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2. Bewerbung um eine Lehrstelle
ОглавлениеOtto, Otto, komm schnell herein, hier steht eine Stelle für dich in der Zeitung, rief Elfie durch das geöffnete Küchenfenster. Wir schauten uns zuerst an und dann sahen wir zu Elfie, die ganz aufgeregt zu sein schien. Wir ließen unsere Arbeit ruhen und gingen zum geöffneten Fenster. Komm nur herein und schau in die Zeitung, sagte sie immer noch aufgeregt. Mutter und Luise waren über die Zeitung gebeugt und sahen mich strahlend an, als ich eintrat. Da lies selbst, sagte sie, habe ich nicht recht?
Tatsächlich! Da stand es: Bäckerlehrling für sofort gesucht. Dann folgte der Name des Meisters. Das ist ja im Nachbarort, sagte ich freudestrahlend und sogar an der Ostsee. Da fahre ich sofort hin. Wir alle strahlten vor Freude, denn nun war das Glück ja so greifbar nahe. Nun hieß es, das Glück beim Schopfe packen, um es nicht wieder loszulassen. Ich war sofort damit einverstanden, obwohl ich einmal gesagt hatte, ich wolle Kaufmann werden. Ob Bäcker oder Kaufmann, das ist mir im Augenblick egal, sagte ich. Hauptsache, ich konnte sofort anfangen. Obwohl ich noch niemals daran gedacht hatte, was von einem Bäcker verlangt wird und auch noch niemals vor einem Schaufenster einer Bäckerei gestanden hatte, war ich sofort einverstanden. Ich wollte den mir bisher unbekannten Beruf erlernen. Ich würde in eine völlig neue Welt eintreten. Ich schwebte förmlich im Wunschdenken. Plötzlich war es, als senkte ich mich wieder auf die Erde nieder.
Wie machen wir das jetzt? fragte ich die Mutter. Sie sah mich zuversichtlich an, als ob wir gemeinsam dieselben Gedanken hätten. Da musst du mit Vatern reden, musst ihn bitten, mit dir dahin zu gehen, sagte die Mutter und strahlte genau wie ich über das ganze Gesicht. Luise und Elfie lachten ebenfalls vor Freude. Alles drehte sich um mich und die Lehrstelle.
Vater lag im Wohnzimmer auf dem Sofa und wartete darauf, dass man ihm die Zeitung brachte. Diesmal brachte ich sie ihm und wies sofort auf die Annonce hin. Vater war gleich begeistert und fragte, ob ich denn Bäcker werden wolle. Ich hätte doch noch nie so einen Wunsch geäußert. Ich hatte auch bisher noch nicht darüber nachgedacht, sagte ich, weil ich bisher noch keine Angebote bekommen habe. Aber jetzt bin ich damit einverstanden. Ich kann doch Bäcker lernen, bevor ich überhaupt nichts lerne. Junge! sagte mein Vater, dann gehen wir am Nachmittag dorthin. Mehr als eine Absage können wir ja nicht bekommen. Mit einer Absage bin ich aber nicht einverstanden, sagte ich und machte ein entschlossenes Gesicht. Um den Weg ging es uns beiden nicht und so rüsteten wir uns gleich nach dem Essen. Ich hatte meinen neuen Anzug angezogen, dazu ein weißes Hemd und einen Binder.
Das Ostseebad Henkenhagen lag direkt an der Ostsee und im Sommer war hier ein großer Badebetrieb, genau wie in einer Stadt. Hier gab es mehrere Bäckereien und Metzgereien, Kolonialwarengeschäfte, Friseure, Hotels und Kaffeehäuser. In mehreren Gasthäusern war mehrmals im Jahr Tanzvergnügen. Ich war noch nicht oft hier
gewesen, denn dafür hatten wir nur wenig Zeit. Höchstens, wenn einmal schnell etwas geholt werden sollte, fuhr ich mit dem Rad dorthin. Sonntags gingen wir lieber in den Wald und ruhten uns von der Arbeit aus, die wir in der Woche bewältigt hatten. Der lange Weg bis an die Ostsee gefiel uns nicht und wir hatten nur ein Fahrrad. Die Haupteinkäufe wurden in der Stadt Köslin getätigt, denn dorthin fuhr Luise jeden Sonnabend mit Butter und Eiern. Sie hatte dort ihre Kunden. Von dort brachte sie auch gleich alles mit, was im Haushalt gebraucht wurde und was an Kleidung und dem täglichen Bedarf nötig war.
An den Sonntagen, wenn wir von der Neugierde überwältigt wurden, gingen wir schon manchmal hin. Wenigstens in den ersten Jahren, als wir die Ostsee noch nicht kannten. Im Sommer jedoch, bei dem großen Badebetrieb, kamen wir uns ein wenig überfordert vor. Der Strand war übervölkert, die Straßen wimmelten nur so von den vielen Menschen. Das war für uns, die wir aus der Einsamkeit kamen, äußerst ungemütlich. Gebadet hatten wir, Paul und ich, auch schon in der Ostsee. Das Wasser war jedoch zu kalt für uns und so hatten wir kein großes Verlangen danach, es ein weiteres Mal zu probieren.
In diesem Ort sollte für mich nun ein neuer Abschnitt meines Lebens beginnen. Hier sollte „Mein Weg ins Leben“ beginnen. Ich wagte gar nicht daran zu zweifeln, dass es nicht klappen könnte. Ich dachte, ich brauchte nur zu sagen: Sie suchen einen Lehrling, bitteschön, da bin ich. Wann darf ich anfangen? Den ganzen Weg über beschäftigte mich nur der eine Gedanke: Wie wird es sein, wenn ich für immer dort bin? Wir redeten unterwegs nicht viel, denn das tat Vater nie. Ein Fuß vor den anderen setzend und in aller Gemütsruhe kamen wir in Henkenhagen an. Jeder war seinen eigenen Gedanken nachgegangen. So standen wir auf einmal vor dem Geschäft. Nun schlug mein Herz doch ein wenig schneller.
Es war ein stattliches Haus mit zwei Geschäften. Über dem einen Laden stand Kolonialwaren und Delikatessen, über dem anderen stand Bäckerei und Konditorei. Beide Geschäfte waren durch eine Flügeltür miteinander verbunden. Zunächst blieben wir einen Augenblick stehen und betrachteten die Schaufenster. Vater schien von ihrem Anblick sehr zufrieden zu sein. Sicher würde er es gern sehen, wenn ich hier angenommen werden würde. Ich kannte das Geschäft schon, weil ich hier manchmal etwas einkaufen musste. Außerdem hatte ich die Tochter, Luzie, schon gesehen, denn sie war in meinem Alter und ging mit mir zusammen zum Konfirmandenunterricht in Lehnde, weil hier keine Kirche war. Sicher wird sie mich nicht kennen, na, das war ja auch egal.
Wir betraten den Laden. Mehrere Kunden warteten, einige wurden bedient. Die Frau des Meisters und Luzie bedienten sehr geschickt und freundlich. Meine Augen verfolgten ihre Tätigkeiten. Die freundlichen Worte, die sie mit den Kunden wechselten imponierten mir sehr. Natürlich warteten wir, bis wir an der Reihe waren. So hatte ich genug Zeit, mich nach allen Seiten umzuschauen. Was es hier alles gab. Ich kam aus dem Staunen gar nicht heraus. Es war ein richtiges Warenlager. Wie konnte man die Preise alle im Kopf haben? Luzie musste schon allerhand können. Hier gab es: Zucker, Butter, Eier, Mehl, Kaffee, Schokolade, Kakao, Zigaretten,
Waschmittel und Seife, Heringe, Sirup, Postkarten, Schreibblöcke und Kautabak. Mehr wollte ich nicht aufzählen, denn ich wäre wahrscheinlich nie fertig geworden.
Wir warteten noch immer. Der Laden füllte sich immer wieder. Ich warf schnell noch einen Blick in den Bäckerladen. Hier sah es bedeutend aufgeräumter aus. Hier gab es nur Brot, Brötchen, Schnecken, etwas Kuchen und einige Kekse. Dieser Laden gefiel mir bedeutend besser.
Nun waren wir endlich an der Reihe. Vater hatte schon einige Kunden vorgelassen. Freundlich fragte die Frau Meisterin nach unseren Wünschen. Ich komme auf die Annonce hin wegen einer Lehrstelle für meinen Sohn, sagte Vater. Einen Moment, rief sie uns zu und ging durch eine Tür in die Wohnung. Nach einer kurzen Weile kam sie mit dem Meister wieder. Der Meister war ein großer und etwas hagerer Mann, so um die Mitte fünfzig. Er begrüßte uns freundlich und gab Vatern die Hand. Sie wollen ihren Sohn als Lehrling empfehlen? fragte er. Vater nickte. Nun forderte der Meister uns auf, ihm in die Wohnung zu folgen. Die Einrichtung machte Eindruck auf mich. Wir nahmen am Wohnzimmertisch, der in der Mitte stand, Platz. Der Meister bot Vatern eine Zigarre an und steckte sich selbst eine in den Mund. Erst als sie qualmten, begann das Gespräch. Zunächst stellte Vater sich vor und brachte nochmals seinen Wunsch zum Ausdruck. Dann begann das Gespräch, das sofort einen freundlichen und lebhaften Verlauf nahm.
Kolberg 2008, mutmaßlich das Haus, in dem die beiden Geschäfte waren.
Der Meister machte darauf aufmerksam, worauf es ihm bei einem Lehrling ankam,
was ein Lehrling alles lernen sollte, was seine Haupttätigkeiten seien und wie lange die Arbeitszeit sei. Zuweilen lobte er die Arbeit in der Bäckerei, gerade als wenn er mich umwerben wollte. Ich hörte genau zu und kam jetzt schon zu dem Schluss, dass es mehr nach einer Zusage aussah als nach einer Ablehnung.
Nun begann Vater seine Trümpfe auszuspielen. Er sprach über meine Jugend, meine Schulleistungen und über meine jetzige Tätigkeit auf dem elterlichen Hof. Ich hätte schon immer etwas lernen wollen und an der Bäckerei lag mir schon immer sehr viel. Der Meister schmunzelte und ich geriet immer mehr ins Staunen. So kannte ich Vatern überhaupt nicht, er war mit lobenden Worten über uns immer sehr sparsam gewesen. Noch einmal auf meine Schulleistungen zurückkommend, sagte der Meister: Wer fleißig in der Schule war, ist auch fleißig im Beruf. Er sah zuerst mich an, dann schaute er auf Vater. Ich zeigte ihm mein Schulzeugnis und der Meister war zufrieden. Nun hatte ich meine Zusage wohl bereits in der Tasche. Dann betonte er noch, dass seine Lehrlinge bisher alle ausgelernt hätten und tüchtige Gesellen geworden seien, auch sein Sohn hätte gerade ausgelernt. Dasselbe wünsche er auch von mir, sagte der Meister und sah mich sehr ernst an.
Vater betonte seinerseits: Als Muttersöhnchen habe ich meinen Sohn nicht gerade erzogen. Wenn er einmal nach Hause kommen sollte, weil es ihm nicht mehr gefällt, dann würde ich ihn wieder zurückschicken. Der Meister schmunzelte und schien mit dieser Feststellung zufrieden zu sein. Nun musste ich aufstehen und mitten in das Zimmer treten. Dann ging er rund um mich herum und musterte mich von allen Seiten. Er beteuerte noch einmal, dass es hier eine gute Lehrstelle sei und dass ich viel lernen könne. Im Sommer habe er noch drei Gesellen und im Winter arbeite er mit seinem Sohn und einem Lehrling.
Ich war sehr begeistert von dem Gespräch und merkte mir alles genau, was in diesen fast zwei Stunden gesprochen wurde. Ja, ich konnte jetzt schon sagen, der Meister sollte mein Lehrmeister werden. Der Antrittstermin wurde auf den 1. April festgesetzt. Der Meister verabschiedete meinen Vater und mich sehr herzlich und wir gingen auseinander.
Auf dem Rückweg wurde Vater ein klein wenig gesprächiger. Da haben wir ja großes Glück gehabt, sagte er und war sehr zufrieden. Nun wirst du also ein Bäcker. Bei mir bestand von Anfang an kein Zweifel, dass ich angenommen werden würde, sag-te ich voller Zuversicht. Vater lachte: Das ist aber nicht immer so, manchmal muss man von einer Stelle zur andern laufen und die Suche dauert mitunter länger als ein Jahr. Paul ist genauso zuversichtlich, dass er angenommen wird, wenn er morgen in die Stadt mitfährt, wandte ich ein. Woher nehmt ihr bloß euren Optimismus? fragte Vater. Wenn man jung ist, ist man auch Optimist, sagte ich darauf. Hast du gehört, wann du morgens früh aufstehen musst? fragte Vater. Ja, ich habe schon aufgepasst, sagte ich ein wenig kleinlaut. Im Sommer bereits um vier und im Winter um fünf Uhr. Dafür ist aber bereits am frühen Nachmittag Feierabend und ich kann mich dann nochmals hinlegen. Jeder Beruf hat seine Eigenarten, an die man sich erst gewöhnen muss. In diesem Sinne zerstreute ich die Bedenken, die Vater äußerte. Bauer wollte ich doch nicht werden und da bin ich froh, dass ich
nun eine Lehrstelle gefunden habe. Henkenhagen ist ja nicht weit von zu Hause, da kannst du uns oft besuchen. Ein wenig schien Vater mir doch entgegen kommen zu wollen. Wenigstens an den Sonntagen, betonte er.
So überlegte ich, wie es sein würde, wenn ich erst für immer dort bei fremden Menschen im schönen Ostseebad bin. Aufleben würde ich wie ein Vogel, den man aus einem Käfig in die Freiheit entlässt. Jetzt taten mir meine Geschwister und meine Eltern leid, die weiter in der Einsamkeit leben mussten. Ja, Lindenhof war einsam. Es waren eben nur 12 Siedler, die auf ihrem Grund und Boden gebaut hatten. Kein Weg führte durch ein gemeinsames Dorf. Wenn man zu seinem Nachbarn wollte, musste man an der Grenze entlang gehen, oder man ging einfach quer über das Feld. Oft sahen wir lange Zeit keinen Nachbarn. Wenn dann mal jemand zu uns kam, dann liefen wir gleich alle hin und wunderten uns, dass es außer unserer Familie noch mehr Menschen gab. Nur die drei Maurer kamen täglich, solange bei uns gebaut wurde. Das alles sollte nun für mich anders werden.
Über einen Verdienst hat der Meister überhaupt nicht gesprochen, sagte ich nach einer Weile zu Vatern. Du wirst sicherlich auch nichts bekommen, solange du lernst. Früher, als ich in deinem Alter war, mussten die Jungen noch Lehrgeld mitbringen, sonst wurden sie gar nicht angenommen, erklärte er. Ich habe mich schon gewundert, dass der Meister von mir nichts verlangt hat, deshalb habe ich auch gar nicht gefragt. Und die Backstube hat er mir auch nicht gezeigt, sagte ich, nachdem ich die Belehrung verdaut hatte. Von der Backstube sprach der Meister, sagte Vater. Der Ofen ist bereits eingerissen, es wird ein neuer gebaut. Ich tat ein wenig verwundert, denn das hatte ich tatsächlich überhört. Ich ging weiter meinen Gedanken nach und war nicht mehr zu Hause und auch noch nicht in meiner neuen Heimat. Bald würde sich eine neue Welt vor mir auftun und ich würde einen neuen Weg beschreiten, ich würde den „Weg ins Leben“ gehen.
Froh gelaunt kamen wir zu Hause an. In der Küche erwarteten sie uns alle, denn sie waren neugierig und wollten wissen, was der Meister gesagt hatte. Mutter war es, die zuerst fragte, aber sie sah es unseren Gesichtern schon an, dass es geklappt hatte und deshalb fragte sie nur: Wann fängst du dort an? Am ersten April, sagte ich zufrieden. Nun wurden die anderen auch lebhaft und die Fragerei ging los. Vater ging ins Wohnzimmer und legte sich aufs Sofa. Ihn hatte der Weg angestrengt.
Jeder fragte nun etwas anderes und ich wusste gar nicht, was ich zuerst beantworten sollte. Was hat der Meister zu dir gesagt, fragte Mutter. Hat er Gefallen an dir gefunden und wie hat der Meister dir gefallen? Alles in Ordnung, sagte ich, ich habe ihm imponiert. Luise kannte das Geschäft ja schon, Paul und Willi auch schon, aber Mutter, Elfie und Helmut waren noch nie dort. Ja, sie waren alle ganz außer sich vor Freude. Ich war schließlich der erste, der das Haus verließ. Mutter sah mich ein wenig nachdenklich an und schwieg. Ich dachte dabei an den Abschied. Dann wirst du jetzt immer Brötchen essen, sagte Elfie und lachte. Und mir kannst du dann erzählen, wie man die Kuchen backt, sagte Luise. Mir kannst du dann sonntags, wenn du kommst, immer Semmeln mitbringen, erbat sich Helmut. Ich
erzählte von den beiden großen Geschäften, die dem Meister gehörten und von der vielen Ware, von der Freundlichkeit, mit der wir empfangen wurden und von der langen Unterredung, die wir mit dem Meister hatten. Auch wie der Meister mich gemustert hatte und welche Fragen er an mich gerichtet hatte.
Dann ist ja soweit alles klar, sagte Willi schließlich. Am ersten April wirst du uns verlassen. Dass du auch kein Heimweh bekommst. Nun erst wurde mir klar, dass bald der Abschied auf mich zukam. Ich sagte nur kurz: Jawohl und bis dahin tue ich nichts mehr. Der Abschiedsschmerz war damit vergessen und alles lachte.
An den folgenden Tagen ordnete ich meine Sachen und legte alles zurecht, was ich mitnehmen wollte. Natürlich tat ich das nicht allein, Mutter und Luise halfen mir dabei. Luise nähte mir weiße Schürzen und auch Mützen, die ich sogleich ausprobieren musste. Wir lachten darüber, wie verändert ich damit aussah. So verging ein Tag nach dem anderen, oft saß ich in der Sonne und dachte über alles nach. Ich musste Abschied nehmen von meiner vertrauten Umgebung, von den Haustieren und von unserem Hund. Alles musste ich verlassen, denn ich schritt in eine neue Welt. Ein wenig musste ich mich schon zusammenreißen, um die Gedanken zu unterdrücken, die der Abschied hervorrief.
Als dann der 1. April da war, da war nicht nur ich nervös, sondern die Nervosität hatte die anderen auch befallen. Für das Mittagessen ließ ich mir kaum Zeit und es wurde auch kaum gesprochen, jeder wollte mir helfen. Als dann Willi den Wagen vor die Tür geschoben hatte, begannen wir, die Koffer herauf zu stellen. Insgesamt hatte ich zwei Koffer und einen Pappkarton. Nun hatten wir wieder Zeit. Ich hatte schon meinen neuen Anzug an und ging ein wenig auf und ab.
Paul war auch da. Ihn hätte ich fast vergessen, denn ich dachte im Moment nur an mich. Er hatte auch die gewünschte Lehrstelle bei Lewerenz bekommen, aber er hatte noch einige Tage Zeit. Er musste jeden Morgen mit dem Fahrrad nach Kolberg fahren, denn sein Meister hatte keine Schlafgelegenheit für ihn. Das war für ihn eine ganz schöne Belastung. Ob er das wohl durchhält? fragte ich mich.
Nun kam Willi mit den Pferden und spannte sie an. Ich begann mich zu verabschieden und gab jedem die Hand. Sie waren alle versammelt. Ich musste jetzt tapfer sein. Dann stiegen Willi und ich auf den Wagen und bei „Los!“ zogen die Pferde an. Alle standen sie auf dem Hof oder auf der Treppe und winkten. Ich winkte zurück und rief: Auf Wiedersehen! Willi fuhr durchs Tor und weiter auf den Weg, der uns immer weiter von zu Hause weg brachte. Eine Buschgruppe versperrte uns nach einer kurzen Strecke die Sicht und nun waren wir allein. Die Pferde, die ein wenig getrabt waren, gingen nun langsam auf dem sandigen Weg.
Ich betrachtete nun die Felder, die zum Teil zum elterlichen Hof gehörten. In den Niederungen lagen noch die Reste vom Schnee, aber im Großen und Ganzen waren die Felder trocken und man hatte schon mit der Bearbeitung des Bodens begonnen. Die Felder mit der Wintersaat strahlten im saftigen Grün, der Frühling hatte schon überall seinen Einzug gehalten. Überall sah man die Bauern bei der Feldarbeit, manche streuten künstlichen Dünger aufs Land. Alles das war nun für mich
ein Stück Vergangenheit, weil ich eben kein Bauer werden wollte. Jetzt gerade war ich auf dem Weg in eine neue Zukunft. Das Glück war zu mir gekommen und wenn es mir treu bleibt, wird es mir ein schönes Leben bescheren, dachte ich. Freust du dich nun? fragte Willi. Ich hoffe, dass mir das Glück weiterhin treu bleibt, sagte ich. Ein bisschen Glück gehört dazu, sonst ist alles für die Katz. Willi nickte: Du hast wirklich Glück gehabt und Paul auch. Zwei gehen auf einmal aus dem Haus. Ja, man muss an das Glück glauben und man muss es auch behutsam behandeln, so wie man einen guten Freund behandelt, den man nicht verlieren will.
Auf der Chaussee trabten die Pferde wieder an, so dass uns der Frühlingswind um die Ohren strich. Nördlich dieser Chaussee lag der Ort Henkenhagen, er war weit auseinandergezogen. Zeitweilig konnte man die Ostsee sehen. Fast drei Kilometer mussten wir in westlicher Richtung fahren, erst dann bog ein öffentlicher Weg ab, der ins Dorf führte. An diesem Weg standen lauter strohbedeckte Häuser, man nannte sie deshalb Katen. Hier fuhren wir entlang, der Weg war sandig und wir wirbelten eine Menge Staub auf. Wir sahen die Bewohner dieser Katen, sie blieben stehen und sahen uns an. Ein gegenseitiges Kopfnicken war der Gruß. Im Dorf bogen wir wieder nach rechts ab und waren bald am Ziel. Nun standen wir vor dem stattlichen Haus mit den beiden Geschäften. Nun war ich da, wo ich für die nächsten drei Jahre bleiben sollte. Wir blieben einen Augenblick sitzen und überlegten, da kam Luzie, die uns zuerst erblickt hatte, weil sie gerade im Laden war. Sie bat uns zu warten, denn der Arno würde sofort kommen.