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2001 Das erste Treffen

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Schon beim ersten Treffen hat er mich tief berührt. Ich fühlte mich ausgeliefert und wusste, dass dieser Mann meinen inneren Panzer und alle heimlichen, verschlossenen Räume in meiner Seele erreichen würde. Ich wusste, dass er keine Gnade walten lassen würde, und dass er nicht vorhatte, barmherzig zu sein. Ich wusste, dass er all meine inneren Türen brutal und heftig auftreten wird. Und ich ahnte, dass er meine wohlgeordneten Gefühle neu mischen würde.

Ich schaute in seine blauen Augen und erkannte etwas wieder – einen blanken Ruf aus Schmerz. Nackt, geruch- und farblos. Einen Schmerz, der ebenso unsichtbar sichtbar war, wie meiner. Es war nur ein Moment, den ich fast vergessen hatte.

„Wir kennen uns“, sagte ich. „Ja,“ erwiderte Jo, „aber nicht aus diesem Leben.“ Ein ungewöhnlicher Anfang.

Wir saßen uns im Cafe gegenüber. Ich schaute auf den See hinunter und beobachtete die saftige grüne Trauerweide, deren Blätter schon fast ins Wasser reichten. Aus meinen Gedanken heraus sagte ich: „Alles läuft darauf hinaus, sich selbst in einem anderen Menschen wieder zu erkennen. Das ist eine Form von Nähe, die Wahrheit enthält.“ „Was ist Wahrheit?“ fragte er und strich mir dabei zärtlich über die Hände. Sein Streicheln war zu früh und zu aufdringlich. Und trotzdem wollte etwas in mir, dass er weiter streichelte. „Ist es Wahrheit oder ist es nur deine Meinung?“ fing er wieder an. „Ja, das stimmt, es ist meine Meinung. Und diese ist für mich Wahrheit.“ „Nein“, sagte er, „es gibt kaum Wahrheit, es gibt Übereinstimmungen zwischen den Menschen und dann sagen sie, das wäre Wahrheit.“ Ich gab ihm Recht. „Und was ist für dich Nähe?“ fing er wieder an. Ich wand mich. Auch diese Frage war zu früh. Seine Augen tauchten tief in meine ein. Und dann sagte er: „Du bist gar nicht fähig, Nähe zuzulassen.“ Nun zog ich endlich meine Hand weg, lehnte mich zurück und verschränkte meine Arme über meinen Oberkörper. Wie konnte er es wagen, so etwas zu behaupten! Er kannte mich doch noch gar nicht. Spöttisch lachte er. Meine Körpersprache hatte ihm den Beweis erbracht.

Wieder beugte er sich vor und schaute mich intensiv mit seinen blauen Augen an: „Kannst du dir vorstellen, mit jemanden absolute Nähe zu leben? Kannst du dir vorstellen, dich ganz zu öffnen bis es keine Geheimnisse mehr gibt und zwei Menschen in absoluter Nähe verschmelzen?“ Ich versteckte meine Angst hinter einem nervösen Lachen. Er erwartete keine Antwort.

Jo hatte in der Brusttasche seines Hemdes ein Bündel Geld. Er zahlte und gab großzügig Trinkgeld. Er erzählte mir, dass er selbständig sei und einen Großhandel hat und gut davon leben könnte. Zu dem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass die vielen Scheine in seiner Brusttasche dazu dienten, sein mageres Selbstbewusstsein zu erhöhen und er in Wirklichkeit am Existenzminimum lebte. Sein Auftreten ließ auf einen Geschäftsmann schließen, der sorglos seinen Reichtum genoss.

Es war mir nicht wichtig, ob er nun reich oder nicht reich war. Für mich zählte nur der Mensch.

Auf dem Weg nach Hause, dachte ich über unser Treffen nach. Dachte an seine Hand, die meine hielt und zärtlich streichelte und an den Kuss zum Abschied. Irgendwie war Jo anders als andere. Ich war neugierig auf ihn und er machte mir Angst.

***

Der Tanz mit der Kobra

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