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IV

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Andacht

Der pompöse Stephaniensaal hatte Tante Pepi nicht eingeschüchtert. Mit andächtiger Scheu ging sie neben mir durchs Foyer und über die breite Stiege hinauf. In ihrer Strickweste über der weißen Bluse zum schwarzen Rock und mit den glänzend geputzten altmodischen Sonntagsschuhen fiel sie auf unter den Konzertgästen. Für sie aber war alles richtig, „wie in der Kirche“. Manchmal griff sie sich ins Haar, das Kopftuch fehlte ihr. Mit tiefem Ernst im Gesicht setzte sie sich auf den Platz auf der Galerie über dem Podium.

Sobald János Kahn auftrat, hatte ich Tante Pepi vergessen. Schaute er nicht nach der ersten Verbeugung zur Galerie herauf? Zu mir?

Das Programm war mir, der ambitionierten Musikstudentin, vertraut. Die sechs „Moments Musicaux“ konnte ich selbst spielen, sie sind technisch nicht sehr anspruchsvoll.

Aber er, wie er sie spielte! Was seine Hände mit den Tasten anstellten, war nichts anderes, als mir das Paradies auf die Erde zu holen.

Verstohlen blickte ich auf Tante Pepi. Wo war sie mit ihren Gedanken? Daheim bei ihren Kühen? Hölzern saß sie da, den Kopf nach vorn gereckt. Oh. Ihre Augen! Rund und grau ruhten sie im seichten Wasser. Das Andantino rührte sie an. Als János das schubertsche f-Moll-Tänzchen aufführte, war ein Stück Seligkeit in ihrem Gesicht. Es blieb, solange das cis-Moll-Moderato mit der Klarheit eines Bach-Präludiums dahinperlte. Es verschattete sich, als Elegisches Überhand gewann. Erschrocken zuckte Tante Pepi zusammen, als das Allegro vivace scharf und hämmernd losbrach. Mit halb geöffnetem Mund starrte sie auf den Pianisten, als ob er ihr von Himmel und Hölle erzählen würde, und – im Allegretto – vom Herumirren auf dem Weg dorthin.

Die Leute klatschten. Tante Pepi schaute mich fragend an. Wieso machen die einen solchen Lärm? Es war Pause. Tante Pepi wollte nach Hause fahren. Das kränkte mich. Ich hatte nicht begriffen, dass bei ihr das Glas randvoll war mit noch nie Gehörtem, noch nie Gefühltem.

„Hat es dir nicht gefallen?“, fragte ich im Auto.

„Wohl“, antwortete sie einsilbig. Dann: „Wie der sich das hat ausdenken können, der kleine Mann. So was.“

„Wer?“

„Der halt, der gespielt hat.“

„Tante Pepi, der hat sich das nicht ausgedacht, der hat nur nachgespielt, was sich der Franz Schubert ausgedacht hat, der von der Schubertmesse und von, Am Brunnen vor dem Tore‘.“

„Ah so.“

Wir waren schon fast daheim, als sie zum Reden ansetzte: „Gibt es von derer Musi eine Platte, dass man das noch einmal hören kann?“

„Ich glaub schon. Hat es dir doch gefallen?“

„Ja“, sagte sie mit großer Entschlossenheit in der Stimme.

„Das möchte ich hören, wenn’s mit mir zum End geht. Ich bet immer um eine gute Sterbestunde. Da möchte ich das noch einmal hören. Kannst du mir das versprechen?“

„Ich versprechs dir“, antwortete ich feierlich und beglückt. Tante Pepi und ich, wir waren zu Verbündeten geworden.

Sonnseitig. Schattseitig.

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