Читать книгу Fettnäpfchenführer China - Anja Obst - Страница 17
车水马龙
ОглавлениеPeter ist beim Kleinen Li eingeladen. Bewaffnet mit seiner Adresse auf Chinesisch stellt er sich an die Straße und wartet auf ein Taxi. Es dauert auch gar nicht lange, da kommt schon eins angefahren. Peter hebt den Arm und winkt. Der Taxifahrer sieht ihn – und fährt vorbei. Verdutzt schaut Peter hinter ihm her. Aber viel Zeit zum Wundern bleibt ihm nicht, denn da kommen schon zwei neue. Er winkt, wird gesehen und ignoriert. Von beiden. Peter zieht die Augenbrauen hoch. Was soll das denn? Machen die alle Mittagspause?
Oder hat er einfach übersehen, dass in den Taxen schon Fahrgäste waren? Peter hebt unermüdlich den Arm bei jedem Taxi, das sich nähert. Und wirklich jedes fährt an ihm vorbei. Keines hält an. Es ist immer das Gleiche: Der Taxifahrer schaut und fährt ungerührt weiter. Ob die Stelle, an der er steht, nicht gut zum Halten ist? Er geht ein paar Meter in Fahrtrichtung und positioniert sich an einer Einfahrt. Der gewünschte Erfolg stellt sich nicht ein. Noch immer lassen die Taxifahrer ihn links liegen.
Peter schaut sich Hilfe suchend um. Woran liegt es, dass ihn keiner mitnehmen will? Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Am besten ruft er den Kleinen Li an! Dann sieht er aber ein junges Pärchen, das ihm entgegen kommt. Vielleicht sollte er einfach die beiden fragen?
Nachdem er sein Dilemma mit einfachen Worten geschildert hat, nicken sie auch wissend: »Es ist ganz einfach, du musst ein Taxi rufen«, sagt der Mann.
»Die meisten Taxen, die vorbeikommen, sind bestellt«, ergänzt seine Frau.
Oje, Peter hat gar keine Telefonnummer von einem Taxiunternehmen. Die muss er erst einmal heraussuchen und dann auch noch am Telefon auf Chinesisch erklären, wo er steht. Das geht doch voll nach hinten los!
»Du brauchst keine Telefonnummer, du kannst das mit deiner Navigations-App oder einer Taxi-App machen.«
ÜBRIGENS
Im Gegensatz zu früher, als die Taxidichte um einiges höher war und sich die Fahrer um die Fahrgäste fast prügelten, hat man nun in Peking eher selten Erfolg, wenn man einfach so am Straßenrand steht und winkt. Die meisten Taxifahrer sind in einer Zentrale registriert und damit über eine App zu buchen. Viele schwören auf das Unternehmen DiDi Chuxing, die chinesische Variante von Uber. Es gibt aber verschiedene Taxiunternehmen, die auch ihre eigenen Apps haben. Wer sich in China mit Taxifahren noch ein paar yuán dazuverdienen möchte, muss sich jedoch nicht bei einem dieser Unternehmen anstellen lassen, sondern darf auch freiberuflich durch die Straßen juckeln. Man muss lediglich einen Qualifikationstest bestehen und in der Zentrale registriert sein.
Dieses übergeordnete Taxiamt hat für die Fahrgäste einige Vorteile. Unkundige mussten früher immer damit rechnen, dass ein Taxifahrer Umwege fährt, um mehr Geld einzunehmen. Alle registrierten Taxis sind nun aber mit GPS ausgestattet. Ihre Routen sind nicht nur live, sondern auch später noch nachvollziehbar. Beschwert sich also ein Kunde, er sei durch einen Umweg übers Ohr gehauen worden, kann anhand der Taxinummer zurückverfolgt werden, wo das Taxi langgefahren ist. Natürlich gibt es schwarze Schafe, die mit ihren eigenen Autos, lackiert in Taxifarben, diesem System ein Schnippchen schlagen und munter die Fahrgäste ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Wer Zweifel hat, ob er in einem echten Taxi sitzt, sollte sich das Autokennzeichen notieren, falls es später Ärger gibt. Denn auch wenn im Fond die Taxinummer prominent prangt, hilft diese eventuell wenig. Ist das Taxi nicht echt, ist es auch die Nummer nicht.
Peter zückt sein Smartphone und öffnet, da er natürlich keine Taxi- App hat, seine vorinstallierte Navigations-App von Google. Besser gesagt, er versucht es. Denn irgendwie bekommt er keine Verbindung. Steht er in einem Funkloch?
ÜBRIGENS
Im Funkloch steht Peter nicht. Die großen Städte in China sind relativ gut abgedeckt, und auch auf dem Land gibt es weitgehend Netz. Je weiter westlich man ins Land reist, desto dürftiger wird es allerdings. Und natürlich steht nicht auf jedem Reisfeld eine LTE-Antenne. Das größere Problem beim Netzempfang kann aber manchmal die Hardware sein. Wer sein Smartphone aus dem Ausland mitbringt, empfängt unter Umständen und je nach gewähltem Anbieter nur 2G. China Mobile, der Marktführer in China, nutzt zum Beispiel den chinesischen TD-SCDMA-Standard, eine chinesische Version von UMTS. Dieser Standard wird von vielen ausländischen Geräten nicht unterstützt. Das Gleiche gilt für LTE, also 4G. Die LTE-Bänder unterscheiden sich ein wenig von denen, die im Ausland genutzt werden. Einige Telefonmodelle funktionieren, andere wiederum nicht. Bei China Telecom sieht es noch miserabler aus. Das Unternehmen setzt auf den CDMA-Standard, der praktisch mit keinem importierten Mobiltelefon kompatibel ist. Am wenigsten Ärger haben Touristen mit China Unicom, die alle Geräte mit 2100MHz unterstützt. 4G ist mit jedem GSM-Gerät empfangbar. Wer länger in China bleibt und gerne den Marktführer mit dem besten Netz als Provider nutzen möchte, sollte sich in China ein neues Smartphone besorgen. Damit wären dann alle Kompatibilitätsprobleme vom Tisch.
Das Pärchen wartet geduldig, dass Peter seine Karten-App öffnet. Die weigert sich allerdings mit Händen und Füßen, hätte sie denn welche. Am Netz kann es auch nicht liegen, wie die Balken im Display beweisen. Zudem hat er auch schon eine Kurznachricht vom Kleinen Li bekommen, der besorgt fragte, ob alles in Ordnung sei. Peter antwortet schnell mit wenigen Worten, um ihn zu beruhigen, und wendet sich dann an das Paar.
»Mein Google Maps streikt, es öffnet sich nicht.«
»Google Maps? Darauf kannst du lange warten!« Die beiden grinsen und der Mann zieht sein Smartphone aus der Tasche. »Du musst hier Baidu benutzen.«
SCHLECHTE ZENSUR FÜR CHINAS ZENSUR
Manchmal scheint China in die Zeit der Kulturrevolution zurückzurutschen, als alles Ausländische verpönt war. Denn neben vielen kleineren Webseiten werden noch immer einige ausländische Internetgiganten, zumeist US-amerikanische, zensiert. Google ist ganz vorne bei den Geächteten. Davon betroffen sind sämtliche Dienste: Navigation, Play Store, Gmail und sonstige Apps, die Google so auf den Markt gebracht hat. Der Versuch, etwas zu googeln, schlägt ebenfalls fehl, genauso wie Videos auf YouTube schauen. Es gibt in China Alternativen wie Baidu für die Navigation oder Bing für die Websuche. Einige der optionalen Apps sind allerdings nur auf Chinesisch verfügbar. Ab und zu lohnt es sich, ebenfalls in der Zeit zurückzuwandern und vielleicht mal wieder eine analoge Straßenkarte mitzunehmen.
Noch während er das sagt, öffnet sich schon seine Karten-App. Er stellt sich neben Peter und zeigt auf das Display: »Hier, schau, unsere Position ist bereits zu erkennen. Jetzt musst du nur hier auf ›Taxi bestellen‹ klicken«, sein Finger wandert zu einer der angezeigten Schaltflächen und sein Blick zu Peter. Der nickt nur eifrig und übersieht geflissentlich den verstohlenen Blick zur Uhr der jungen Frau. Nachdem ihr Partner den Taxiruf gestartet hat, öffnet sich ein Fenster.
»Wo willst du hin?«
Peter kramt hastig die Adresse vom Kleinen Li hervor, der junge Mann tippt flink die Schriftzeichen ein und bestätigt. Kurze Zeit später klingelt sein Telefon. Er redet recht schnell, aber Peter versteht das Wort Ausländer und deutet den auf ihn fixierten Blick als Beweis, dass der junge Mann über ihn redet. Als er wieder auflegt, bestätigt er: »Das war der Taxifahrer, er ist in zwei Minuten da, seine Taxinummer ist diese hier.« Er dreht das Display wieder zu Peter, der sich die dort angegebene Nummer notiert.
Als er fertig ist, fragt er: »Woher wusste der Fahrer denn deine Telefonnummer? Wurde die automatisch weitergeleitet?«
»Ja, aber nicht an ihn, sondern nur an die Taxizentrale. Seine Nummer habe ich jetzt auch nicht automatisch auf meinem Telefon. Das läuft alles nur über die Zentrale, wegen Datenschutz«, fügt er hinzu.
»Aha«, macht Peter und ist etwas unsicher, wie es jetzt weiter geht.
»Eine große Bitte habe ich aber«, sagt der hilfsbereite Chinese da auch schon.
»Natürlich, was kann ich tun?«
»Bezahlen!«
Peter stutzt. So ein Schlitzohr! Jetzt will der doch tatsächlich für seine Hilfsbereitschaft Geld haben. Enttäuschung macht sich in ihm breit. Er hatte wirklich gedacht, dass das Paar ihm selbstlos und bereitwillig beigestanden hatte. Resigniert zieht er sein Portemonnaie aus der Jacke. Oh Gott, wie viel soll er ihm denn jetzt geben? Was war die Hilfe wert? Wahrscheinlich beleidigt er ihn jetzt noch, weil er zu wenig gibt.
»Nein, nein!«, ruft der Mann und schiebt Peters Hände mit dem geöffneten Geldbeutel Richtung Tasche. »Den Taxifahrer sollst du bezahlen!«
Ach so!
»Aber natürlich! Das ist doch selbstverständlich!«, beeilt sich Peter zu sagen.
»Na ja, im Grunde könntest du dir ja jetzt auf unsere Kosten eine lange Taxifahrt gönnen«, meldet sich nun auch die Frau wieder zu Wort.
»Wie das denn? Ich muss doch beim Aussteigen sowieso bezahlen«, bemerkt Peter.
»Nein, nicht unbedingt. Du kannst die Taxirechnung später noch begleichen. Zum Beispiel mit WeChat.« (Siehe hierzu auch Kapitel 12, ›Yī Liǎo Bǎi Liǎo‹)
Mit WeChat? Dem chinesischen Pendant von WhatsApp? Das ist doch ein Service für Kurzmitteilungen und zum Telefonieren und so!
»Das geht natürlich auch direkt beim Aussteigen, und auch in bar, falls da keine Internetverbindung sein sollte. Aber solange du innerhalb von 24 Stunden bezahlst, reicht das völlig aus«, fügt der junge Mann noch hinzu.
In dem Moment rollt schon das Taxi vor. Um Peters Kopf tanzen unsichtbare Fragezeichen herum. Die muss er jetzt wohl erst einmal mit auf die Rückbank nehmen, denn das Paar macht Anstalten, sich zu verabschieden.
»Der Taxifahrer weiß ja, wo du hinwillst, hab noch einen schönen Tag!«
»Ihr auch und tausend Dank für die Hilfe!«
Peter winkt noch schnell aus dem Fenster heraus und öffnet dann sein WeChat. Er hat ja jetzt ein bisschen Zeit, sich die App mal genauer anzusehen. Vielleicht findet er sogar heraus, wie er damit bezahlen soll. Erst einmal nutzt er die App aber für das, worauf er sie bislang wohl reduziert hat: eine Mitteilung an den Kleinen Li zu schicken, dass er endlich im Taxi sitzt und auf dem Weg ist.
ÜBRIGENS
Durch die zentrale Registrierung der Taxifahrer und die Vermittlung der Passagiere über diese Sammelstelle, wird es auch für Passagiere schwierig, den Fahrer um seinen Lohn zu prellen. Selbst wenn der kriminell veranlagte Fahrgast richtig schnell laufen und nicht eingeholt werden kann, er wird früher oder später über seine Datenspur sowieso geschnappt. Beide, Fahrer und Fahrgast, sind somit besser geschützt. Das stimmt natürlich nicht, wenn der Gast das Taxi durch Winken angehalten hat oder ein geklautes Mobiltelefon nutzt. Dann weiß die Zentrale nur, wo der Fahrer, aber nicht, wer der Fahrgast ist. Aber das GPS-Signal ist darüber hinaus sogar mit der Polizei verbunden. Wird ein Notruf abgesetzt, können die Gesetzeshüter den Standort sofort bestimmen und eingreifen.