Читать книгу Bist Du bereit? - Anna Betula - Страница 11
VII.
ОглавлениеSo normalisierte sich Kilians Gedanken- und Gefühlswelt wieder. Zwar kreisten seine Gedanken immer mal wieder zu den Aussagen der Männer des denkwürdigen Abends - Er fragte sich mehrmals, ob es bei seiner Tätigkeit nicht zwangsläufig zu einer Abstumpfung des Gemütes kommen müsse. Doch in den Situationen, welche Entscheidungen forderten, wählte er ungeachtet dieser Gedanken zumeist den positiveren Weg. So schloss er sich auch nicht der Gruppe an, welche die Siedlung der feindlichen Krieger überfiel um dort zu plündern, zu töten und die Frauen zu vergewaltigen. Diese schlimmen Angewohnheiten waren auch von den Anführern nicht durchgängig gern gesehen, doch aber toleriert.
Kilian suchte Gebhard auf, um mit ihm das eine oder andere Wort zu wechseln. „Wie schaffst du es, so zu bleiben, wie du bist?“, wollte er wissen. „Nun junger Krieger, es ist mein Wille und meine Entscheidung. Mein Glaube an die Götter hilft mir dabei. Außerdem, Kilian, halte ich es für einen Irrglauben, dass der andere Weg leichter wäre. Sieh dir die Männer an, welche meinen, es gäbe nicht Recht, noch Unrecht. Ständig brauchen sie andere Leute, brauchen Bestätigung ihrer Leistung, sie können sich nicht mehr mit sich selbst beschäftigen. Sie sehen nicht mehr einen klaren Bach oder einen schönen Vogel. Immer größer wird ihr Wunsch, Trophäen zu sammeln, immer stärker müssen die Eindrücke sein, damit sie sich spüren. Immer mehr Met, um sich verbunden zu fühlen. Hast du ein Mädchen?“ „Nein. Warum?“ „Haben sie dir was über die Frauen erzählt?“ „Sie meinten, sie könnten uns Spaß bereiten. Dass sie dazu da wären, damit wir unseren, naja, reinstecken.“ „Du wirst noch erleben, wie stark die Anziehung sein kann, die von einer Frau ausgeht. Frauen helfen uns dabei, uns nicht zu verlieren, doch auf sehr sanfte Weise. Du wirst das kennenlernen, junger Freund. Diese Männer hingegen spüren die zarten Bande nicht mehr. Sie haben verlernt, den Wert der Weiblichkeit zu schätzen. Sie behandeln sie wie Vieh und schlimmer, weil sie denken, das Weibliche sei dem Männlichen unterlegen und sie hätten das Recht dazu. Damit begehen sie großes Unrecht und verwehren sich gleichzeitig eines der größten Gegengewichte, die es zu unserer Aufgabe gibt. Irgendwann sind sie nicht mehr in der Lage, Liebe zu empfinden und können sie weder geben noch annehmen. Sie lachen über derartige Empfindungen, obwohl nichts sonst mehr sie zu retten vermag.“
Kilian wurde neugierig, was es wohl mit den Frauen auf sich hatte. Er hatte noch kaum jemals Kontakt gehabt, seitdem er seine Ausbildung begonnen hatte. Vorher war er ja noch ein Kind gewesen und hatte daher keinerlei Interesse am anderen Geschlecht gezeigt. In letzter Zeit jedoch regte sich sein Glied immer öfter und er hatte den Wunsch, daran herum zu spielen. Etwas daran kam ihm lächerlich vor, doch andererseits war das Bedürfnis sehr stark, ja, kaum zu ignorieren, musste er zugeben. Er glaubte, auch andere Männer fassten sich dort an, schon so manches Mal beobachtete er seltsame Bewegungen, oder sah sogar den ein oder anderen abseits hinter einem Baum stehen. Natürlich hatte er schon gesehen, was die Krieger mit den Frauen machten und wusste, dass das wohl dazu gehörte. Dass dieses andere Verhalten jedoch den Selben Ursprung hatte, war ihm bisher noch nicht gekommen. Er war hingegen immer davon ausgegangen, diese Männer hätten Schmerzen oder ein anderes Problem. Er überlegte, sich mit Arvid drüber zu unterhalten, doch schämte er sich, kam er sich schließlich recht unbedarft vor.
„Oh ja stimmt, das kommt ja auch.“, dachte ich bei mir und dabei fiel mir auf, dass Kilian sogar recht spät diese Entdeckung machte. Naja, das sollte kein großes Problem werden. Es kam zwangsläufig dazu, dass Kilian begann, seine ersten sexuellen Erfahrungen mit seinem Glied zu machen. Arvid war nicht zugegen und so fing er unsicher an, sich anzufassen. Nicht ohne dass Scham in ihm aufstieg, da er eigentlich nicht sicher war, was er eigentlich vorhatte und wozu. Doch, wie nicht anders zu erwarten fand er bald Gefallen daran und so befriedigte er sich von diesem Zeitpunkt an regelmäßig. Manchmal beschlich mich dabei eine sehr seltsame, irritierende Erinnerung, die ich jedoch weder willkommen hieß, noch greifen konnte. Zudem war diese von einem seltsamen Gefühl begleitet, welche wiederum Ahnungen auslöste, welche ich genauso wenig zu fassen im Stande schien.
„Arvid?“ Fragte Kilian nach einiger Zeit. „Hm.“ „Hattest du schon mal ein Mädchen?“ „Ja. Weißt du noch letztes Beltane? Am Feuer, das blonde Mädchen mit den Locken? Du hast sie bei der Zeremonie gesehen.“ „Ja, ich erinnere mich, wie ist es?“ „Es ist schön, ich kann das nicht beschreiben. Zuerst willst du sie einfach berühren. Dann, wenn du sie auch nur beiläufig streichst, möchtest du sie immer weiter anfassen und küssen, plötzlich regt sich was in deiner Hose. Naja und irgendwann kannst du ihn in sie reinstecken. Wenn sie das erlaubt.“ „Ihn reinstecken.“ Kilian musste lachen und schämte sich direkt für seine Albernheit. Langsam regte sich in ihm der Wunsch, diese Erfahrung selbst machen zu dürfen. Gleichzeitig wurde er sehr nervös, beim bloßen Gedanken daran.
Ohnehin waren sie auf der Reise zu dieser Burg, ein Fest sollte stattfinden. Viele andere Krieger, die unter demselben König kämpften, sollten dorthin kommen. Es sollten weitere Strategien besprochen werden und sie durften sich einige Zeit erholen. Außerdem gab es ein Gerücht, wonach einige von ihnen reiten lernen sollten und sie in Zukunft auch zu Pferde kämpfen würden.
Mädchen würde es auch geben, denn auch die Bewohner der umliegenden Dörfer waren eingeladen.
Kilian verfolgten dieses Mal ganz andere Gedanken, als bisher bei solchen Gegebenheiten. Ein Flaum bedeckte mittlerweile sein Kinn und der Körper setzte mehr Muskeln an, die Schultern wurden breiter. Er reifte zum Mann heran. Mich hingegen beunruhigte nach wie vor dieses unbestimmte Gefühl.
Abgesehen davon unterhielt ich mich wieder ausgezeichnet mit Kilian. Nach wie vor war es ein Leichtes, mit ihm zu kommunizieren und auch Zwischenfälle wie diesen langen Zustand im Grau gab es seither nicht mehr. Das Erstaunliche war, dass er noch immer mit mir sprach, im Stillen. Er erzählte mir von Gedanken, die ich natürlich kannte, stellte Fragen. Vor jeder Schlacht bat er mich um Schutz und hinterher bedankte er sich. Selbstverständlich konnte er mich nicht benennen, doch sprach er mich an, wie eine individuelle Person.
Zumeist hielt er sich in Gebhards Gegenwart auf und pflegte die mittlerweile sehr innige Freundschaft mit Arvid. Weiterhin liebte er seine Spaziergänge oder sinnierte über die eine oder andere Frage nach.
Mein Astralkörper verfärbte sich selten wirklich stark, höchstens der ein oder andere Pastellton störte mein Weiß. Abgesehen von den Kämpfen selbstverständlich, in diesen war ich nach wie vor in großer Aufregung und entsprechend farbig. Wir hatten eine harmonische Zeit und auch war Kilian noch kaum gepackt von den starken Leidenschaften und Machtkämpfen, welche Menschen in diesem Alter oft heimsuchten.
Das sollte sich bald ändern. Die Krieger dieses Stammes, sowie die vieler anderer Stämme schlugen ihr Lager außerhalb der Burg auf. Andere Männer besuchten ihr Lager und brachten Geschichten ihrer Kriegszüge mit. Oft wurde zusammen getrunken und gefeiert. Es wurden Gerüchte ausgetauscht und Vermutungen angestellt. Etwa, wie die neuen, noch größeren Zusammenschlüsse der Stämme wohl aussehen mochten. Die Vorbereitungen des großen Festes waren in vollem Gange und somit verkehrten die unterschiedlichsten Personen auf dem Gelände.
Auch Frauen natürlich, zur großen Freude der Krieger. Kilian beobachtete viele seiner Kameraden, wie sie immer wieder mit einer Frau oder auch verschiedenen verschwanden. In ihre Zelte oder auch in das nahegelegene Wäldchen. Er sah, wie sie lachend ihre Hände unter die Gewandungen der Weiber steckten oder Brüste anfassten. Er war begierig darauf, selbst solche Erfahrungen zu machen.
„Wirst sehen, bei dem Fest, da treffen wir auch Mädchen.“, meinte Arvid, der selbst aus ähnlichen Gründen schon voller Aufregung war. „Meinst Du?“ „Sicher.“ Doch so sicher war er nicht, er hoffte nur inständig, es möge so sein.
Am Abend der großen Feier waren beide enorm aufgeregt. Zuvor wuschen sie sich lange und ausgiebig in dem kleinen Bach, sie flochten sich ihre langen Haare an den Schläfen und ärgerten sich gleichermaßen über den noch spärlichen Bartwuchs. Kilian kramte nach seinen besten Kleidern und stellte sich die wildesten Situationen vor.
Dann endlich wurde, von lauten Blashörnern begleitet, das große Tor geöffnet und unzählige Menschen suchten Einlass. Auch ich war guter Dinge, wenngleich nach wie vor dieses unbestimmte Gefühl sich einen Weg zu bahnen versuchte.
Der König hielt seine Ansprache, begrüßte alle Gäste, erwähnte die größten Kriegsführer persönlich, bedankte sich bei allen Kämpfern aufrichtig für ihre Dienste und gab die wichtigsten Informationen weiter. Welche Änderungen es geben würde, was es mit den Pferden auf sich hätte, wie sich die Stämme zusammenschließen würden und welche großen Schlachten in nächster Zeit anstehen würden.
Kilian hörte nur mit einem Ohr hin. Permanent sah er sich um, ob er nicht schon ein Mädchen erspähen konnte, deutete auf so manche junge Frau, um sie Arvid zu zeigen und dieser antwortete mit Handzeichen und zeigte Kilian seinerseits, welches Mädchen ihm denn gefiele. Endlich ertönte ein Paukenschlag und daraufhin fröhliche Musik, auf dass sich die Gäste von nun an mit Wein und Gesang vergnügen konnten.
Es gab die herrlichsten Speisen, die Kilian je gekostet hatte, Alkohol in rauen Mengen und überall wurde gesungen getanzt und gelacht. Er sah Gebhard in einiger Entfernung mit einer Frau stehen, in inniger Umarmung. Als dieser ihn erblickte, winkte er ihn fröhlich zu sich heran.
Etwas angeheitert meinte er. „Junger Kilian, du weißt doch was ich dir letztes Mal über die Weiber erzählt habe? Das ist die beste von Allen. Meine Friederike! Friederike, dass ist einer meiner talentiertesten jungen Männer, Kilian.“, stellte er die beiden vor. Lachend grüßte ihn Friederike, noch immer strahlend, ihren Mann an ihrer Seite zu haben.“So und jetzt fort mit dir, möchtest selbst sicherlich einiges erleben heute, oder täusch ich mich?“, grinste ihn Gebhard an und klopfte Kilian auf die Schulter. „Außerdem muss ich die kostbare Zeit hier mit meiner Liebsten nützen. Wer weiß, wann ich sie wiedersehe.“ Drehte sich zu Friederike um und ließ Kilian stehen.
Dieser trollte sich, um Arvid zu suchen - In der Tat hatte er ja einiges vor an diesem Abend. So drängte er sich durch die vielen Marktstände, streckte sich, um besser zu sehen und blickte sich nach allen Seiten um.
Da sah er sie. Ein wunderschönes Mädchen mit roten Haaren, welche zu Zöpfen geflochten über ihren Rücken vielen. Sie trug ein schlichtes Leinenkleid mit gelber Schürze, ein Kranz aus gelben Blumen schmückte ihren Kopf. An einem Stand mit getrockneten Gewürzen plauderte und lachte sie mit einer Freundin. Unschlüssig blieb Kilian stehen. Die musste es sein, beschloss er plötzlich. Was sollte er jetzt tun? Wo war nur Arvid, fragte er sich, der könnte ihm sicherlich helfen. Wenn er diesen aber zuerst suchen wollte, würde er sie kaum je wieder finden.
Verschiedenste Ideen kamen ihm in den Sinn, auf dass er sie sofort wieder verwarf. Wie sprach man mit einem Mädchen? Immer nervöser rasten seine Gedanken und Empfindungen hin und her, auf und ab. Er wechselte die Farben seines Astralkörpers von einer Minute zu anderen.
Oh, starke Impulse von Oben erreichten mich. Ich sollte Kilian helfen, dieses Mädchen kennenzulernen. Verwunderlich, dass ich mich nicht schon vorher darauf eingestellt hatte, normalerweise spürte ich schon die sanften Aufforderungen.
Direkt nahm auch schon der Schutzengel dieses Mädchens Kontakt zu mir auf, damit wir zusammen dieses Treffen organisierten. Es schien, als hätte dieser schon länger das Gespräch mit mir gesucht. Zumindest erhielt ich einen Blick, der in etwa einem „na endlich“ entsprach.
Das Mädchen ihrerseits nahm auch schon schüchtern Blickkontakt zu Kilian auf. Nun aber schnell. „Komm, beweg dich, einfach auf sie zusteuern. Beweg dich! Hervorragend siehst du aus. Los weiter, sieh sie an, lächeln. Selbstbewusst Kilian, Selbstbewusst.“ Es war gar nicht so leicht seiner Unsicherheit mit Suggestionen entgegen zu wirken. Wie ein astrales Tauziehen, doch immerhin steuerte er sie an, obschon Selbstbewusstsein sich mit der Schüchternheit die Waage hielt und er immer wieder kurz in den Boden starrte. „Und jetzt?! Was mach ich jetzt? Was soll ich sagen!“, rief es in ihm. „Begrüße sie einfach, frag sie ob sie Arvid gesehen hat, beschreib ihr, wie er aussieht, dann ist der Anfang schon gemacht.“ „Äh, mm-“ Brachte er hervor. Mein Kollege seinerseits sprach in Dauerschleife dem Mädchen passende Worte zu.
An und für sich sind das immer wieder recht amüsante Situationen für uns. Denn eigentlich können wir kaum Verständnis dafür aufbringen. Die Schwierigkeiten, die diese ersten Kontakte mit dem anderen Geschlecht immer wieder mit sich bringen, sind uns ein Rätsel.
Doch ich amüsierte mich kaum dieses Mal, trotzdem ermutigte ich Kilian ununterbrochen in diesem Unterfangen. „Hast du etwas verloren?“, fragte ihn grinsend das Mädchen. „Mm, nein. Warum?“, antwortete Kilian und hoffte sehr, ihr würde bei der Dämmerung nicht auffallen, dass ihm die Schamesröte ins Gesicht schoss. „Na weil du so auf den Boden starrst.“, erwiderte das Mädchen, ohne zu verschleiern, dass sie den Grund dafür sehr wohl kannte. „Bist du das erste Mal auf der Burg?“, fragte sie weiterhin. Weiter und weiter plauderte und fragte sie und Kilian taute allmählich auf. Natürlich hatten mein Kollege und ich nach wie vor einiges zu tun, da Menschen recht aufgeregt sind in solchen Situationen. Oft sagen sie unangebrachte Dinge oder verhalten sich seltsam - Vernachlässigen umgekehrt die einfachsten Spielregeln.
Es wurde ihm mit diesem Mädchen leicht gemacht, da sie gerne redete und somit die Führung solange übernahm bis Kilian innerlich wieder ruhig wurde. Später würde er diese Rolle übernehmen müssen, da es ansonsten an einem bestimmten Punkt stagnieren würde, aber bis dahin hätten wir noch etwas Zeit.
So unterhielten sich die beiden eine Weile über Belanglosigkeiten. Er erfuhr dass sie Wunna hieß, aus einer der umliegenden Siedlungen kam und drei Geschwister hatte.
„Du bist aber nicht ganz weiß.“, stellte ihr Schutzengel an mich gewandt, fest. Stimmt, tatsächlich färbte sich mein Astralkörper sanft in seltsamen Farben. „Ja…“, gab ich zu, ohne die geringste Lust, weiter darauf einzugehen. „Warum?“ „Weiß ich nicht.“ „Das ist aber nicht normal.“, meinte dieser Engel erläutern zu müssen. „Natürlich nicht!“, wollte ich ihm entgegen schreien. „Das geht dich aber nichts an“, hätte ich ihn weiterhin angepflaumt. Doch so ein Umgangston war bei uns nicht üblich und auch nicht erwünscht. Normalerweise kam auch gar nicht das Bedürfnis auf, einen solchen anzuschlagen. So widmete ich mich in übertriebener Geschäftigkeit Kilians Unterfangen und begleitete jeden Satz, jeden Gedanken und alle Handlungen. Was war nur mit mir los?!
Sie waren mittlerweile etwas angeheitert, lachten viel miteinander und standen in dem herrschenden Gedränge sehr nahe beieinander.
Irgendwann wurde Wunna nervös und meinte, sie müsse sich langsam auf den Heimweg begeben. Kilian bot an, sie zu begleiten. Es wäre natürlich nicht unbedingt nötig gewesen, da ein größerer Strom Menschen denselben Heimweg ansteuerte. Doch das gehörte zum Spiel und somit wäre es ein Unding, keine schützende Begleitung anzubieten. So machten wir uns auf den Weg. Kurz bevor wir ihre Siedlung erreichten, führte der Weg abermals durch ein kleines Wäldchen. Wunna erklärte, es gäbe darin eine kleine Abkürzung, die sie ihm zeigen wollte. „Ja wahrscheinlich ist das der Grund. Du bist keineswegs ein so unschuldiges Ding, wie du tust.“ Brach es aus mir heraus und hätte ich einen Mund gehabt, hätte ich diesen schnell zugehalten, so erschrocken war ich selbst über diese Worte. Entsetzt starrte mich Wunnas Schutzengel an und ich gab Einiges, das zu ignorieren und auch, um mich am Riemen zu reißen. Über diese Anwandlungen nachdenken konnte ich auch später, vorerst musste ich Kilian zu seinem ersten Kuss verhelfen.
Kilian wurde zunehmend angespannt. Instinktiv wusste er, dass Wunna nun die Führung an ihn abgeben würde. Es ziemte sich nicht, wenn Frauen diesen Schritt forcierten. Immer langsamer wurden ihre Schritte. Einige Male streckte Kilian seine Hand nach ihrer aus um sie dann wieder zurückzuziehen, bevor sie die ihre erreichte. „Mach ruhig. Nimm sie einfach, sie wird sie nicht wegziehen, das sieht man doch!“, sprach ich auf ihn ein, doch andere Gedanken in seinem Kopf stellten sich vehement dagegen. „Sie wird Angst bekommen. Ich deute alles bestimmt falsch. Wahrscheinlich lacht sie mich aus. Für sie bin ich wahrscheinlich nur ein dummer Junge, bestimmt kein Mann.“ „Nein, bist du nicht. Meinst Du, sie lockt dich umsonst in diesen einsamen Wald? Mach, das ist dein Zug jetzt. Auf geht’s! Sie will nichts anderes gerade, als dass du ihre Hand nimmst“ Und noch so manches mehr, fügte ich im stillen hinzu.
So fasste Kilian sich ein Herz, griff vorsichtig nach ihrer Hand und hoffte gleichzeitig, sie würde nicht merken, dass diese schweißnass war vor lauter Aufregung. Natürlich ließ sie diese Geste geschehen und drehte sich so, dass sie direkt vor ihm zum Stehen kam. Sie lächelte ihn an, oder soll ich sagen grinste?
Eisern hielt ich mich an meine eigene Führung, um Kilian dazu zu bewegen, sie nun endlich zu küssen. Vorerst war er etwas ungeschickt und unbeholfen, doch ich suggerierte permanent. „So, jetzt lass es einfach geschehen, dein Körper weiß nun, was zu tun ist. Nicht mehr denken, lass dich fallen.“ Kurze Zeit später war er wie verzaubert und gleichzeitig immer gieriger, seine Hände strichen über ihren Körper, über ihre Haare, ihr Gesicht. Natürlich regte sich auch etwas in seiner Hose. Ich sah meine Führung vorerst als beendet an, was so natürlich niemals der Fall ist. Er brauchte aber im Moment keine starken Impulse meinerseits. So entfernte ich mich soweit von seinem Körper, wie es mir möglich war. Das war keineswegs besonders weit, zwanzig Meter vielleicht- Selbstverständlich mit ungetrübtem Blickfeld und permanenter Gefühls- und Gedankenverbindung.
Da schwebte ich nun und war zutiefst verwirrt. Was sollte das? Ich hatte noch nicht einmal Lust, mir darüber Gedanken zu machen. Nein, ich hatte das, was Menschen „schlechte Laune“ nennen und hätte gerne Urlaub gehabt oder mich sonst wohin zurückgezogen. Außerdem leuchtete ich rot und dunkelgrün, durchzogen von grellgelben und schwarzen Streifen. Ich mochte mich jetzt mit Sicherheit nicht erneut den Fragen dieses anderen Schutzengels aussetzen. „Michael! Bitte! Was ist mit mir los? Ihr seid gemein! Hilf mir doch! Ich kann so nicht arbeiten! Oder doch, schon, aber es macht wirklich keinen Spaß!“ Ich war mir ja schon darüber im Klaren gewesen, dass er nicht antworten würde, aber mittlerweile zweifelte ich ernsthaft daran, ob er mich überhaupt hörte.
Schon musste ich wieder stärkere Präsenz zeigen. Scheinbar sollte Madame ihre Unschuld noch behalten. „Wenn sie sie überhaupt noch hat.“ Dachte ich bei mir. Deutlich spürte ich ein Missfallen dieses wertenden Gedankens von Oben. Also war doch noch jemand da, der mich hörte. Das verärgerte mich direkt noch etwas mehr und schon hatte ich den nächsten astralen Dämpfer erhalten. Ich sammelte mich kurz, um mich zu beruhigen und führte meinen nächsten Auftrag aus.
„Stop, stop, Kilian, halt. Nein, reiß dich zusammen. Beruhige dich, das reicht für heute. Nein! Geh einen Schritt zurück. Denk an was anderes. Den Abort hinter eurem Lager.“ Hierzu weckte ich auch ein kleines Bild in seinem Gedächtnis und darüber amüsierte ich mich nun doch ein wenig.
Nein irgendwas lief hier nicht gänzlich rund, doch das Ergebnis war zufriedenstellend. Etwas irritiert über dieses Bild fiel es ihm weniger schwer, seinen kleinen Kameraden von seiner Mission abzuhalten.
Er trat zurück, lächelte Wunna verliebt zu und bot erneut an, sie jetzt nach Hause zu begleiten. Gespielt dankbar über seine Zurückhaltung, lächelte sie zurück und wenig später verabschiedeten sie sich, als das Häuschen ihrer Eltern in sichtbarer Entfernung erschien.
Sie verabredeten sich für den Übernächsten Tag. Sie käme dann ohnehin noch einmal auf die Burg um etwas abzuholen. „Mit Sicherheit!“ Schoß es mir durch den Kopf.
Langsam begaben wir uns auf den Rückweg. Kilian im Zustand höchster Verliebtheit lächelte vor sich hin und ließ die verschiedensten Szenen des Abends wieder und wieder vor seinem inneren Auge ablaufen. Ich folgte in relativ großem Abstand mit groteskem Farbenspiel.
Da Menschen in diesem Zustand ohnehin gut mit ihrer Seele verbunden sind, hatte ich nicht viel zu tun. So begann ich, mich mit mir selbst auseinander zu setzen. Da ich nach wie vor nicht auf Hilfe von Oben hoffen konnte, versuchte ich, dieses Geheimnis auf eigene Faust zu lüften. Intensiv grub ich in meinen Erinnerungsfetzen nach Antworten, welche meinen diffusen Gefühlszustand erklären würden. In meinen Engelerinnerungen fand ich kaum brauchbares Material, so begab ich mich in meine diversen Menschenleben.
Es war jedoch nicht leicht an diese so heranzukommen - Klare Bilder oder Gedanken tauchten selten auf. Wir benötigten diese Erfahrungen eher als passive Informationen um unsere Schützlinge besser verstehen zu können, doch sie waren keine verpflichtende Voraussetzung für unsere Arbeit. Die Ursprünglichen konnten schließlich auch nicht darauf zurückgreifen. Solange wir unsere eindeutige Führung nicht verließen, brauchten wir nicht zwingend menschliches Einfühlungsvermögen. Ich persönlich fand es dennoch oft recht hilfreich, all das unbewusst gespeichert zu haben. Somit fühlte ich mich meinen Menschen, meinte ich, doch näher in manchen Situationen. Möglicherweise war das aber auch ein Trugschluss, schließlich konnte ich nicht wissen, wie es war, ein ursprünglicher Engel zu sein.
Jetzt fand ich jedenfalls das ein oder andere Bild, welches aufblitzte um ebenso schnell wieder zu verschwinden, dazu Gefühle oder auch Gedankenfetzen. Fühlte kurz, wie ich geküsst wurde, fühlte Verlangen. Sexuelles Verlangen, wie ich erschrocken feststellte. Sah das ein oder andere Männergesicht aus verschiedenen Epochen. Fühlte Schmerz, fürchterlichen Schmerz - Identifizierte diesen als Liebeskummer. Wild wechselten sich die Bilder, Gefühle und Gedanken ab, bis mir regelrecht schwindelig wurde. Was sollte ich nun mit diesen Informationen anfangen? Natürlich hatte ich Situationen erlebt, wie Kilian sie jetzt erlebte und in Zukunft erleben würde. Das traf jedoch auch auf viele andere Gegebenheiten in seinem Leben zu. Trotzdem war dies das erste Mal in seinem Leben, dass mir meine Aufgabe auf diese seltsame Weise schwer fiel. Sicherlich, die Szenen seines Lebens, welche von großer Gefahr für seinen Leib oder seine Seele begleitet wurden, konnte ich auch schwer ertragen. Jetzt aber spielte sich etwas gänzlich anderes ab.
Er war ja nun in keinster Weise in Gefahr, im Gegenteil, er war äußerst vergnügt. Doch ich konnte mich nicht für ihn freuen, ja, wollte noch nicht einmal bei ihm sein. Wenn ich ehrlich war, war ich sogar böse auf ihn. Natürlich durfte das nicht sein, es war vollkommen unangebracht.
Was war nur mit mir los? Sollte mich Michael doch abziehen und jemand anderen schicken. Wenn das so weiterging, könnte ich meinen Auftrag nicht mehr zur vollsten Zufriedenheit ausführen. Es ging einfach nicht. Ich wollte weinen, schreien und zweifelte an meiner Berechtigung zum Schutzengel. Bisher war es schwer gewesen, richtig schwer, doch verließ ich nie meinen Weg.
Das hier bewegte sich eindeutig an einer sehr gefährlichen Grenze und ich wusste noch nicht einmal weshalb. Hatte ich meine Prüfung eben verbockt, wenn es sich überhaupt um eine handelte. Das war mir gerade auch egal. Über diese Gedanken veränderte sich mein Astralkörper erneut und die vorher absurden, schrillen Farben wichen einem insgesamt recht düsteren Farbspiel.
„Oh, was ist denn mit dir passiert?“, begrüßte mich Arvids Engel mit zartem Mitgefühl. Ihn mochte ich, er war mir im Laufe der Zeit ein guter Freund geworden. Doch auch ihm wollte ich jetzt nicht etwas erklären, was ich zum einen selbst nicht verstand und wofür er zum Anderen schon aus seiner ureigensten Wesensart gar kein Verständnis haben konnte. „ Kann ich dir nicht sagen.“, antwortete ich nur kurz und widmete mich Kilians Gemütswelt. Nicht, dass mich das besser gestimmt hätte.
So verging der nächste Tag, an welchem ich mit Kilian nur das Nötigste und ansonsten mit niemandem sprach. Alles in ihm drehte sich um Wunna und um das nächste Treffen.
Selbst als ihm Gebhard die Nachricht überbrachte, er sei einer der Wenigen aus ihrem Verbund, welcher zu Pferde ausgebildet würde, schien ihn das nicht großartig zu interessieren. Ich hatte im Gegenteil sogar meine Mühe, ihn zu einer angemessenen Reaktion zu bewegen.
Der Tag strich vorüber und wich der Nacht, langsam ordnete ich mich wieder und konnte erneut eine professionelle Distanz aufbauen. Kilian hingegen wachte schon vor Sonnenaufgang auf. Voller Vorfreude kroch er leise aus dem Zelt um Arvid nicht zu wecken und spazierte pfeifend zum Bach um sich zu waschen. Sogar seine Haare wurden gewaschen, anschließend lange gekämmt und dann ordentlich geflochten. Als er damit endlich fertig war, frühstückte er vergnügt unter einem Baum, viel essen konnte er allerdings nicht.
„Guten Morgen mein Freund, du wirst doch nicht etwa verliebt sein?“, begrüßte ihn Arvid lachend. „Hast heute deinen großen Tag?“, fragte er weiterhin grinsend. Er selbst war auch einer jungen Frau näher gekommen, doch sehnte er sich im Herzen nach wie vor nach dem Mädchen, mit dem er seine erste Erfahrung gemacht hatte. Er war an diese Sehnsucht gewöhnt und genoss trotzdem dieses kleine Abenteuer. „Ich hoffe es.“, antwortete Kilian. „Doch selbst wenn nicht, ich würde auch noch sehr viel länger warten. Hast du sie gesehen? Wunderschön ist sie!“, schwärmte er mit leuchtenden Augen. „Ja, hab ich, sehr hübsch. Aber pass auf, mach nicht zu schnell mit deinem Herzen. Du weißt, dass wir bald weiterziehen müssen. Nicht dass du dich unglücklich machst.“ Kilian reagierte darauf mit dezentem Ärger.“ Vielleicht hast du dieses Gefühl ja noch nicht erlebt.“, antwortete er beleidigt. „Sei nicht verärgert, ich mein ja nur.“, klopfte Arvid ihm auf die Schulter und beließ es dabei.
Mittags war eine Vorführung angedacht, um zu demonstrieren, was ein Kampf zu Pferde für Vorteile bringen konnte in zukünftigen Schlachten. So schlenderte Kilian mit seinem Freund am späten Vormittag langsam zu besagtem Feld.
Permanent versuchte er in der Menge den roten Schopf Wunnas zu entdecken. Bei jeder Frau, welche ihr auch nur im Entferntesten zu ähneln schien, rutschte sein Herz in die Hose und sein Magen geriet in Aufruhr.
Der Schaukampf mit den Pferden war äußerst beeindruckend und Kilian schaffte es nun doch für einen geraumen Zeitraum, seine Aufmerksamkeit diesem Ereignis zu widmen.
Ja, das wollte er unbedingt lernen. Verspätet kam nun auch bei ihm an, welch große Ehre es war, ausgewählt zu sein, diese Kunst ausüben zu dürfen. Er war zutiefst beschämt, Gebhard nicht den gebührenden Dank gezeigt zu haben. Er nahm sich vor, dies zum nächstmöglichen Zeitpunkt besser zum Ausdruck zu bringen.
Erstaunlich um wie vieles überlegener man auf einem Pferd sitzend seinen Feinden war. Nun, wenn man es schaffte, dieses zu beherrschen. Kilian wusste, dass bereits das eine Herausforderung darstellen würde. Seine Begeisterung war entfacht und er hatte den Vorsatz, hart zu trainieren um dieses Ziel zu erreichen.
„Sei gegrüßt junger Krieger!“, begrüßte ihn Wunna plötzlich. Beide überrumpelt wechselten wir unverzüglich die Farben. „Oh, guten Tag.“, stammelte Kilian. Kommentarlos begutachtete Wunnas Engel erneut meine Kleiderfarbe und auch Arvids Engel betrachtete mich irritiert.
Auch ohne diese unerwünschte Aufmerksamkeit war mir bewusst, wie ich schon wieder aussehen musste. Stur blickte ich geradeaus. Nach einem kleinen Plausch, verabschiedete sich Wunna auch schon wieder - Am Abend wollten sich die Beiden auf einem kleinen Umtrunk erneut treffen.
Plötzlich wurden wir durch lautes Geschrei und Gezeter auf zwei andere Frauen aufmerksam. Sowohl Kilian und Arvid als auch wir zwei Schutzengel richteten unsere Aufmerksamkeit auf dieses Ereignis. Wir hörten wie sich eine der Frauen ereiferte, dass sie so eine Unverschämtheit nie wieder dulden würde. Sie schrie die andere Frau an, sie solle ihre Finger bei sich lassen und drohte mit Mord, würde diese sich ihrem Mann in Zukunft auch nur nähern.
Mit liebevollem, aber doch leicht besorgtem Grinsen meinte Arvids Engel zu mir: „Schau dir mal die Aura der Frau an, lieber Kollege. Oder soll ich sagen, Kollegin?“ Entsetzt blickte ich abwechselnd zwischen mir und der schreienden Frau hin und her. Immer ungläubiger und fast schon panisch steigerte sich mein Entsetzen ins Unermessliche. „Oh mein Gott!“, entfuhr es mir. „Meinst du, meinst du wirklich, denkst du, dass ich, ich mein, kann es nicht sein, dass dieselben Farben unterschiedliche Aussagen haben könnten?“ Ich schämte mich zutiefst. „Farben lügen nicht, ich denke, das weißt du so gut wie ich.“
Eifersucht, einer der fatalsten Gemütszustände der Menschen. Eine der gefährlichsten und feindlichsten Emotionsverbindungen die es geben konnte. Das Gefühl, das die Reinheit der Liebe zu zerstören vermag, das Gefühl, dass der menschlichen Liebe eigentlich immer beigemischt ist und so verhindert, dass Gott gänzlich gefunden werden kann. Etwas, das zu überwinden von größter Bedeutung ist, möchte man ins Himmelreich aufsteigen. Das Gefühl, das so zerstörerisch ist, dass unzählige heimtückische Morde geschehen.
Die Liebesempfindungen werden den Menschen geschenkt, auf dass sie eine Ahnung erhalten zu welchem Glück sie gelangen könnten. Die lächerlich geredete rosa Wolke ist ein Geschenk Gottes, damit Menschen merken, wie sehr die ganze Welt sich einzig durch unsere innere Verfassung verändern kann. Wie unwichtig plötzlich all ihre ansonsten gesteckten Ziele werden könnten, wie wohlwollend sie Mitmenschen gegenüber sein könnten, wenn sie Liebe so deutlich empfinden.
Mit aller Macht stellen sich die erdgebundenen Verlangen dagegen, versuchen uns einzureden, Liebe mache blind. Das Ego meldet sich, bläst sich auf, besteht darauf, selbst von der Person geliebt werden zu müssen, verlangt Beweise der Gegenliebe. In Form von Geschenken oder zumindest der Versicherung, dass der andere einem nun persönlich gehört. Solche Eigenschaften sind Gift für dieses wunderschöne Geschenk. Kurzfristig, da dadurch Leid entsteht, Zweifel und Angst. Längerfristig, da viele Menschen zukünftig schon grundsätzlich dieses Geschenk ablehnen, da sie meinen zu wissen, dass es eine Mogelpackung sei.
Wir jedoch sehen, wie viel positive Energie verbreitet wird durch Menschen, die glücklich verliebt ihres Weges gehen. Wie sie mit einem Dauerlächeln durch die Gegend laufen, hilfsbereit sind und voller Energie. Alles um sie herum leuchtet. Es funktioniert ja, jedoch leider nur, solange zurück geliebt wird. Ist das nicht der Fall verkehrt es sich ganz schnell ins Gegenteil. Doch prinzipiell spräche nichts dagegen, sich einfach nur daran zu erfreuen, die eigene Liebe so intensiv zu spüren. Alles andere ist das Ego. Wären Menschen bereit, wenigstens einen Menschen bedingungslos zu lieben, würden sie permanent positive Schwingungen verbreiten. Selbst wenn das nur den wenigsten Menschen gelänge, das Licht würde sich wie ein Buschfeuer ausbreiten.
Mal im Ernst, fühlt sich Liebeskummer besser an, wenn die Liebe negiert wird? Wenn Hass stattdessen im Herzen wohnt und Bitterkeit? Oder die kühle Gleichgültigkeit? Ich denke nicht. Das Ego schreit und weint und ich weiß, dass Liebeskummer furchtbar weh tut. Lasst den Schmerz zu und liebt weiter, ich verspreche euch, dass der Schmerz besser zu ertragen ist, als wenn ihr den herkömmlichen Weg geht. Wenn ihr diesen Schritt tatsächlich gehen könnt, ist euer Ego so am Boden zerstört, dass eure Liebe freie Bahn hat und ihr werdet anfangen sie überall um euch zu verbreiten und zu empfinden. Das ist ein so großer Schritt, dass ihr unglaublich frei und unverletzbar werdet. Also, schämt euch weder für die Verliebtheit, noch für die Liebe generell, sie ist auch in der kleinsten zwischenmenschlichen Form ein göttliches Geschenk.
Soviel zu meinem Wissen, doch hier saß ich nun, einer der stärksten Waffen des Egos ausgeliefert- Der scheußlichen, abscheulichen, niederträchtigen Eifersucht. Die mir nicht nur meine Aufgabe zu vereiteln suchte, sondern darüber hinaus noch meine Liebe zu Kilian vergiftete.
Wenngleich bisher meine schon recht anstrengenden Emotionen mir zwar meinen Auftrag schwer gemacht hatten, so war der Grund hierfür aufrichtiges Mitgefühl und Sorge gewesen. Es hatte sich zwar um negative Emotionen gehandelt, doch immerhin waren diese von Zuneigung geprägt.
Das hier entfremdete mir Kilian, es machte mich ihm weniger wohlgesonnen.
Ich ärgerte mich über ihn und im besten Fall geleitete ich ihn mit kühler Gleichgültigkeit. Es war nicht zu fassen, dass ich in diese Falle gegangen war.
Demütigst bat ich um Verzeihung - Kilian, Michael, das Göttliche. Mit aufrichtiger, echter Reue und ich gelobte aus tiefstem Herzen Besserung. Voller Mitgefühl sah mich Arvids Engel an und schwieg. „Ich bin für dich da, ich bewerte dich nicht, das weißt du hoffentlich.“, sagte er mit seinem Blick. Ich war ihm sehr dankbar für seine Anwesenheit.
Nachdem ich mich einigermaßen gefangen hatte dachte ich mir: „Na wunderbar, ich fühle also nicht nur wie ein Mensch für diesen jungen Mann, nein, ich fühle außerdem für ihn wie eine Frau. Nicht nur wie eine Mutter, eine Freundin oder eine Schwester - Nein, außerdem wie eine menschliche Frau!“ Mir wurde direkt übel bei der Erkenntnis.
Wir Schutzengel sind uns unseres Geschlechts niemals bewusst. Es ist schlicht völlig irrelevant für unsere Tätigkeit. Wenn wir nicht arbeiten, also in den Zeiten zwischen den Aufträgen schweben wir einfach in das Gefühl der Glückseligkeit. Wir lösen uns nicht völlig auf in dem Licht, doch so gut wie. Wir sind noch nicht soweit, völlig eins zu werden, doch verschwimmen die Grenzen sehr stark. Wir empfinden dann so etwas wie Verliebtheit, doch ohne dass wir dafür eine Gegengeschlechtlichkeit bräuchten. Dort bleiben wir meist, bis wir wieder auf die Erde geschickt werden. Wie dem auch sei, natürlich kommen viele von uns ursprünglich von der Erde und dort bewohnten wir dementsprechend auch Körper.
Erinnerungen an diese Zeit waren jedoch kaum mehr vorhanden. Trotzdem grub ich nun eifrig darin herum. Nun wollte ich heraus finden, ob ich zu Erdenzeiten beide Geschlechter bewohnte oder grundsätzlich eine Frau war.
Den wenigen Anhaltspunkten nach zu urteilen, war wahrscheinlich, dass ich eher eine Frau gewesen war.
Gesichert war diese Annahme keineswegs, doch anzunehmen, besah ich mir meine Erinnerungsfetzen. Das war nun eine interessante Überlegung. Wenn dem so wäre, warum wäre das so, fragte ich mich. War das einfach eine Grundvoraussetzung? Gab es männliche und weibliche Seelen? Dann wäre es ja für eine einzelne Seele niemals möglich, alle Erfahrungen zu machen. Schließlich gab es welche, die nur auf männliche Weise erlebt werden konnten und Erfahrungen die nur von Frauen gemacht werden konnten. Wie dieses Erlebnis etwa, in welches ich Kilian gerade begleitete, oder wie es war, ein Kind zu gebären und zu stillen.
Weiter kam ich nicht in meinen Gedankengängen, Kilian forderte schließlich auch meine Aufmerksamkeit und außerdem war ich nach wie vor in tiefer Unruhe angesichts dieser sich überschlagenden Ereignisse.
Nach der Reitvorführung suchte Kilian vorerst Gebhard auf, um ihm nochmals aufrichtig zu danken, für die Möglichkeit, die Fertigkeit des Reitens erlernen zu dürfen.
„Gerne junger Krieger, ich glaube, du hast gute Voraussetzungen. Bist bedächtig genug für die Viecher. Außerdem hoffe ich, dass du einer jener Männer bist, die sowohl Waffen als auch Tier zeitgleich geschickt zu führen vermögen. Wir werden ja sehen, ich werde selbst dieses Handwerk erst erlernen müssen. Womöglich handhabst du das Ganze geschickter als ich.“ „Ich vermute nicht, aber ich werde mich bemühen.“, antwortete Kilian lachend. „Warum kann Arvid nicht teilnehmen?“,
fragte er noch, da er, als er glücklich über diese Neuerung sofort seinen Freund davon unterrichtet hatte, erfahren musste, dass dieser wohl nicht ausgewählt worden war. Kaum spürbar stand seither dieses Thema zwischen den Freunden. „Ja, das bedauere ich selbst, doch vorerst sind nur zehn Krieger eines jeden Stammes zur Ausbildung geladen und es hätte tiefe Unruhe in die Männer gebracht, hätte ich euch beide teilnehmen lassen. Ich musste zusehen, dass ich das gerecht verteile.“ „ Ja, sicher, ich versteh schon.“ Kilian bedauerte diese Tatsache aufrichtig, doch in sehr kleinem Ausmaß entstand auch ein wenig selbstgerechte Freude. So etwas wird natürlich auch von uns im Auge behalten. Doch Kilian selbst erkannte diesen Zug seines hinterhältigen Egos und war sofort daran, diese Empfindung zu neutralisieren. Er spürte selbst, dass solche Gefühle unangemessen waren.
Der Tag neigte sich dem Ende zu und besagter Umtrunk rückte unweigerlich näher. Nach wie vor war ich zutiefst entsetzt und betrübt über die Erkenntnis meiner Eifersucht und all den beunruhigenden Neuigkeiten. Doch trotz dieser vorhandenen, wirklich schweren Schuldgefühle verschwanden die Auslöser derselben nicht gänzlich, was meine Unruhe erneut steigerte.
In mir wehrte sich nach wie vor ein doch beträchtlicher Teil, Kilian erneut in Wunnas Arme zu treiben. Ich wusste, dass das nicht sein durfte, schaffte es aber nicht, diese Empfindung zu besiegen.
Noch war sie jedoch mitsamt ihrem vorbildlichen Begleiter noch nirgends zu sehen.
Stattdessen trafen wir wieder auf Arvid und seinen Schutzengel, welcher mich nach wie vor besorgt musterte. „Siehst nicht gut aus. Falls ich aus deinen Farben lesen darf.“ „Nein, mir geht’s auch nicht so besonders, und das Schlimme ist, dass es trotz des Wissens nicht wirklich aufhört.“ „Du weißt aber schon, dass du wahrscheinlich heute die Ehre haben wirst, deinen Schützling zu seiner ersten Vereinigung zu führen?“ „Sicher weiß ich das!“, antwortete ich gereizt, um noch trotzig hinzu zu fügen. „Ich will aber nicht!“ „Pst, sei vorsichtig mit solchen Äußerungen. Du weißt, dass bei solchen Sachen kein Spaß verstanden wird.“ „Ja, meine Güte, ich hab mir diese Gefühle ja nicht eingepflanzt!“ „Ich weiß schon, finde es ja auch nach wie vor seltsam. Ich mein‘s ja nicht böse, ich möchte doch nur nicht, dass alles noch anstrengender wird für dich.“ „Weiß schon.“
Kilian und Arvid unterhielten sich und feuerten sich gegenseitig für die kommende Nacht an, tranken und lachten zusammen und nur wir merkten, dass diese kleine Unausgeglichenheit wegen des Reitens nach wie vor vorhanden war. Dass Kilian ausgewählt war und Arvid nicht, belastete die Freundschaft ein kleines bisschen. Etwas Neid auf Arvids Seite, etwas Selbstgefälligkeit auf Kilians Seite, doch im Moment war das nicht wichtig.
Ich entdeckte Wunna, bevor Kilian sie sah und eine so plötzliche Welle übelster Empfindungen überrollte mich, dass ich im ersten Moment nur dorthin starrte und zu nichts fähig war. Eine sehr schwache Stimme meinte zwar, ich müsse Kilian auf sie aufmerksam machen - Ihn lotsen, die richtige Gedanken anstupsen, adäquate Handlungen einleiten, ihren Schutzengel herbeirufen.
Von meinen Emotionen völlig besessen, waren diese Ratschläge jedoch einfach zutiefst utopisch. Ich konnte Kilian einfach nicht zu ihr führen. Konnte nicht und wollte nicht! Mir war klar, dass ich gegen alles verstieß, was mir beigebracht worden war. War aber gleichzeitig überzeugt, dass das von mir auch nicht verlangt werden könne. Auch relativierte ich meine Unlust, indem ich mir einredete, für einen Krieger wäre es völlig nebensächlich, die Frauen zu erkunden - Ja eigentlich sogar eine gefährliche Ablenkung. Ich glaubte diese Thesen nicht gänzlich, doch sie verharmlosten meine unangemessenen Gefühle soweit, dass ich mich mit diesen im Recht wägte. Ich im Recht, Gott lag falsch. Ich musste zugeben, dass war schon eine doch recht haarsträubende Anmaßung. Egal! Ich war sauer. Ich bekam ja noch nicht einmal eine Erklärung für all das, da war es das Mindeste, mir solche Gedanken zu verzeihen.
Hätten Michael und die oberen vielleicht auch, doch es blieb nicht bei Gedanken.
Einem spontanen Impuls folgend machte ich Kilian auf einen edlen Krieger aufmerksam, welcher ein atemberaubendes Schwert mit sich führte. Viele Menschen drängten sich um ihn und in diese dichte Masse führte ich Kilian nun zielstrebig. Ich sah noch den entsetzten Blick von Wunnas Schutzengel und Arvids Begleiter rief mich verzweifelt zur Umkehr auf, doch ich führte meine Handlung trotzig fort.
Kilian selbst wunderte sich, woher dieses plötzliche Interesse kam und war etwas irritiert, doch bisher konnte er sich ja immer auf seine spontane Intuition verlassen. Zumeist waren oft recht positive Wendungen zustande gekommen, hatte er auf seine innere Stimme gehört. Er war überzeugt, dass es schon irgendeinen verdeckten Sinn hätte, auch dieses Mal darauf zu vertrauen. Ich gebe zu, in diesem Moment streifte mich ein schlechtes Gewissen, wurde mir doch recht deutlich, dass ich sein Vertrauen gerade missbrauchte.