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4 Mittwoch Nachmittag

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Hermann Knapp tobte. Joseph stand mit gesenktem Kopf mitten im Raum. Natürlich war er der Buhmann als Überbringer der schlechten Nachricht.

"Was bilden die sich denn ein? Eine Versammlung wegen dem Straßenbau! Das ist doch schon alles durch!"

Er blieb hinter seinem Schreibtisch stehen. Joseph zog sich vorsichtig ein paar Schritte zurück in Richtung Tür. Hermann bebte immer noch, was Josephs Angst vor dem nächsten Anfall steigen ließ. Mit einer plötzlichen, ruckartigen Bewegung fegte Hermann den gesamten Inhalt von seinem Schreibtisch. Joseph hatte vor Schreck die Augen geschlossen, als Blätter, Ordner, Stifte, Haftetiketten und beinahe auch die Lampe auf den Fußboden krachten. Hermanns Wut war mit dem lauten Krach verraucht.

"Lass das Chaos hier liegen. Darum kümmere ich mich später. Erstmal kommen diese Möchtegernpolitiker an die Reihe!"

Mit diesen Worten stürmte er an Joseph vorbei zur Tür hinaus, darauf bauend, dass dieser ihm sofort folgen würde. Die Versammlung sollte im ersten Stock im kleinen Ratszimmer stattfinden. Der Raum bot für maximal zehn Leute Platz und war mit hellen Holzwänden ausgestattet. Die große Fensterfront, die eine ganze Wandseite einnahm, machte den Raum hell und freundlich. Es war das Lieblingszimmer des Bürgermeisters. Ohne anzuklopfen, stürmte er in den Raum. Die fünf Männer am Tisch zuckten zusammen.

"Also, legen Sie los. Ich habe nicht ewig Zeit!" Mit wütend funkelnden Augen ließ sich Hermann auf seinen Platz am Ende des Tisches fallen. Er schnaufte und wartete angespannt auf das kommende.

"Nun, Herr Knapp, da Sie uns nun endlich mit Ihrem Besuch beehren, können wir ja anfangen." Der ältere grauhaarige Herr, der gesprochen hatte, gehörte der stärksten Gegenpartei Hermanns an. Er war an der Wahl vor fünf Jahren gescheitert und Hermann triumphierend an ihm vorbei ins Büro eingezogen. Er hatte grundsätzlich eine andere Meinung und versuchte immer, alle seine Entscheidungen zu verhindern. Dadurch stellte er ihn als unfähig dar, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Hermann bebte vor Wut, war aber entschlossen, kein Wort von sich zu geben.

"Wir haben uns wegen der Straßenbaugenehmigung nochmal Gedanken gemacht. Nachdem sie im letzten Jahr bereits genehmigt wurde, können wir hinsichtlich des demnächst stattfindenden Bautermins leider nichts mehr machen. Das wollen wir nicht unnötig ausweiten. Was uns neulich allerdings aufgefallen ist, als Sie uns die neuen Pläne zur Biogasanlage vorgelegt haben, ist die Lage. Das Tigersheimer Gatter scheint ja gut geeignet. Doch beschlossen ist es noch nicht, dass sie dort gebaut wird. Daher stellt sich mir nun die Frage, weshalb die Straße nun gerichtet und gleichzeitig verbreitert werden soll. Was haben Sie dazu zu sagen?", fragte der Mann ruhig.

"Was wollen Sie mir hier unterstellen?", polterte der Bürgermeister wütend.

"Unterstellen wollen wir erstmal gar nichts", erwiderte der ältere Herr gelassen. "Wir haben nur etwas festgestellt, von dem wir wissen wollen, wie Ihre Meinung dazu lautet."

Er blickte gelassen direkt in Hermanns vor Wut funkelnden Augen.

"Die Straße ist marode, wie Sie es mir selbst bestätigt haben." In Hermanns leiser, aber bestimmter Stimme schwang die unterdrückte Wut mit. "Es war an der Zeit, sie in einen guten Zustand zu versetzen. Außerdem fahren dort schon viele LKWs von Spullberg nach Metzingen entlang. Deshalb habe ich da keine Bedenken, weshalb man das nicht tun sollte. Zumal wir ja noch Budget übrig haben, dank unseres extremen Sparkurses der letzten Jahre."

Hermanns eisiger Blick strafte einen der anderen Herren, die sich bis dato nicht geäußert hatten. Der hatte den Stein ins Rollen gebracht. Aber da die Schwaben ja sowieso zum Sparen neigten, kam das bei den meisten Bürgern ziemlich gut an. Hermann hatte sich bis heute noch nicht bei ihm bedankt.

"Also", fuhr er fort. "es gibt kein Grund, diese Straße nicht erneuern zu lassen. Und selbst wenn irgendwann ein paar LKWs mehr darüber fahren, was macht das schon aus?"

"Wusste ich es doch!", unterbrach ihn der grauhaarige Mann. "Meine Herren, er hat sich soeben selbst verraten. Sie stecken also hinter ganzen Aktion! Ich habe einige Gerüchte vernommen."

Hermann lief der Schweiß an den Schläfen hinab. Er versuchte, klar zu denken. Nein, von seinem kleinen Geheimnis konnte keiner wissen. Oder doch? Was sollte er nur sagen? Ihm fiel nichts ein. Er saß in der Klemme. Die anderen sahen ihn bereits gespannt an. Er schwitzte noch mehr. Himmel Herrgott, ihm würde doch schnell eine Antwort einfallen!

"Also, ich ...", setzte er an und wurde von einem jungen Mann unterbrochen, der ohne anzuklopfen in den Ratsraum stürmte.

„Bitte vielmals um Entschuldigung“, sagte der Mann hustend. Er atmete tief durch und packte dann die Neuigkeit aus, wegen der er den ganzen Weg herübergerannt war.

„Man hat eine Leiche irgendwo beim Spullberger Bahnhof gefunden. Der Mann ist wohl erstochen worden. Heute Nachmittag um fünf findet eine Pressekonferenz statt mit dem Kriminalhauptkommissar Herle. Und Sie, Herr Knapp, müssen auch anwesend sein. Wegen der Beruhigung. Als Versicherung, dass die Polizei alles auf die Reihe bekommt“, berichtete er und blickte vorsichtig zu Hermann. Der stand wie angewurzelt da.

„Ja toll, da muss ich ja wohl hin“, murmelte er frustriert. Auf Pressekonferenzen hatte er überhaupt keine Lust. Die Reporter drängten ihn immer, genau die Fragen zu beantworten, welche er in seiner Rede gerne umging. Sie ließen ihn auch nicht in Ruhe, wenn er zur Antwort gab, dass er sich nicht zu einem Thema äußern wollte.

„Sagen Sie bitte Joseph Bescheid, der soll sich um den Text kümmern. Ich habe noch einen Termin. Wir sehen uns dann an der Pressekonferenz. Bis später.“

Mit diesen Worten verließ er schnell den Raum. Die anderen blickten sich an und einer der Herren schüttelte missbilligend den Kopf.

William blickte gemeinsam mit Ben auf den Bildschirm.

"Wir haben den Toten erst einmal gereinigt. Dabei haben wir festgestellt, dass es mindestens siebzig Stichwunden sind. Der ganze Oberkörper ist übersät. Ich kann echt nicht sagen, welcher Stich zuerst ausgeführt wurde. Der Stich direkt ins Herz war vermutlich der tödliche. Vielleicht war auch der hohe Blutverlust die Todesursache. Wir habe ihn gerade geröntgt, die Bilder müssten gleich kommen. Dann können wir schauen, ob er Vorerkrankungen hatte."

William hatte Ben schweigend zugehört. Die Organe waren regelrecht zerfetzt worden durch die vielen Stiche. Es musste ein Küchenmesser gewesen sein mit einer mindestens sechzehn Zentimeter langen Klinge. Sonst hätte man dem Opfer nie so tiefe Wunden beibringen können. Ein Piepsen riss ihn aus seinen Gedanken.

"So, die Ergebnisse vom Röntgen sind da! Klaus, kommen Sie?", rief Ben. Der nickte und kam ebenfalls zum Computerarbeitsplatz. Zu dritt beugten sie sich über die Röntgenaufnahmen. Der Tisch, auf dem sie lagen, war von unten beleuchtet. Deutlich sah man die Knochen auf den Röntgenbildern. Die Rippen wiesen einige Kratzer und Vertiefungen auf. Die stammten vom Messer. Das linke Bein sah etwas verdreht aus.

"Schaut mal, ich glaube, der hatte sich noch das Bein gebrochen", sagte William in die Stille hinein und zeigte auf das Bild mit dem linken Wadenbein.

"Der ist nur angebrochen", meinte Klaus. "Schau, die Risse sind nur ganz dünn und nicht durchgängig. So wie das aussieht, könnte diese Verletzung kurz vor dem Tod entstanden sein."

"Ja, der Boden war sehr uneben dort. Möglicherweise ist er gerannt und gestolpert", stimmte William Klaus zu. "Was wissen wir noch?"

"Er war soweit gesund. Nur ein kleines Blutgerinnsel hat sich in der Vene beim Herzen gebildet. Wäre unter Umständen zu einem Herzinfarkt herangewachsen. Das Schicksal meinte es wohl nicht so gut mit ihm", sagte Ben grinsend.

William strafte ihn mit einem bösen Blick.

"Todesursache?", fragte er knapp.

"Schwer zu sagen. Ich denke, der Stich ins Herz hat zum größten Blutverlust geführt." Klaus beugte sich nochmal über die Bilder. "Ich lasse die Blutanalyse durchlaufen und dann sage ich dir Bescheid."

"Alles klar. Ich schaue mal, was ich über den Herrn finden kann." Damit verließ William schnell den Obduktionsraum. Der kahl gehaltene Raum mit dem hellen weißen Neonlicht machte ihn immer ziemlich nervös. Er begann zu frösteln und konnte nicht schnell genug wieder hinauskommen. Dass Klaus es dort den ganzen Tag aushalten konnte, erstaunte ihn immer wieder. Aber seine Faszination für Tod, Mord und Kadaver besaß er, seit sie sich kannten. Für Klaus gab es kaum etwas Interessanteres, als einen Toten aufzuschneiden, um zu sehen, was den Tod verursacht hatte. Sein breit gefächertes Wissen hatte er sich mit den Jahren angeeignet. Dafür bewunderte ihn William. Schon früh war klar gewesen, dass Klaus Rechtsmedizin studieren würde. Er war mittlerweile einer der Besten. Da er in jungen Jahren seine Faszination noch nicht kontrollieren konnte, hatte er sich auf ziemlich waghalsige Aktionen eingelassen. William hatte versucht, auf ihn achtzugeben, was ihm nicht gelungen war. Und an diesem einen Tag im Sommer ...

Bloß nicht daran denken!, befahl er sich in Gedanken. Er hatte lange gebraucht, um das zu verarbeiten. Damals hatte er sich geschworen, die Unschuldigen zu beschützen. Er lief durch die Eingangshalle und nickte der älteren Dame am Tresen zu. Draußen atmete er erst einmal tief durch. Raschen Schrittes ging er zurück in sein Büro. Dort lagen bereits einige Dokumente auf seinem Schreibtisch. Von Flo fehlte jede Spur.

Na, der wird schon noch kommen, dachte er und inspizierte die Dokumente.

Der Tote hieß Günther Schwab, war fünfundfünfzig Jahre alt geworden und ein bekannter Steuerberater hier im Ländle gewesen. Er hatte bei einigen größeren Firmen die Steuererklärungen gemacht. William seufzte. Er brauchte unbedingt eine Kundenliste und Akteneinsicht. Das würde den Firmen nicht gefallen. Ihm grauste schon vor den Streitereien mit den Anwälten, die um jeden Preis die Akten unter Verschluss zu halten versuchten. Ihm erschien die Tat impulsiv und ungeplant, fast so, als wäre dem Mann aufgelauert worden. Ein Messer konnte man auch als Bedrohung auffassen.

In diesem Moment klopfte es an der Tür.

"Herein!", rief William. Der eintretende jüngere Kollege sah frustriert aus.

"Guten Tag, Herr Herle. Es ist mir leider nicht gelungen, die Presse außen vorzulassen. Sie bestehen auf eine Pressekonferenz. Sie sollen diese abhalten. Um fünf ist sie angesetzt. Tut mir leid. Ach, und der Bürgermeister soll auch kommen."

"Na gut. Aber ich werde keine relevanten Daten herausgeben. Geben Sie bitte dem Bürgermeister Bescheid, der soll die Leute beruhigen." William war nicht sonderlich begeistert, doch da er der Kriminalhauptkommissar war, musste er die Reden halten. Ihn nervten die endlosen Fragen, die oft den gleichen Inhalt hatten, nur von verschiedenen Reportern gefragt. Die Berichterstattung ließ auch zu wünschen übrig. Der junge Kollege nickte und verließ leise das Büro. William starrte auf den vor ihm liegenden Text. Flo trat ein und William erschrak schon wieder.

"Tut mir leid, früher ging es nicht." Er ließ sich schwungvoll auf seinen Stuhl fallen. "Was hab ich verpasst?", fragte er und fixierte William. Der gab brummend zur Antwort: "Der Tote war Steuerberater, ist fünfundfünfzig und wurde mit viel Wut erstochen. Bisher habe ich keine Zeugenhinweise. Und um fünf findet eine Pressekonferenz statt. Der Bürgermeister kommt auch. Ich soll reden. Aber ich denke, er wird wie üblich nicht erscheinen."

Flo lachte. "Viel Spaß. Das denke ich auch. Keine Sorge, ich komme natürlich mit", schob er hinterher, als er Williams wütenden Gesichtsausdruck sah. "Lass uns was essen, ich hab nichts gefrühstückt."

William nickte erleichtert und gemeinsam gingen sie zur Cafeteria.

Als die beiden später den Presseraum am Anfang des Gebäudes betraten, waren alle Plätze bereits belegt. Die meisten waren Journalisten diverser Zeitungen. Viele kannte William vom Sehen. Oft schon hatte er ihnen ihre vielen bohrenden Fragen beantwortet. Die Worte Kein Kommentar existierten bei ihnen nicht. So sollte es auch heute wieder sein. Er atmete tief durch und trat zu einem der jüngeren Kollegen. Der drückte ihm ein Blatt in die Hand.

"Keine Details, nur Wesentliches. Masse beruhigen. Kein Serientäter. Die Leute sollen trotzdem abends dunkle Gassen meiden. Zeugenhinweise zur Tatzeit“, las William ab. "Weiß ich doch alles", brummte er lauter und zerknüllte das Blatt. Ein böser Blick auf den Kollegen, dann trat er an das Rednerpult.

"Guten Tag, meine Damen und Herren."

Fast sofort verstummten die Gespräche. Alle waren gespannt, was wohl nun folgen würde.

"Mein Name ist William Herle. Ich bin der Kriminalhauptkommissar. Die meisten kennen mich bereits von anderen Pressekonferenzen. Wie vermutlich bereits bekannt, gab es vor zwei Tagen einen Mord. Ein Mann wurde erstochen aufgefunden."

"Weiß man denn schon, wer der Tote ist?", unterbrach ihn der erste Journalist.

"Ja, aber seinen Namen kann ich Ihnen nicht verraten. Haben Sie dafür bitte Verständnis. Was ich allerdings brauche, sind Zeugen aus der Bevölkerung. Daher bitte ich Sie um entsprechende Hinweise. Alle, die am Dienstag Abend in der Nähe des Bahnhofes waren und etwas gesehen haben, sollen sich unter der üblichen Nummer melden. Sie steht zur Sicherheit an der Tafel hinter mir."

"Schön, und was ist jetzt genau passiert?", fragte ein zweiter Journalist. "Ich kann Ihren Aussagen nichts für einen aussagekräftigen Bericht entnehmen. Können Sie uns genauere Angaben machen?"

William blickte den Mann an und überlegte kurz. Dann sagte er: "Der Todeszeitpunkt liegt zwischen elf und eins am Montag Abend. Der Herr ist fünfundfünfzig Jahre alt gewesen und wurde mit großer Wut erstochen. Mehr werde ich dazu nicht sagen."

William war sich des Risikos bewusst. Je nachdem, wie die Journalisten ihren Bericht formulierten, konnte das Trittbrettfahrer animieren. Das erschwerte die Suche nach dem Mörder erheblich. Er verließ trotz einigem Protest den Saal. Er hatte keine Nerven, weitere Fragen zu beantworten. Schließlich musste er einen Mord aufklären. Was ihm bei Scheitern oder langsam fortschreitenden Ermittlungen sowieso von den Journalisten vorgehalten werden würde. Der Bürgermeister war, wie er es erwartet hatte, nicht erschienen.

Walter zog seine Jacke aus und hängte sie zu den anderen. Die Diskussion war bereits in vollem Gange. Er betrat den hellen Raum, der zu den größten im Spullberger Rathaus gehörte. Kaum jemand blickte auf. Er grinste. So intensiv wie der bevorstehende Bau der Biogasanlage am Tigersheimer Gatter wurde selten ein Thema diskutiert. Eine Widerstandsbewegung hatte sich gebildet, viele waren dagegen. Doch der Bürgermeister Hermann Knapp und seine Parteianhänger wollten sie gegen jede Vernunft durchsetzen. Er zog die Augenbrauen hoch und ging an das Rednerpult.

"Guten Abend", sagte er. Die Reaktion war wie zu erwarten kaum vorhanden. Irgendwann würden sie sich die Köpfe heiß diskutieren. Walter wiederholte seine Begrüßung und die Leute wurden nach und nach stiller. Walter ließ den Blick schweifen. Jetzt hatte er die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden.

"Guten Abend, meine Damen und Herren. Anlässlich des bevorstehenden Gutachtens durch Herrn Müller wurde heute nochmal eine Versammlung einberufen. Wie Sie vermutlich alle bereits mitbekommen haben, wird nächste Woche am Donnerstag um 14.00 Uhr der Gutachter kommen, um gemeinsam mit dem Bürgermeister und mir das Gelände anzuschauen. Ich bitte darum, davon abzusehen, unbedingt dabei sein zu wollen. Der Bürgermeister ist nicht sonderlich gut auf uns zu sprechen. Daher denke ich, dass es für alle so am sinnvollsten ist. Ich werde Tim Mayer mitnehmen, der anschließend einen Bericht schreiben wird und durch den Verteiler schickt. Dann ist die Ruhe gewährleistet. Vielen Dank für Ihr Verständnis."

Applaus schallte durch den Raum. Einige schienen von dieser Regel nicht besonders begeistert zu sein. Walter hielt es für das Beste, dass keiner der anderen dabei war. Der Bürgermeister war jähzornig und sollte nach Möglichkeit nicht gereizt werden. Sonst kam er womöglich noch auf den Gedanken, die nächsten Demonstrationen zu verbieten.

"Am nächsten Samstag findet eine weitere Kundgebung in der Spullberger Innenstadt statt. Ich brauche noch ein paar Freiwillige, die am Stand stehen können und welche, die unsere neuen Flyer verteilen. Wir müssen den Leuten endlich klarmachen, dass die Biogasanlage eine Fehlentscheidung ist."

Jubelrufe und durcheinander polternde Stimmen unterbrachen Walter. Der Tumult war kaum zu stoppen. Alle mussten sich einmischen, ihre Meinung zum Besten geben. Ein heilloses Durcheinander war die Folge. Walter beobachtete alles genau. Zumindest hatte er seine Freiwilligen für die Kundgebung am nächsten Samstag, so wie er es herausgehört hatte. Er wartete noch ein paar Minuten.

"So, jetzt bitte Ruhe. Die Freiwilligen tragen sich in die Arbeitsliste ein. Die liegt hinten am Tisch. Gibt es noch Fragen dazu?"

Die Stimmen der einzelnen verschmolzen zu einem Murmeln. Einige Wortmeldungen gab es bereits.

"Also dann", meinte Walter. Er klopfte auf das Pult und es kehrte wieder Ruhe im Raum ein. Ein älterer Herr stand auf.

"Ich habe da eine Frage. Was passiert, wenn der Gutachter das Grundstück am Tigersheimer Gatter für geeignet befindet? Dann wird der Bürgermeister die Anlage definitiv bauen."

Er hustete. Ein anderer nutzte die Gelegenheit und sagte: "Ich gehe davon aus, dass dieser Fall nicht eintreten wird, denn aufgrund der Beobachtungen mir bekannter Ornithologen gibt es dort mindestens eine seltene Vogelart, den Baumfalken, eine selten gewordene Greifvogelart. Er bevorzugt Landschaften mit weiträumigen Wiesen und Weiden sowie strukturreiche Waldgebiete. Er steht schon auf der Roten Liste. Wird jetzt also ein Teil des Waldes abgeholzt, dann verschwindet der Lebensraum des Vogels und ihm wird die Nahrungsgrundlage entzogen. Folglich ist der Baumfalke auch bald weg. Das finde ich nicht akzeptabel."

Der erste fiel ihm ins Wort.

"Nicht nur der eine Vogel. Es geht um das gesamte Areal. Alle müssen beschützt werden. Nur weil irgendein Bürgermeister unbedingt so eine blöde Anlage haben will, heißt das nicht, dass dies alle wollen. Man denke nur an die Unglücke, die bereits geschehen sind."

Einige nickten zustimmend, mindestens zwei verdrehten die Augen. Walter nickte.

"Genau. Deshalb können wir jetzt nur noch hoffen, dass das Gutachten zu unseren Gunsten ausfällt. Und am Samstag unsere Kundgebung abhalten. Wir müssen die Menschen zum Nachdenken anregen. Mehr können wir vorerst nicht tun."

Applaus schallte durch den Raum.

"Ach, eines hätte ich fast vergessen. Der Journalist der Stuttgarter Zeitung will einen Namen für unseren Widerstand, wie er es nennt. Ich finde, dass wir eher Leute auf den richtigen Weg bringen, aber gut. Wir brauchen jedenfalls für die Presse einen guten Namen."

Das Gemurmel im Saal war wieder angeschwollen. Die meisten diskutierten bereits über komplizierte Zusammenstellungen.

"So, gibt es gute Vorschläge?", fragte Walter in die Runde. Alle redeten durcheinander. Walter verdrehte die Augen. Ruhe und Ordnung waren bei solchen Veranstaltungen ja eher selten, dennoch würde er es bevorzugen. Ein jüngerer Mann war aufgestanden.

"Ja, bitte", sagte Walter. Der junge Herr mit den kurzen schwarzen Haaren lächelte.

"Ich dachte, wir packen da alles mit rein und nennen unsere Widerstandsgruppe Protest gegen die Biogasanlage am Tigersheimer Gatter, abgekürzt dann PBT."

Sofort wurde er von einer älteren Dame mit blond gefärbtem Haar unterbrochen.

"Das ist doch Quatsch!", empörte sie sich. "Viel zu lange! Wir brauchen etwas Kurzes, das sich den Leuten einprägt!" Zustimmendes Gemurmel. Einer der älteren Herren erhob sich und sagte, während er in die Runde schaute:

"Dann lässt es uns einfach Biogasanlage Protest nennen, BP. Ist kurz und einprägsam."

"Naja, also ich weiß nicht so recht." Die blonde ältere Dame rümpfte ihre kleine Nase. "Wieso belassen wir es nicht bei Protest?"

"Nein, das ist zu allgemein", widersprach der junge Mann. "Es soll ja nicht nur die älteren, sondern auch die jüngeren ansprechen."

"Ja, dessen bin ich mir bewusst", gab die ältere Dame zurück. "Ich meine ja bloß, dass das alles mittlerweile landesweit geht. Da braucht man ja nicht extra was zu machen. Das kriegen ja ohnehin alle mit."

"Aber viele kennen unsere Argumente nicht, die dagegen sprechen", mischte sich Walter ein. "Daher halte ich es für sinnvoll, einen Namen mit Ortsbezeichnung zu verwenden. Was haltet ihr vom Tigersheimer Protest? Kurz dann TP. Wie auch immer, entscheiden müssen wir es jetzt sofort, dann können wir am Samstag alles mit einbauen."

Walter blickte in die einzelnen Gesichter.

"Mir würde TIP sehr gut gefallen", warf ein älterer Herr ein. "Tigersheimer im Protest. Was halten Sie den davon?"

"Hört sich gut an, ja", bestätigte Walter.

"Also gut, dann nehmen wir TIP. Punkt aus. Diskussion beendet."

Der junge Mann hatte schnell allein entschieden. Es waren zwar einige Proteste zu hören, aber im Großen und Ganzen stimmten ihm alle zu.

"Dann ist es entschieden. Druckt bitte die Flyer und Poster mit dem neuen Namen, als Logo nehmen wir wie bisher den Maiskolben mit der Sonnenblume."

Walter sprach und wandte sich ab. Das hier würden sie alleine regeln können. Er war nur der Vorstand und sollte entscheiden. Er ging zur Tür und hörte hinter sich noch die an jeder Ecke entbrannten Diskussionen, bis die Tür in das Schloss fiel.

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