Читать книгу Sonnseitig. Schattseitig. - Anna Aldrian - Страница 15
IV
ОглавлениеJahrtag
Es war noch nicht richtig hell, als Julia übernächtig und viel zu schnell ihren Wagen Richtung Autobahn lenkte. Wie aus dem Boden herausgewachsen tauchte Afra am Straßenrand auf. Julia bremste scharf ab.
„Du zitterst ja“, sagte Afra.
„Ihr habt mich erschreckt“, murmelte Julia, „steigt ein!“ Seit ihrer Kinderzeit benutzte sie, wie sie es von ihrer Mutter gehört hatte, der Alten gegenüber das altertümliche „Ihr“ und „Enk“, mit dem man früher jede Respektsperson angeredet hatte.
„Hast schlecht g’schlafen“, sagte Afra nachsichtig, „die Nacht war so hell.“
„Ja, ist wahr.“ Julias Stimme klang nervös. „Und wo wollt Ihr hin?“
„Nach Graz, ins Sozialamt. Wegen einer Gebührenbefreiung.
Julia musste lächeln. Die Alte würde auch diese bekommen, letztlich tat man immer, was sie wollte, um sie und ihre ziegenduftgeschwängerte Aura loszuwerden.
„Die Verena wohnt eh in der Näh.“
„Jetzt glaub ich’s bald selber schon, dass Ihr hexen könnt. Wie wisst Ihr, wo ich hinwill?“ Afra schaute aus dem Fenster.
„Und – wie geht’s Enk sonst?“, bemühte sich Julia den taktlosen Sager über das Hexen wiedergutzumachen. „Immer g’sund? Geht’s Enk eh guat?“
„Mir schon, aber dir net, Julerl.“
Afra nahm ihren Blick vom Fenster und ließ ihn mitleidig über Julia gleiten.
„Heut ist Jahrtag“, sagte Afra. Julia nickte beklommen. „Fünf Jahr, seit der Luis tot ist. Fünf Jahr und du kannst ihn net vergessen. Ein G’frett is des, ein G’frett. Hast ihn gern gehabt, wie du den Sigi nie gern haben kannst. Armer Teufel, der Sigi.“
Julia klammerte sich mit den Händen am Lenkrad fest, starrte beklommen geradeaus.
„Und die Verena“, setzte Afra nach, „die wird sich’s nie verzeihen, dass sie mir ihren kranken Bruder aus die Händ’ genommen hat. Ich hätt’ ihn g’sund gemacht. War nicht ihre Schuld. Angezeigt bin ich worden. Vom Herrn Primar! Angezeigt wegen Kurpfuscherei.“
Julia spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Beim nächsten Feldweg bog sie ein, hielt an.
„Die sind auch net blöd im Spital, ich hab’s damals derfragt, dass alle gegen das Operieren waren. Nur er, der Aff, der g’schleckte, er hat ihn aufschneiden müssen, den Luis. Wegen dem Geld“, setzte Afra im monotonen Singsang nach. „Umgebracht hat er ihn, der Stückler, der Herr Primar. Den ganzen Bauch hat der ihm versaut und vergiftet. Beim Operieren. Verrecken hat er ihn lassen, deinen Luis.“
Afra schwieg und wartete, bis das Zucken der Schultern neben ihr abgeebbt war.
„Und jetzt? Jetzt ist er selber tot, der geldgierige Dokta, der alte Stückler, der Bauchaufschneider“, setzte sie gleichmütig fort.
Julia nickte. Dann riss es sie hoch.
„Was?!“
„Kann passieren, dass so ein Heuballen ins Rollen kommt und einen erwischt und derdruckt. Kann passieren. Überhaupt, wenn der das verdient hat, der Mörder!“ Julia erstarrte.
„Freilich, dass dann so a Leich mitpresst wird mit dem Heu, bis der leutselige Herr Dokta selber a Heuballen ist, und dass er dann noch wie a Mumie in Plastik eingewickelt wird, das passiert net an jeden.“
Julia griff sich an den Hals, Grauen und Panik pressten ihr die Luft ab.
Die Alte setzte nach: „Die Afra ist überall, sagen die Dorfleut, net wahr. Sie sieht alles, sag’n die Leut. Vor mir brauchst keine Angst net haben, du net. Die Verena auch net. Aber wegräumen müssts ihn. Den Heuballen. Gestern hat der Sechserbock mit seine’ Krickerln den Ballen aufg’rissen. Verstehst? Der fangt an zum Faulen, zum Stinken. Der wird sich bald aufg’löst haben, unter der Plastikhüll. Sag das der Verena. Für was ist sie Ingenieurin bei einer Baufirma. Die wird schon an Weg finden. Die Verena. Immer noch a Bauernmadl, a tüchtig’s. Die fahrt an Lkw oder a Baumaschin genauso wie an Traktor“, Afra machte eine bedeutungsvolle Pause, „– oder wie a Heupress. Net wahr? Is ja liab von ihr, dass sie dir immer noch hilft bei der Bauernarbeit, die Frau Ingenieur, obwohl sie net deine Schwägerin worden ist.“
Julia machte den Mund auf; sie brachte kein Wort heraus. Afra hatte schon nach der Autotür gegriffen: „Dankschön fürs Mitnehmen. Ich hab nix zu tun in der Stadt, das mit dem Sozialamt hab ich schon geregelt. Wollt dir nur sagen, dass höchste Zeit ist, dass der Heuballen wegkommt. Pfiat di, Julerl.“