Читать книгу Stinkender Verdacht - Ann-Katrin Zellner - Страница 12

7 Samstag

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William trank seinen Kaffee leer und stellte die Tasse etwas zu hart auf den Tisch.

"Der wievielte ist das heute?", fragte Flo grinsend. William warf ihm einen bösen Blick zu. Sein Kaffeekonsum war größer geworden, seit er Kriminalhauptkommissar war. Das lag an dem vermehrten Stress, dem er mittlerweile ausgesetzt war. Verzichten konnte er aber nicht, denn sonst war er schlecht gelaunt.

"Fahren wir nachher in das Büro des Steuerberaters?"

"Klar. Haben wir doch ausgemacht. Vielleicht finden wir ja was. Wenn nicht, fahren wir nochmal zur Frau Schwab." William dachte zurück an die erste Begegnung mit ihr. Im Labor hatte Klaus die Brieftasche schnell trocknen können und den Ausweis gefunden. Daraufhin waren William und Flo zu der Ehefrau gefahren, um ihr die schreckliche Nachricht zu überbringen. Sie war schon an der Tür zusammengebrochen, bevor sie etwas sagen konnten. Im Wohnzimmer hatten die beiden sie vorsichtig auf das Sofa gelegt. Flo war in die Küche gegangen und mit einem Glas kalten Wassers aus dem Hahn zurückgekehrt.

"Wir ... wir haben eine schlechte Nachricht zu überbringen", hatte William sich vorsichtig vorgetastet, während die Frau das Wasser getrunken hatte.

"Ist schon okay. Es geht um meinen Mann, richtig?" Sie hatte ihn mit bleichem Gesicht und großen Augen angeblickt. William hatte geseufzt.

"Ja, leider. Wir müssen Ihnen mitteilen, dass Ihr Mann einem Mord zum Opfer gefallen ist. Er wurde erstochen. Es tut mir leid."

"Warum?" Das kaum hörbare Wort hatte William ihre Gefühle offenbart. Sie hatte ihn angestarrt.

"Ich weiß es noch nicht. Aber wir werden alles daran setzen, um aufzuklären, was passiert ist. Haben Sie vielleicht einen Verdacht? Wissen Sie, ob Ihr Mann Feinde hatte? Jemand, der ihm so etwas antun würde?"

"Darf ich ihn sehen?", hatte sie gefragt, ohne seine Fragen zu beantworten. "Ich will ihn nochmal sehen, bevor ich ihn ..."

Dann hatte sie angefangen zu weinen. Die beiden waren noch geblieben, bis die Schwester der Frau gekommen war. Auch sie konnte die Fragen nicht beantworten. Als nächstes würden sie sich das Büro des Toten ansehen. Sie mussten wissen, mit wem er zusammengearbeitet hatte. Dies stellte eine große Herausforderung dar, denn ein bekannter Steuerberater hatte viele Kunden. Viel Papierkram also.

"Wann fahren wir los?", unterbrach Flos Stimme seine Gedanken. William blickte auf die Uhr. Es war kurz vor drei und er hatte Hunger.

"Dann lass uns gleich losfahren und unterwegs kurz bei McDonald‘s halten. Ich hab noch nichts gegessen", schlug William vor.

"Ist gut", sagte Flo lachend und stand schneller im Gang, als William schauen konnte. "Los, komm jetzt oder willst du den ganzen Tag vertrödeln?"

William schüttelte den Kopf und folgte Flo. Er steckte noch schnell den Kopf in das Büro der Sekretärin und gab Bescheid, dass er mit Flo zum Steuerbüro fuhr.

"Ja, viel Erfolg beim Papiere sichten", wünschte sie. Diesmal musste William lachen.

Mit Chicken Nuggets, Hamburger und Pommes gestärkt fuhren sie weiter. Das Steuerbüro lag im ruhigen Unterhausen. Im Stockwerk darüber lag eine Zahnarztpraxis. Und der Rest des vierstöckigen Hauses bestand aus kleinen Wohnungen. Flo parkte direkt neben den Eingang und stellte ein Schild an die Windschutzscheibe. Polizei im Einsatz stand darauf.

"Ist das nicht etwas zu auffällig?", fragte William mit einem kritischen Blick auf das Schild. Da sie mit einem Zivilfahrzeug unterwegs waren, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, war das genau das Falsche. Doch Flo schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Boden. Dort, wo das Auto stand, war kein offizieller Parkplatz mehr. Jetzt schüttelte William den Kopf. Das hatte er nicht gesehen. Sie betraten das Gebäude und steuerten auf die Tür zum Büro des Steuerberaters zu. Da sie nur angelehnt war, traten sie ein.

"Das Büro hat geschlossen! Bitte entschuldigen Sie." Die Stimme gehörte einer blonden, durchaus attraktiven jungen Frau, die hinter einem der unzähligen Aktenstapel hervorschaute.

"Ich bin William Herle, Kriminalhauptkommissar Kripo Spullberg."

"Herrje, ist es denn schon nach drei? Entschuldigen Sie bitte. Ich muss hier sämtliche Unterlagen sortieren." Mit diesen Worten kam sie hinter dem Schreibtisch hervor.

"Maria Schwarz. Ich bin Herrn Schwabs Sekretärin. Meine Kollegin ist im anderen Zimmer. Der Chef hat immer eine Unordnung in seinen Unterlagen. Er hat wichtige Blätter verlegt oder sie in die falsche Akte oder die Akte ins falsche Register einsortiert", erzählte sie zerstreut. William und Flo tauschten belustigte Blicke aus.

"Wie war er denn so als Chef?", stellte William schnell eine Zwischenfrage, bevor sie weiter reden konnte.

"Er war immer zuvorkommend. Nett, höflich. Manchmal charmant."

"Hatte er Feinde? Oder gab es jemanden, der ihm aufgrund einer vielleicht nicht korrekt ausgefüllten Steuererklärung böse war?"

"Ich wüsste nicht, ob dies in irgendeiner Form relevant wäre", erwiderte sie kalt.

"Na, irgendjemand war wohl ziemlich schlecht auf ihn zu sprechen, denn anderenfalls wäre er ja heute bei Ihnen", gab William leicht gereizt zurück. "Meine Aufgabe ist es, den Mörder zu fassen. Oder decken Sie ihn womöglich?"

William fixierte sie. Man sah richtig, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Dann brach sie in Tränen aus.

"So war das nicht gemeint", flüsterte sie zwischen den Tränen. Flo trat wortlos zu ihr und nahm sie in den Arm. Der schwarze Hüne und die kleine blonde Frau nebeneinander sahen so seltsam aus, dass William beinahe gelacht hätte. Normalerweise tat der schweigsame Flo so etwas nicht. Wenn William nicht gewusst hätte, dass er eine Freundin hatte, müsste er sich beinahe Gedanken machen müssen. Obwohl Flo kein Wort sprach, hatte die Geste eine beruhigende Wirkung auf Maria.

"Es tut mir schrecklich leid. Ich bin nur ziemlich fertig mit den Nerven." Sie putzte sich die Nase, löste sich aus der Umarmung und fuhr fort: "Ich bin noch nicht so lang bei ihm. Aber wenn Sie Unterlagen benötigen, gebe ich Ihnen alles." Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht.

"Wir brauchen als Erstes eine Liste mit sämtlichen Kunden, die bei Ihnen waren. Auch große Firmen. Irgendjemandem ist er wohl auf den Schlips getreten", sagte William. Sie nickte.

"Das dauert eine Weile. Wollen Sie solange warten oder soll ich sie Ihnen zufaxen? Brauchen Sie wirklich alle?"

"Sagen wir, die letzten drei Jahre. Das dürfte genügen. Oder Flo?"

William drehte sich um. Flo war an ein Bild von der Stadtkirche St. Michael herangetreten.

„Ja, denke ich auch“, meinte er zerstreut. William war kurz irritiert, wandte sich aber wieder der Frau zu, ohne weiter nachzudenken.

"Okay, dann schicken Sie mir bitte die Liste ins Büro. Hier haben Sie meine Karte. Und danke nochmal, dass Sie sich an so einem Samstag Zeit nehmen konnten."

"Einer muss ja hier Ordnung in das Chaos bringen", meinte Maria mit einem schiefen Grinsen. Alle lachten.

"Dann wünsche ich noch viel Erfolg und machen Sie nicht zu lange, dann können Sie wenigstens noch ein wenig das schöne Wetter genießen."

"Danke, Herr Herle. Ich mache nur noch Ihre Liste fertig und dann gleich Feierabend." Maria lächelte.

William und Flo verließen das Büro.

"Na da bin ich ja mal gespannt, was dabei heraus kommt", sagte William. Flo nickte bloß. "Lass uns auch Feierabend machen. Das Wetter ist zu herrlich."

Flo stieg ins Auto. William folgte ihm. Die Sonne schien und ließ Sehnsucht nach dem Sommer aufkommen. Leider war es noch nicht ganz soweit.


Jeden Donnerstag und Samstag fand auf dem Kolumbusplatz der Wochenmarkt statt. Viele Leute kamen, um frisches Obst und Gemüse von umliegenden Bauern zu kaufen. Auch Fisch und Käse fanden immer regen Anklang. Für Gärtnereien war es ebenfalls ein guter Nebenverdienst. Es gab Blumen und Sträuße, einer schöner als der andere.

Walter schlenderte entspannt über den Markt. Die Sonne streckte die ersten Strahlen über die Hausdächer. Viele der Leute kannte er und so dauerte es eine Weile, bis er den Stand der Widerstandsgruppe erreichte. Ein kleines Schwätzchen hier und da war wichtig, um die wesentlichen Dinge zu erfahren.

Am Stand angekommen, staunte er erstmal nicht schlecht. Die Gruppe war in den zweieinhalb Tagen seit dem letzten Treffen sehr fleißig gewesen. Sie hatten große Plakate und Stapel von Flyern gedruckt. Kugelschreiber und Buttons lagen als Werbegeschenke für die Leute bereit. Einige Mitglieder der Widerstandsgruppe waren noch mit dem Aufbau des Standes beschäftigt. Sie hängten Banner auf, um mehr Aufmerksamkeit zu erregen und stapelten die Kisten mit den restlichen Flyern. Da blieb bereits das erste neugierige ältere Ehepaar stehen.

"Was bedeutet TIP?", fragte der Mann interessiert. Walter sah sich schnell um, aber alle waren beschäftigt oder wirkten zumindest so. Er wandte sich dem Paar zu und zwang sich zu einem Lächeln.

"Es geht um den Protest gegen die geplante Biogasanlage am Tigersheimer Gatter", erklärte er dann. "Wir von TIP sind der Meinung, dass die Biogasanlage eine Fehlinvestition ist. Man denkt gar nicht an die verheerenden Folgen für die Umwelt. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie fahren oben auf der Alb. Sie haben Blick auf weite flache Ebenen mit einigen Wäldchen. Und jetzt denken Sie an Maisfelder, mindestens zwei Meter hoch, undurchsichtig. Wenn Sie beide Bilder zusammensetzen, dann werden Sie unsere Zukunft sehen."

Der ältere Herr mit den grauen kurzen Haaren hatte aufmerksam zugehört. "Das ist ja aber nur ein kleiner Teil des Ganzen, finden Sie nicht?"

"Natürlich", erwiderte Walter. "Es gibt ja viel mehr zu bedenken. Nächste Woche am Mittwoch kommt der Gutachter und der entscheidet dann, ob das Gelände geeignet ist."

"Ich dachte, das wäre alles längst durch." Der Mann war verwirrt.

"Nein, gar nichts ist durch", beeilte Walter sich zu sagen. "Ich habe mit einigen Gleichgesinnten ein Gutachten angefordert, weil wir das Gelände für ungeeignet erachten."

"Die Verwertung der Biomüllmengen ist ja sinnvoll. Wo das stattfindet, ist doch letztendlich egal", meinte der alte Herr.

"Eben nicht", gab Walter zurück. "Das Gelände, welches unser werter Herr Bürgermeister für die Anlage haben will, liegt oben am Tigersheimer Gatter. Dort brüten einige seltene Vögel. Würde man da diese Anlage bauen, würde man ihren Lebensraum zerstören. Und nicht nur das. Es hat einige Unglücke in solchen Anlagen gegeben. In Riedlingen ist der Fermenter explodiert. Die Masse wurde weit über die umliegenden Felder verteilt und hat sie unbrauchbar gemacht. Und denken Sie nur an die Lärm- und Geruchsbelästigung, die dabei entsteht, wenn die ganzen LKWs kommen und die Müllmengen bringen. Die ganzen Gase, die entstehen. Schwefelwasserstoff ist hochgiftig! Wenn durch unsachgemäße Handhabung der Filter ausfällt, wird das Zeug freigesetzt. Das ist unverantwortlich."

Walter redete sich immer mehr in Rage.

"Das Land wird nur noch zur Erzeugung von Mais genutzt, der dann im Ofen zur Erzeugung von Gas und schließlich Energie landet. Überall hungern Menschen und wir verheizen extra angebauten Mais. Das ist doch nicht gerecht! Wir haben eine Unterschriftensammlung gestartet. Dieses Projekt muss endlich vom Tisch! Nur unser ach so toller Herr Bürgermeister schaut bloß darauf, wie toll es bei anderen funktioniert und was die für Kohle damit machen, sieht aber nicht die Nachteile!"

"Nun ja, besonders interessiert hat mich das Ganze ja noch nie wirklich. Ich weiß nicht, ob es sinnvoll ist, für etwas zu unterschreiben, von dem ich keine Ahnung habe", gab der Mann zu bedenken und unterbrach damit Walters Redefluss, dem er bis dahin still und aufmerksam gefolgt war. Walter hob die linke Augenbraue und drückte dem überraschten Herr mit einer Bewegung einen der neu gedruckten Flyer in die Hand.

"Am besten, Sie lesen hier mal ein bisschen nach. Es stehen alle relevanten Informationen drin. Wenn Sie weitere Fragen haben, dann können Sie sich gerne an die Mitarbeiter von TIP wenden. Die Telefonnummern stehen auf der Rückseite ganz unten." Walter schickte ein Lächeln hinterher.

Der Herr betrachtete den grünen Flyer. Das Logo von TIP war knallgelb und stellte eine große Sonnenblume mit zwei Maiskolben als Stängel dar. In der Mitte der Blume prangten die drei schwarzen Buchstaben. In der Zwischenzeit waren weitere Passanten stehen geblieben. Sie begannen Unterhaltungen mit den anderen Mitgliedern der Widerstandsgruppe. Auch Norbert war inzwischen aufgetaucht. Damit hatte Walter nicht gerechnet. Normalerweise kam er zu spät oder gar nicht. Aber er war mit Leib und Seele beim Widerstand dabei. Er hatte viele wichtige Leute an Bord geholt, darunter auch welche, die ihnen finanziell halfen. Die Sponsorenliste wurde um einiges länger. Gerade sprach er mit einem jungen Mann.

"Die Biogasanlage ist definitiv ein Fehler. Da gibt es nichts daran zu rütteln", erklärte Norbert mit seiner leisen, aber sehr bestimmenden Stimme. "Verkauft wird sie dem Volk als ökologisch sinnvoller Beitrag zur Energiewende. Genau genommen geht es nur um Profit. Man muss mal schauen, was die Chefs der Anlagefirmen an Geld erwirtschaften. Weil alle der Meinung sind, dass man aufgrund des zunehmenden Energieverbrauchs andere fossile Energieträger braucht. Da haben sie ja recht. Aber Sonne und Wind sind immer noch die besten erneuerbaren Energien. Sie sind zwar wetterabhängig, aber wenn man sich die gesamte Ökobilanz anschaut, hat Biogas verloren. Die liegt beim Biogas nur bei etwa 20 bis 30 Prozent. Denn man muss ja zum Beispiel auch den Treibstoff der LKWs miteinbeziehen, die die Speisereste zur Anlage bringen. Durch Anpflanzung bestimmter Nutzpflanzen züchtet man sich ganze Monokulturen heran, die zur Auslaugung des Bodens führen. Jede Pflanze entzieht dem Boden ja bestimmte Nährstoffe. Davon erholt der sich nicht so schnell. Außerdem ...“

Wenn der so weiter macht, ist der Mann weg, dachte Walter und unterbrach Norberts Vortrag. "Norbert, ich brauch noch ein paar Informationen für Donnerstag. Können wir das kurz besprechen? Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung", wandte er sich an den jungen Zuhörer. Der war erleichtert, wie er sofort feststellte. Walter drückte ihm noch einen Flyer in die Hand und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie er in der Menge des Marktes verschwand.

"Also, wie schaut es aus?", fragte Norbert gespannt.

"Ich weiß es nicht", sagte Walter und seufzte. "Wenn nur das Gutachten bereits vorliegen würde. Das macht mir am meisten Sorgen. Und irgendwas stimmt nicht mit dem Bürgermeister. Er war anfangs nicht begeistert von der Anlage. Doch seit ungefähr zwei Jahren setzt er sich vehement dafür ein. Irgendwas ist da faul."

"Faul ist die ganze Sache", lachte Norbert. "Aber eines garantiere ich dir. Wenn dieses Ding gebaut wird, werde ich es sprengen. Versprochen!"

Dann wandte er sich mit grimmigem Blick ab und ließ einen verdutzten und sehr beunruhigten Walter stehen.

Stinkender Verdacht

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