüllt und überlegte, was man wohl mit dem Herdhobel machen wollte? Sicher ist der Herd nicht ganz gleichmäßig und muss nun, nachdem wir den Ofen In Betrieb genommen haben, noch einmal abgehobelt werden, wie man ein Stück Holz hobelt. Als ich aber auf den Hof kam, war die ganze Belegschaft versammelt. Arno, Emil, Marie, die Frau Meisterin, Luzie und Onkel Theodor. Sie bogen sich vor Lachen und konnten sich gar nicht beruhigen. Nein sowas, rief Luzie. Ha ha ha ha, lachten Marie und Emil abwechselnd. Die Frau Meisterin war die einzige, die nicht in Lachsalven ausbrach. Sie verhielt sich würdevoll. Onkel Theodor blieb ebenfalls ernst und fragte erbost: Was macht ihr mit dem Jungen? Nun wurde mir auch klar, dass das Ganze nur ein Scherz war. Lass uns doch diesen Spaß, Onkel Theodor, sagte Arno. Einerseits war ich ein wenig ärgerlich und verlangte eine Aufklärung von Arno, andererseits war ich wiederum nicht böse über diesen Scherz.
Binde den Sack nur auf, damit wir den Herdhobel herausnehmen können, sagte Arno zu mir. Ich machte den Sack auf und stellte fest, statt eines Herdhobels waren nur dicke Holzkloben und Eisenteile drin. Deshalb war der Sack so schwer, sagte ich. Allmählich hatten sie sich beruhigt und lachten kaum noch. Was soll denn nun werden? fragte ich Arno. Hast dich ganz schön reinlegen lassen, sagte Arno und alle begannen erneut zu lachen. Auch die Frau Meisterin und Luzie lachten wieder. Nein, sowas! sagte sie und Luzie hielt sich an ihr fest. Otto, wie konntest du dich nur so reinlegen lassen? fragte sie. Sowas haben wir ja schon lange nicht erlebt. Ich sagte mit ernstem Gesicht: Wenn Arno mir den Auftrag gibt, muss ich ihn doch ausführen. Das war ein Spaß, nein, das war ein Spaß, sagte Luzie immer wieder und kicherte. Die Frau Meisterin begab sich nun auf meine Seite, indem sie sagte: Na ja, wenn Arno dich beauftragte, kann ich schon verstehen, dass du es machen musstest.
Was soll denn nun werden? fragte ich abermals. Nichts weiter! sagte Arno. Pack den Sack mit den Sachen wieder auf den Wagen und fahr zu Bäcker Kreutz und sag, wir brauchen den Herdhobel nicht mehr. Mit vielem Dank zurück. Na schön, dachte ich, fahr ich eben wieder zurück. Mir blieb ja weiter nichts übrig. Für die Zukunft
werde ich jedenfalls misstrauischer sein, wenn Arno mir wieder einen Auftrag erteilt. Ärgerlich war ich aber trotzdem nicht. Sie haben einen Spaß gehabt, haben gelacht und nun ist der Spaß vorbei. So kam ich denn mit meiner Fuhre beim Bäckermeister Kreutz an. Ich traf die beiden Kollegen noch in der Bäckerei an. Willi Freitag konnte vor lauter Lachen kaum noch stehen und der Geselle lachte ebenfalls aus vollem Halse. Da hast du dich aber mächtig blamiert, sagte er und Willi vervollständigte seine Feststellung. Das geschah dir gerade recht, sagte er lachend, so müssen Stifte reingelegt werden. Lach nur! sagte der Geselle. Weißt du noch, wie du vor einem Jahr schweißtriefend unter der schweren Last hier ankamst? Willi sah verschämt auf den Boden. Da haben wir ebenfalls gelacht. Macht nichts, sagte er, das habe ich jetzt weitergegeben.
Ach, haben sie dich auch reingelegt, fragte ich und Willi blieb mir die Antwort schuldig. Stattdessen sagte er noch einmal: Das müssen alle jungen Stifte kennen lernen. Wir luden den Sack ab und entleerten ihn. Nachdem wir uns in die Hand versprochen hatten, dass wir solche Scherze weitergeben werden, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, verabschiedeten wir uns, ohne das wir nachtragend waren. Ich fuhr mit meinem Handwagen wieder nach Hause. Arno gegenüber tat ich so, als wäre nichts geschehen. Er jedoch lachte sich noch immer eins ins Fäustchen. Lach nur, dachte ich, du bist ja auch einmal Stift gewesen. Aber sicher kannte er diese Tricks, denn er war ja Meistersohn.
Sogar beim Mittagessen kam das Gespräch noch einmal darauf. Nun wusste es auch der Meister und er schmunzelte sogar. Als ich Stift war, berichtete er dann, sollte ich vom andren Bäcker Brotfarbe holen und was war nachher im Sack? Wir warteten alle auf die Lösung des Rätsels. Sand! sagte der Meister. Wir lachten alle. Ich musste den Sack aber auf dem Rücken tragen und der war ganz schön schwer und der Weg war weit. Wir amüsierten uns weiter. Davon hast du mir aber nichts erzählt, sagte die Frau Meisterin und sah den Meister dabei an. Davon spricht man eben nicht gern, aber weil unser Otto heute dasselbe erleben musste, wollte ich mein Erlebnis zum Besten geben. Lass nur, sagte er zu mir, es ist bis jetzt noch kein Meister vom Himmel gefallen! Alles lachte über die Beschwichtigung des Meisters, am meisten jedoch Arno, der doch der Urheber dieses Spektakels gewesen war.
Nach dem Essen hatte ich noch eine Menge zu tun, denn Arno hatte meine Arbeit nicht getan. Ich hatte eine Menge Zeit vertrödelt durch die Sache mit dem Herdhobel. Ich musste nun die Backstube sauber machen, Bleche putzen und Kohlen holen. Als ich mit meiner Arbeit fertig geworden war, wusch ich mir Gesicht und Hände und ging nach oben. Ich war für heute mit den Nerven fertig. Nicht erst ausziehen wollte ich mich, ich legte mich wie ich war auf das Bett. Erst jetzt überkam mich die Müdigkeit und ich schlief sofort ein. Die Sache mit dem Herdhobel ging mir durch den Kopf. Als ich erwachte, bekam ich einen ordentlichen Schreck. Es war bereits halb sechs Uhr. Bald würde Marie zum Abendbrot rufen. Ich zog mich schnell um. Gerade kam Emil die Treppe herauf. Er fragte erstaunt: Nanu, hast du geschlafen? Wir gingen zusammen hinunter, denn es gab tatsächlich schon Abend-essen. Was habt ihr gemacht? fragte ich Emil. Kartoffeln gepflanzt, verkündete er stolz. Du hättest eigentlich helfen sollen, aber du warst ja nicht da. Ich musste ja den Herdhobel holen und wieder wegbringen, sagte ich halb im Scherz. Ich hätte euch gern geholfen, wenn man mir nicht solchen Streich gespielt hätte.
Beim Abendessen hatte man den Herdhobel bereits vergessen. Wir aßen in Ruhe und anschließend ging ich mit Arno in die Backstube, wo er den Grundsauer machte. Vorläufig machte er ihn selbst und ich durfte ihm zusehen.
Danach gingen Emil und ich auf die Düne hinter der Waschküche. Hier stand eine Bank und auf die setzten wir uns. Wir sahen auf den Strand und aufs Meer. Von hier führte keine Treppe hinunter. Die Sonne stand tief im Westen und bald würde sie im Meer versinken. Das Licht spiegelte sich im Wasser, die Wellen rauschten und eine leichte Brise strich von der See her über das Land. Ein wunderbarer Abend, dachte ich. Das Rauschen des Meeres war wie Musik in unseren Ohren. Immer neue Wellen rauschten dem Strande zu, ergossen sich auf den Strand, versickerten zum Teil und zogen sich wieder zurück. Ein Spiel, das nie aufhörte, solange es das Meer gab. Mal rauschte das Meer laut und manchmal erklang seine Melodie nur leise. Es schien, als ob das Meer die abendliche Stille nicht stören wollte. Langsam versank die Sonne, es wurde kühl.
Lass uns noch ein wenig auf die Straße gehen, sagte Emil. Ich war damit einverstanden und so erhoben wir uns. Nun wird es bald losgehen, sagte Emil zu mir, denn die ersten Gäste sind schon da. Ja, fragte ich erstaunt, wo wohnen sie denn? Im Waldheim sind schon welche angekommen, betonte er. Auch das Kinderheim hat den Betrieb schon aufgenommen. Im Strandschloss traf man bereits Vorbereitungen, das sah ich. Die anderen Hotels fuhren bereits jeden Tag mit einem Wagen zur Bahn, um Gäste abzuholen. Der Bahnhof lag oben an der Chaussee, etwa zwei Kilometer vom Dorf entfernt. Überall arbeitet man schon und richtet sich für den Badebetrieb ein, sagte Emil. Das Kurhaus ist neu renoviert worden und wird in diesem Sommer alle Rekorde brechen. Der Besitzer der Afrika Diele, Herr Berg, ist auch schon längere Zeit hier und wartet auf Gäste. Wir gingen die Dorfstraße weiter und standen vor dem Café Niedlich. Hier ist im Sommer auch viel los, besonders der große Obstgarten ist anziehend. Das Café gehört der Frau Neitzel, der Frau unseres Bademeisters. Sie bezieht den Kuchen aus Kolberg. Emil wusste über alles Bescheid.
Es wird auch nicht mehr lange dauern, dann bekommen wir den ersten Gesellen; dann wird wieder mehr Kuchen gebacken, erzählte Emil. Jeden Tag gibt es dann Torten und so viele andere Sachen, dass dir die Augen übergehen werden. Wir waren durchs ganze Dorf gewandert und gingen nun wieder zurück. Leise schlichen wir die Treppe zu unserer Stube empor. Ohne noch viel zu erzählen, gingen wir zu Bett; wir brauchten nicht einmal Licht dazu.
Um fünf Uhr klopfte der Meister mit einem Schieber ans Fenster. Das war das Zeichen und daran musste ich mich gewöhnen. Die Arbeit war fast immer dieselbe; ich lernte mit jedem Tag mehr und konnte mich bald auf allen Gebieten nützlich machen, was mich mit Stolz erfüllte. In der zweiten Maiwoche wurde die Arbeit immer mehr. Arno machte Plunder und Blätterteig in der Konditorkammer. Vor allem an Sonnabenden gab es verschiedene Sorten Blechkuchen oder Pulverkuchen. Ich bekam mehr Frühstückskunden dazu; die gaben mir auch mal ein Trinkgeld. Der Meister hatte mir bis jetzt noch nichts gegeben. Wenn der Meister in der Konditorkammer Plunderstückchen machte, dann schloss er die Tür, damit ihm keiner zusehen konnte. Ich war etwas enttäuscht und fragte Arno, warum der Meister so geheimnisvoll tue? Er wird sich doch nicht in die Karten gucken lassen, meinte Arno. Und wie soll man das dann lernen? fragte ich energisch. Musst schon die Augen und Ohren aufmachen, damit du was lernst, sagte er verschmitzt.
Es wurde Ende Mai. Als der erste Geselle eintraf. Nun ging es richtig los. Er war Bäcker und Konditor und kam aus Breslau. Sein Name war Willi Piltz. Nun ging ich doch öfter in die Konditorkammer, wenn er arbeitete und half ihm. Herr Piltz war 30 Jahre alt und sehr freundlich zu mir. Zunächst durfte ich ihm Bleche putzen und dann durfte ich sogar die Stücke aufsetzen und die Bleche in die Garstangen tragen. Allzu neugierig durfte ich nicht sein, denn ich dachte an den Ausspruch Arnos, von wegen in die Karten gucken. An den Sonnabenden gab es bedeutend mehr Schnecken und Brötchen, auch Kuchen. Willi Piltz ging auch an den Ofen und schob Brötchen. Das freute mich besonders, denn das konnte nicht einmal Arno. Ja, ich bekam langsam einen Blick dafür, ob einer was konnte oder nicht.
Ich musste schon beizeiten Brötchen ausfahren. Als ich von der ersten Tour zurückkam, musste ich gleich auf die nächste Tour gehen; die ging ins Dorf zu den Bauern, denn da wohnten bereits die ersten Gäste. Ich bekam eine Liste mit Namen und wusste nicht einmal, wo die Bauern wohnten. Emil hatte mir zwar einiges gesagt, aber Arno hätte mit mir ruhig einmal durch das Dorf gehen können, um mir alles zu zeigen. Nun musste ich mich durchfragen. Anschließend musste ich mit dem Fahrrad nach Ziegenberg fahren und einen ganzen Korb voller Brötchen hinbringen, in jedes Geschäft einen Sack voll.
Als ich dann zurückkam, war es bereits halb neun und ich bekam mein erstes Frühstück. Wo bleibst du denn solange, rief Arno, wir haben bald keine Bleche mehr. Der ganze Flocken stand voller Bleche mit den verschiedensten Kuchenstückchen, die hatte Herr Piltz alle gemacht, als ich weg war: Blechkuchen und Bienenstich und Erdbeerkuchen. Viele waren schon gebacken und waren schon im Laden und ich hatte nicht gesehen, wie er sie alle gemacht hatte und wäre doch so gern dabei gewesen. Mit Wehmut dachte ich daran, wie ich das alles lernen sollte, wenn ich immer nur Bleche putzen musste und mit dem Fahrrad unterwegs war, wenn ich Kohlen holen musste, die Backstube aufräumte und Handreichungen machte. Niemals sagte man zu mir: Schau Otto, das macht man so und so und das Rezept für den Kuchen ist so und nicht anders. Arno hatte gut reden, wenn er sagte: Musst schon die Augen und Ohren offen halten, wenn du etwas lernen willst.
Im Dorf hatten sich eine Menge Gäste eingefunden, der Verkehr auf der Straße nahm zu und meine Frühstückskunden wurden auch immer mehr. Ich fuhr jeden Tag drei Touren. Lauter fremde Gesichter tauchten auf. Am Strand wimmelte es nur
so von Menschen, Strandkörbe wurden aufgestellt, die ersten Badegäste tummelten sich im Wasser. Oft saß ich nun auf der Düne hinter der Waschküche und schaute auf das Leben und Treiben am und im Wasser. Boote mit Badegästen schaukelten auf den Wellen. Ich war nicht einmal umgezogen, sondern saß hier in weißer Kluft. Nun konnte ich mich selbst fragen: Warum gehe ich nicht an den Strand? Hatte ich denn eigentlich noch Zeit und Lust dazu? Musste ich mich denn nicht hinlegen, denn morgens wurde ich schon um fünf geweckt? Herr Piltz und Arno waren schon verschwunden, als ich noch die Bleche putzte und die Kohlen holte. Nun sitze ich hier, nicht wissend, was für mich besser ist.
Ich entdeckte Schönbergs Boote, sie kamen beide an Land; vollbesetzt schaukelten sie auf den Wellen. Aber schon warteten die nächsten, die mitfahren wollten. Sicherlich nahm er für jede Person 50 Pfennig. Das war für mich unerschwinglich, denn ich hatte außer ein paar Groschen Trinkgeld nichts weiter. Der Meister hatte mir auch jetzt noch nichts gegeben. Ich beneidete Schönbergs Jungs, die mit den Booten fahren konnten und den ganzen Tag an der frischen Luft waren. Aber ich hatte mich nun einmal für den Bäckerberuf entschieden und daran musste ich festhalten. Ich durfte die nicht beneiden, die es besser hatten als ich. Jetzt fing meine Lehrzeit ja erst an und viele Monate lagen noch vor mir. Ich hatte jetzt nicht mehr den ganzen Nachmittag frei, denn wir arbeiteten jetzt länger. Mit meinem Bummel durch das Dorf war es auch vorbei, dazu war ich zu müde. Meist ging ich nach oben, wenn ich mit meiner Arbeit fertig war, legte mich hin und blieb bis zum Abendessen liegen. Dann setzte ich mich auf die Düne, wie gerade jetzt. Oft kamen Emil oder Marie dazu und wir unterhielten uns.
Na Otto, gefällt dir denn das Bäckerlernen? fragte Marie eines Tages. Bis jetzt gefällt es mir immer noch ganz gut, sagte ich, denn jeden Tag gibt es etwas Neues für mich zu lernen, was ich noch nicht weiß. Warte mal, bis es erst richtig losgeht, dann hast du überhaupt keine Freizeit mehr, wandte sie ein. Also die einen kommen, um sich zu erholen, sagte ich, und wir müssen für sie arbeiten. Freizeit hast du, wenn die Arbeit getan ist, dann kannst du auch baden, sagte Emil lachend. Hast du schon Trinkgeld bekommen? wollte er dann wissen. Ich wollte es zuerst gar nicht annehmen, sagte ich und sie lachten beide. Warum denn nicht? fragte Marie. Es war für mich beschämend, denn der Meister gibt mir nichts und von den Kunden soll ich was annehmen? Ich lerne doch nicht, weil ich dabei Trinkgeld bekommen kann, sondern ich lerne aus Idealismus. Sie machten beide ganz erstaunte Gesichter.
Der nächste Tag war ein Sonnabend. Der Meister weckte mich bereits um vier Uhr, denn ich sollte mich an das frühe Aufstehen gewöhnen. In der Backstube ging es gleich rund. Zeitweilig war der Geselle an der Beute und dann wieder am Ofen. Zwischendurch war er in der Konditorkammer und es kam ein Blech nach dem anderen von dort heraus. Man rief nach Blechen, noch bevor ich auf Tour ging. Dann stand wieder der Meister am Ofen und Arno und Herr Piltz machten auf, während ich einmal presste und dann wieder dem Meister am Ofen half. Ich arbeitete äußerst flott, jedenfalls dachte ich so. Wenn ich einen kleinen Vorrat gepresst hatte, ging ich an den Tisch und half zustoßen, das konnte ich jedenfalls schon. Arno und ich machten dann das Weißbrot und den Barches, die Mohnbrötchen und Salzstangen. Sogar Amerikaner machten wir noch vor dem Ausfahren. Die konnte ich bereits einrühren und aufsetzen. Ich war stolz auf das bisher gelernte. Wenn man es mir auch nicht direkt gezeigt hatte, ich hatte es mir abgesehen und so würde ich es auch mit anderen Sachen machen. Augen und Ohren offen halten, sagte Arno.
Aber nun musste ich wieder ausfahren; die Frau Meisterin hatte die erste Tour bereits zusammen gestellt. Ich schwang mich aufs Fahrrad und fühlte mich frei. Ich war luftig angezogen und es war für mich eine Erholung. Jetzt war bereits Mitte Juni, das Wetter war weiterhin schön.
Viel Zeit zum Essen hatte ich nicht, als ich von meinen Touren zurückkam, denn Herr Piltz rief bereits nach Blechen. Was waren das alles für Kuchen, die er machte. Ich konnte sie mir kaum ansehen, denn sobald sie aus dem Ofen kamen, musste ich sie in den Laden tragen. Da waren Schweineohren, die ich noch nicht kannte, Schillerlocken und Napoleonstücke, da waren Tortenstückchen, alles Sachen, die erst seit kurzem gemacht wurden.
Arno und ich standen am Brotteig und machten auf. Zuerst wogen wir ab, dann wirkte ich und er machte lang. Das Streichen war meine Arbeit und beim Schieben durfte ich aufsetzen. Ja, ich hatte schon einiges gelernt und die Arbeit machte mir immer mehr Spaß, auch wenn mehr zu tun war. Doch ich sah auch dem Konditor auf die Finger, denn seine Arbeit interessierte mich sehr. Kurz bevor wir Feierabend machten, begann er noch eine Torte. Das war für mich eine willkommene Gelegenheit. Ich wich nicht von seiner Seite. Interessiert dich das? fragte er. Ich lachte und sagte: Ja, sehr! Es wundert mich, dass du dann Bäcker lernst. Ich sah ihn an und dachte: Was soll ich denn sonst lernen? Zu ihm sagte ich: Die Torte ist doch die Krönung der Konditorei. So kann man das auch sagen, meinte er, aber es ist doch nichts dabei. An und für sich war wirklich nichts dabei. Man musste nur wissen, wie man den Boden macht und wie die Creme. Ich sah ihm auf die Finger und wollte auch hinter dieses Geheimnis kommen; das nahm ich mir unbedingt vor. Es kam dabei nicht allein auf die Zutaten an, sondern auch darauf, wie man die Zutaten verarbeitete. Dazu würde ich sicherlich noch lange brauchen.
Augenblicklich half ich Arno beim Drücken der Bärmbrötchen und beim Flechten der Zöpfe. Die Knüppel konnte ich auch schon drücken, aber die sahen noch nicht richtig aus.
Eines Tages machten Arno und ich Teegebäck. Er rührte natürlich den Teig an, Mürbteig nannte er ihn. Dann rollte er ein Stück davon aus und begann mit dem Ausstechen. Ich durfte sie mit Milch streichen. Nun zeigte er mir, wie man sie mit der feuchten Seite in den Zucker werfen musste; anschließend setzten wir sie fein säuberlich auf die Bleche. Acht Bleche wurden es insgesamt. Nun schob er die Bleche auf den oberen Herd; ich reichte sie ihm zu und dann warteten wir, bis sie gebacken waren. Ich fragte Arno nach dem Rezept. Zuerst wollte er gar nicht damit heraus, aber ich fragte immer dringlicher, bis ich es heraus hatte. Nach Feierabend schrieb ich es mir auf; dann besorgte ich mir ein Büchlein und schrieb mir alles auf, was ich für wichtig hielt. So musste ich mir meine Kenntnisse, man konnte
schon fast sagen, zusammen stehlen. Arno sagte mir einmal, ich sei einer Schweigepflicht unterworfen. Alles, was hier im Betrieb gemacht wird, dürfe ich nicht einfach weiter erzählen, auch Rezepte nicht weiter reichen.
Inzwischen waren unsere Ausstecher gebacken, sie sahen goldgelb aus, so wie sie nicht anders hätten aussehen dürfen. Der Konditor sah sie sich an und lobte uns. Wir lösten sie von den Blechen und schütteten sie übereinander und ich trug sie stolz in den Laden. Natürlich hatten wir sie vorher gekostet. Gut, sagte ich zu Arno, das Rezept werde ich mir merken. Arno lachte und sagte: Hast du auch schon eine Ahnung davon? Aber sicher, ich bin doch Bäcker, sagte ich halb im Scherz. Du willst doch erst Bäcker werden, berichtigte er mich. Schon war ich wieder belehrt. So tat es Arno immer. Bäcker ist man erst, wenn man ausgelernt hat, sagte er zu mir. Ja, Arno hatte schon seinen Stolz.
Nun ging der Juni zu Ende und es wurde ein weiterer Geselle eingestellt. Ein richtiger Konditor kam zu uns. Herr Piltz machte von nun an den einfachen Kuchen, während der Konditor die Böden anschlug und die Torten machte. Außerdem machte er Felsenmakronen, Punschschnitte, Napoleonschnitte, Schillerlocken und Obsttorten. Er verarbeitete sehr viele Früchte, die es ja in jeder Menge gab. Außerdem wurden viele Pfannkuchen und Spritzkuchen gebacken, nicht zu vergessen Windbeutel und Liebesknochen.
Wir in der Bäckerei hatten von morgens bis zum späten Nachmittag zu tun. Der Tag begann stets um vier Uhr in der Früh. Herr Piltz half viel in der Bäckerei und schob die ganzen Brötchen. Außerdem machte er Blechkuchen, Käsekuchen, Bienenstich, Königskuchen und Plunder, sowie Teegebäck. Herr Piltz war sehr flink, man konnte viel von ihm lernen. Es war mit ihm ein gutes Arbeiten, denn er betrachtete mich nicht als eine Null, wie Arno es mitunter tat. Er sagte: Ein Lehrling hat seine Aufgabe im Betrieb genauso, wie jeder andere. Er ist für den Betrieb unentbehrlich.
Mein Kundenkreis außerhalb des Betriebes wurde immer größer. Ich hatte vorn einen Korb und hinten auf dem Gepäckträger noch einen. Verschiedene Beutel hingen außerdem am Lenker. So fuhr ich los, vier bis fünfmal hintereinander. Die Hotels bekamen so viel, dass ich zu jedem Hotel extra fahren musste. Zwischendurch kam die Frau Meisterin in die Backstube und sagte: Otto, du musst schnell Brötchen zum Kurhaus bringen. Ich wusch mir dann die Hände, zog meine weiße Jacke an und schon war ich unterwegs. Morgens um sieben begann ich mit der ersten Tour und um zehn Uhr war ich endlich fertig.
Bist du auch schon da? fragte Arno, wenn ich zurückkam. Er saß dann schon beim zweiten Frühstück, während ich gerade das erste nebenbei verdrückt hatte. Ein ganzer Stapel Bleche wartete auf mich. Ich musste sofort mit dem Putzen beginnen und das Becken stand voller Geschirr, dass ich ebenfalls abwaschen musste. Es sah gerade so aus, als ob die Herren Gesellen keine Zeit hatten, selbst einmal Hand anzulegen. Jeder, der an mir vorbei ging, sagte nur: Beeil dich bloß, ich brauche dringend Bleche. Ich wurde gehetzt und getrieben und durfte mich nicht aufregen. Ja, ich war der einzige, dem diese Arbeit zuzumuten war. Ich hatte mich in mein
Schicksal zu fügen, denn ich wollte ja Bäcker werden. Lehrjahre sind eben keine Herrenjahre, sagte Arno zu mir, wenn er darauf hinweisen wollte, dass es so sein musste und nicht anders sein konnte.
Jedenfalls setzte ich mich erst mal hin und aß, wenn ich vom Ausfahren zurückkam. Wenn die Frau Meisterin mir nicht einige Brötchen Hälften mit Butter bestrichen hätte, dann hätte ich nur ein paar trockene Semmeln essen können. Ich war der Frau Meisterin dankbar, dass sie ein Herz für mich hatte.
Kurz vor dem 1. Juli bekamen wir einen weiteren Gesellen. Gerhard Peters hieß er und hatte in Kolberg gelernt und gearbeitet. Er war 21 Jahre alt und sollte Arno in der Bäckerei helfen. Herr Piltz stand nun ausschließlich am Ofen; er hatte kaum Zeit für die vielen Blechkuchen. Darum mussten sich Arno und Gerhard kümmern. Soweit war er ganz in Ordnung. Ich durfte ihn sogar Gerhard nennen, sagte aber Sie zu ihm. Man merkte, dass er schon was vom Beruf verstand und nichts tragisch nahm. Er langte auch manchmal zu, wenn eine Nebenarbeit gemacht werden musste. Ich war nun zuversichtlich und glaubte, er wäre auch eine kleine Hilfe für mich. Drei Gesellen in der Bäckerei und ich als Stift, das musste ja klappen.