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3. In der Lehre
ОглавлениеArno kam auf uns zu. Er war groß und schlank, genau wie der Meister, sein Vater. Er begrüßte uns beide und sagte zu mir: Also du bist der neue Lehrling? Wir lachten uns beide an. So habe ich mir einen Lehrling auch vorgestellt, hoffentlich gefällt es dir bei uns. Nun hatten wir Kontakt aufgenommen. Es wird mir schon gefallen, auch wenn alles ganz neu für mich ist, versuchte ich, die eben geäußerten Bedenken zu zerstreuen. Arno forderte nun Willi auf, an die Seite heranzufahren und dann stellten wir die Koffer herunter. Arno nahm selbst einen Koffer und Willi nahm den anderen. Ich trug den Pappkarton und so gingen wir durch das Haus auf den Hof. Von hier führte eine Holztreppe nach oben. Wir kamen zuerst auf ein Podest und dann ins Zimmer. Hier standen zwei Betten, ein Tisch, zwei Stühle und ein Schrank. Auf dem Tisch stand eine Petroleumlampe. Nicht mehr als sein muss, dachte ich, aber gemütlich. Wir stellten unsere Sachen ab. Hier ist dein Quartier, sagte Arno, du schläfst zusammen mit Emil, das ist unser Arbeiter. Wir haben nämlich auch ein Pferd, zwei Kühe und Schweine, die versorgt werden müssen. Außerdem auch Federvieh. Willi und ich staunten immer mehr, das hatten wir nicht gedacht. Wir haben auch fünf Morgen Land, sagte Arno noch zu unserem Erstaunen. Wir stellten unsere Sachen ab, denn einräumen wollte ich sie, wenn Emil da ist. Es gefällt mir gut, sagte ich zu Arno, etwas anderes habe ich gar nicht erwartet. Arno sah mich zufrieden an und lächelte. Wir gingen zusammen hinunter und verabschiedeten uns von Willi. Ich trug ihm noch Grüße für zu Hause auf.
Jetzt muss ich mich aber gleich beim Meister vorstellen, sagte ich zu Arno. Immer mit der Ruhe, erwiderte er, nichts überstürzen! Auf dem Hof lagen Steine, ganze Berge von großen und kleinen, breiten und schmalen Steinen. Dazwischen lagen auch Eisenteile und Sandhaufen. Was bedeutet das alles? fragte ich deshalb Arno. Das wird der neue Ofen, sagte Arno, den alten haben wir bereits abgerissen, den lernst du gar nicht mehr kennen.
Wir gingen nun in die Wohnung zum Meister und der Frau Meisterin. Ich heiße Otto Lemm und bin der neue Lehrling, sagte ich und gab der Frau Meisterin die Hand. Luzie stand daneben und so begrüßte ich sie auch gleich. Sie begrüßten mich sehr freundlich. Ich gab mich nun der Luzie zu erkennen und sagte ihr, dass ich sie bereits aus dem Konfirmanden Unterricht her kenne. Ja? fragte sie, kennen wir uns von dort? Natürlich, sagte ich. Hans und Kurt Schönberg kenne ich auch, denn sie waren auch dort. Die Frau Meisterin fragte, wie viel Geschwister wir seien? Sieben, sagte ich, ich stehe genau in der Mitte. Sie machte ein erstauntes Gesicht und Luzie kicherte. Wir sind nur drei, sagte sie ein wenig spöttisch. Mir gefällt eine große Familie ganz gut, sagte ich mit ein wenig Stolz.
Hat Arno dir schon deine Stube gezeigt? fragte die Frau Meisterin. Alles schon erledigt, sagte ich, meine Sachen sind bereits oben. Ich werde aber mit dem Auspacken warten, bis Emil da ist. Sie schienen mit mir zufrieden zu sein. Arno stand die ganze Zeit neben uns und nickte zuweilen. Plötzlich sagte er: Komm Otto, jetzt werde
ich dir die Backstube zeigen. Ich nickte und folgte ihm. Wir gingen wieder über den Hof in einen Raum, in dem die Maurer arbeiteten. Ein Lärm, ein Hämmern und Klopfen empfing uns. Der alte Ofen wurde noch immer auseinandergestemmt. Man war dabei, den Schutt wegzuräumen.
Hier war auch der Meister und ich stellte mich nun ihm vor. Er wollte wissen, ob ich schon alle meine Sachen mitgebracht hatte. Jawohl Meister, sagte ich, ich habe alle meine Sachen hier und kann sofort mit der Arbeit beginnen. Der Meister war zufrieden und sagte: Nein, nein, lass nur, dafür haben wir unsere Leute. Bei dieser Gelegenheit stellte Arno mir auch Emil vor, der mit einem Handlanger den Schutt wegräumte. Emil war meiner Schätzung nach 25 Jahre alt und tat alle Arbeit, die neben den beiden Geschäften anfiel. Er hatte nebenbei das Pferd zu versorgen und die beiden Kühe. Wir unterhielten uns sehr freundlich. Heute war für mich nichts mehr zu tun. Ich konnte mir alles ansehen und ließ mir von Arno vieles erklären.
Als die Maurer ihre Arbeit beendet hatte, ging ich mit Emil auf die Stube. Wir freundeten uns bald an. Er wohnte hier im Ort in der Fischerstraße. Sein Vater arbeitete hier im Augenblick als Handlanger, dem Emil half. Ich erzählte ihm, von meinen Eltern und wie ich zu dieser Stelle kam. Da hast du aber Glück gehabt, dass du gleich eine Stelle gefunden hast, bemerkte er. So schnell findet man heute keine Stelle. Mein Bruder Paul hat vor kurzem auch eine Lehrstelle als Autoschlosser gefunden, allerdings in Kolberg. Ich will auch noch lernen, wenn sich die Gelegenheit bietet, obwohl ich schon 25 bin. Was denn? fragte ich. Maurer will ich werden, mein Bruder ist Zimmermann. Emil schwärmte für diesen Beruf.
Jetzt packte ich meine Sachen aus und wir räumten alles gemeinsam in den Schrank. Anschließend gingen wir in den Stall und ich konnte mich hier umsehen. Dort standen das Pferd und die beiden Kühe, auf der anderen Seite waren die Buchten für die Schweine. Emil fütterte das Pferd und Marie war beim Melken. Auch mit ihr machte ich mich bekannt, als sie fertig war. Sie war auch 25 und war das Mädchen für alles. Ich erzählte ihr auch, wo ich herkam und fragte sie, ob sie schon von Lindenhof gehört hätte. Nein, sagte sie, wo liegt denn der Ort? Sehen Sie, sagte ich lachend, Sie haben noch nicht von Lindenhof gehört, obwohl der Weg dorthin gar nicht weit ist, ich dagegen war schon in Henkenhagen und habe sogar in der Ostsee gebadet. Ist ja nicht möglich, rief sie begeistert und lachte. Emil lachte natürlich mit.
Ich will euch beide nun zum Essen einladen, sagte sie und wir folgten ihr ins Haus. Marie wohnte auch im Ort und war schon mehrere Jahre hier. Sie hatte sich unentbehrlich gemacht. Zum Abendbrot hatte sich die ganze Familie versammelt. Wir saßen alle um den Tisch herum. Für mich war schon ein Platz reserviert. Jetzt kannte ich sie bald alle, nur Onkel Theodor war mir noch unbekannt, aber nicht mehr lange. Onkel Theodor war der Bruder der Frau Meisterin. Er war unverheiratet und machte sich nützlich, wo er konnte. Eine große Familie, die sich hier versammelt hatte. Die Stullen waren bereits fertig gemacht und wir konnten sofort beginnen. Sie lagen auf Stullenbrettchen, jeweils auf dem Platz, an den wir uns setzten. Beim Essen wurde nicht viel gesprochen, auch der Meister und die Frau Meisterin sprachen kaum. Mich fragte sie nur, ob mir die Stullen genügten. Danke, sagte ich, es reicht vollkommen,
Als Emil und ich fertig waren, sagten wir. Gute Nacht! und gingen. Nun gingen wir abermals in den Stall. Er gab dem Pferd das letzte Futter, hielt ihm Wasser hin und schaute nochmals nach den Kühen und den Schweinen und dann war alles erledigt. Er schloss den Stall ab und wir gingen anschließend auf die Straße.
Er wollte mit mir nun einen Bummel durch den Ort machen. Emil erklärte mir, wer hier und dort wohnt und erzählte von den Leuten, was er so über sie wusste. Dann erzählte er vom Leben und Treiben während der Sommermonate. Er schwärmte förmlich vom Badebetrieb. Ab und zu begrüßte er Bekannte. Manche begrüßte er im Vorbeigehen und bei anderen blieb er einen Augenblick stehen. Sie tauschten Neuigkeiten aus. Meist fragten sie, wer ich sei und Emil erzählte es ihnen. So wurde ich eher bekannt, als ich dachte. Wir gingen in östlicher Richtung bis ans Ende des Ortes, wo die vielen Geschäfte waren und die villenartigen Häuser standen. Jedes der Häuser war von einem Garten umgeben, in dem große Bäume standen und Beerensträucher. Die ersten Frühlingsblumen waren auch schon zu sehen. Die Luft war mild und die Vögel zwitscherten. Am Ende des Ortes führte die Straße in einen Wald. Wunderbar! sagte ich immer wieder. Wir setzten uns auf eine Bank, die hier am Waldrand stand. Was werden wohl meine Eltern und Geschwister jetzt von mir denken? fragte ich ganz plötzlich. Bestimmt können sie sich nicht vorstellen, dass ich jetzt spazieren gehe und mich über mein Glück freue. Das wird noch viel schöner, sagte Emil. Lass es erst mal Sommer werden, dann hast du zwar mehr Arbeit, aber das Leben ist trotzdem schöner. Ich bin schon jetzt zufrieden, besser braucht es gar nicht zu werden. Ich habe es jedenfalls geschafft, aus der Einsamkeit auszubrechen.
Wie ist es denn bei euch? wollte Emil wissen. Bei uns werden sie wohl jetzt alle im Bett liegen, sagte ich. Was sollen sie denn anfangen? Lindenhof ist ja kein Dorf, wo man spazieren gehen kann. Da wohnt jeder auf seinem Grundstück. Eine Dorfstraße gibt es einfach nicht. Emil konnte sich sicher nichts darunter vorstellen und fragte deshalb auch nicht weiter. Nun machten wir kehrt und gingen anschließend durch die Fischerstraße. Emil zeigte mir das Haus seiner Eltern. Diese Straße verlief unmittelbar auf der Düne und man hatte die See vor sich. Allerdings ging es etwa 30 Meter hinunter. Oft sah man Treppen, die hinunter führten.
Henkenhagen 2008, heute Ustronie Morskie, Häuser auf dem Deich mit Zugang zum
Strand
Ist doch komisch, sagte ich, früher habe ich das alles gar nicht gekannt und jetzt soll es für mich zu einem Bestandteil meines Lebens werden. Ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es hier habt. Das kann ich besonders beurteilen, weil ich das bisher noch nicht kannte.
Zu Hause angekommen, gingen wir sofort aufs Zimmer. Das Rauschen des Meeres drang durch das offene Fenster. Zu uns, es war für mich etwas völlig Neues. Das Haus lag direkt auf der Düne, keine 20 Meter weiter ging es etwa 30 Meter hinab. Ist es dir zu laut? fragte Emil, wir können das Fenster auch schließen. Das war auch das Beste, denn ich musste mich erst an das Rauschen gewöhnen. Allerlei Gedanken gingen mir im Kopf herum. Das Ungewisse, das morgen auf mich zukommen würde, ließ mir keine Ruhe. Dementsprechend schlief ich recht unruhig und war froh, als die erste Nacht endlich vorüber war.
Plötzlich stand Arno im Zimmer und forderte uns zum Aufstehen auf. Ich musste mich erst vergewissern, wo ich eigentlich war, denn in den letzten Stunden hatte ich fest geschlafen. Es war sechs Uhr. Also taten wir wie befohlen. Emil ging in den Stall und ich wurde von Arno auf dem Hof erwartet. Er stand neben einem Handwagen, auf dem einige Körbe standen. Wir setzten uns langsam in Bewegung. Wir fahren jetzt zu dem anderen Bäcker und holen die Backwaren von dort für unser Geschäft, sagte Arno zu meiner Aufklärung. Solange er gebaut hat, haben wir ihn beliefert und jetzt, wo wir bauen, beliefert er uns. Wir brauchten beide einen neuen Dampfofen.
Wir fuhren die Dorfstraße entlang und begegneten fast keinem Menschen. Es wurde gerade hell. Die Luft war kühl und ich musste gähnen, ich war ein wenig müde. Als wir auf den Hof der Bäckerei kamen, umgab uns der Duft von frischgebackenen Semmeln. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Und dann erst die Backstube! Es war für mich alles so wunderbar, dass ich es kaum beschreiben kann. Drei Mann arbeiteten hier in weißer Kleidung und mit weißer Mütze. Sie taten ihre Arbeit schnell und sicher. Wir mussten ein wenig warten und ich ließ meine Blicke schweifen. Ich war ja so neugierig, aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie das alles gemacht wird, bis die Brötchen fertig sind. Drei Mann, dachte ich, das sind sicher Meister, Geselle und Lehrling. Ich erfuhr es auch bald, als Arno mich vorstellte. Als der Meister einen Augenblick in den Laden ging, erfuhr ich alles, was ich wissen wollte. Der Lehrling hieß Willi Freitag und war im zweiten Lehrjahr. Der Geselle hatte hier auch gelernt und ist hier geblieben. Sie wohnten beide im Ort.
Der Meister holte nun die Semmeln mit einem großen und breiten Schieber aus dem Ofen. Sie fielen in die bereitstehenden Körbe. Nun kam auch die Frau Meisterin und zählte die Semmeln für uns ab. Wie schnell der Meister die Semmeln auf schmalen Schiebern in den Ofen schob und wie schnell er sie wieder mit dem breiten Schieber herausholte. Er stand vor dem Ofen in einer Fußgrube. Der Lehrling musste die Semmeln aufsetzen und die vollen Körbe wegtragen. Der Geselle stand am Tisch und formte die Semmeln, sie mussten alle einzeln gemacht werden.
Ich konnte nicht lange zusehen, denn Arno zählte mit der Frau Meisterin ein und ich musste die Körbe hinaustragen. Schnecken und Kuchenstücke bekamen wir auch und verschiedene Brotsorten. Alles wurde sorgfältig auf den Wagen geladen und zugedeckt. Arno war besonders vorsichtig, damit auch nichts herunterfiel. Als alles gut verstaut war, fuhren wir los. Ich ging vorn an der Deichsel und Arno passte hinten auf. Bei uns wurde der Laden gerade aufgemacht, als wir ankamen. Wir trugen die Körbe hinein und die Frau Meisterin und Luzie nahmen sie in Empfang. Die Semmeln wurden in die Fächer geschüttet und das Brot hatte im Regal seinen Platz. Ich brachte den Wagen auf den Hof und anschließend bekamen wir das Frühstück.
Es gab tatsächlich frische Brötchen, bestrichen mit Butter und Marmelade. Dazu einen duftenden Kaffee. Ganz anders als zu Hause, dachte ich. Aber wie sollte es auch anders sein. So gut wie hier hatte ich noch nie gefrühstückt. Ich sah bereits die Vorteile, die ich als Bäcker hatte und war gespannt, wie das weitergeht.
Am Vormittag half ich den Maurern, oder besser gesagt, ich half Emil ein wenig, der den Schutt hinausbefördern musste. Der Ofenbauer war ein nervöser, älterer Herr, er kam aus Berlin. Die Firma, die den Ofen geliefert hatte, hatte ihn damit beauftragt, ihn aufzustellen. Er war ein Fachmann und die anderen Maurer erhielten von ihm Anweisungen. Oft tat er dies lauter als notwendig. Seine Anordnungen ließen uns manchmal aufhorchen. Emil unterbrach dann seine Arbeit und schaute grinsend zu den Maurern herüber.
Gegen 10 Uhr kam Arno zu mir. Ich sollte nun allein zu dem andern Bäcker fahren
und das Brot holen. Er gab mir einen Zettel und verschiedene Körbe mit. Ich fuhr also auf den Hof des andern Bäckers und ging in die Backstube. Diesmal waren nur der Geselle und der Lehrling anwesend. Willi nahm mir den Zettel ab und ging damit in den Laden. Wieder kam die Frau Meisterin und zählte die Brote ab, die ich bekommen sollte. Anschließend begann Willi ein Gespräch mit mir. Er war neugierig auf mich, als seinen neuen Kollegen. Du bist also der neue Lehrling, begann er, wo kommst du her? Wie du siehst, hast du mit deiner Vermutung ganz recht, erwiderte ich, und kommen tue ich aus Lindenhof. Willi wunderte sich über die Bezeichnung Lindenhof und ich musste ihm erklären, wo das liegt. Kommst jetzt öfter allein? fragte er. Wenn nicht allein, dann mit Arno, sagte ich. Wie lange lernst du denn schon? fragte ich, obwohl ich das schon wusste. Ich bin bereits im zweiten Jahr, sagte Willi stolz. Vorher habe ich aber schon ein halbes Jahr Metzger gelernt. Weil der Beruf mir zu schwer war, habe ich wieder aufgehört. Willi benahm sich ein wenig überheblich, da konnte ich noch nicht mithalten. Ich wollte ihn ein wenig in seinem Bewusstsein stärken und sagte darauf: Da bist du ja Metzger und Bäcker. Na, wir werden uns ja noch öfter sehen, dann werden wir uns auch näher kennenlernen. Übrigens, kennst du auch schon den dritten Stift, den Charly? fragte Willi und sah mich an. Nein, das Vergnügen hatte ich noch nicht, sagte ich und wandte mich zum Gehen. Nun musste ich mich aber beeilen, sonst dachte Arno noch, ich bummle bei meiner Arbeit.
Beim Mittagessen traf sich die große Familie wieder, jeder nahm seinen Platz ein. Ja, es war schon anders, als bei uns zu Hause, vor allem gab es besseres Essen. Wie aber sollte es Mutter auch machen, soviel Geld hatte Vater auch nicht. Da waren wir froh, wenn es sonntags ein gebratenes Huhn gab. Nach dem Essen war Mittagsruhe. Emil und ich gingen auf die Stube. Wir legten uns aufs Bett und ruhten Wie lange haben wir Pause? fragte ich. Eine Stunde mit Essen, aber so genau nimmt das keiner. Emil kannte sich darin aus. Die Maurer hatten gleichfalls Pause und kamen erst um halb zwei. Wir erhoben uns schon ein wenig früher.
Gleich nach Beendigung der Pause musste ich wieder zum Bäcker Kreutz fahren, denn wenn der Laden um halb drei aufgemacht werden sollte, mussten auch frische Brötchen da sein. So hatte ich meine Beschäftigung den lieben langen Tag. Zwischendurch half ich Emil bei der Arbeit. Es gefiel mir ganz gut. Ich tat meine Arbeit gewissenhaft. Als die Maurer Feierabend machten und für mich auch nichts mehr zu tun war, lud mich Arno ein, mit ihm an den Strand zu gehen. Zum Abendbrot war es noch zu früh und herumsitzen wollte er auch nicht.
Zunächst gingen wir auf die Düne und schauten von hier oben aufs Meer und auf den Strand. Von hier ging es 30 Meter oder auch mehr zum Strand hinunter. Jedenfalls waren es über 100 Stufen, wie ich nachher feststellte. Friedlich waren die See und der Strand, als könnte es gar nicht anders sein. Wir stiegen langsam die Stufen hinunter. Der Strand war mit feinem, weißem Sand bedeckt, der das Gehen erschwerte. Wir gingen dicht ans Wasser, denn dort war er fest und glatt. Die Wellen spülten vor, versickerten im Sand und ein Teil zog sich gleich wieder zurück,
2008, Strand bei Henkenhagen, heute Ustronie Morskie
ein ewiges Spiel des Wassers. Hier unten lagen zwei Boote, ein größeres und ein kleineres. Zwei junge Männer machten sich daran zu schaffen. Als wir näher kamen, erkannte ich sie. Es waren Hans und Kurt Schönberg, die Jungs aus dem Friseurgeschäft, die ich vom Konfirmandenunterricht kannte. Ihr Geschäft lag fast gegenüber von unserer Bäckerei. Die beiden Jungen fielen mir damals schon auf, denn sie waren Zwillinge, aber sie waren sich gar nicht ähnlich. Hans war groß und breitschultrig, während Kurt schmächtiger war und vielleicht 20 Pfund weniger wog.
Arno steuerte direkt auf sie zu und sie erwarteten uns auch. Wir begrüßten uns und sie sahen ein wenig neugierig auf mich. Das ist unser neuer Lehrling, sagte Arno. Er heißt Otto. Sehr angenehm, sagten die beiden Jungen und nannten auch ihre Namen. Ich erwähnte die Kirche in Lehnde, von wo wir uns kannten und sie konnten sich an mich erinnern. Arno unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu ihnen und sie trafen sich oft. Nun staunten sie über mich. Sie stellten die gleichen Fragen, wie sie auch alle anderen stellten, mit denen ich bekannt gemacht wurde. Wo liegt Lindenhof, wollten sie wissen, denn den Namen hatten sie noch nie gehört. Der Name ist ja auch neu, sagte ich dann jedes Mal. Früher beim Unterricht, sprachen wir kaum miteinander, denn wir waren uns ja fremd. Wir dachten: Die Henkenhagener sind eingebildet und betrachten uns von oben herab. Nun konnte ich nichts Derartiges feststellen. Sie waren mir vom ersten Augenblick an sehr sympathisch, sprachen vernünftig und schienen keine Angeber zu sein. Die beiden Boote gehörten ihrem Vater und sie kamen tatsächlich von der See. Jedoch nicht vom Fischfang, sondern von einer Ruderpartie.
Ihr Vater Theodor Schönberg, befasste sich nicht mit dem Fischfang. Sein Friseurgeschäft ernährte seine Familie, das genügte ihm. Im Sommer, so erzählte Kurt, machten sie Bootsfahrten mit den Badegästen oder sie vermieteten die Boote auch. Da kann ich ja mal mitfahren, sagte ich scherzend. Sicher, sagte Hans, wenn du keine Angst hast. So was gibt es doch wohl nicht, sagte ich lachend. Warst du überhaupt schon mal auf See, fragte nun Kurt. Da muss ich leider nein sagen, gab ich kleinlaut zu. Sie sahen mich an und machten ernste Gesichter. Na, wir werden mal sehen, sagte wiederum Kurt, heute ist es ja schon ziemlich spät, aber ein andermal. Ich war auch gar nicht so fanatisch darauf versessen, ich konnte gern noch einige Wochen warten. Die Boote wurden nun festgemacht, sie zogen sie mit einer Winde auf den Strand.
Nun machten wir alle vier einen Bummel am Strand entlang. Es war ein herrliches Gefühl, im Schein der untergehenden Sonne, beim Rauschen des Meeres, so unbeschwert und sorgenfrei zu bummeln. Das hatte ich früher nicht gekannt. Die frische Luft allein war eine Erholung. Ach war das Leben schön, dachte ich immer wieder. Arno und die Schönberg Jungs erzählten, was sich hier im Sommer alles abspielt. Ein Leben wie in einem Kurbad, sagte Kurt und nickte gewichtig mit dem Kopf. Täglich gibt es Konzerte und es wird im Freien getanzt, betonte Hans nun seinerseits. Was? fragte ich verwundert, tanzen tun die Leute? Ja, arbeiten sie denn nicht? Sie lachten alle drei. Da kann man sehen, dass du überhaupt keine Ahnung hast, sagte Arno. Das Leben besteht doch nicht nur aus Arbeit. Die Leute sind doch zur Erholung hier, sagte nun auch Kurt. Alle drei sahen mich immer noch lachend an. Wo kommst du überhaupt her, fragte er mich deshalb. Ich komme aus Lindenhof, das liegt am Bahnhof Lehnde, berichtete ich nun wahrheitsgemäß. Stammen tue ich aus der Provinz Posen, da sind wir vor drei Jahren ausgewandert, dem Druck der Polen nachgebend. Ach von da stammst du und bei euch hat man nur gearbeitet? Na ja, in Posen hatten wir keine Ostsee und in Lindenhof auch nicht, da konnten wir nicht so spazieren gehen. Da habt ihr nur gearbeitet, gegessen und geschlafen? fragte Kurt. So ist es nun einmal, sagte ich etwas beschämt. Dir werden schon noch die Augen aufgehen, wenn du siehst, was es hier alles gibt. Du wirst hier gar nicht aus dem Staunen herauskommen. Sie amüsierten sich über meine Naivität. Als wir einige Kilometer gegangen waren, kehrten wir um und gingen wieder zurück. Es war kein Ende abzusehen, die Ostsee erstreckte sich noch meilenweit. Wir stiegen wieder die Treppen hinauf und kamen gerade noch rechtzeitig zum Abendessen.
Der nächste Tag verlief wie der Tag vorher. Arno kam wieder mit, als wir die Brötchen holten. Heute war Sonnabend und wir brauchten bedeutend mehr. Wir bekamen längst nicht alle mit und ich musste noch einmal fahren. Noch vor dem Frühstück fuhren wir beide mit Fahrrädern los, denn wir mussten einige Beutel mit Brötchen wegbringen. Verschiedene Kunden ließen sie sich ins Haus bringen. Arno zeigte mir, wo die Kunden wohnten. Wir hingen die Beutel an die Tür, drückten auf den Klingelknopf und verschwanden.
Erst als wir von dieser Tour zurück waren, bekamen wir Frühstück. Sofort musste ich abermals losfahren und Weißbrot und Kleingebäck holen. Nach dem Mittagessen machte Emil den Pferdewagen fertig und wir fuhren zusammen zum Bäcker Kreutz. Wir luden verschiedene Kisten voll Brot, Semmeln und verschiedene Blechkuchen auf, denn heute war Sonnabend. Zu Hause angekommen, blieb das Pferd gleich vor dem Wagen, denn nun sollten wir die Wiederverkäufer beliefern. Die Frau Meisterin zählte in andere Körbe Semmeln ein und auch Brote verschiedener Farbe und Größe. Alles wurde in Bücher eingeschrieben, die Emil an sich nahm. Nun erst bestiegen wir den Wagen und der Braune setzte sich in Bewegung.
Es ging die Dorfstraße in entgegengesetzter Richtung entlang, also nach Westen. Wir kamen aus dem Dorf heraus und fuhren einige Feldwege entlang und an verschiedenen Bauerngehöften vorbei bis in den Ort Ziegenberg. Dieser Ort war nur klein und lag nicht ganz dicht an der See. Jedoch im Sommer kamen die Badegäste auch hierher. Hier gab es zwei Geschäfte, die allerlei Waren verkauften, diese belieferten wir mit Backwaren. Sie lagen an der einzigen Straße des Ortes. Emil nahm die Bücher, verglich die Eintragungen mit der Ware und dann trugen wir die Körbe in den ersten Laden. Auch hier wurde ich bekannt gemacht. Emil sagte, dass ich nun oft allein kommen würde. Hierher fahren wir jeden Mittwoch und Sonnabend und im Sommer musst du jeden Morgen hierher fahren, erklärte er mir draußen. Ich nahm es zur Kenntnis. Im Sommer ist wohl viel zu tun in der Bäckerei? fragte ich. Viel ist gar kein Ausdruck, sagte Emil mit erhobenem Zeigefinger, da bist du von früh um 4 Uhr bis zum Einbruch der Dunkelheit auf den Beinen. Nicht nur du, für mich kommt dann noch die Feldarbeit dazu. Es sind doch nur 5 Morgen, wandte ich ein. Emil aber meinte, das reiche vollkommen. Wir haben zu Hause 48 Morgen bearbeitet und haben nebenbei drei Gebäude gebaut, erzählte ich ihm. Ist egal, sagte er, mir reicht die Arbeit vollkommen. Ich muss ja alles mit der Sense abmähen und bin immer allein dabei.
Wir fuhren nun zu dem zweiten Geschäft und lieferten auch dort die abgezählte Backware ab. Auch hier wieder das übliche Zeremoniell. Wir hielten uns auch hier nicht lange auf, denn Emil drängte zum Aufbruch. Jedenfalls bin ich froh, dass ich kein Bäcker geworden bin, sagte Emil und lachte sich ins Fäustchen. Ich fragte: Warum? und tat sehr erstaunt. Na, wegen des frühen Aufstehens und der vielen Arbeit. Ihr müsst doch um 4 Uhr früh raus. Das stimmte mich ein wenig nachdenklich und ich dachte: Das wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Hier gibt es ein Café, das im Sommer besonders gern von jungen Leuten frequentiert wird, schwärmte Emil, das Thema wechselnd. Dort ist immer ein Bombenbetrieb und viele Mädchen trifft man da an. Wir befanden uns bereits auf dem Rückweg und hatten Henkenhagen wieder erreicht. Dort ist die Bauernhochschule, sagte er und deutete auf ein komfortables Gebäude, die beliefern wir auch. Ich geriet immer mehr ins Staunen über die vielen Lieferungen. Es war für mich eine angenehme Fahrt gewesen. Wenn ich die in Zukunft öfter machen muss, dann freue ich mich jetzt schon darauf.
Gegen vier Uhr waren wir wieder zu Hause. Wir hatten jetzt Feierabend, denn es war ja Sonnabend. Emil brachte die Bücher in den Laden, dann brachten wir das Pferd in den Stall. Onkel Theodor war dabei, den Hof und die Straße zu fegen. Wir
nahmen uns sofort jeder einen Besen und halfen ihm, denn das war ja nicht ausschließlich seine Arbeit. Besonders die Straße vor dem Haus fegten wir sehr sauber. Erst als alles sauber war, gingen wir nach oben und wuschen uns. Wir zogen nun unseren Ausgehanzug an und weil wir noch ein wenig Zeit hatten, gingen wir auf die Düne hinter der Waschküche und setzten uns auf die Bank. Heute gab es bereits um 18 Uhr Abendessen. Der Laden war noch nicht zu und wir waren nicht vollzählig. Marie hatte unsere Stullen jedoch schon fertig.
Wie schon am ersten Tag, machten wir wieder einen Bummel durchs Dorf. Emil bemühte sich auch diesmal wieder, mir zu erzählen, was er an Bemerkenswertem von den einzelnen Bauern und Geschäftsleuten wusste. So erfuhr ich auch gleich, dass unsere Frau Meisterin mit dem Inhaber des größten Lebensmittelgeschäftes verwandt war. Ihre Eltern waren die ehemals größten Geschäftsleute. Fast am Ende des Ortes angekommen, trafen wir Willi Freitag und noch einen jungen Mann, der mir sofort als Charly vorgestellt wurde. Er war der dritte Bäckerstift. Er lernte in der dritten Bäckerei am Ort, dessen Meister Radtke hieß. Charly war Engländer, deshalb klang auch seine Sprache ein wenig fremd. Durch Vermittlung seiner Tante, die hier wohnte, sollte er hier in Deutschland gründlich ausgebildet werden. Sein Meister war alleiniger Lieferant der Afrika Diele und des Kurhauses. Er stellte nur Konditorware her, nur selten einmal Brötchen. Brot gab es hier überhaupt nicht. Charly lernte also nur Konditor.
Die Afrika Diele gehörte Herrn Walter Berg. Herr Berg war lange Jahre als Forscher in Afrika gewesen. Als er in den Ruhestand trat, gründete er dieses Café. Die Afrika Diele war das ganze Jahr geöffnet. Im Sommer war Tanz im Freien. Man saß in einem hübschen Garten unter schattigen Bäumen, mit Blick auf die See. Im Winter benutzte man dagegen die überdachten Räume. Eine ausgesuchte Kapelle sorgte für Tanz- und Unterhaltungsmusik. Das alles erzählten sie mir in kurzer Zeit und ich konnte kaum folgen. Wir gingen nun alle vier die Fischerstraße entlang, an der Afrika Diele vorbei. Zunächst sah ich ein großes Haus mit einer Hotel-Pension. Gegenüber der Straße lag der Garten, in dem schon viele Tische und Stühle aufgestellt waren. Lichterketten zogen sich an den Stegen entlang. An der einen Seite des Gartens gab es einen Pavillon für die Kapelle. Dazwischen standen große Bäume und Hecken. Alles das machte einen sehr einladenden Eindruck auf mich.
Oh, ihr habt ja schon die Tische und Stühle aufgestellt, sagte Willi und wir blieben einen Augenblick stehen. Herr Berg ist mit seiner Familie schon da, entgegnete Charly und wir haben schon die ersten Lieferungen bekommen. Wenn das Wetter so bleibt, dann können sich die ersten Gäste schon hier draußen hinsetzen. Vorerst aber ohne Musik, konstatierte Willi. Natürlich, sagte Charly, die Musik entnehmen wir dem Radio oder sonntags spielen Frau und Herr Hildebrand. Im Sommer spielt hier eine Kapelle von zehn Mann, erklärte mir Emil.
Wir gingen weiter und kamen an das Kurhaus. Schau, bemerkte Charly, die haben überhaupt noch nichts gemacht. Das Kurhaus war noch nie einer der ersten, die eröffnet haben, sagte Willi ein wenig vorwurfsvoll. Immerhin haben wir erst Anfang April. Hier im Kurhaus herrscht immer eine gepflegte Atmosphäre und es spielen
erstklassige Kapellen, sagte Emil nicht ganz ohne Stolz. Er wollte Charly damit eins auswischen. Auch nicht besser als bei uns, beeilte Charly sich zu verteidigen.
Als nächstes kamen wir zum Strandschloss. Das lag schon ganz in der Nähe unserer Bäckerei. Auch hier konnte man im Sommer das Tanzbein schwingen, im Winter diente es als Kino. Es war ein stattliches, mehrstöckiges Haus mit einer hohen Freitreppe. Es diente als Hotel und Pension und war der eigentliche Anziehungspunkt des Ostseebades. Im Winter feierten viele Vereine ihre Feste hier und der Turnverein übte jede Woche einmal. Nach der Seeseite hin hatte das Haus eine große Glasveranda.
Was ich alles in so kurzer Zeit erfuhr, mehr konnte ich mit Sicherheit nicht aufnehmen. Wir gingen von hier nun weiter, an unserer Bäckerei vorbei und kamen nach 500 Metern zum Gasthof zum goldenen Stern, dessen Inhaber Waldemar Lange war. Hier feierten die Bauern, die Feuerwehr und der Schützenverein. Wenn hier was los war, dann ging auch die Jugend gern hin. Mein Erstaunen wurde immer größer. Hier trifft sich auch der Frauenverein und hier wird auch Theater gespielt, sagte Emil voller Stolz. Na, du wirst ja sehen! Er schwärmte sehr von diesem Gasthof, sicherlich war er schon oft hier gewesen. Sogar die Badegäste essen hier gern zu Mittag, oder sie setzen sich zu einem Glas Bier in den Garten, fügte Emil noch hinzu.
Wir hatten unseren Bummel ziemlich weit ausgedehnt und schienen am Ende zu sein. Willi und Charly wollten unbedingt im Goldenen Stern einkehren. Sie hatten gerade Durst und wollten ein Glas Bier trinken. Ich lehnte natürlich zuerst ab, als aber Emil sogar dazu bereit war, hier einzukehren, gab ich wohl oder übel nach. Dies soll noch kein Einstand sein, denn dazu bin ich nicht eingerichtet, sagte ich. Wir bestellten jeder ein Glas Bier und bezahlten es auch selbst. Ich konnte leider keinen ausgeben, denn ich besaß nur ganz wenig Geld. Willi traf noch Bekannte, denn er war ja hier zu Hause. Er wollte den Abend ausdehnen, ich aber drängte Emil, mit mir nach Hause zu gehen, denn ich hatte kein Geld in der Tasche. Außerdem wollte ich als Lehrling nicht schon in den ersten Tagen auffallen. Im Dorf würde es sich schnell herumsprechen. Wir verabschiedeten uns, nachdem ich ihnen versprochen hatte, meinen Einstand ein andermal nachzuholen.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Ich machte mich früh auf den Weg nach Hause. Ich wollte meinen Eltern und Geschwistern erzählen, was ich schon alles erlebt hatte. Eine Stunde brauchte ich bis nach Lindenhof, denn ich ging ja zu Fuß. Das Wetter war schön und die sonntägliche Wanderung machte mir Vergnügen. Otto, bist du wieder da, so empfingen mich Vater, Mutter und die Geschwister. Sie versammelten sich alle um mich und waren neugierig auf meine ersten Eindrücke. Ich erzählte ihnen also alles der Reihe nach, vom Brötchen und Brot holen, von der Fahrt nach Ziegenberg und vom neuen Ofen, der gebaut wurde.
Dann erzählte ich von der vielen Freizeit, die ich hatte, von den Spaziergängen durchs Dorf und am Strand entlang und von meinem ersten Bier mit Emil, Willi und Charly. Vater wollte davon nichts wissen und sagte: Junge, sei stark und lass
dich nicht zum Trinken verführen. Solange du Lehrling bist, musst du daran denken, recht viel zu lernen. Dasselbe dachte ich auch, das hätte Vater mir nicht erst sagen müssen. Ich war aber trotzdem nicht böse darüber. Trinken kann man schon einen, sagte Vater, aber man muss auch wissen, wann man aufhören muss und dann muss man Geld dafür übrig haben.
Von dem abendlichen Bummel durchs Dorf erzählte ich ausführlich. Von den Hotels und Vergnügungsstätten. Auch was mich im Sommer erwartet. Meine Familie war begeistert.
Nun musste Paul von seiner Lehre erzählen, denn bisher hatte er nur zugehört. Sag Paul, wie ist es denn bei dir, fragte ich ihn, strengt dich die lange Fahrt mit dem Fahrrad nicht sehr an? Ob es anstrengend ist oder nicht, ich muss es aushalten, entgegnete er. Wie lange brauchst du denn morgens mit dem Fahrrad? Was denkst du? Ich brauche von hier bis zu meinem Arbeitsplatz genau eine Stunde, dann bin ich aber auch umgezogen. Wir alle staunten. Und wie ist deine Werkstatt, in der du arbeitest? Nichts Besonderes, sagte Paul. Die Werkstatt ist eine große Halle, in der eine Menge kaputter Autos und Motorräder stehen. Wir sind außer mir noch ein älterer Lehrling, zwei Gesellen und der Meister. Nebenbei haben wir noch eine Tankstelle. Staunst du nicht über die vielen Autos und woher wisst ihr, was ihnen fehlt? Ich musste ihn schon ausfragen, denn von allein erzählte er wenig. Klar staune ich. Manchmal stehen wir alle vor einem Auto und zerbrechen uns die Köpfe, vor allem der Motor ist doch ein wahres Wunderwerk. Paul war schon jetzt stolz auf seinen Beruf. Es war einfach wunderbar, dass wir die Lehrstellen gefunden hatten. Auch Vater war begeistert, dass uns unsere Lehrstellen so gefielen. Soviel Zustimmung hatte er wohl nicht erwartet. Aber wie sollte es auch anders sein? Entweder ganz oder gar nicht!
Zu Mittag aßen wir gebratenes Huhn, darauf hatte ich mich schon gefreut, denn das machte Mutter immer besonders gut. Es war ein richtiges Festessen. Nachmittags gingen wir in den Wald, wie früher. Wir gingen zuerst zu der kleinen Brücke, verweilten dort einen Augenblick und liefen dann ein ganzes Stück in den Wald hinein. Vater und Mutter waren zu Hause geblieben und unterhielten sich sicherlich über ihre beiden Jungen. Ob sie wohl stolz auf sie waren? Sie hatten jedenfalls ihren Weg ins Leben angetreten.
Willi war diesmal sogar mitgekommen, was selten vorkam. Er blieb sonst lieber zu Hause und sah dort nach dem rechten. Meine beiden Schwestern wollten bei dem schönen Wetter auch nicht gern zu Hause bleiben und so waren wir insgesamt sechs Personen. Helmut, der jüngste von uns fünf Brüdern, war immer frohen Mutes. Er fand sich hier im Walde am besten zurecht. Kein Wunder, er hatte ja auch die meiste Zeit. Nur Fritz fehlte noch, sicherlich hatte er wichtigeres vor. Terry durfte natürlich nicht fehlen, er begleitete uns überall hin und wich nicht von unserer Seite. Er hatte sicherlich schon so manchen Hasen oder so manches Reh aufgescheucht. Terry und Helmut waren zwei unzertrennliche Freunde. Sie hatten den Wald schon nach allen Richtungen durchstreift. Helmut hatte zu Hause noch keine Pflichten. Was er tat, tat er freiwillig und er tat immerhin schon manches. Von einem späteren Beruf wollte er nichts wissen, er wollte Bauer werden. Elfie ging das letzte Jahr zur Schule. Für sie würde der Ernst des Lebens erst beginnen, wenn ihre ältere Schwester heiraten würde, aber da hatte sich noch kein Freier gefunden.
Gegen Abend fanden wir uns wieder alle zu Hause ein. Mutter hatte schon den Abendbrottisch gedeckt. Sie war in Sorge, ich würde es bis zum Einbruch der Dunkelheit nicht mehr schaffen. Ich dagegen war ohne Sorge, denn erstens schien ja der Mond und zweitens bin ich ja schon mit Emil bei Dunkelheit durch das Dorf gegangen. Also verlaufen würde ich mich sicherlich nicht. Paul und Helmut kamen beide bis zur Chaussee mit, denn das war immer das schlimmste Ende. Nachher ging ich immer die Straße entlang, bis ich in den Katenweg nach rechts abbog.
Die zweite Woche begann wie die ersten Tage. Ich musste wieder Brötchen und Brot holen, dann musste ich zur Molkerei fahren, um Butter zu holen, oder ich musste auch mal mit dem Fahrrad nach Ziegenberg fahren. Jetzt kannte ich die Wege schon, denn sie wurden mir bald zur Gewohnheit. Ich machte die Arbeit gern.
So vergingen die nächsten Tage und Wochen. Der Ofen wurde immer größer und man konnte sich vorstellen, wie er einmal aussehen sollte. Ich ging jeden Sonntag nach Hause und jeden Sonntag hatte ich über neue Erlebnisse zu berichten. Mit dem Boot war ich aber immer noch nicht auf die Ostsee gefahren. Das läuft mir ja nicht weg, sagte ich zu Arno, wenn er mich daran erinnerte. Man kann ja nicht al-les in den ersten Wochen erleben. Paul drang immer mehr in die Geheimnisse des Autos ein. Ich mache schon Fahrstunden, sagte er, als ich an einem der Sonntage mit ihm sprach. Ich kann bereits fahren und in 14 Tagen soll bereits die Prüfung sein, berichtete er voller Stolz. Das konnte ich gut verstehen. Immerhin dauerte seine Lehre auch drei Jahre. Wenn er bereits jetzt schon fahren konnte, dann war es für ihn besonders vorteilhaft. Er war ein ganz anderer Mensch geworden.
Immer begleiteten sie mich bis zur Chaussee, wenn ich sonntags nach Hause ging. Sogar Elfie und Luise kamen manchmal mit.
Es war bereits Ende April, die Zeit drängte auch für uns, denn am 1. Mai sollte der Ofen fertig sein. In den letzten Apriltagen fing der Ofenbauer mit dem Heizen an. Wir beeilten uns, den letzten Schutt hinaus zu räumen. Es wurde geschrubbt und geputzt, die Maschinen wurden aufgestellt, die Bretter wurden gewaschen und zum Trocknen auf den Hof gestellt, alles wurde nun vorbereitet. Nun kamen auch die großen hölzernen Behälter für das Mehl. Wir holten auch die Backzutaten aus dem Keller, dann wuschen wir die Schieber und die Körbe.
Der Ofenbauer heizte nur langsam, damit der Ofen keine Risse bekam. Er beobachtete alles genau. Nachdem wir alles geputzt und gewaschen hatten, kamen auch die Maler. Sie strichen die Decke und die Wände. Nun putzten wir noch einmal.
Die Knetmaschine und die Brötchenpresse waren neu. Ich kannte aber beide noch nicht und war gespannt, wie alles laufen würde. Drei Tage dauerte das Heizen, Arno und ich holten immer neue Kohlen, aber dann war es endlich so weit. Am dritten Tag wurde eine Probe gebacken. Der Meister und Arno machten aus Weizenmehl
einen Teig, es sollten Brötchen werden. Auf dem Tisch formten sie sie und legten sie auf Bretter, die sie vorher mit Tüchern belegt hatten und sie deckten sie auch wieder zu. Dann stellten sie die Bretter auf die Garstangen, die in zwei Meter Höhe von einer Wand zur anderen verliefen. Ich passte genau auf, damit ich beim nächsten Mal schon etwas davon verstand. Nach einer Weile wurde in jedes Brötchen eine Falte hineingedrückt. Und sie wurden umgedreht und wieder zugedeckt. Dann war es soweit, die Bretter wurden an den Ofen gestellt. Der Meister nahm die Schlagschieber und Arno half ihm aufsetzen und dann schob sie der Meister in den Ofen. Zuvor wurde erst tüchtig Dampf in den Ofen gelassen. Ein Schlagschieber nach dem anderen wanderte mit Brötchen belegt in den Ofen und leer zog sie der Meister wieder heraus. Für mich war das alles sehr neu, ich staunte nur. Als die letzten im Ofen waren, warteten wir gespannt.
Der Ofenbauer sagte, dass der Ofen heiß genug sei, das Thermometer zeigte immerhin 250 Grad. Etwas Dampf quoll aus dem Ofen, doch das machte nichts. Auch ich schaute einmal hinein, als der Meister die Tür öffnete. Arno schaute ebenfalls hinein. Die sind ja bald gut, sagte er zu seinem Vater, dem Meister. Der Meister rückte sich einen Korb bereit und nahm einen ganz großen Schieber. Dieser Schieber hieß Ausbäcker, hatte Arno mir vorher erklärt. Der Meister nahm nun die Brötchen heraus und schien damit zufrieden zu sein. Sie sahen auch genauso aus wie die, die wir vom Bäcker Kreutz geholt hatten. Morgen früh kann es los gehen, sagte der Ofenbauer, als er die Brötchen betrachtet hatte. Ich musste sofort zu Bäcker-meister Kreutz fahren und den Sauerteig holen und ihm sagen, dass wir ab morgen selbst backen. Der Meister und Arno trafen alle Vorbereitungen für den morgigen Arbeitstag.