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7. Das Winterhalbjahr

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Nun waren wir wieder allein, der Meister, Arno und ich. Wir hatten jetzt genau so viel Arbeit wie damals im Mai. Wir backten in der Hauptsache Brot, Brötchen und Schnecken. Fast jeden Tag gab es auch Amerikaner und an den Sonnabenden machte der Meister einige Bleche Plunder, Kranzstangen und einen Blechkuchen. Die beiden Verkäuferinnen waren nacheinander auch entlassen worden. Ich hatte nur noch an den Sonnabenden einige Frühstückskunden Es war ein ruhiges Geschäft. Arno und ich machten manchmal Teegebäck oder rösteten Zwieback. Der Meister kam nur selten in die Backstube.

Am 1. Oktober begann die Fortbildungsschule. Hier waren die Lehrlinge aller Berufe vertreten: Bäcker, Fleischer, Schneider, Schumacher, Tischler, Schmiede, Schlosser, Maurer, Zimmerleute und was es sonst noch gab. Wir, die Bäckerlehrlinge Charly, Willi und ich, saßen auf der obersten Bank. Als Lehrer hatten wir den zweiten Lehrer des Dorfes.

Er lehrte ganz allgemein, was jeder Handwerksgeselle wissen musste. Da ging es um die Bestellung der Ware, die Überprüfung und um die Bezahlung der Rech-nung. Weiter erzählte er von der Entstehung des Handwerks und der Zünfte und deren Weiterentwicklung bis zur Entstehung der Innungen. Er erklärte uns den Begriff des Handwerksburschen, des wandernden Gesellen, der von Stadt zu Stadt zog, um seine Kenntnisse zu erweitern und ein Stück von der Welt zu sehen.

Wir lasen Geschichten und Gedichte über das Handwerk. Wie manche Handwerksburschen um den ganzen Erdball wanderten, nur um am Ende festzustellen, in der Heimat ist es doch am schönsten. Oder andere, die im Frühling, wenn die Sonne höher stieg, ihre Arbeit hinwarfen, um auf Wanderschaft zu gehen. Herr Meister und Frau Meisterin, lasst uns in Frieden weiter ziehen und wandern, hieß es so schön in einem Wanderlied.

Weiter sprach unser Lehrer von der Eröffnung eines Betriebes. Dann erklärte er uns die kaufmännische Buchführung und das Rechnen. Alles wurde jedoch nur gestreift, von einer Vertiefung in die einzelnen Gebiete konnte keine Rede sein. Jeder lauschte gespannt und dachte: Ob ich das jemals gebrauchen kann? Diese Schule war die einzige, die wir Lehrlinge besuchen durften. Hier sollten wir uns das nötige Wissen aneignen, um die Gesellenprüfung zu bestehen. Die meisten der Lehrlinge hielten diesen Unterricht für überflüssig. Er fand nur im Winter statt und ging außerdem von der Freizeit der Lehrlinge ab.

Im Oktober dunkelte es schon sehr bald, auf der Dorfstraße brannten einige Lichter. Wir standen sehr oft vor der Haustüre und warteten auf das Abendbrot, das es jetzt immer erst um sieben Uhr gab. Nachher ging ich allein in die Backstube, um den Sauer zu machen. Emil stand inzwischen am Ofen und wärmte sich. Anschließend gingen Emil und ich noch ein Stück spazieren. Interessant war es schon auf der Straße, denn die wenigen Lampen erhellten immer nur ein Stück der Straße. Es

waren viele kleine Trupps unterwegs und man konnte sich irgendeinem anschließen oder man blieb allein. Es wurde viel geklönt und die neuesten Nachrichten gingen schnell von Mund zu Mund: Welches Mädchen mit welchem Burschen ging, welcher Bursche sein Mädchen gewechselt hatte, wann die nächste Hochzeit stattfindet und wer sich wohl scheiden lassen wird.

Bei schlechtem Wetter saßen wir in der Stube, lasen ein Buch oder Emil hatte Besuch von Bekannten. Waren sie zu dritt, dann spielten sie Karten. Oft gab es dabei Streit, dann war es ziemlich laut. Außerdem rauchten sie Pfeife und qualmten die ganze Stube voll. Oft saßen sie bis zwölf Uhr und ich konnte nicht ins Bett gehen. Ich war schon verärgert. Ich musste notgedrungen zusehen, selbst spielen konnte ich nicht und lesen konnte ich dabei auch nicht. Das Geld wechselte dauernd seinen Besitzer und ich wunderte mich, wie schnell man gewinnen oder verlieren konnte. Schließlich wurde auch mein Interesse am Kartenspiel geweckt. Man erklärte mir die Karten und ich war bereit, mit ihnen zu spielen. Zunächst nahm man auf mich Rücksicht, man korrigierte mich, wenn ich falsch ausspielte. Man ließ mich sozusagen gewinnen. Dann jedoch grinsten sie, wenn ich falsch ausspielte und langten kräftig drein. Sie lachten und ich ärgerte mich. Nun machten sie mir Mut, ich hätte doch Kredit, ich solle nur ruhig weiter spielen, sie pumpten mir sogar Geld. Aber ich verlor weiter und überlegte, wie ich den Schaden wieder gut machen sollte, wo ich doch so gut wie keine Einnahmen hatte. Wenn ich auch mal fünf Pfennig gewann, so merkte ich doch, wie ich immer tiefer abrutschte. Jetzt oder nie! dachte ich. Wenn ich jetzt nicht radikal aufhöre, dann verfalle ich dem Spiel. Ich warf die Karten auf den Tisch und sagte: Niemals in meinem Leben werde ich wieder Karten anfassen! Emil und seine Kollegen lachten und sagten: Wenn diese Worte eine Brücke wären, würden sie nie darüber gehen. Täuscht euch nicht, sagte ich, das ist mein voller Ernst.

Jedenfalls nahm ich in den nächsten Tagen keine Karten in die Hand, obwohl sie mich dauernd dazu aufforderten. Ich meinerseits forderte Emil auf, beizeiten aufzuhören, denn ich musste ja um fünf aufstehen. Sofort, sagte dann Emil, dies ist das letzte Spiel. Wenn sie dann wirklich gingen, öffneten wir schnell das Fenster und trieben den Rauch mit einem Handtuch hinaus. Sie verabschiedeten sich dann bis zum nächsten Abend und versprachen pünktlich zu sein. Emil schmunzelte und ich war ärgerlich.

In der Backstube begann jetzt für mich die Zeit, in der ich alles genauer wissen wollte. Arno musste mir vieles erklären, was für mich noch unklar war. Zuerst besprachen wir die Brötchen. Wie berechnet man die Hefe für den Teig? fragte ich zunächst. Die Hefe richtet sich nach dem Mehl, erklärte er mir. Bei kleineren Teigen nimmt man 50 Gramm auf ein Kilo Mehl und bei größeren Teigen nur dreißig Gramm. Ich staunte. Dazu gehört Fingerspitzengefühl, dann kommt es auf die Wärme an und auf die Zeit, die zur Verfügung steht. So langsam sah ich das ein und begann, darüber nachzudenken. Nochmals sagte Arno: Je kleiner der Teig, um- so größer ist der Anteil der Hefe. Gibt es da keine feste Norm? fragte ich. Nein, sagte er, Hefe schadet dem Teig nicht. Außerdem unterscheiden wir die direkte und die indirekte Teigführung. Bei der direkten machen wir kein Hefestück und bei der in

direkten machen wir vom dritten Teil des Mehles ein Hefestück. Das Hefestück muss drei Stunden stehen, bis es verarbeitet wird.

Was gehört außerdem noch in den Teig? wollte ich jetzt von ihm wissen. Ja, das kommt immer darauf an, was ich der Kundschaft bieten will, sagte er überlegend. Außerdem gibt es viele Sorten von Brötchen. Ich meine die Brötchen, die wir machen, sagte ich und wollte es genau wissen. Also pass auf! sagte Arno und er schien alles zu geben, was er gelernt hatte. Salz gehört zunächst in jeden Teig, und zwar rechnet man auf einen Liter Flüssigkeit 20 – 30 Gramm. Dann kann man die gleiche Menge Zucker nehmen, außerdem gibt es eine ganze Menge Backhilfsmittel; die Zahl ist groß und man muss zuerst probieren. Wie ist es mit Milch oder Milchpulver? fragte ich. Ist auch gut und die Kundschaft wird es dir danken, sagte Arno. Er war jedoch nicht sehr begeistert. Vom Dankeschön kann man nicht leben, sagte er und lächelte.

Wie wird denn das Wasser berechnet? wollte ich nun wissen. Das Wasser richtet sich danach, wie fest ich den Teig haben will, da gibt es keine Norm. Arno wusste über alles Bescheid. Für 10 Kilo Mehl ungefähr? fragte ich. Für 10 Kilo ca. 7 – 7,5 Liter. Das ergibt 10 Pressen Brötchen oder 15 Weißbrote. Ich war völlig zufrieden. Also nimmt man Zucker und Salz zu gleichen Teilen und dazu Backhilfsmittel, wiederholte ich noch einmal. Ja, sagte Arno, Backhilfsmittel, so man hat. Ich sah ihn etwas ungläubig an und fragte: Warum? Es gehören eben Jahre dazu, um das auszuprobieren und um das Fingerspitzengefühl zu bekommen, das lehrt man an den Fachschulen und gibt es von einer Generation an die nächste weiter.

Aber nun zu den Kuchenteigen, was nimmt man da? Das richtet sich danach, was ich machen will und wie teuer der Kuchen sein soll. Kuchenteig nennt man den Teig, wo auf 90 Gewichtsteile Mehl, 10 Gewichtsteile Fett und Zucker kommen. Diese können im Teig sein oder sie dürfen dem Gebäck anhaften. Das ist natürlich der einfachste Teig und man kann ihn nicht überall verwenden. Zutaten kann man nehmen, so viel man will, sagte Arno. Man muss nur richtig kalkulieren, damit man nicht nur auf seine Kosten kommt, man will ja auch daran verdienen. Das leuchtete mir ein. Schau, wir verkaufen vier Schnecken für 10 Pfennig, da muss der Teig halt einfach sein, denn die vier Schnecken wiegen bereits 150 Gramm.

Bei den Weihnachtsstollen kommt auf ein Kilo Mehl bereits ein Kilo Zutaten und manchmal sogar mehr. Meine Augen wurden immer größer. Ich sah es ein, dass man in der Bäckerei sehr viel lernen konnte und auch lernen musste. Es hieß Augen und Ohren offen halten. Nimmt man zu wenige Zutaten und verkauft das Gebäck zu teuer, dann geht die Kundschaft weg. Sie sagt dann: der Kuchen schmeckt nicht. Die Kundschaft entscheidet letzten Endes darüber, ob ein Geschäft geht oder nicht. Jetzt machte mir das Bäcker lernen erst richtig Spaß, mir gingen die Augen ganz von selbst auf. Ich wollte noch mehr fragen, aber Arno war nicht mehr dazu zu bewegen. Er sagte: Nicht alles an einem Tage, wir können uns ja noch öfter unterhalten. Nach diesem Gespräch mit Arno, saß ich noch lange auf der Stube und dachte darüber nach. Einiges schrieb ich in mein Büchlein.

Als ich später am Strand entlang ging, dachte ich über alles noch einmal nach. Was man doch alles in einem halben Jahr lernen kann? Zuerst hatte ich von alledem gar keine Ahnung, keinen blassen Schimmer, wie man sagt. Und ab heute beginne ich zu begreifen. Erst jetzt, wo es wieder ruhig geworden ist, kann ich mich in die ganze Sache vertiefen. Jetzt habe ich Zeit, über das bisher Gelernte nachzudenken. Ich werde Arno weiterhin mit den unmöglichsten Fragen aus der Reserve locken. Ich werde nicht müde werden, bis mein Wissensdurst gestillt ist.

Kurz vor sechs Uhr hatte ich meine Wanderung beendet, es dunkelte bereits. Ich ging nun die Treppen wieder hoch. Mit dem heutigen Tag war ich zufrieden. Als ich auf den Hof kam, sah ich im Stall noch Licht. Emil hatte das Pferd und die Kühe gefüttert und Marie war noch beim Melken. Ich setzte mich auf ein Bündel Stroh, denn ich war von der Strandwanderung müde geworden.

Marie platzte sofort mit einer Neuigkeit heraus. Otto, sagte sie, morgen beginnen wir mit der Kartoffelernte, da sollt ihr, Arno und du, auch mithelfen. Es kommen noch mehr Leute dazu; wir wollen bis zum Abend fertig sein. Das kann doch nicht wahr sein, sagte ich ganz entrüstet, morgen habe ich doch Schule. Der Meister wird dich entschuldigen, sagte Marie und lachte, er hat es schon gesagt. Ich wusste wirklich nicht, was ich dazu sagen sollte. Warum regst du dich auf, sagte Emil, wenn gearbeitet wird, brauchst du nicht zur Schule. Beim Abendessen sagte es mir die Meisterin auch. Ich musste es kommentarlos zur Kenntnis nehmen. Es war eine beschlossene Sache. Um fünf Uhr aufstehen, dann die Arbeit in der Bäckerei und nach dem Frühstück aufs Feld.

So kam es dann auch. Arno und ich saßen nach dem Frühstück mit den anderen auf dem Wagen und fuhren aufs Feld. Zwei fremde Frauen waren noch dabei. Wir waren nun sieben Personen. Emil lenkte den Braunen auf dem Wege, den ich schon mehrmals gefahren war. Also heute ging es in die Kartoffeln. Na ja, der Winter war lang und zur Familie gehörten allerhand Esser. Als wir auf dem Kartoffelacker ankamen, zählte ich zuerst die Reihen, es waren vierzehn. Einmal rauf und einmal runter, sagte ich zu Emil, der schon alles organisiert hatte. Deshalb waren wir auch sieben Mann. Bis zum Abend sollten wir damit fertig sein. Die Stimmung war nicht schlecht.

Zunächst brachte Emil das Pferd auf die Wiese. Er nahm ihm das Geschirr ab und band es an eine lange Kette, damit es fressen konnte. Den Korb mit unserem Essen stellte Marie sicher auf den Wagen und deckte ihn zu. Inzwischen hatten sich die Frauen fertig gemacht. Wir zogen uns ebenfalls eine Hose über, denn wir mussten ja auf den Knien die Reihen rauf und runter arbeiten. Nun standen wir mit der Hacke in der einen und dem Korb in der anderen Hand bereit. Jetzt kam Emil und teilte die Reihen ein. Er legte genug Säcke hin, in die wir die Kartoffeln hineinschütten sollten. Dann ging es auch gleich los. Wollen mal sehen, wer seinen Korb zuerst voll hat, spornte Emil uns an. Das Wetter war gut, die Sonne schien ein wenig und wir brauchten nicht zu frieren. Zwei Reihen hatte jeder. Ich musste mich ganz schön anstrengen, um nicht zurück zu bleiben. Die Frauen legten ein ganz schönes Tempo vor. Sie hatten ihren Korb bereits voll, als wir ihn erst halb voll hatten. Donnerwetter! sagte Emil, das hätte ich nicht gedacht. Frauen sind eben Frauen! Da kommen wir nicht mit. Frau Ziegler war noch jung und noch nicht lange verheiratet. Ihr Mann war Zimmermann. Sie konnte arbeiten, deshalb hatte sie die Frau Meisterin auch genommen. Frau Maaß dagegen war die Frau eines Fischers. Sie war Mitte Fünfzig und hatte schon mehrmals bei uns ausgeholfen. Beide Frauen wollten sich ein paar Mark dazu verdienen, um ihre Haushaltskasse aufzubessern. Frau Ziegler unterhielt die ganze Gruppe und es wurde bald herzhaft gelacht. Ich war leider auf Linksaußen und konnte das Gespräch nicht verfolgen. Sicher ging es wieder einmal um den neuesten Dorftratsch, denn alles was im Dorf passierte, ging ja wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund.

Die Zeit verging ganz schön schnell und langweilig wurde es uns nicht. Wir bildeten eine fast gerade Linie, nur Onkel Theodor blieb ein wenig zurück. Arno und ich nahmen abwechselnd seinen Korb mit und entleerten ihn, auch Emil war besorgt um ihn. So kamen wir in drei Stunden am anderen Ende an. Es ging sehr gemütlich zu und keiner brauchte sich zu überanstrengen. Emil ging nun zurück, um den Korb mit dem Essen zu holen. Wir anderen machten es uns inzwischen gemütlich. Es war zwölf Uhr vorbei. Nun konnte es sich jeder ausrechnen, wann wir ganz fertig sein würden. Zunächst teilte Marie das Essen aus und auch das Getränk. Jeder konnte nach Herzenslust zugreifen. Das Gespräch wurde während des Essens fortgesetzt. Als Emil mit dem Essen fertig war, steckte er sich die Pfeife an, Arno rauchte eine Zigarette. Wir dehnten die Pause noch ein wenig aus, denn bis vier Uhr würden wir es schaffen.

Ein Sack nach dem anderen wurde vollgeschüttet. Es standen bereits eine stattliche Anzahl gefüllter Säcke in einer Reihe und es kamen jetzt immer mehr dazu. Würde denn der Braune das schaffen? Es werden doch bestimmt 30 Zentner. Ist das nicht eine Fuhre für zwei Pferde? Zu Onkel Theodor sagte ich: Die Kartoffeln lohnen in diesem Jahr besonders. Er nickte mit dem Kopf: Auf so einem Stück hatten wir sonst nur 20 Zentner, heute sind es dreißig. Onkel Theodor, der sehr gottesfürchtig war, sagte. Wir müssen besonders dankbar sein für diese reiche Ernte! Ich dachte nur: Der Braune wird gerade nicht dankbar sein, dass er die schwere Last nach Hause ziehen muss. Dankbar waren wir jedoch auch; die Landbevölkerung ist das immer, sie weiß am ehesten den Segen des Feldes zu schätzen.

Nun aber ging es dem Ende zu. Endlich hatten wir es geschafft. Emil hatte das Pferd bereits angespannt und wir Männer folgten ihm ans andere Ende des Stückes. Die Frauen machten sich bereits auf den Heimweg, denn alle konnten auf dem Pferdewagen nicht mitfahren. Emil und Arno hoben gemeinsam die Säcke auf den Wagen, während ich sie dann zu recht rückte. Onkel Theodor fuhr den Wagen immer ein Stückchen weiter, so dass die beiden Auflader es bequem hatten. Wir blieben zunächst auf dem Wagen, als wir heimfuhren. Emil sagte. Wenn es dem Pferd zu schwer wird, können wir immer noch absteigen.

Wir kamen auf den Hof, als es bereits dunkelte. Emil fuhr den Wagen in die Scheune und wollte ihn am nächsten Tag abladen. Mir war es recht, denn ich war ziemlich müde. Wir gingen in die Backstube und wuschen uns Gesicht und Hände; nun

erst fühlten wir uns wohl. Marie hatte bereits das Abendbrot gerichtet und rief nach uns. Die beiden Frauen waren auch noch da und warteten auf das Essen, denn das gehörte dazu. Wir saßen um den Tisch in der Küche und waren unter uns. Ich dachte an die Schule und überlegte, ob ich mich beeilen sollte, damit ich es noch hin schaffe. Ich schwankte zwischen Pflichtgefühl und Bequemlichkeit. Schließlich zog ich die Bequemlichkeit vor, denn meine schmerzenden Knie erinnerten mich daran, dass ich heute genug gearbeitet hatte. Der Meister hatte mich sicherlich entschuldigt. Mich überkam eine derartige Müdigkeit, dass ich nur schlafen wollte. Nach dem Essen ging ich sofort in die Backstube und machte den Grundsauer und die Hefestücke. Arno kam auch und besprach mit mir das Ganze. Bist auch müde? fragte er. Ich geh sofort schlafen, wenn ich hier fertig bin, sagte ich zu ihm. Den ganzen Tag habe ich nichts gemerkt, aber jetzt kommt die Müdigkeit auf einmal. Bei mir ist es dasselbe, sagte Arno. Nur gut, dass es nur einen Tag gedauert hat.

Im Oktober fiel der erste Schnee, draußen wurde es kälter. Nun merkte ich erst, wie schön es in der Backstube war. Alle kamen zu uns herein, um sich zu wärmen. Du hast es gut, Otto, sagte einer wie der andere. An den Sommer dachte keiner dabei. Eines Tages besprach der Meister mit Arno die Pfefferkuchenbäckerei. Ich spitzte sofort die Ohren. Tatsächlich, es sollte bald losgehen. Für mich war das etwas ganz Neues. Ich wollte höllisch aufpassen und mir einiges notieren.

Zunächst holten wir einen Eimer Sirup aus dem Laden, den wir in einen Kessel gossen und auf dem Herd warm machten. Aber nicht der Sirup allein wurde zum Kochen gebracht, sondern einige Kilo Zucker kamen noch hinzu. Nun ließ Arno alles richtig aufkochen und rührte ein paarmal kräftig durch. Dann stellte er den Kessel zum Abkühlen auf die Erde. Ich ließ mir nicht das Geringste entgehen. Nun kam der Meister und ließ sich von Arno berichten, wie weit der Sirup sei. Er überprüfte die Temperatur des Sirups. Er konnte nun in den Bottich der Knetmaschine gegossen werden. Dann wog Arno das Mehl ab, aber die anderen Zutaten wog der Meister selbst ab, ebenso die Triebmittel.

Bis jetzt hatte ich mir alles gemerkt; ich sah ja die Gewichte, die auf der Waage standen. Die Maschine lief bereits, als sie das Triebmittel hinein schütteten. Es waren Ammonium und Pottasche. Warum gibt es da zwei Sorten? fragte ich Arno, als der Meister einen Augenblick hinaus gegangen war. Also das ist so, erklärte mir Arno und kam sich dabei sehr wichtig vor. Das Ammonium hebt das Gebäck und die Pottasche treibt es nach der Seite. Es darf aber nicht gleich beigemischt werden. Deshalb auch die spätere Zugabe, jetzt leuchtete es mir ein. Und die Zusammensetzung, wonach richtet sich die? Ich dachte, Arno würde mir die auch erklären. Er aber sagte nur: So machen wir den Teig schon seit Jahren. Es ist ein gutes Rezept und es vererbt sich von einer Generation auf die andere. Ich lachte. Brauchst gar nicht so zu lachen. Was meinst du, wie geheim manche Meister mit ihren Rezepten umgehen? Dabei kann ich aber doch nichts lernen, sagte ich entrüstet. So ist es nun einmal, verteidigte sich Arno, obwohl jeden Tag Pfefferkuchen gebacken werden und jeden Tag Teige gemacht werden, die Zutaten wiegt der Meister selbst ab. Damit ihm der Geselle das Rezept nicht absieht und es nicht an die Konkurrenz verraten kann. Raffiniert! dachte ich, aber ich komme schon noch dahinter. Was denkst

du wohl, begann Arno weiter zu erzählen, warum die Nürnberger Lebkuchen so berühmt geworden sind? Das Geheimnis beruht auf jahrhundertelanger Erfahrung, wobei die erprobten Rezepte immer wieder verbessert wurden, bis sie den heutigen Stand erreichten.

Den einfachen Pfefferkuchen kann jeder, der steht in Zeitschriften und Rezeptbüchern, aber Spezialitäten muss jeder selbst austüfteln, erklärte mir Arno und kam sich dabei sehr überlegen vor. Der Grundstoff ist immer Honig oder Sirup und Zucker, dazu kommt Mehl Triebmittel und Gewürze. Wie das alles zusammen harmoniert, das muss jeder selbst ausprobieren. Ach wäre ich doch schon so weit, dachte ich.

Jetzt wollen wir eine Probe backen, sagte Arno und rollte ein Stück aus. Mit einem Ausstecher stach er einige Stücke aus und legte sie auf ein Blech. Sie kamen sofort in den oberen Ofen. Wir warteten auf das Abbacken. Der Meister erschien ebenfalls und sah sich die Probe an. Sie nahmen jeder ein Stück, brachen es auseinander, rochen daran und kosteten es. Arno meinte, es wäre zu wenig Aroma drin. Der Meister sagte dagegen: Aroma ist genug drin, es fehlt Pottasche, denn sie ziehen zu hoch. Sie einigten sich und Arno wog noch 50 Gramm Pottasche ab. Er löste sie in Wasser auf, schüttete die Flüssigkeit auf den Teig und schaltete die Maschine ein. Wir machten im Anschluss daran eine zweite Probe und verglichen sie mit der ersten. Der Meister hatte recht! sagte Arno. Siehst du den Unterschied? Natürlich sah ich ihn. Ich hatte doch einen Blick dafür.

Der Meister war mit der zweiten Probe zufrieden und für uns begann nun die Arbeit. Zunächst warfen wir den Teig auf den Tisch und stießen ihn zusammen Er war noch ganz schön fest, obwohl er noch warm war. Arno schnitt mit dem Messer ein Stück ab und rollte es aus. Ich holte die Bleche und setzte auf, während er ausstach: Herzen, große und kleine, Sterne und andere Figuren. Die ersten 12 Bleche kamen sofort in den Ofen, der erste Herd war voll. Weiter machten wir, die nächsten Bleche wurden voll. Nun waren die ersten gebacken. Arno holte sie heraus und schob die nächsten gleich hinein. Insgesamt hatten wir 52 Bleche.

Nun hatte sich der Duft in der ganzen Backstube verbreitet und die Frau Meisterin und Luzie kamen neugierig zu uns. Die duften ja herrlich! riefen sie wie aus einem Munde. Sie wurden auf emaillierte Bleche geschüttet und in den Laden gebracht. Die großen Herzen streicht ihr doch mit Schokolade? fragte die Frau Meisterin und Arno nickte. Die kleinen Sterne strichen wir mit Zuckerglasur und bestreuten sie mit buntem Zucker. Der Duft verbreitete sich nun auch im Laden. Jeder sollte wissen: Jetzt werden Pfefferkuchen gebacken, jetzt ist bald Weihnachten. Den ganzen Dezember hindurch machten wir neben den Ausstechern auch Stollen, kleine Napfkuchen mit viel Rosinen und Rosinenbrote. Dann verarbeiteten wir den Pfefferkuchenteig zu Steinpflaster, Pfeffernüssen, rechteckigen Stücken, die wir glasierten und mit Mandeln belegten und Weihnachtsmännern.

In der Backstube wurde es jetzt interessant. Zahlreiche Kunden brachten jetzt Bleche mit Ausstechern oder Stollen, die wir abbacken sollten. Vor dem Fest war besonders viel los. In den frühen Morgenstunden kamen die ersten Kunden. Sie brachten auch Blech- oder Napfkuchen. Manche brachten sogar Brotteig, den wir zu Brot oder Brötchen verarbeiten sollten. Ich nahm ihnen den Kuchen ab, fragte ob es Pulver oder Hefe sei, dann stellte ich sie entsprechend weg. Wir überwachten die Gare bei den Hefekuchen und schoben die Pulverkuchen sofort in den Ofen, wenn Platz war. Arno stand dauernd am Ofen und nahm die Gebackenen heraus. Dann reichte ich ihm die Neuen zu. Der Ofen war dauernd voll. Beim Abholen wurde gleich kassiert. Die kleinen kosteten 10 Pfennig und die großen 20. Viele Kunden gaben mir Trinkgeld, das ich zuerst gar nicht annehmen wollte. Aber sie drängten es mir förmlich auf. So nahm ich es dann schließlich mit Dank an. Manche gaben mir sogar 50 Pfennig und ich war am Ende doch froh, denn als ich es am Schluss zählte, waren es bald 10 Mark. Mein erstes selbstverdientes Geld.

Am Heiligen Abend wurde der Kuchen nur bis Mittag angenommen; am Nachmittag scheuerten wir die Backstube und wuschen den Ofen. Arno half natürlich auch mit. Einige Kunden hatten noch schnell ihren Festtagsbraten gebracht, den wir auch in den Ofen stellten. Oft war es die Weihnachtsgans oder ein Schweinebraten.

Um sechs Uhr rief Arno mich und Emil, wir sollten ins Haus kommen. Im Zimmer, in dem wir sonst zu Tisch saßen, waren unsere Geschenke aufgebaut. Jeder von uns bekam einen bunten Teller, ein praktisches Geschenk und einen Umschlag mit einem Geldbetrag. Auf jedem Teller lag ein Kärtchen mit dem Namen. Der Meister und die Frau Meisterin wünschten uns Frohe Weihnachten und wir bedankten uns herzlich. Nun hatten wir noch ein wenig Zeit bis zum Abendessen und ich ging mit Emil auf unsere Stube, wo wir uns das Geschenk erst einmal ansahen. Bei mir steckten 10 Mark im Umschlag, ich war glücklich. Emil holte 20 Mark aus seinem Umschlag heraus und war auch nicht glücklicher als ich, denn er hatte damit gerechnet. Für mich war es jedenfalls eine große Überraschung, denn ich hatte ja keine Ahnung.

Beim Abendbrot ging es heute ein wenig geheimnisvoll zu, denn keiner wusste, was der andere bekommen hatte. Man sah förmlich, wie die Gedanken umher eilten und zu ergründen suchten, was ihnen doch nicht gelang. Als wir gingen, wünschten wir eine gute Nacht und nochmals Frohe Feiertage. Nun war das Herzklopfen vorbei und die Spannung hatte sich gelegt. Emil schickte sich an, nach Hause zu gehen, denn er wohnte ja im Dorf. Ich wollte erst morgen Vormittag gehen. Heute war es schon dunkel und es hatte am Nachmittag ein wenig geschneit.

Am ersten Weihnachtsfeiertag stand ich schon früh auf. Marie hatte noch gar nicht den Frühstückstisch gedeckt, da wollte ich schon frühstücken. Ich konnte es einfach nicht länger erwarten, zu meinen Eltern und Geschwistern zu gehen. Ich hatte mein Bündel, das ich mitnehmen wollte, schon mit heruntergebracht. Nun aß ich schnell und verabschiedete mich. Der Meister trug mir Grüße an meine Eltern auf, die ich mit Dank annahm. Dann machte ich mich auf den Weg. Ich musste die Strecke zu Fuß gehen und benötigte immerhin, bei den Schneeverhältnissen, reichlich mehr als eine Stunde. Jetzt war es acht Uhr und um halb zehn wollte ich da sein. Es hatte auch in der Nacht noch ein wenig geschneit und so musste ich mir

erst einen Weg bahnen. Die Niederungen waren verweht und es war keinerlei Verkehr auf der gesamten Strecke. Ich war ganz allein unterwegs, alle schienen an diesem Morgen Weihnachten zu feiern. Mit vor Kälte und vom Wind geröteten Backen kam ich schon vor der geschätzten Zeit an. Man erblickte mich schon von weitem und winkte mir zu. Helmut kam mir sogar ein Stück entgegen. Im Haus legte ich mein Bündel auf den Tisch und begrüßte zuerst meine Eltern und dann meine Geschwister. Wir alle freuten uns über das Wiedersehen. Ich stellte meinen bunten Teller auf den Tisch und forderte alle auf, zuzugreifen. Im Nu hatte jeder eine Kostprobe genommen und der Teller war leer.

Im Wohnzimmer stand der geschmückte Weihnachtsbaum und darunter lagen noch die Geschenke. Jeder zeigte mir sein Geschenk. Mein Geschenk war noch verschnürt. Ich löste behutsam die Verschnürung und stieß einen Jubelruf aus. Eine weiße Bäckerjacke hatte Mutter für mich besorgt, ich war glücklich. Sofort musste ich sie anziehen, denn alle wollten sehen, wie ich darin aussehe. Die Jacke passte genau und ich wurde von allen Seiten bestaunt und belächelt. Luise war sehr stolz, denn sie hatte die Jacke in der Stadt ausgesucht und mitgebracht. Sogar Vater lächelte vor Freude. Wir bestaunten nun auch die anderen Geschenke und ich zeigte ihnen noch den Schal, den ich vom Meister bekommen hatte.

Nun wurde der Kaffeetisch gedeckt und nun musste ich auch den Kuchen kosten, den Luise gebacken hatte. Sie war auf mein Urteil gespannt, denn ich war ja nun Fachmann. Er war natürlich gut, aber ich konnte ihr doch einige Tipps geben. Das kann man aber nicht mit einigen Fingerzeigen lernen, das muss man sehen, sagte ich. Ich fragte nach den Mengen der Zutaten, aber sie konnte mir das nicht genau sagen, denn sie hatte sie nicht gewogen. Du musst alles wiegen, sonst gelingt dir der Kuchen nicht. Nun begutachteten wir auch die Ausstecher, die sie zu den Feiertagen gemacht hatte. Sie waren selbstverständlich gut, nur einiges sagte ich dazu: Ich hätte nicht so viel Fett genommen, dafür lieber etwas mehr Zucker, dann sind sie nicht so mürbe, sondern etwas röscher. So ist das also, sagte sie nachdenklich.

Im nächsten Jahr, das musste ich jetzt schon versprechen, sollte ich zu Hause die Pfefferkuchen backen. Ich versprach es und freute mich jetzt schon darauf. Wir können auch mal gern einen anderen Kuchen backen, sagte ich. Ich kann euch dann die Handgriffe zeigen, die den Kuchen erst zum Kuchen machen. Wir schauten gleich auf dem Kalender nach und suchten einen günstigen Termin. Ich sagte Luise auch, welche Zutaten sie besorgen sollte.

Wir sprachen noch, als das Mittagessen bereits aufgetragen wurde. Wieder gab es, wie zu allen Feiertagen, eine Weihnachtsgans. Ich bekam ein ordentliches Stück davon. Das schmeckte einmal ganz anders als beim Meister. Ich soll euch auch Grüße vom Meister und der Frau Meisterin bestellen, sagte ich und sah meine Eltern dabei an. Vater fragte: Hat er das wirklich gesagt? Natürlich hat er das gesagt, heute früh beim Frühstück. Nun schmunzelte er doch und Mutter wiederholte: Vom Meister und der Frau Meisterin. Nun staunten sie alle. Elfie sagte: Was du in einem dreiviertel Jahr alles gelernt hast, da muss man ja staunen. Sie ging jetzt das letzte Jahr zur Schule. Zum Fest waren alle versammelt, sogar Fritz und Paul waren da.

Nun waren wir neun Personen am Tisch.

Paul hatte es nun auch leichter, denn Vater hatte ihm erlaubt, jetzt im Winter mit der Bahn zu seinem Arbeitsplatz nach Kolberg zu fahren. Er hatte die Prüfung als Chauffeur schon gemacht, konnte also schon ein Auto fahren. Fritz arbeitete noch auf der Ziegelei und verdiente viel Geld. Er fuhr immer mit dem Fahrrad, denn er hatte es nicht so weit. Willi war angehender Bauer und war hier zu Hause.

Wir gingen anschließend durchs ganze Haus und auch durch den Stall, denn ich war lange nicht hier gewesen und wollte jede Veränderung sehen. Willi und Helmut zeigten mir bereitwillig alles. Meine beiden Schwestern zeigten mir anschließend was sie alles genäht und gestickt hatten. Das waren Deckchen und Kissen mit vielen Blumen für das Sofa und auch Decken für den Tisch. Willi hatte Kochlöffel geschnitzt und Körbe aus Weidenruten geflochten. Ja die Wintertage auf dem Lande waren für solche Arbeiten besonders geeignet.

Am Abend wurde dann der Lichterbaum bestaunt. Er strahlte im Glanz der silbernen und goldenen Kettchen und Kugeln, der glitzernden Schneeflocken und dem Silberhaar. Wir sangen Weihnachtslieder und knabberten Kekse dabei. Es war so richtig ein Tag, um über vieles nachzudenken. Heute gingen wir nicht so bald ins Bett, die Lichter mussten zuerst abgebrannt sein.

Am Vormittag des zweiten Feiertages gingen wir nochmals durch den Stall, denn gestern hatten wir noch nicht alles gesehen. Der Viehbestand hatte sich sehr verändert, vieles kannte ich nicht mehr. Vater hatte einen Schlitten gebaut, der bestand aus zwei Teilen, die hintereinander gehängt wurden. Willi hatte natürlich dabei geholfen. Außerdem hatte Willi einen ganzen Haufen Besen gebunden und auch eine große Holzschaufel gebaut, die zum Korn einschaufeln dienen sollte. Nun gingen wir auch noch in die Scheune und Helmut zeigte mir, was noch zu dreschen war. In der Werkstatt, die Vater sich eingerichtet hatte, sah ich angefangene Arbeiten, die auf ihre Vollendung nach den Feiertagen warteten.

Am Nachmittag, nach dem Kaffeetrinken, begann ich mich für den Rückweg vorzubereiten. Die Stimmung war ein wenig gedämpft, weil ich mich bald verabschieden musste. Wir hatten uns gegenseitig auf den Besuch gefreut und nun war die schöne Zeit schon wieder vorbei. Aber ich war ja nicht so weit weg und konnte schon am nächsten Sonntag wiederkommen.

Ich machte mich rechtzeitig auf den Weg, weil ich bei Dunkelheit auf der Chaussee sein wollte. Willi und Helmut begleiteten mich und trugen mein Gepäck. Am Bahnhof Lehnde verabschiedeten wir uns. Nun kam ich an verschiedenen Gehöften vorbei, ich hörte Hundegebell und fürchtete mich manchmal. In den erleuchteten Zimmern sah ich den Lichterbaum. Sonst umgab mich festtägliche Stille auf der gesamten Strecke. Der Mond war mein Begleiter, er stand als silberne Sichel am Himmel und zeigte mir den Weg.

Im Hause des Meisters war es ebenfalls still. Ich sah keinen Menschen und ging sofort auf die Stube. Aber auch hier war keiner zu sehen. Wo war Emil? Ich legte

meine Sachen auf den Tisch und ging wieder nach unten. Nun sah ich Licht im Stall. Hier traf ich Emil und Marie. Sie verrichteten die Arbeit, die auch während der Feiertage gemacht werden musste, nämlich Füttern und Melken. Oh, wer kommt denn da? hörte ich sie fragen. Du kommst ja sehr rechtzeitig, sagte Emil. Ich wollte doch nicht bei völliger Dunkelheit laufen, sagte ich zu ihrer Beruhigung. Ach, du musstest laufen? fragte Marie. Ist es eigentlich weit bis Lindenhof? Weit ist es gerade nicht, aber im Winter und noch bei Dunkelheit ist es schon ein wenig länger als im Sommer. So unterhielten wir uns, bis Marie mit dem Melken fertig war.

Wir gingen ins Haus. Der Meister hatte Besuch und aß heute mit seinem Besuch im anderen Zimmer, so war ich mit Emil allein beim Abendessen. Arno kam zwischendurch zu uns und begrüßte uns. Sein Bruder Siegfried, der in Stettin eine Stelle als Verkäufer hatte, war auch gekommen. Auch er kam kurz zu uns, begrüßte Emil und schaute mich an. Das ist unser neuer Lehrling, stellte mich Arno ihm vor.

Nach dem Essen gingen Arno und ich in die Backstube, denn auch während der Feiertage musste der Sauer weitergeführt werden. So machte ich also den Grundsauer für das Brot, wog die Zutaten für die Weizenteige ab und machte anschließend die Hefestücke. Das bisschen Arbeit hatte ich bald fertig. Emil war auch in die Backstube gekommen, denn hier war es immer angenehm warm. Er rauchte in aller Gemütsruhe sein Pfeifchen. Arno machte die Feuerung des Ofens auf, zog die Züge und rührte die noch vorhandene Glut durcheinander. Nun warf er dreißig Kohlen auf jede Seite und machte die Tür wieder zu. Sofort begann sich das Feuer zu entfachen.

Emil wollte mit mir noch auf die Straße, aber es war ungemütlich und still. Alles feierte Weihnachten und so gingen wir wieder auf die Stube. Wir packten unsere Sachen aus, die wir von zu Hause mitgebracht hatten und bereiteten uns auf den nächsten Tag vor. Als alles erzählt war, was wir zu berichten hatten, legten wir uns bald hin. Was ist schon Weihnachten, wenn man nicht bei der Familie ist, sondern allein auf der Stube sitzt.

In der Backstube fingen wir am nächsten Morgen um fünf Uhr an. Wir machten nur ganz wenig Brötchen, einige Bleche Schnecken und ein paar Weißbrote. Zwischen Weihnachten und Neujahr war eine ruhige Zeit und nur wenig zu tun. Die Leute hatten alle selbst gebacken und so kamen auch nur wenig Kunden. Ich war über diese ruhigen Tage aber nicht böse, so wie ich auch im Sommer über die Mehrarbeit nicht böse sein durfte.

Bald aber kam Silvester und da wurden Pfannkuchen gebacken. Mit aller Sorgfalt wurde der Teig gemacht; er war noch weicher als der Schneckenteig, außerdem waren da Eier drin. Arno machte ihn selbst und gab sich bei der Verarbeitung viel Mühe. Dann stieß er ihn aus, deckte ihn gut zu und stellte ihn hoch. Nach einer Weile stieß er ihn noch einmal aus und nach einer weiteren Pause noch einmal. Der Teig war jetzt die reinste Wolle. Nun machten wir auf. Es waren 12 Pressen, also 360 Stück. Wer sollte die alle essen? fragte ich mich. Aber es war bereits das zweite

Hefestück gemacht, es sollten nochmal so viel gebacken werden.

Also die ersten fünf Bretter waren aufgemacht, sie standen auf den Garstangen. Nun nahmen wir das erste herunter und deckten es ab. Mit der flachen Hand klopften wir sie nun ein wenig breit und dann legten wir mit einem spitzen Messer einen Klecks Marmelade drauf. Nun kam es auf die Geschicklichkeit an. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl wurde die Marmelade in die Mitte des Pfannkuchens gebracht, ohne dass wir uns die Finger mit Marmelade beschmierten. Die Stelle wurde verschlossen und der Pfannkuchen war wieder rund. So machten wir es mit allen, die auf dem Brett lagen. Der Meister kam und sah sich das erste Brett an; er hatte das Fett schon aufgestellt und wartete bereits. Er selbst stand an der Pfanne und backte sie. Immer 15 Stück legte er auf einmal hinein. Jetzt machte sich Onkel Theodor beliebt, er glasierte sie und legte sie zum Abtropfen auf ein Gitter. Die Frau Meisterin und Luzie kamen abwechselnd und holten sich die vollen Bleche. Arno und ich, wir machten unentwegt auf, denn es durfte keine Pause eintreten.

Als ich dann die vollen Bleche selbst in den Laden brachte, sah ich, wie die Pfannkuchen sofort verkauft wurden. Immer weiter! sagte ich, als ich wieder in die Backstube kam. Die Kundschaft steht schon da und wartet. Wir konnten gar nicht so schnell backen, wie nachgefragt wurde. Es ging also weiter, ein Arbeitsgang löste den anderen ab. Als wir die letzten aufgemacht hatten, löste Arno den Meister ab. Er backte sie nun und ich half Onkel Theodor beim Glasieren. Die fertigen Bleche trug ich immer gleich in den Laden und staunte nur, wie sie immer gleich weg gingen. Wenn die Frau Meisterin nicht einige für uns zurückgelegt hätte, hätten wir selbst keine bekommen. Dann hätte ich nicht einmal gewusst, wie sie schmecken. Als der Laden um sieben Uhr geschlossen wurde, waren auch die letzten Pfannkuchen verkauft.

Der 1. Januar fiel diesmal auf einen Freitag, da lohnte es sich nicht, nach Hause zu gehen, denn am Sonnabend wurde schon wieder gearbeitet. Ich blieb also hier und vertrieb mir die Zeit, wie ich es gewohnt war. Silvester verlief hier ruhig, wie es in so kleinen Ortschaften eben ist.

In der Mitte des Monats, als die Feiertage schon weit hinter uns lagen, begann sich die Lage zu normalisieren. Ich unterhielt mich mit Arno über die Brotherstellung. Bisher war es für mich mehr oder weniger ein Geheimnis und ich konnte mir noch nicht vorstellen, was alles dazu gehört, ein Brot zu backen. Deshalb fragte ich Arno: Was macht man zuerst? Zuerst nimmt man ein Stück vom Vollsauer ab, das ist der Anstellsauer, sagte Arno. Wie heißt das System. Nach dem gearbeitet wird? fragte ich. Das ist die fünfstufige Führung, sagte Arno, wobei die fünfte Stufe der Teig ist. Ich machte mir meine Gedanken, kam aber damit nicht zurecht. Warum gerade fünf Stufen, wollte ich jetzt wissen. Das ist die jahrelange Erfahrung, auf die man sich geeinigt hat, sagte Arno und konnte mir sicherlich auch keine bessere Auskunft geben. Wie heißen die anderen Stufen? fragte ich weiter. Also pass auf! sagte er nun. Den Anstellsauer kennst du, den frischt man im Laufe des Vormittags an, das ist dann der Anfrischsauer. Abends machen wir den Grundsauer, morgens den Vollsauer und nach drei Stunden machen wir den Teig. Wieder zerbrach ich mir

den Kopf, aber es dämmerte bereits. Arno fuhr fort mit seinen Erklärungen: Mit einem Topf Wasser beginnen wir und vermehren den Sauer immer um das Dreifache. Es liegt dann an der Findigkeit des Bäckers, ein schmackhaftes Brot herzustellen. Ja, aber wie denn? fragte ich. Schau her! sagte Arno, das Bäckerhandwerk ist schon sehr alt. Seit der Mensch das Korn entdeckt hat, begann er es zu vermahlen, um dann Brot daraus herzustellen. Zuerst versuchte es jeder für sich. Dann gab es Leute, die es besser verstanden als andere, man ließ es sich von ihnen herstellen. Sie hatten die Gare entdeckt. Nun sprach es sich herum und diese Leute backten bald Brot für andere. Sie wurden zu Fachleuten. So entstanden allmählich Gruppen, die ihr Geheimnis zuerst für sich behielten. So entstanden die Zünfte. Da man Nachwuchs brauchte, bildete man Lehrlinge zu Gesellen aus, aber nur aus den Begabtesten wurden Meister. Eine lange Rede hatte Arno gehalten, die für mich äußerst interessant war. Es steckte doch ein Geheimnis in jedem Beruf.

Wie du schon gemerkt hast, erklärte Arno weiter, machen wir in 24 Stunden einmal Brot, solange brauchen wir, um vom Anstellsauer ein fertiges Brot herzustellen. Es braucht alles seine Zeit. Ich nahm mir Bleistift und Papier zur Hand und begann, mir einige Notizen zu machen. Arno sah mir zu und korrigierte mich, wenn ich etwas falsch aufschrieb. Vor allem interessierte mich die Mehl- und Wassermenge. Jede Stufe erforderte doch eine andere Menge Wasser oder Mehl. Das ist natürlich unsere Arbeitsweise, sagte Arno, andere Bäcker mögen es anders machen. Im Großen und Ganzen halten wir uns an die Methode, die vom Bäckerhandwerk anerkannt ist. Wenn ich so arbeite, habe ich die Arbeitsweise unter Kontrolle, dann kann ich den Geschmack verändern, nach welcher Seite ich es will. Wie geht denn das? fragte ich neugierig. Ich brauche nur die Größe der einzelnen Stufen zu verändern und die Festigkeit, dann ist der Geschmack schon anders. Na ja, Arno musste es ja wissen, er ist Geselle und sein Vater ist Meister, aber ganz glaubte ich es doch nicht. Bei der Brotherstellung kann man viel lernen, dazu braucht man Jahre. Das Brot ist das Stimmungsbarometer des Geschäfts. Wenn Brotfehler auftreten und die Kundschaft wegbleibt, dann muss man ganz von vorn anfangen, führte er weiter aus.

Wir wollen für heute Schluss machen, denn sonst bringst du noch alles durcheinander, sagte Arno. Ich aber war noch nicht ganz zufrieden und fragte deshalb noch schnell: Sag mal Arno, woher weißt du das alles? Du hast doch auch keine Fachschule besucht? Ja, sagte er, du hast schon recht, aber mein Vater hat doch einige Fachbücher und dann lesen wir die Bäckerzeitung. Das allein genügt, um das alles zu wissen? Bring mir doch auch mal einige Fachbücher und die Bäckerzeitung, damit ich auch mal darin lesen kann, rief ich ihm zu. Später, rief er zurück, für heute ist es genug. Er hatte seine Mütze genommen und war gegangen. Ich blieb noch eine Weile in der Backstube und überlegte, wie ich wohl hinter das ganze Geheimnis der Bäckerei kommen konnte.

In den nächsten Wochen und Monaten unterhielten wir uns noch oft. Arno brachte mir einige Fachbücher und gab mir wichtige Artikel, die er aus der Bäckerzeitungherausgeschnitten hatte. Ich danke dir, Arno, sagte ich und meinte es auch so. Von nun an saß ich stundenlang auf der Stube und las in den Büchern. Ich machte mir

Skizzen und Eintragungen, sowie Aufstellungen und schrieb mir Bemerkungen dazu auf. Vieles las ich mehrere Mal und sprach am nächsten Tag mit Arno darüber. Er war verblüfft über meine Fragen. Ja, wenn Arno neben mir saß und wir blätterten in den Fachbüchern, dann machte es mir Spaß, dann konnten wir über alles sprechen und die Unklarheiten sofort beseitigen. War ich aber allein und mir war etwas unklar, dann verstand ich auch das Folgende nicht.

Als der Winter mit seinen kalten Tagen vorbei war, als die Sonne immer höher stieg und der Strand geradezu zu einer Wanderung einlud, da warf ich die Bücher manchmal hin und ging hinunter. Frische Luft war genauso gut oder besser. Ich wanderte wie im vorigen Jahr einmal nach Westen und dann wieder nach Osten. Es war herrlich! Obwohl der Strand immer derselbe war, war er doch jedes Mal anders.

An einem der Sonntage ging ich wieder nach Hause. Ich hatte doch meiner Schwester versprochen, mit ihr einen Streuselkuchen zu backen. Viele Zutaten brauchte sie nicht zu besorgen, die waren immer im Haus. Ich begann also mit dem Hefestück und machte nach drei Stunden den Teig. Wir besprachen alles miteinander und ich machte es im Grunde auch nicht anders, als sie es kannte. Nur das Ausrollen war für sie etwas Neues. Aber ich wollte ihr doch zeigen, wie es der Fachmann macht. Die Streusel machte ich auch anders, ich wog alle Zutaten ab und arbeitete ganz sauber. Als alles auf den Blechen war, stellten wir sie an eine warme Stelle und deckten sie zu. Der Ofen wurde rechtzeitig geheizt und als die Gare gut war, schoben wir den Kuchen hinein und warteten gespannt. Er sah schon etwas anders aus, weil er lockerer war, aber er gefiel mir trotzdem nicht. Ja, wenn ich einen anderen Ofen gehabt hätte, dann sähe auch der Kuchen anders aus, sagte ich zu meiner Entschuldigung. Jedenfalls freuten sich alle über den Kuchen, sahen sie doch wenigstens, was ich bis jetzt gelernt hatte. Wir unterhielten uns noch lange über die Bäckerei, über die vielen Pfannkuchen, die wir zu Silvester gebacken hatten, über die Schule und über das, was ich mit Arno alles besprochen hatte. Mutter fragte, ob mir das Lernen immer noch Spaß macht. Immer noch! sagte ich, von der Bäckerei komme ich nicht mehr los.

Mein Weg ins Leben

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