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VI

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Herzschlag

Für Tante Pepi musste es die Schubertmesse sein. Unüblich, aber ich hatte darauf bestanden. Die Kirche war voll, bei uns nimmt man es noch genau mit den Verpflichtungen innerhalb der Verwandtschaft; väterlicherseits und mütterlicherseits machte die Sippe einen guten Teil der Dorfbevölkerung aus, dazu die Nachbarn und die Bäurinnen von der Frauenbewegung. Viele Begräbnisleute für eine, die das ganze Leben eine „Dirn“ war, eine Magd, deren Wert nur in ihrer Arbeitskraft bestanden hatte.

Der Zug mit dem Sarg formierte sich, vorneweg der Ministrant mit dem Grabkreuz: „Josefine Dirnberger“, darunter „1909 – 1998“. Die Organistin improvisierte über das Schlusslied: „… selig pocht’s in meiner Brust. In die Welt hinaus, ins Leben, folgt mir nun des Himmels Lust.“

Des Himmels Lust. Der Himmel – für Tante Pepi ein Vertrautes. Das, worauf sie hingelebt hatte. Aber des Himmels „Lust“? Ihres waren der Erde Mühen und Plagen, Lust ist in ihrem Leben wohl nicht vorgekommen. Oder doch? Wenn sie für sich allein im Stall gesungen hat? Wenn sie mit kundigen, starken Händen ein Kälbchen aus dem Leib einer schwer gebärenden Kuh gezogen hat und mit „narrischer Freud“ zuschaute, wie das „Kalberl“ mit unsicheren Beinen hochwippte und zu saugen begann? Des Himmels Lust, die Schwere der Erde. Der Sarg schwankte, von sechs Neffen getragen, aus der Kirche.

Wer hatte denn ausgerechnet neben dem Friedhofstor einen Traktor geparkt? Die Dorfleute wussten doch, dass heute ein Begräbnis war.

Der Traktor. Sein Motor begann zu pochen. Schwerfällig erst, ktok – ktok – ktok. Langsam in Fahrt kommend, tok, tok, tok. Letztendlich in einem rhythmischen Gleichmaß verharrend, das den Herzschlag eines Menschen ausmacht. Tok-tohk, tok-tohk, tok-tohk.

Das grüne Blech über dem offenen Motorblock zitterte mit jedem Herzschlag mit. Das war – das war doch unserer! Der grüne 15er-Steyr, Baujahr 1953, den man noch mit der Kurbel starten musste. Pepi war lange Zeit die einzige Frau im Dorf gewesen, die Traktor fahren konnte.

Tok-tohk, tok-tohk, tok-tohk. Über den Fahrersitz war ein schwarzes Kopftuch mit eingewebter silbergrauer Blumenbordüre gebreitet. Das konnte nur meinem Bruder eingefallen sein! Ihm war von Tante Pepi das Traktorfahren beigebracht worden. Tok-tohk, tok-tohk, tok-tohk – ein Dank, der zu Lebzeiten nie ausgesprochen worden war.

Tok-tohk, tok-tohk, tok-tohk.

Ein unterdrücktes Schluchzen würgte die Kehlen der „Bestattleute“, von denen nur wenige über den Tod der alten Frau wirklich zu trauern hatten. Die Jüngeren konnten sich kaum an sie erinnern, aber das klopfende, inständige „Toktohk, tok-tohk, tok-tohk“ ging allen unter die Haut. Die Männer wischten sich die Augen.

Tok-tohk, tok-tohk, tok-tohk.

Die Frauen weinten und schnäuzten sich.

In meinen Ohren pochte ein Klavier zum Klopfen des Traktors.

Das C-Dur-Moderato mit dem Herzschlagmotiv.

Das traurige Andantino.

Der heitere f-Moll-Tanz mit dem Hauch von Melancholie. Ich sah sie vor mir, die Tante Pepi, wie sie dem Leichenzug voraustanzt, auf dem Kopf den Weinkrug, im wiegenden Schritt zu Schuberts Allegro moderato: Tok-tohk, tok-tohk, tok-tohk.

Als der Pfarrer anhob „Wir übergeben den Leib der Erde …“, verstummte das Tok-tohk. Tante Pepi war gestorben.

Sonnseitig. Schattseitig.

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