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III

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Afra

Sie trug ihre weißen Haare seit jeher zu Zöpfen geflochten und aufgesteckt. Die erste, die diese Frisur nach Jahrzehnten wieder salonfähig gemacht hatte, war eine ukrainische Ministerpräsidentin gewesen. Für Afra war das belanglos. In bodenlangen Röcken und festem Schuhwerk war sie tagtäglich unterwegs. Zu Fuß. Kam auf einer dieser schmalen Gemeindestraßen zwischen Weinbergen, Wiesenstücken und Wald ein Auto gefahren, wedelte sie mit ihrem langen, schwarzen Schirm. Kaum einer fuhr, ohne anzuhalten, vorbei. War es einer vom Dorf, der sie mitgenommen hatte, griff er nach ihrem Aussteigen routiniert nach dem Fichtenspray, um den unvermeidlichen Geruch nach Bockmist und Kräutern zu verdrängen. War es ein Fremder, dem es darum gegangen war, an einer alten Frau eine gute Tat zu vollbringen, versuchte er bald, grob oder verlegen, sie sich wieder vom Hals zu schaffen. Afra saß wie festgewachsen am Beifahrersitz: Mit geradem Rücken und erhobenem Haupt, den Korb auf dem Schoß umklammernd, ließ sie sich in die Bezirksstadt fahren. Vor einer Gründerzeitvilla deutete sie auf ihren Korb: Der Fahrer möge sie aussteigen lassen und auf sie warten, bis sie ihre Kräuter und ihren Ziegenkäse verkauft habe. Doch jeder dieser Samariter brauste erleichtert davon, sobald er die Frau losgeworden war. Ihre dubiose Ausdünstung blieb noch lange im Auto hängen.

Jeder im Dorf kannte Afras windschiefe Keusche. Kaum einer gab zu, dort gewesen zu sein. Angeblich, weil der Gestank ihrer drei Ziegen – ein Bock war immer darunter – nur schwer aus Kleidern und Haaren herauszubringen war. Stieg man den unwegsamen Pfad am Rand des Sonnleitnerischen Weingartens abwärts bis an den Waldrand, tauchte das moosbewachsene Dach unvermutet zwischen den Stämmen auf. Man munkelte, die Alte halte ihre Hühner in dem einzigen Raum, wo sie kochte, aß, schlief und ihre Kräuter trocknete. Die Kammer quelle über von Stößen zusammengebettelter, dahinmodernder Zeitungen. Kam einer ins Gespräch mit ihr, merkte er, wie belesen sie war. Seit das Wissen um die Heilwirkung von Kräutern wieder in Mode gekommen war, begann man ihre Kenntnisse zu schätzen. In der Stadt. Die Frauen des Dorfes kamen nur heimlich – und immer seltener – in die Waldkeusche. Immer dann, wenn sie in einer ausweglosen Situation von Afras Gebräu Rettung erhofften. Verscherzen wollte es sich keiner mit der absonderlichen Alten. Auf geradezu magische Art wusste sie alles, was in den Höfen und Häusern des Dorfes vorging. Einzig Julia hatte immer ein freundliches Wort und ein Glas Wein für Afra übrig, wenn diese, außer Atem vom steilen Weg, auf der Bank vor dem Sonnleitnerhof verschnaufte. Im Winter bat Julia ihren Mann, den Steig zu Afras Keusche vom Schnee freizuschaufeln, Brennholz hinunterzuschaffen und manchmal einen Sack Mais für die Hühner vors Haus zu stellen.

Sonnseitig. Schattseitig.

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