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PROLOG

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Kulturelle Unterschiede treffen jeden, der in ein fremdes Land reist. Sie können so banal sein wie ein einfaches Glas Wasser.

Es ist der 23. März 1999. Gerade bin ich auf dem kleinen Flughafen Münster-Osnabrück gelandet. Meine deutschen Freunde, Hilde und Robby, empfangen mich mit einem strahlenden Lächeln und nehmen mich herzlich in den Arm. Neugierig schaue ich mich um. Alles ist ganz sauber und ordentlich, es sind kaum Leute zu sehen. Ganz anders als am Flughafen in Peking.

»Bist du müde, Song? Oder hast du spontan Lust, zu einer Geburtstagsfeier zu gehen?«, fragt Hilde.

Die lange Reise über Paris war zwar anstrengend gewesen, aber ich bin gespannt auf eine deutsche Party. Natürlich sage ich zu.

Dort angekommen, fragt mich die Gastgeberin, was ich trinken möchte. Nach der langen Reise bin ich durstig und bitte einfach um ein Glas Wasser. In Peking ist es selbstverständlich, dass einem auf diese Bitte ein Glas heißes Wasser gereicht wird. Ich dagegen erhalte ein Glas mit einer sprudelnden, klaren Flüssigkeit. Ist das mein Wasser? Die Gastgeberin schaut mich einladend an, und ich nippe vorsichtig. Das Wasser ist kalt und prickelt im Mund. Wie ungewöhnlich! Das deutsche Wasser schmeckt ganz anders als die chinesische Version.

Als ich mich umschaue, fallen mir weitere Kuriositäten auf. Viele Gäste sind gekommen, doch sie stehen in kleinen Grüppchen zusammen, nicht, wie in China, in einer großen Runde. Es wird gelacht und geredet, doch alles klingt gedämpft und zurückhaltend. Ein Treffen mit Freunden oder der Familie würde sich in meiner Heimat dagegen sehr lautstark abspielen.

Auf dem Tisch liegt eine hübsche Decke und überall stehen die Gläser auf kleinen, runden Tellerchen aus Pappe oder Plastik. Kleine Snacks stehen zum Knabbern bereit. Wann wohl das richtige Essen serviert wird? Außerdem frage ich mich, ob vielleicht der Strom ausgefallen ist. Statt Lampen brennen überall Kerzen – komisch, mein kaltes Wasser beweist doch, dass der Kühlschrank zu funktionieren scheint ...

An diesem ersten Tag in Deutschland gehe ich sehr müde und mit sehr vielen Fragezeichen ins Bett.

Zwölf Jahre später. Mittlerweile lebe ich in Düsseldorf. Erneut bin ich auf eine Geburtstagsparty eingeladen. Dieses Mal in Peking.

Als ich dazustoße, ist die Party schon in vollem Gange. Ich setze mich neben eine Freundin in die große Runde, die sich gemeinsam über ein Thema unterhält. Es wird dazwischen geredet und unterbrochen, jeder beteiligt sich und fordert, wenn es sein muss auch lautstark, sein Rederecht ein. Das Zimmer ist von einer zentralen Neonröhre hell erleuchtet. Die Gastgeberin ruft zu Tisch, und ohne uns gegenseitig einen guten Appetit zu wünschen, lassen wir uns die vielen verschiedenen Gerichte schmecken. Der Tisch biegt sich vor lauter Köstlichkeiten, es bleibt kaum Platz, das Glas mit heißem Wasser oder Tee abzustellen. Unsere Reisschalen müssen wir in den Händen halten. Das Gespräch ist fast verstummt. Die ganze Konzentration gehört dem bunten Essen vor uns. Eine halbe Stunde später ist der ›Kampf‹ beendet. Alle sind satt und zufrieden, viele Speisen sind noch übrig. Die Gastgeberin freut sich.

In China ist das Essen ›ergebnisorientiert‹. Nur der Geschmack und die Menge sind wichtig. In Deutschland dagegen ist ein gemeinsames Essen ›erlebnisorientiert‹. Da kommt es neben den Gerichten vor allem auf die Gesellschaft und die Unterhaltung an.

Nach dem Essen packen alle mit an und räumen die Reste zusammen. Innerhalb von zwanzig Minuten ist alles wieder sauber, auch der Tisch, der beim Essen natürlich nicht von Deckchen und Untersetzern geschützt war.

Die Gastgeberin serviert Tee und erneut entbrennt ein lautes Gespräch unter den Gästen. Als mich eine Freundin fragt, ob ich morgen mit ihr einkaufen gehen möchte, räume ich verdutzt ein, dass doch Sonntag sei. Genauso verdutzt entgegnet sie: »Na und?« Ich erinnere mich, in Peking gibt es kein Ladenschlussgesetz. Die Geschäfte sind bis spät in die Nacht und auch am Wochenende geöffnet.

Ich stelle fest, dass Deutschland nach vielen Jahren deutliche Spuren bei mir hinterlassen hat. Ich trinke kaltes Mineralwasser, habe Tischdecken und verwende Untersetzer. Und trotz lückenloser Stromversorgung zünde ich gerne Kerzen an. Sonntags ruhe ich mich aus, mein Auto wasche ich in der Woche, wenn ich mit dem Einkaufen fertig bin.

Meine chinesischen Freunde in Peking sind entsetzt, wenn ich nach einem opulenten Mahl einen eiskalten Jägermeister trinke. Ich finde das mittlerweile völlig normal.

Warum soll man eigentlich nicht die kulturellen Unterschiede nutzen, sich die schönsten heraussuchen und diese dann nach eigenen Wünschen kombinieren?

Mi, Song Diplom-Volkswirtin und GermanistinNovember 2012, Düsseldorf

SAG ES DURCH DIE BLUME

Die Überschriften der einzelnen Kapitel bestehen aus den in China sehr beliebten Redewendungen, sogenannten chéngyǔ. Sie haben meistens nur vier Silben, die als Metapher dienen und oft sehr blumig sind. Einige, wie gleich die erste Überschrift, sind wörtlich zu verstehen. Andere dagegen ergeben übersetzt eigentlich gar keinen Sinn. Ihre Bedeutung erschließt sich dem Hörer nur, wenn er die passende Legende dazu kennt. So gibt der schöne Ausdruck mǎmǎ hūhū, wörtlich übersetzt ›Pferd Pferd Tiger Tiger‹, vielen erst einmal Rätsel auf. Dass dahinter der Terminus ›nicht besonders‹ steckt, wird erst klar, wenn die Entstehungsgeschichte bekannt ist: Ein prähistorischer Maler steht vor seiner Kohlezeichnung, auf der sein Mitbewohner ein Pferd erkennt. Ein zweiter Höhlenmensch sieht aber einen Tiger. Nun streiten sich beide und wiederholen immer wieder ›Pferd, Pferd!‹, ›Tiger, Tiger!‹. Einig sind sie sich nur bei dem Talent des Künstlers: Das ist nicht besonders!

Fettnäpfchenführer China

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