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Die Geschichte des hútòng
ОглавлениеDie ersten Pekinger hútòng lassen sich bis zur Yuan-Dynastie (1271–1368) zurückverfolgen und sind sozusagen keinem geringeren als Dschingis Khan zu verdanken. Mit seiner mongolischen Armee fiel er Anfang des 13. Jahrhunderts in das heutige Peking ein (damals hieß es noch Zhongdu), brannte die kaiserlichen Paläste nieder und hinterließ Schutt und Asche. Auch nach seinem Tod im Jahr 1227 herrschten in Chinas heutiger Hauptstadt weiterhin die Mongolen (sein Enkel Kublai Khan nahm das Ruder in die Hand) und bauten sie wieder auf. Die Stadt wurde eingeteilt in Wohngebiete, und die Straßen schachbrettartig verlegt. Dabei war die Breite der Straße ausschlaggebend für ihre Bestimmung: Eine Avenue war 36 Meter breit, eine Straße 18 Meter und eine Gasse 9 Meter.
Während der Ming-Dynastie (1368–1644) nahmen die Stadthalter die Maße nicht mehr so genau und ließen auch Gassen bauen, die viel kleiner waren. Die kleinste maß noch nicht mal einen Meter Breite. Noch heute gibt es Gassen, die an einigen Stellen nicht breiter als 40 bis 60 Zentimeter sind, wie z. B. der Gaoxiao Hutong oder der Xiaolaba Hutong.
Der Name hútòng ist eines der wenigen Überbleibsel der Belagerung durch Dschingis Khans Enkel und Urenkel. Zwei Erklärungen ranken sich um die Entstehung des Namens: Eine davon ist, dass hútòng von dem mongolischen Wort für Brunnen, hottog, abstammt, da sich die Menschen früher vorwiegend um die Brunnen einer Stadt angesiedelt haben. Bei der anderen Erklärung stammt es von dem Wort für Durchgang, huotuan, ab, die als Sicherheitswege bei Großbränden dienten.
Sicher sind sich die Historiker nur, dass er aus der mongolischen Sprache stammt. Als das alte Zhongdu wieder aufgebaut war, die Mongolen nannten die Stadt nun Dadu, gab es 400 dieser kleinen Gassen, zu denen sich im Laufe der Jahrhunderte immer mehr hinzugesellten. Um 1950 – die Stadt hieß mittlerweile nicht mehr Dadu, sondern Beijing, was ›Nördliche Hauptstadt‹ bedeutet – soll es bereits über 6.000 gegeben haben.
Die Namensgebung der einzelnen hútòng folgte meist einem bestimmten Schema. Entweder kam der Name von einem in der Nähe befindlichen wichtigen Gebäude (z. B. Guozijian Jie, in der die kaiserliche Akademie gelegen war), berühmten Persönlichkeiten (Wenchengxiang Hutong, eine Gasse, in der der Premierminister der Südlichen Song-Dynastie Wen Tianxiang (1236–1283) lebte), geografischen Besonderheiten (Sanlihe Nanxiang, nach dem Drei Li Fluss benannt) oder schlicht Handelswaren (Ganmian Hutong, wo es Mehl zu kaufen gab, oder Caishikou, ein Gemüsemarkt).
Viele Gassen haben im Laufe der Jahre ihren Namen gewechselt. Meist aus ästhetischen Gründen (aus der Mistkäfergasse, Shikelang Hutong, wurde die Immer-Hell-Gasse, Shikeliang Hutong), während der Kulturrevolution (1966–1976) jedoch aus politischer Überzeugung. Über 100 Gassen bekamen den Zusatz rot, hóng, und es gab 27 Gassen mit dem Namen ›Rote Sonne‹, hóng rì. Manche Namen wurden sogar komplett geändert, wie der Babaolou Hutong, Acht-Kostbarkeiten-Gasse. Er hieß zu Zeiten der Kulturrevolution Miezi Hutong, Eliminierung-der-Bourgeoisie-Gasse. Heute hat er seinen alten Namen wieder.
Mit der rasanten Stadtentwicklung in der jüngeren Zeit verschwanden viele dieser urigen hútòng. Abgesehen davon, dass immer mehr Einwohner in Peking lebten und händeringend Wohnraum gebraucht wurde, stellten die sanitären Anlagen ein Problem dar, besser gesagt: die Nicht-Existenz solcher. Die Einwohner von Chinas Hauptstadt sollten schließlich nicht wie vor 500 Jahren leben, sondern in modernen Hochhäusern. Peters Häuschen ohne Toilette ist also keine Ausnahme, sondern die Regel. Nur wenige kamen auf die Idee, in die noch bestehenden Häuschen sanitäre Anlagen einzubauen. Noch immer müssen die Bewohner der hútòng also öffentliche Toiletten aufsuchen. Oder man sieht sie mit Omas Nachttopf durch die Gegend laufen.
Nur die teuer renovierten Hofhäuser verfügen mittlerweile über Heizung, Badezimmer und Einbauküchen. Sie sind aber für den lǎobǎixìng, den einfachen Bürger, finanziell unerschwinglich.