Читать книгу Bist Du bereit? - Anna Betula - Страница 10

VI.

Оглавление

Durch die Gegebenheit, dass sich Kilian und Arvid das Zelt teilten, hatte auch Arvids Schutzengel die Gelegenheit, mein Farbspiel zu betrachten. Mit der uns Engeln an und für sich zu eigenen nüchternen Art, versteht sich. Ich selbst hatte mich daran schon so sehr gewöhnt, dass mir mein bunter Körper gar nicht mehr sonderlich auffiel.

Nach einigen Wochen an unterschiedlichen Orten, jede Nacht die Schlafstätte unserer Schützlinge behütend, fand ich mich jedoch vor dieser Frage wieder.

„Du, es tut mir ja leid dich zu behelligen, aber so einen bunten Engel wie dich hab ich noch nie gesehen. Was hast du?“ Ich überlegte kurz. „Hm, bist du ein Originaler?“„Nein, warum?“ „Kannst du dich an deine menschlichen Gefühle erinnern?“ „Nicht mehr ernsthaft. Soviel eben, um die Emotionen meiner Schützlinge zu begreifen.“ „Hast Du Gefühle für Arvid?“ „Was heißt Gefühle? Ich führe ihn mit größtmöglichem Wohlwollen und liebevollem Gleichmut - Um ihn auf bestmögliche Weise auf seinem Weg zu begleiten, darauf zurückzuführen und ihn zu schützen. Ich verstehe jetzt nicht, worauf du hinaus willst.“ „Wird auch schwierig sein, das zu erklären. Ich fühle für diesen Jungen wie Menschen es tun und ich liebe ihn zusätzlich zu der immerwährenden Liebe auch wie Menschen es tun. Ich fühle seine Gefühle wie ein Mensch und gleichzeitig meine in Korrespondenz dazu. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schwer es ist, ihn fühlenden Herzens all diesen Situationen auszusetzen - Ja, ihn sogar in eine offensichtlich gefährliche und schmerzhafte Lage zu bringen.“ „Das hört sich nach einem schwerwiegenden Fehler von oben an. War das schon immer so?“ „Seit Beginn dieser Aufgabe.“ „Dein Auftraggeber?“ „Michael.“ „ Dann ist ein Fehler ausgeschlossen. Wie begründet er das?“ „Gar nicht. Du hast ja keine Ahnung wie sehr ich schon gerufen, gebetet und gefleht habe. Er antwortet nicht.“ „Hast was verbockt? Vorher, mein ich? Vielleicht eine Art Konsequenz.“ „Nein, alles war wie immer, nur schien Michael selbst recht besorgt zu sein dieses Mal. Ich denke es ist eine Prüfung, aber frag mich nicht wozu.“ „ Nun, da hast du es wahrlich nicht leicht – Bedauernswert, mit all diesen lästigen Emotionen. Kommst du zurecht?“ „ Ja doch, hab mich daran gewöhnt und es hat durchaus auch Vorteile. Pass auf, ich zeig's Dir.“ Ich begab mich über den schlafenden Kilian, strich ihm über die Wange und sagte „Hey, aufwachen.“ Prompt öffnete er die Augen. „Tut mir leid, schlaf weiter.“ Er schlief sofort wieder ein. Keine Sorge, so etwas ist natürlich weder Usus bei uns, noch oben gern gesehen.

Mein Kollege war sichtlich beeindruckt, denn keineswegs ist es leicht, jemanden so schnell aus der Tiefschlafphase zu wecken. Träume beeinflussen ja, dezente Körperdrehungen provozieren auch, aber um schlagartiges Aufwachen zu bezwecken, benötigt es im Normalfall schon einige Anstrengung. „Du meinst, dann funktioniert es auch umgekehrt? Er fühlt dich auch stärker als unsere Schützlinge gewöhnlich unsere Anwesenheit wahrnehmen?“ „ Ja, ich hab schon den Eindruck und hoffe so sehr, dass uns das erhalten bleibt. Es ist wirklich wunderschön und das Einzige, was mir durch die Prüfung hilft.“

So strichen weitere Wochen ins Land. Kilian reifte zu einem guten Krieger heran. Er wurde sicherer im Kampf und entwickelte für sich Methoden, das Erlebte besser zu verarbeiten. Manche Dinge besprach er mit Arvid und oft spazierte er durch die Felder. Wenn es sich ergab, hörte er auch den älteren Kameraden zu und versuchte, aus dem Gesagten eigene Schlüsse zu ziehen. Er sah welche, die ihn abschreckten und ergründete die Ursachen, welche diese Männer so werden ließen. Er beobachtete jene, die ihn beeindruckten und er sinnierte über die Gründe, weshalb sich diese anders entwickelten. Ich bemühte mich währenddessen, ihm Personen nahezubringen, die ihn weiterbrachten, die die nötigen Gedankengänge anstupsten, welche durch schwierige Emotionen helfen konnten.

Bald schon teilten sich die Jungen, welche gemeinsam ihre ersten Erfahrungen gemacht hatten, in verschiedene Gruppierungen auf.

So schloss sich eine nicht unbeträchtliche Zahl zusammen, welche täglich tranken, sich vermeintlich erwachsen verhielten und die versuchten härter zu wirken, als sie es waren. Sie erzählten sich scheinbar unberührt und mit falschem Stolz von abgetrennten Gliedmaßen, grölten über im Todeskampf schreiende Feinde und lachten über um Gnade bettelnde Gegner und den großen Spaß, ihnen diese zu verwehren. Auch welche Foltermethoden am amüsantesten wären, war ein beliebtes Gesprächsthema bei diesen Burschen.

Meine Kollegen, die diese Jungen betreuten versuchten vehement dieser Entwicklung entgegenzuwirken, mit mehr oder weniger großem Erfolg. Niemals gaben sie auf, obschon sie wussten, wie groß die Möglichkeit war, ihre Schützlinge in diesem Zustand zu verlieren. Sie wussten, dass sie möglicherweise den Rest dieses Lebens kaum mehr würden guten Kontakt herstellen können.

Schutzengel geben nicht auf, niemals. Es gehört zur Grundvoraussetzung in jedem Moment alles zu versuchen, um die Menschen gut zu führen, egal wie weit sich diese schon entfernt hatten. Egal wie viel Anstrengung es uns kostete. Ausruhen können wir zwischen den Aufträgen. Nichtsdestotrotz macht es uns traurig, wenn wir merken, dass uns unser Schützling entgleitet. Zwar nicht die Art aufgewühlte Traurigkeit, welche Menschen überkommt, aber doch eine ausgeprägte Wehmut.

Wer uns entgegenwirkt? Das ist eine interessante Frage. Es ist nicht der Teufel oder seine Dämonen und doch stimmt dieses Bild. Wenn man so will, ist alles Erdgebundene der Teufel, aber das ist wiederum nicht gleichzusetzen mit dem Bösen. Vielmehr verhält es sich so, dass die Seelen hier sind, um wieder heimzukehren. Gott erschuf einen Spiegel seines Selbst, er erschuf Menschen, die einen Geist besitzen und die Macht, ihren eigenen Willen umzusetzen - Mit diesem können sie selbst wiederum schöpferisch tätig sein. Er vertraut darauf, dass die Menschen mit dieser Ausstattung in der Lage sind, ihn in sich selbst und der Welt zu erkennen. Für alle Teile seines Selbst entwickelte sich ein materieller Spiegel, auf dass er sich in uns und Allem und wir uns in ihm erblicken.

Nicht, dass ich schon alles verstünde, schließlich sind wir Schutzengel auch noch recht erdgebunden. Ich fasse es so auf, dass das Gefühl getrennt zu sein, notwendig ist, um die Verbindung zu Gott wieder zu suchen. So befinden wir uns im Abklatsch der Wirklichkeit mit der Illusion, getrennte, einzelne Wesen zu sein. Auf dass wir uns auf die Reise machen und in der Getrenntheit Erfahrungen machen, die als Ganzes nicht erfahrbar wären. Nun erliegen Menschen aber meist lange dem Spiegel und halten ihn für die Wirklichkeit und durch ihren eigenen schöpferischen Willen werden immer mehr Illusionen geschaffen.

Keine Angst, letztendlich wird jedes Teilchen zurückfinden, doch viele, viele Umwege müssen dafür in Kauf genommen werden. Selbstverständlich sind auch diese letztendlich hochinteressant, nüchtern betrachtet - Für das Teilchen aber als sehr schmerzhaft empfunden.

Alles was der Mensch an Distanz zwischen sich und dem Rest der Schöpfung aufbaut, entfernt ihn vom Gefühl des Gesamten. Sein Ego wächst und mit jedem Mal in dem er nicht erkennt, dass der Andere, sowie alles, das ihn umgibt, auch zu ihm gehört, gibt er dem Ego mehr Raum.

Durch den menschlichen Schöpfergeist erschafft er so etwas wie eigene Wesenheiten, die lebendig werden können. Diese sind es, die uns entgegenwirken, allen voran das Ego, welches am ehesten dem entspricht, was Teufel genannt wird. Das ist eine so starke Wesenheit, dass sie mit aller Kraft versucht, den Menschen die Getrenntheit vorzugaukeln. Kompliziert das Ganze, aber unsere Gegenspieler wohnen eher in euch, als um euch herum, können immens auf den menschlichen Geist einwirken und sind deshalb sehr, sehr mächtig.

Andere junge Krieger versuchten hingegen alles, um die Erlebnisse zu verdrängen und wünschten sich aus dieser Realität heraus. Sie träumten von der Vergangenheit oder der Zukunft und verabscheuten die Gegenwart zutiefst. Das war prinzipiell verständlich, doch in den wenigsten Fällen zielführend. Denn entweder waren sie hier, weil es ihr Weg war, sie jedoch durch all die schlimmen Erlebnisse und falschen Schlüsse nicht den richtigen Umgang damit fanden. Würden diese Männer tatsächlich einen anderen Weg einschlagen, könnten sie auch dort nicht zur Ruhe kommen. Verharren sie jedoch im Wunsch, ein anderes Leben führen zu können, gehen sie ihren Weg zwangsläufig nur halbherzig.

Oder aber es waren jene, die durch äußeren Druck oder falschen Ehrgeiz überhaupt erst den Weg eingeschlagen hatten und sich nun völlig zu Recht fehl am Platze vermuteten. Für diese wäre es nun sinnvoll, den Mut zu beweisen, dem Kriegshandwerk den Rücken zu kehren und zu ihrer wahren Bestimmung zurückzukehren. Doch so leicht sich das anhört in Anbetracht dessen, dass sie dieses Leben ohnehin verabscheuten, so kompliziert war die Umsetzung. Oft machten es die strengen Regeln der Sippe fast unmöglich und sehr häufig mögen Menschen nicht einsehen, oder zugeben, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben.

Kilian hingegen war sehr richtig bei den Kriegern, doch ich musste aufpassen, dass er den bestmöglichen Weg fand, mit den Grausamkeiten zurechtzukommen. Ich musste zusehen, dass er seinen Mut bewahrte, ohne jedoch hart zu werden. Er sollte seine Talente schulen, sich verbessern ohne hochmütig zu werden. Und was besonders schwer war, Kilian musste lernen, dass das Töten zu seiner Aufgabe gehörte, ohne dabei abzustumpfen.

Es war sein Weg und ich war mir ziemlich sicher, er würde ihn auch gehen. Schon allein das war viel wert. Wie er ihn ging, war jedoch noch unsicher, obwohl ich großes Vertrauen in ihn setzte. Trotzdem fingen meine inneren Warnimpulse sofort an, Alarm zu schlagen, hatte ich auch nur den leisesten Verdacht, er könne mir entgleiten.

So trug es sich zu, dass er nach einer außerordentlich brutalen Schlacht ins Lager zurückkehrte. Seine Aura war das erste Mal seit längerem wieder von schmutzigem Grau, was mir meinen Kontakt schon ohnehin fast unmöglich machte.

Mit Hilfe seines Verstandes versuchte er trotz dieser absoluten Gefühlsstarre, seine bisherigen Methoden anzuwenden, was ihn einiges an Beharrlichkeit kostete.

Doch begab es sich ausgerechnet so, dass er beim Versuch, während seines Spaziergangs seine Empfindungen zu ordnen, auf einige schwer Verwundete, sterbende Krieger des Gegners traf.

Selbstverständlich hatte ich gesehen, worauf er zusteuerte und hätte er sich auf meinen Impuls hin weiter östlich gehalten, wäre ihm dieser Anblick erspart geblieben. Doch in seinem Zustand konnte er mich nicht hören, obwohl ich an ihm gerüttelt und gezerrt, geschrien und geboxt hatte.

So lief er nach diesem Anblick, verstört und mit noch leereren Augen zurück zu seinem Zelt, um mit Arvid zu schweigen oder auch das ein oder andere Wort zu wechseln. Nicht, dass er Lust, oder auch nur den Impuls dazu gehabt hatte, doch er wusste kognitiv, dass es helfen würde, auch wenn er es in diesem Zustand nicht empfinden und glauben konnte.

Arvid war jedoch nicht dort und Kilian setzte sich steif auf sein Schlaffell und starrte die Zeltwand an. Wie paralysiert blickte er ins Leere und ich konnte nichts machen, absolut nichts.

Meine Sorge steigerte sich trotz meiner mittlerweile beachtlichen Ruhe in rasantem Tempo. Diese Zustände dürfen nicht allzu lange andauern, schon allein deshalb nicht, weil sich die negativen Ereignisse in diesem Zeitraum potenzieren können. Schließlich haben wir nicht den geringsten Einfluss und können somit nicht führen, nicht schützen, keine Denkimpulse geben oder mit positiven Zeichen entgegenwirken.

„Bitte, bitte, hör mich! Steh auf, geh raus, such Gebhard, such Arvid oder einen anderen Freund! Bitte, Bitte!“ Alleinsein war zwar oft heilsam, jedoch nicht in dieser Verfassung. Wie erwähnt hat die Anwesenheit von anderen Menschen immense Auswirkungen auf den Einzelnen. Mal angenommen, Kilian wäre auf eine Gruppe Männer getroffen, welche nicht an der Schlacht beteiligt gewesen wären, welche vielleicht gar fröhlich ums Feuer saßen, so hätten deren positive Energien Einfluss auf Kilians feinstofflichen Körper gehabt. Mehr Macht, als ich, das Grau aufzulockern. Sicherlich, wäre dies dann tatsächlich geschehen, hätte er seinerseits vorerst nicht positiv auf diese Leute reagiert. Wahrscheinlich hätte es ihn wütend gemacht, dass diese in Anbetracht der Lage eine solche Stimmung zu verbreiten. Das wäre mir egal gewesen, selbst Wut und Aggressionen waren besser als diese Gefühlsstarre. Zudem hätte ich wieder die Chance zur Intervention gehabt.

Nun, er hörte mich ohnehin nicht, starrte einfach weiterhin ins Nichts. Glücklicherweise hatte Kilian einen Erdkörper und dieser zwang in nach beträchtlicher Zeit trotzdem aufzustehen, damit er sich erleichtern konnte. Zumindest hätte es ihm zu Gute kommen können. Doch schlurfte er, nachdem er seine Blase entleert hatte, geradewegs auf zwei torkelnde Kameraden zu. Diese wiederum hatten ihrerseits schon seit einiger Zeit den guten Kontakt zu ihren Seelen verloren. Sie gehörten zu jenen, welche ich oben beschrieben hatte. Laut und abgebrüht ereiferten sie sich über Details aus den Kämpfen, dunkelrote braunschwarze Fäden durchzogen ihre ansonsten graue Aura. Das wahre Gefühl der Traurigkeit schwebte behütet von meinen Kollegen in zu großer Entfernung der Körper.

Diese waren in ununterbrochenen Bemühungen, ihren Schützlingen die Richtung zu weisen, obschon sie kaum durchkamen. Kilian kreuzte deren Weg und betrunken, wie sie waren, schlossen sie ihn sofort in ihre Mitte, boten ihm ihre Krüge an und zerrten Kilian mit sich an ihre Feuerstelle, um welche schon etliche Männer verschiedenen Alters mit ähnlicher Atmosphäre saßen.

„Hey Kleiner, was ist los? Hast einen Geist gesehen? Hammse dir die Zunge rausgeschnitten?“

Kilian antwortete nicht, ich zerrte an ihm. „Geh weg dort! Das tut dir nicht gut! Geh weg! Hör doch auf mich!!! Bitte! Bitte!“

„Dann trink mit uns! Auf dass wir den verdammten Bastarden heute die Abreibung verpasst haben, die sie verdient haben! Zehn ihrer hässlichen Köpfe hab ich allein schon zur Begrüßung ihrer schäbigen Frauen aufgestellt. Haste die gesehen?“

Kilian schüttelte den Kopf, trank den Alkohol. Wie ein Wirbelwind schwirrte ich um ihn herum um zu verhindern, dass diese Energien zu ihm durchdrangen. Ab einem gewissen Punkt würde ich diese zwar sogar dem Grau vorziehen, doch noch hatte ich Hoffnung und Zeit, dass er an einen positiveren Ort gelangte.“Kilian, komm, geh hier weg, such Arvid. Such Gebhard!“ Versuchte ich ihn zu erreichen. Vergeblich.

„ He, Kleiner.“, redete der betrunkene Mann auf ihn ein. „der Krieg ist gemacht für richtige Männer, solche Sachen härten dich ab. Feiern muss man jeden toten Feind. Am besten mit Weibern und dem hier!“ Er hob sein Horn erneut und drückte es Kilian in die Hand. „Weiber sind hier keine, aber wir haben genügend Met. Aber bald wirst du dreckige Weiber zur Genüge bekommen. In der Siedlung dieser abscheulichen Halunken! Spazieren wir Morgen rein und nehmen uns, was uns gehört. Die paar Kinder und Alten werden uns nicht aufhalten. Sonst gibt’s niemanden mehr, der uns aufhalten könnte. Braten in der Mittagshitze am Stiel. Die dreckigen Weiber sind mit unseren nicht zu vergleichen, aber Löcher haben sie trotzdem genug zum Spaß haben. Hast ihn schon mal benützt? Also außer zum Pinkeln?“ Schallend begann er zu lachen. Kilian schüttelte abermals den Kopf. Ich wurde wütend und aufgebracht, Kilian musste hier weg. Langsam sickerte schon die Farbe dieser Männer durch sein Grau und ich wurde zutiefst nervös. Ich zog an ihm, ohrfeigte ihn und schrie ihn an, doch endlich aufzustehen. Kurz blickte er mich an, doch sein Blick war verschleiert, dann drehte er den Kopf zu seinem Gesprächspartner. „Gewöhnt man sich irgendwann dran?“ „Gewöhnen, was heißt gewöhnen, man geht damit um, wie echte Männer damit umgehen. Kein Platz für Mitleid, oder Weichheit. Brauchst dir auch keine dummen Gedanken machen. Unsere verdammten Feinde haben‘s nicht anders verdient. Gehören alle aufgespießt, mitsamt ihrer ganzen verfluchten Sippe. Würden‘s ja nicht anders machen, die Andern. Glaubst doch nicht, Kleiner, dass die deinen hübschen Schädel verschont hätten.“ „Wohl nicht.“ „Sicher nicht! Sauf und sei froh, solange du überlebst, nimm was du kriegen kannst, kann schon rum sein morgen. Und fang mit den Weibern an, wär bedauerlich, zu verrecken, ohne mal einen reingesteckt zu haben. Meinst doch nicht, dass Odin oder die Götter was mit Schlappschwänzen anfangen können?“ Kurz flackerte Kilians Blick auf, etwas ihn ihm wehrte sich dagegen, seine Gottheiten in Zusammenhang mit diesen Worten zu hören, doch schon verschwand es und er antwortete. „Hast vermutlich recht.“ „Sicher hab ich recht. Wie viele hast’n erwischt heute von den dreckigen Mistkerlen?“ „Hm, weiß nicht, paar.“ „ Jeder toter Feind, ist ein Sieg! Hab dich schon gesehen, machst gut deine Sache. Wirst einer von uns. Auf unseren neuen Kameraden hier! Der wird noch ganze Schädelreihen pflanzen können! Hebt eure Hörner!“ Lautes Gegröle ertönte und Kilian wurde lachend beglückwünscht. Das Grau verschwand und die Energien der anderen umkreisten ihn und färbten seine Aura mit ihren Farben. Sein strahlendes Blau tauchte zwar auch wieder auf, doch wurde es vehement verdrängt.

Weiterhin versuchte ich mein Bestes, in seine Gedanken zu gelangen, um dort einen Anstoß geben zu können, diesen Ort zu verlassen. Er vernahm meinen Impuls, zog genau das in Erwägung, um es im nächsten Moment mit dem bitteren Gedanken zu verwerfen

„Warum gehen, kann mich hier besaufen und genauso gut akzeptieren, dass es so ist, wie sie sagen. Die haben das schließlich schon länger mitgemacht und das mit den Weibern ist eh schon lang fällig. Mit denen kann ich die Erfahrung bestimmt eher machen, als wenn ich mit Arvid im Zelt bleibe.“ Er setzte sich, betrank sich mit ihnen, lachte ihr aufdringliches Lachen und fühlte sich allmählich sogar stark und unbesiegbar. Die Traurigkeit wurde mir anvertraut, mitsamt der Angst und den Zweifeln.

Oh ja, wir hüten all die verdrängten Gefühle, doch keineswegs verschwinden sie. Ein jedes muss betrachtet, verarbeitet und wieder entlassen werden. Besser ist, die Menschen kümmern sich direkt darum oder wenigstens in einem angemessenen Zeitrahmen. Tun sie es nicht, wird es später viel schwieriger, damit umzugehen. In Form von unangemessenen Emotionsschüben, plötzlicher Wut oder Aggression, Traurigkeit oder Verzweiflung, tauchen diese Teufel dann vermeintlich grundlos auf. Besser als das Grau der Gefühlsstarre ist das allerdings, denn dort besteht absolut keine Möglichkeit zur Verarbeitung. Für den Menschen sind jedoch später auftretende, verdrängte Gefühle, kaum mehr zuzuordnen und treten scheinbar willkürlich auf. Sie sind deshalb sehr schwer zu verarbeiten und der Prozess ist dadurch sehr viel langwieriger. Daraus können Teufelskreise entstehen, die kaum mehr zu durchbrechen sind. Wir hingegen müssen diese Gefühle immer und immer wieder ins Bewusstsein drängen und uns bemühen, so viele wie möglich bis zum Tod unseres Schützlings verarbeitet zu wissen. So bedächtig wie möglich, um zu verhindern, dass der Mensch damit überfordert ist. Die nicht abgearbeiteten Verletzungen nimmt er mit in den Tod und dann wieder ins nächste Leben mit. Das gilt es, so gut es geht zu verhindern. Denn zwangsläufig ist es in diesen Fällen für den menschlichen Geist eine nahezu unlösbare Sache, diese Verschmutzung mit Hilfe der zugehörigen Erinnerung zu lösen. Sie werden gelöst, keine Frage, aber einfacher wird es nicht. Im nächsten Leben werden ähnliche Situationen entstehen, in denen dann die alten Verunreinigungen mit bearbeitet werden.

Zu später Stunde legte sich Kilian betrunken einfach neben die Feuerstelle, die schon halb verloschen war und schlief ein. Zutiefst besorgt und traurig schwebte ich in einigem Abstand über ihm, strich ihm mit meinem Astralkörper über die Wangen, versuchte, ihn zu wärmen.

Mit Alkohol im Blut haben auch Träume, welche ansonsten sehr hilfreich sind beim Verarbeiten von Erlebnissen, kaum eine Chance. Gerne hätte ich geweint.

In einiger Entfernung sah ich meinen Kollegen, den Schutzengel Arvids, mit ihm des Weges kommen. Ich rief was das Zeug hielt, er möge Arvid doch bitte hierhin lotsen, auf dass er Kilian mitnähme. „Oh, dunkelfarbiger Kollege, sei gegrüßt. Diese Farben sind grotesk. Dich sieht man ja kaum. Wie kann ich behilflich sein?“ „Bitte, bitte, mach Arvid auf seinen Freund aufmerksam. Würdest du?“ „Ich versuch mein Bestes. Du solltest deine Emotionen unter Kontrolle bringen, sieht ja lächerlich aus.“ „Ja, ja, ich weiß. Tu was!“ Trotz der harten Worte fing dieser an, intensiv den Kontakt zu Arvid herzustellen, damit dieser den Kopf in Kilians Richtung bewegen möge. Und tatsächlich hob Arvid den Blick, erkannte seinen Freund am Boden liegend und steuerte ihn direkt an. „Mensch Kilian, he, wach auf, was machst‘n da? Komm, steh auf, hab dich schon gesucht. Komm steh auf. Bist ja sturzbesoffen. Steh auf jetzt. Komm.“ Er zog und zerrte an seinem Freund, brachte ihn in die Senkrechte, stützte ihn, redete beruhigend auf ihn ein und schaffte es, ihn zum Zelt zu zerren und auf seiner Schlafstätte niederzulegen. Ich war unglaublich erleichtert. „Danke Kollege.“ „Keine Ursache. Du siehst auch wieder besser aus, wenn auch weit entfernt vom reinen Weiß, das wir normalerweise tragen.“ Er amüsierte sich über mich, doch ich spürte, dass er es liebevoll meinte und sogar ein Stück weit besorgt.

Kilian wachte mit Kopfschmerzen und Übelkeit auf, sein Magen rumorte - Er verließ das Zelt, übergab sich und legte sich erneut nieder. Doch war es ihm unmöglich, wieder einzuschlafen, so sehr pochte es hinter seinen Schläfen. Ich schwebte direkt über ihm und hielt ihm eine Standpauke.

Er kämpfte mit sich. Er schämte sich für den Abend, doch er überlegte nach wie vor, ob die groben Männer nicht trotzdem recht hatten. Warum, fragte er sich, waren sie ihm nicht sympathisch? Sie hatten augenscheinlich recht. Schließlich konnte er nicht nach jeder grausamen Schlacht am Boden zerstört sein, und natürlich hätte keiner seiner Feinde Skrupel, ihm den Schädel einzuschlagen. Vielleicht war er naiv gewesen, dachte er sich, ein Krieger sein zu wollen, der zwar seinem Stamm und den Führern dient und sein Bestes gibt, doch ohne über seinen Feind zu urteilen. Der zwar tötet, jedoch ohne Freude dabei zu empfinden. Der die furchtbarsten Dinge erlebt und trotzdem reinen Herzens bleibt. Immer lächerlicher erschienen ihm diese Ansichten. Sicher, die Geschichten, welche man ihnen als Kindern erzählt hatte, handelten von solchen Männern. Von furchtlosen Kriegern, die große Häuptlinge waren, doch niemals Unschuldige quälten. Die die Sippe getöteter Feinde unbehelligt ließen, die in manchen Fällen sogar Gnade vor Recht ergehen ließen. Trotzdem wurden sie von allen respektiert und andere Männer folgten ihnen in tiefster Ergebenheit. Frauen lagen ihnen zu Füßen und natürlich erreichten sie ihre großen Ziele, ohne ihren Glauben zu verlieren. „Vermutlich nur Geschichten, die uns dazu bewegen sollten, diesen Weg einzuschlagen.“, dachte er sich. „Niemand kann diese Extreme miteinander verbinden. Entweder man gewöhnt sich diese Weichheit, diese hohen Ideale ab, oder man geht dabei drauf.“ Weiterhin fand er es regelrecht anmaßend, diese Männer gering geschätzt zu haben. Wer war er, über sie zu urteilen. Immerhin erfüllten sie ihre Pflicht –Er hingegen würde bald zu nichts mehr zu gebrauchen sein, ließ er all das so nah an sich heran. Das konnte ja nun nicht das Ziel sein. Er war schließlich kein Hohepriester geworden und hatte es auch niemals vorgehabt.

„Arvid?“ „Hm?“ „Wie gehst du mit den Bildern um?“ „Wie meinst du?“ „Naja, siehst du nicht ständig die Gesichter der Männer vor dir, die du getötet hast, oder die der Angreifer? Daran, dass sie nicht älter sind als wir? Wenn sie älter sind an ihre Kinder? An die Frauen? Oder unsere Kameraden, wie sie da lagen. Und, ich mein, daran, dass wir auch, jederzeit -“ „Doch, schon.“ „Wie gehst du damit um?“ „ Ich versuche, nicht daran zu denken.“ „ Ja, aber sie tauchen trotzdem auf, oder?“ „Schon.“ „Und?“ „Ich versuche, mir Gebhards Worte ins Gedächtnis zu rufen.“ „Die, dass auch unsere Feinde diesen Weg gewählt haben, dass die Götter entscheiden, wer stirbt und wer lebt? Dass wir diese Aufgabe erledigen müssen, auch wenn es schwer ist, dass es nötig ist, um unsere Familien zu schützen? Ich weiß nicht, es wird schon richtig sein, dass wir hier sind.“, murmelte Kilian resigniert. „Zweifelst du daran?“ „Nicht direkt, aber ich frage mich, ob wir zu unbedarft an die Sache rangegangen sind. Ich meine, wenn ich nicht wütend bin auf den Gegner, empfinde ich Mitleid, denke an seine Liebsten, an das Leben, dass er noch hätte leben können. Bin ich dagegen wütend, freue ich mich über jeden, der vor mir verblutet. Denke, dass er nichts Anderes verdient hat, empfinde Freude dabei. Das fühlt sich aber dann auch falsch an. Ich habe das Empfinden, ich müsste mich zwischen diesen zwei Möglichkeiten entscheiden, aber als wäre keine richtig.“ „Ich weiß, was du meinst. Ich denke dann an Gebhard. Schau ihn dir an. Hörst du ihn prahlen mit seinen Verdiensten? Macht er sich lustig über einen schreienden Feind? Nein, obwohl er einer der Besten ist. Ich hab ihn gestern gesehen. Nach der Schlacht - Er sah einen unserer Gegner stöhnend am Boden liegen, schwer verwundet. Dieser hatte zuvor einen unserer talentiertesten Männer getötet, sogar einen Freund von Gebhard. Gebhard beugte sich über den Feind, untersuchte die Wunde und sah, dass es für diesen Mann kein Überleben mehr gab. Nur lang andauerndes Leiden und einen grausamen Tod. Er nahm sein Schwert und stieß es ihm in die Brust um sein Leiden zu beenden.“ „Findest du nicht, er wäre es seinem Freund schuldig gewesen, diesen Mann zumindest leiden zu lassen?“ „Ich weiß nicht, mir kam der Gedanke auch, ich bin mir darüber noch nicht im Klaren. Hab ihn gefragt. Er meinte, dass das auch sein Impuls gewesen wäre, er hatte sogar Tränen in den Augen. Doch Gebhard sagte weiterhin, dass dieser Krieger nur seine Arbeit getan hatte, wie auch er und er es trotz allem nicht aushalten hätte können, ihn so liegen zu lassen.“ „Ich weiß nicht, ob ich das richtig finde. Ist Rache nicht auch eine der Tugenden? Wie macht Gebhard das?“ „Frag mich nicht. Trotzdem vertrau ich ihm mehr als dem Haufen, mit dem du dich vorhin vergnügt hast.“ „Ja, ja, ist ja gut, vermutlich hast du recht.“ Mit gespielt beleidigter Miene drehte sich Kilian zur Seite und versuchte, trotz der nach wie vor vorhandenen Übelkeit noch etwas Schlaf zu finden. Sehr gut, ich wedelte noch einige Male energisch um ihn herum und vertrieb die Reste an negativer Energie. Viel zu tun hatte ich nicht mehr. Nein, nein, die Macht menschlicher Ausstrahlung ist nicht zu unterschätzen. Nicht umsonst heißt es, Menschen hätten mehr Macht als wir Engel.

Bist Du bereit?

Подняться наверх