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Hilfe für andere

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Jo hatte sich sehr mit Psychologie befasst. Da ich auch in dem Bereich einige Ausbildungen hatte, war das immer wieder ein interessantes Thema zwischen uns. Natürlich hatten wir in einigen Dingen unter-schiedliche Meinungen, welche immer wieder zu interessanten Dialogen führten.

Jo leitete eine Psychosegruppe. Ich fand es toll, wie er mit den kranken Menschen umging. Er hatte sogar eine Studie über psychotische Menschen angelegt. Beide waren wir der Meinung, dass die Ursache der Krankheit aus der Familie kommt. Beide waren wir der Meinung, dass es nicht um Schuldzuweisung an die Eltern ging, sondern, dass vieles aus Unwissenheit falsch gemacht wurde.

Jo ging sogar so weit, dass er psychotische Menschen ins Haus holte und mit ihnen stundenlang arbeitete. Es war jedes Mal ohne Erfolg und ich hoffte, dass er den Menschen keinen Schaden zufügte.

Einmal wollte er mit einem Klienten arbeiten, der stotterte. Er wohnte weiter weg und Jo machte einen Termin bei ihm. Er bat mich mitzukommen. Es würde nicht lange dauern und danach könnten wir schön essen gehen. Ich fuhr mit.

Nach sieben Stunden Therapie platzte mir der Kragen. Der arme Klient wurde von Jo stundenlang in die Mangel genommen. Viel hat es nicht gebracht, außer, dass mein ganzer Tag versaut war. Noch auf dem Rückweg wollte Jo mich überzeugen, dass seine Arbeit richtig war.

Ich wollte Menschen helfen. Jedoch menschenwürdig mit aller Wertschätzung, die jeder Mensch verdient hat. Bei Jo hatte ich den Eindruck, dass er andere mit aller Macht verändern wollte, rücksichtslos ohne auf diesen Menschen einzugehen. Jeder Mensch hat doch einen Grund so zu sein, wie er ist. Also muss ich ihn doch da abholen, wo er steht – jedenfalls ist das meine Auffassung.

Wir fanden keine Einigung.

***

Mein Hund, ein Schäferhundmischling, mochte Jo nicht leiden. Ich hatte diese Warnung nicht ernst genug genommen. Es dauerte lange, bis mein Hund ihn akzeptierte. Jo fragte, ob ich den Hund nicht weggeben wolle; er wäre doch so giftig. Ich sagte: „Meinen Hund gebe ich nicht weg. Es gibt uns nur im Doppelpaket.“ Wohl oder übel hatte er das akzeptiert. Jedoch war Jo, solange der Hund lebte, eifersüchtig auf ihn. „Deinen Hund akzeptierst du mit allen Fehlern, so, wie er ist, mich aber nicht. Mich willst du ändern.“ Das sagte er öfter in der Zeit, in der wir zusammen lebten. Obwohl ich es abstritt, hatte Jo Recht. Es gab einige Dinge, die mir nicht gefielen, die ich gerne geändert haben wollte. Zum Beispiel, wenn er Fragen mit Gegenfragen beantwortete und ich irgendwann nicht mehr wusste, wovon wir sprachen. Auch wollte ich nicht, dass er mich immer wieder mit meinen Vorgängerinnen verglich. Jedoch wusste ich, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich das bei uns eingespielt hatte.

Durch das Interesse von Jo an NLP (neuro-linguistische Programmierung) fing auch ich immer mehr an, mich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Es waren ergänzend zu meinen Ausbildungen viele Techniken enthalten, mit denen ich Menschen helfen konnte. Ich las die Bücher, die Jo mir mitbrachte, nein, ich arbeitete die Bücher durch. Am meisten interessierten mich die Techniken von Milton Erickson und ich kaufte mir von ihm und seinem Schüler Ernest Rossi einige Bücher. Dann entwickelte ich die Diät-Trance. Als die fertig war, holte ich sechs Personen zum Test heran. Auch Jo war mit in der Gruppe. Fünf Personen nahmen ab. Ein Riesenerfolg. Nun begann ich die Diät-Trance öffentlich anzubieten. Zwei bis drei mal im Monat hatte ich eine Gruppe.

Ich bot verschiede Seminare an und hatte einige Klienten. Jo war sehr daran interessiert und arbeitete für mich einen Businessplan aus. Begeistert legte er mir diesen vor und erklärte, wie ich mit der Diät-Trance viel Geld verdienen konnte. Ich war überfordert und lehnte den Plan ab. Das Gewicht so auf das Geld zu legen, widerstrebte mir.

***

Oft war ich bei Jo und half ihm in seiner kleinen Firma. Er hatte einen Großhandel mit Miniaturen. Jo zeigte mir sein Warenwirtschaftssystem und ich schrieb Rechnungen und Aufträge. Auch packte ich einige Pakete und half ihm dann bei der Messevorbereitung. Es machte mir Spaß. Die erste Messe, die ich mitmachte, war in Hamburg. „Du bist ja eine Spitzenverkäuferin“, sagte er. Jedoch konnte er es nicht lassen, mir immer wieder zu sagen, wie ich mit den Kunden reden sollte.

Dann kam eine Kundin auf den Stand, die Jo schon länger kannte. Er zog mich mit zu ihr hin und sagte: „Darf ich Ihnen die Nachfolgerin von Nilgün vorstellen. Na ja, der Mensch ist nicht geboren um alleine zu leben.“ Ich kochte innerlich. Wie konnte er nur so einen geschmacklosen Satz sagen! Dann drückte er mir den Auftrag in die Hand, damit ich die Kundin bedienen konnte. Ich war freundlich und bediente. Während des ganzen Auftrages kochte ich innerlich. Wie konnte er nur so taktlos sein! Als die Kundin weg war, ging ich wutentbrannt zu Jo. „Was sollte das denn“, fauchte ich ihn an. Er war ganz erstaunt. „Ich war doch nur ehrlich. Damals als ich mich von Nilgün trennte, ging es mir nicht gut und mit der Kundin hatte ich sehr guten Kontakt.“ Ich ging wütend weg vom Messestand und überlegte, ob ich nach Hause fahren sollte. Doch ich beruhigte mich wieder und ging zurück. Mit meinem Verhalten zeigte ich ihm aber deutlich, dass er so nicht mit mir umgehen durfte.

Seine so genannte Ehrlichkeit sollte mir noch manchmal Schmerzen bereiten. Wir bauten die Messe gemeinsam ab und ich half Jo später die Aufträge zu schreiben und zu packen.

***

Verächtlich schaute mich meine Tante an. Es fiel dem kleinen Mädchen schwer, der Tante freundlich die Hand zu geben, da die Ablehnung sehr deutlich war. Die Angst und Wut des kleinen Mädchens hatte keine Chance. Hilflos biss es die Zähne zusammen und machte brav einen Knicks.

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„Wie lange warst du verheiratet“, fragte Jo. Ich fragte zurück: „Meinst Du meine erste, zweite oder dritte Ehe?“ Nun stutzte er. „Du warst dreimal verheiratet?“ Es war mir immer wieder unangenehm, dieses zu erzählen. Aber mein Leben verlief nun mal so, und wenn ich mit diesem Mann zusammen leben wollte, musste ich ehrlich sein. Das war jedenfalls meine Grundhaltung, die ich für selbstverständlich hielt. „Wie kam das?“ fragte Jo. Ich erzählte ihm, dass ich damals mit 16 Jahren mit meinem damaligen Freund eine Schwangerschaft plante, um heiraten zu können um von zu Hause wegzukommen. „Somit habe ich mit 16 Jahren das erste Mal geheiratet und war mit 19 schon wieder geschieden.“ „Eine Kinderehe“, sagte Jo wegwerfend, „das zählt doch nicht.“

Neugierig fragte er: „Warum wolltest du denn von zu Hause fort?“ „Mein Vater hat mich über Jahre sexuell missbraucht. Damals schien es die einzige Möglichkeit von zu Hause weg zu kommen, ein Kind zu zeugen um heiraten zu können.“ Jo fragte nach Details. Nein, ich wollte keine Details erzählen. Das hatte ich noch nie getan.

„Dann hat er dich auch noch als du schon 16 Jahre alt warst, sexuell belästigt?“ Ich nickte verschämt. „Wieso hast du dich nicht gewehrt?“ Wieder stieg ein altes Schuldgefühl in mir auf. Wie sollte ich einem Außenstehenden erklären, dass es mir nicht möglich war mich zu wehren. Durch meine Therapie und Kontakte zu anderen Missbrauchsopfern wusste ich, dass es keiner möglich war, dem Missbrauch zu entgehen. Das hatte mit der Struktur der Familie zu tun. In meiner Familie war gehorchen oberste Priorität. „Es ging nicht“, sagte ich abweisend. „Ich war nur froh, als meine Tochter ihrem Vater ähnlich sah.“ Das ließ ich so in der Luft hängen. Jo merkte endlich, dass ich dieses Thema mit ihm nicht diskutieren wollte und schaffte es tatsächlich, nicht weiter zu bohren.

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Mein Vater stand bettelnd mit Tränen in den Augen vor mir. „Dieses Kind bekommen wir gemeinsam groß. Bitte heirate nicht.“ Er tat mir leid. Ihm war scheinbar nicht bewusst, dass dieses Kind, welches ich in unter meinem Herzen trug, mir endlich die Flucht aus dem Elternhaus ermöglichte.

***

„Und deine zweite Ehe?“, fing Jo wieder an. „Woran ist die gescheitert?“ Ich überlegte, wie viel ich ihm erzählen wollte. Ich lachte über meinen Schmerz hinweg, den ich nach so vielen Jahren wieder spürte. „Meine zweite Ehe dauerte nur zwei Monate.“ Neugierig sah Jo mich an. Flapsig sagte ich: „Mein zweiter Mann hat den Vater seines besten Freundes erschlagen. Bei der Scheidung war er in Hand-schellen. „Oh,“ sagte Jo erstaunt, „das war ja ein kurzer Ausflug. „So kann man es auch nennen“, antwortete ich trocken.

Nein, ich erzählte ihm nicht, wie sehr ich diesen Mann geliebt hatte. Auch nicht, dass er mich schlug und demütigte und neben mir andere Frauen hatte. Wir lebten ungefähr ein Jahr zusammen. Vielleicht war ich ihm sogar hörig gewesen. Jedoch durch seinen Gefängnisaufenthalt bekam ich den nötigen Abstand, um diesen Mann zu verlassen. Viel später erfuhr ich, dass dieser Mann meine Tochter missbraucht hatte. Lange haben mich Schuldgefühle heimgesucht obwohl dieser Missbrauch in einer Zeit stattfand, in der ich im Krankenhaus war und ich es wirklich nicht mitbekommen konnte. Dass dieser Mann meine Tochter mit einer Waffe bedrohte und sie damit zum Schweigen brachte, erfuhr ich erst Jahre später.

„Wie war es mit deinem dritten Mann?“ fragte er weiter. „Ich würde sagen, wir haben uns auseinander entwickelt. Oder anders ausgedrückt, ich habe mich von ihm wegentwickelt. Wir waren 14 Jahre verheiratet. Dies war meine beste und längste Beziehung, die ich hatte. Wir haben heute noch losen Kontakt.“ „Das ist schön“, sagte Jo. „Ich habe zu meiner Exfrau auch noch losen Kontakt. Man hat sich ja mal geliebt.“ „Wie lange warst du verheiratet?“ fragte ich. „20 Jahre. Wir hatten eine sehr gute Ehe und auch eine wunderbare Sexualität.“ So genau wollte ich es nun auch wieder nicht wissen. Da gab es bei Jo keine Grenzen, wie ich schon öfter bei ihm erlebt hatte. „Warum war denn deine Ehe vorbei, wenn sie so schön war?“ Er wand sich ein bisschen. „Na ja, da gab es andere Frauen. Aber ich habe mich geändert; Menschen ändern sich im Laufe der Jahre, “ setzte er hektisch hinterher. Er muss meinen entsetzten Blick gesehen haben. Wie lange wird es dauern, bis es neben mir andere Frauen gibt?

***

Mutti sagte zum kleinen Mädchen: „Hole Papa zum Mittagessen, er ist bei der Nachbarin.“ Ich hüpfte über die Straße zur Nachbarin. Papa und die Frau hielten sich im Arm. Als ich eintrat, ließen sie sich schnell los. Das kleine Mädchen war noch nicht mal sechs Jahre alt und konnte die Situation nicht einordnen. Also wurde es schnell wieder vergessen.

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Der Tanz mit der Kobra

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