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好事多磨

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Nachdem Peter ein paar Wochen im Wohnheim gewohnt hat, ist er bereit, auf eigenen Füßen beziehungsweise in einer eigenen Wohnung zu stehen. Er hat auch schon eine spezielle Vorstellung: Er möchte in einem sìhéyuàn, einem Pekinger Hofhaus, wohnen. Der Kleine Li hat schon einen Wohnungsmakler angerufen, und sie treffen die Dame am Eingang der Straße zum ersten Objekt.

ÜBRIGENS

Ein sìhéyuàn ist ein traditionelles, einstöckiges Haus in Peking, das in der Mitte einen Hof hat. Dass dem allerdings nicht immer so ist, wird Peter bald merken. Mehr zu diesen typischen Häusern und ihrer Bedeutung können Sie im Kapitel 8 ›Xiá Bù Yǎn Yú?‹ nachlesen.

»Das ist Frau Li«, stellt der Kleine Li vor.

Peter lacht. »Ihr seid aber nicht verwandt?«, fragt er.

»Nein, nein«, versichert der Kleine Li, »ihr Name wird ganz anders geschrieben und außerdem im vierten Ton gesprochen. Mein Name ist im dritten Ton.« Der chinesische Freund kichert. »Ihren Namen wirst du auf jeden Fall richtig aussprechen«, fügt er hinzu.

Als er Peters fragenden Blick sieht, erklärt er: »Wie fast jeder Ausländer sprichst auch du vieles im vierten Ton aus. Das scheint für euch einfacher zu sein. Aber keine Sorge«, beruhigt er den Deutschen gleich, »ich nehme es dir nicht übel, wenn du meinen Namen falsch aussprichst.«

Peter grinst beschämt zurück und lenkt schnell ab: »Lass uns Wohnungen anschauen!«

Die Enttäuschung ist groß, als Peter vor dem ersten Objekt steht. Es ist zwar ein typisches Pekinger Haus, nämlich sechsstöckig wie das vom Kleinen Li, und hat rote Backsteine. Aber es ist mitnichten ein sìhéyuàn.

»Warum führt die Dame uns hierher«, begehrt er zum Kleinen Li gewandt auf. »Ich hatte doch deutlich gesagt, dass ich in einen sìhéyuàn ziehen will.«

Die Maklerin, Frau Li, bekommt zwangsläufig den Unmut des jungen Ausländers mit, wenn sie auch nicht genau weiß, worum es geht. Vorsichtig trägt der Kleine Li Peters Anliegen vor, peinlich darauf achtend, dass er weder grob noch frech klingt. Er weiß besser als Peter, dass die weitere Zusammenarbeit davon beeinträchtigt werden kann – und nicht unbedingt zum Guten.

Was dann folgt, ist eine lange, ungefähr fünf Minuten dauernde Erklärung seitens der Maklerin Li, von der Peter nicht sehr viel versteht. Als er in einer Sprechpause den Kleinen Li erwartungsvoll anschaut, sagt dieser: »Der Besichtigungstermin für den ersten sìhéyuàn ist erst in einer Stunde, deswegen hat sie uns schon mal hierher geführt.«

Das ist alles für fünf Minuten Gerede? Lost in translation, denkt Peter, fragt aber dennoch nach, worum es die ganze Zeit ging.

»Wir Chinesen haben Probleme mit dem direkten Wort«, beginnt der Kleine Li ein wenig peinlich berührt zu erklären. »Statt zu sagen: ›Tut mir leid, ich habe mich in dem Besuchsplan verguckt‹, hat Frau Li mir gerade erklärt, warum diese Wohnung für dich viel besser wäre. Damit begründet sie ihre Entscheidung, hierher zu kommen, die ja zu deinem Wohle ist. Erst am Ende sagte sie dann den wahren Grund.«

Wohl hin oder her, Peter empfindet es als Zeitverschwendung. Stattdessen hätte er ja noch ein paar Vokabeln pauken können. Von ihrem Chinesisch aus irgendeiner südlichen Provinz versteht er ja kein Wort, es ist also noch nicht mal als Praxisübung anzurechnen. Peters Ungeduld schwingt wie elektrische Spannung in der Luft.

Das Klingeln von Frau Lis Mobiltelefon unterbricht die Gedanken aller, sie geht ein wenig zur Seite und flüstert dem Anrufer etwas zu.

»Ich muss leider gehen, können wir den Termin auf einen anderen Tag verschieben?«, fragt sie, als sie auflegt.

»Natürlich«, sagt der Kleine Li. Und schneller als Peter die Situation verstehen kann, ist sie verschwunden.

»Zum Glück kenne ich noch einen anderen Makler«, bemerkt der Kleine Li trocken.

»Der Termin ist doch nur verschoben«, meint Peter naiv.

»Nein«, widerspricht der Freund, »das war eine Abfuhr auf Chinesisch.« Grinsend greift der Kleine Li zu seinem Telefon und spricht mit einem zweiten Makler. Derweil macht Peter sich Vorwürfe, so unsensibel gewesen zu sein.

Als der Kleine Li schließlich sagt, dass sie in dreißig Minuten erwartet werden, hellt sich seine Miene wieder auf – beim Anblick des Mietobjekts verdunkelt sie sich jedoch gleich wieder. Zwar stehen sie tatsächlich in einem hútòng, einer engen Pekinger Gasse, durch die gerade mal ein Auto passt, doch der sìhéyuàn hat statt eines Hofes nur einen schmalen Streifen Beton, den sich die Nachbarn teilen müssen. Zudem scheint das Badezimmer in der kleinen Küche integriert zu sein, wenn Peter die frei hängende Duschbrause an der Wand richtig interpretiert.

Ihm bietet sich die Möglichkeit, seine Erfahrung der vorherigen Stunde anzuwenden, und er bittet lächelnd den Kleinen Li für ihn zu übersetzen: »Sehr hübsch hier, die Zimmer sind geräumig und hell. Ich hätte aber gerne einen größeren Hof, in dem man im Sommer sitzen kann.«

Der Makler, er heißt – man glaubt es kaum – auch Li, nickt wissend und führt die beiden durch ein paar der schmalen Gassen zum nächsten Häuschen.

MÜLLER, MEIER, UND SCHMIDT AUF CHINESISCH

Zwar gibt es mehrere Tausend Nachnamen in China, allerdings teilen sich 85 Prozent aller Chinesen rund 100 davon. Dass Peter auf so viele Lis trifft, ist somit keine Überraschung. Li ist neben Wang und Zhang einer der häufigsten Nachnamen. Unser ›Otto Normalverbraucher‹ heißt daher auch auf Chinesisch ›lǎobǎixìng‹, hundert alte Namen.

Einige Nachnamen können sogar geografisch zugeordnet werden. In Guangdong kommt z.B. der Name Liang besonders häufig vor, in Sichuan sind es He und Deng. Das liegt daran, dass sich die Klans im alten China an einem Ort niederließen und dort blieben. Durch die steigende Migration heutzutage wird sich die Konzentration der Namen in den einzelnen Provinzen auflockern. Herrn Li oder Frau Wang zu übertreffen, wird allerdings unmöglich bleiben.

Interessiert und schon aufgeregt, bald in so einem Umfeld wohnen zu dürfen, betrachtet Peter seine Umgebung. Trotz der Kälte treffen sie einige Chinesen in Schlafanzügen und Hausschuhen, die schlurfend ihrer Wege gehen. Ein Baby auf dem Arm der Mutter reckt seinen blanken Po durch einen Schlitz in der wattierten Hose. Schulkinder flitzen in Uniformen zwischen den permanent klingelnden Fahrradfahrern hindurch. Verwundert stellt er aber fest, dass die gesamte Häuserfassade einheitlich zugemauert ist.

EIN MAO-ANZUG FÜR PEKINGS ALTE STRASSEN

In einer großangelegten ›Unser-Dorf-soll-schöner-werden-Aktion‹ hat die Pekinger Stadtregierung begonnen, die Häuserfassaden in den hútòng zuzumauern. Damit will sie illegalen Geschäften wie Friseursalons, Restaurants oder Kiosken den Kampf ansagen. Die Anwohner werden mit einem unscheinbaren Zettel an der Tür darüber informiert, dass diese demnächst zugemauert wird. Oft bereits innerhalb weniger Tage. Das offizielle Ziel ist, die Altstadt einheitlich zu gestalten. Dass einige dadurch ihre Existenzgrundlage verlieren, stört niemanden, außer natürlich die Geschäftsinhaber. Die Straßenzüge sollen am Ende eine gleichmäßige Mauer in Grau erhalten und eine Tür pro Haus sowie gleich große Fenster. Proteste helfen nicht, Erfindungsgeist ist gefragt. Und den haben die Chinesen. Wer einen neuen Haarschnitt braucht, wird durch eine Hintertür in den Salon gelotst. Gibt es diese nicht, kann der Kunde über eine Leiter durchs Fenster hineinklettern. Manchmal besteht die Leiter auch nur aus den übrig gebliebenen Steinen, mit denen der Salon zugemauert wurde.

Schließlich treten sie in einen engen Gang und kommen in einem mit kaputten Holzstühlen, wackeligen Schränken und alten Blumentöpfen vollgestellten Hof heraus. Trotz des ganzen Plunders ist noch reichlich Platz für einen Liegestuhl mit Beistelltisch, bemerkt Peter. Und wie es sich gehört, ist der Hof viereckig mit Zimmern an jeder Seite.

Neugierig schaut ein alter Mann aus seinem Fenster zu den Besuchern. Makler Li schließt die Tür eines Zimmers auf, in dem es zur Rechten in ein zweites Zimmer geht und zur Linken in eine Küche, ohne Duschbrause. Von dem abgeblätterten Putz versucht Peter sich nicht abschrecken zu lassen. (Der Kleine Li hatte ihm vorher erzählt, es wäre recht billig, ein paar Handwerker mit Farbe durch die Räume zu schicken.) Trotzdem ist er nicht ganz zufrieden. Er möchte am liebsten ein Häuschen mit eigenem Hof für sich alleine. Nichts gegen die Nachbarn, aber so viel Tuchfühlung ist ihm doch zu eng. Wieder verpackt er die Kritik geschickt mit dem Lob, dass dies ja schon seinen Ansprüchen näher käme, er aber doch etwas mehr Privatsphäre vorzöge.

Nach zwei weiteren Besichtigungen überfällt Peter langsam das schlechte Gewissen, jedes Häuschen abzulehnen. Aber soll er den Makler glücklich machen oder sich? Am besten beide, denkt er und hofft, dass Makler Li noch etwas in petto hat. Langsam müsste ja klar sein, was Peter eigentlich will.

Als sie bei dem nächsten Eingang einen engen Weg zurücklegen müssen, befürchtet Peter, wieder in einem Gemeinschaftshof zu landen, mit der Dusche in der Küche und freiem Blick für die Nachbarn. Dann erst fällt ihm auf, dass in keiner Wohnung eine Toilette war.

»Gibt es auch meistens nicht«, flüstert der Kleine erklärend auf seine Frage. »Dafür gibt es die öffentlichen Toiletten in den hútòng.« (Bitte wundern Sie sich nicht, dass das Plural-s fehlt. Im Chinesischen gibt es keine Mehrzahl, hier ein ›s‹ anzuhängen, wäre schlicht falsch. Auch wenn es in den deutschen Ohren komisch klingt. Siehe dazu auch Kapitel 13 ›Yī Zì Qiān Jīn‹.)

Oh ja, an die kann sich Peter gut erinnern. Es gab viele auf ihrem Irrweg durch die Gassen, fast alle zwei- oder dreihundert Meter war ein öffentliches Klo. Peter hatte es vor allem am Geruch bemerkt. Ob er zugunsten eines Hofhäuschens auf sein privates stilles Örtchen verzichten kann? Der deutsche Student bezweifelt dies.

Nach zwei Links- und einer Rechtskurve bleibt Makler Li vor einer Holztür stehen und schließt auf. Wäre Peter in einem Kitschfilm, würde jetzt engelsgleiche Musik im Hintergrund säuseln: Er steht in einem Hof, der ungefähr fünfundzwanzig Quadratmeter groß ist, vorne und links zwei kleine Gebäudekomplexe, die Makler Li nun auch öffnet, die rechte Wand ist das Nachbarhaus, welches, man beachte, kein Fenster zu diesem Hof hat. Peter dreht sich um, sieht ein weiteres Nachbarhaus gegenüber der Tür, doch der Hof ist durch eine Mauer vor Blicken geschützt.

In dem einen Gebäudekomplex befinden sich zwei Zimmer, insgesamt ungefähr vierzig Quadratmeter, im anderen eine für chinesische Verhältnisse große Küche mit einem angrenzenden Badezimmer. Auch da hängt wieder eine Duschbrause mitten im Raum.

Peter ist begeistert! Genauso hat er es sich vorgestellt. Der einzige Wermutstropfen: Es gibt keine Toilette. Er beratschlagt sich mit dem Kleinen Li, der die brillante Idee hat, doch eine einbauen zu lassen und schnell die technischen Voraussetzungen mit Makler Li abspricht. Rohre seien vorhanden, sagt dieser, insofern dürfte es kein Problem sein.

Mit einem Handschlag ist der Vertragsabschluss jedoch nicht getan. Makler Li besteht auf die Kaution, drei Monatsmieten im Voraus sowie seine Maklergebühr, ebenfalls eine Monatsmiete. Peters Geld reicht natürlich nicht, so viel hat er nicht dabei. Ob er morgen zahlen könne, fragt er.

»Dann ist die Wohnung vielleicht weg«, gibt Makler Li zu Bedenken.

ÜBRIGENS

Chinesische Geschäftsmänner, und dazu zählt Makler Li auch, vertrauen nicht unbedingt auf das Wort des Geschäftspartners. Ihr Motto lautet: ›Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.‹ Vor allem, wenn es um finanzielle Transaktionen geht. Der Käufer oder – wie hier – der Mieter, sichert sich durch schnelles Handeln den Vertrag. Und man sollte nie davon ausgehen, dass der gleiche Vertrag am nächsten Tag in der eben abgesprochenen Form noch vorhanden ist. Und auch wenn es zweifelhaft erscheint, dass Makler Li früh am nächsten Morgen einen anderen Mieter findet, tut Peter besser daran, das Geld für die Kaution sofort zu besorgen. Es wäre nicht das erste Mal, dass diese Unwahrscheinlichkeit eintrifft. Denn Makler Li hat bestimmt noch ein weiteres As, also einen Mieter, im Ärmel.

Sie einigen sich darauf, dass Peter ihm alles gibt, was er hat, und am nächsten Tag zur Vertragsunterschrift ins Büro von Makler Li mit dem Rest kommt. Das Misstrauen des Maklers füttert nicht gerade Peters Vertrauen, aber die Angst, sein Wunschhaus zu verlieren, ist größer. Wenigstens bekommt er eine Quittung, auf die der Kleine Li besteht. Daran hätte Peter von alleine gar nicht gedacht.

Glücklich schaut er sich noch einmal um, und zusammen verlassen sie Peters neues Zuhause.

Peter macht sich trotz der einsetzenden Dämmerung auf, die Umgebung zu erkunden. Der Kleine Li begleitet ihn und erklärt ihm die Geschichte des hútòng.

Fettnäpfchenführer China

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