Читать книгу Bist Du bereit? - Anna Betula - Страница 6
II.
Оглавление„Ja hört sie denn sein Schreien nicht? Er hat doch Hunger, das sollte sie wissen, nach den anderen Kindern. „Sch, schhh, ist doch gut Kleiner, alles ist gut, so ist das auf der Welt. Ich weiß, dass das vorerst erschreckend ist, aber ich sehe an deiner Aura, dass du schon oft da warst. Du wirst dich bald wieder daran gewöhnt haben. Wo bleibt sie nur?“
Die Situation machte mich nervös und dass sie mich nervös machte, bereitete mir noch weit mehr Sorgen. Was sollte das? Das war nun wirklich keine außergewöhnliche Begebenheit. Alle Babys schrien, wenn sie Hunger hatten. Dieses wurde zudem in eine Umgebung geboren, in welcher es ihm gut gehen würde. Die Mutter war sehr fürsorglich und seine größeren Geschwister würden sich mit um ihn kümmern. Ich hatte unzählige Babys und Kinder begleitet, welche unter ganz schrecklichen Bedingungen aufwachsen mussten, doch in meinem Amt als Schutzengel wusste ich um die Ewigkeit und um die Relativität der Zeit. Ich wusste um die unsterbliche Seele und darum, dass diese Umstände nur unterstützen sollten auf dem Weg zum göttlichen Universum.
Zudem wurde uns beigebracht, die uns beeinflussenden Emotionen mit unendlichen Übungen unter Kontrolle zu halten.
Die Vorstellung, dass Engel recht kühle Wesen wären, gefällt den wenigsten Menschen und natürlich ist das so auch nicht ganz richtig. Doch es stimmt schon, dass wir keine überbordenden Leidenschaften irgendwelcher Art besitzen, nicht besitzen dürfen. Wir haben die absolute Verpflichtung, den Menschen immer auf dem Pfad seines eigenen göttlichen Plans zu führen, zu halten und unter Umständen zurück zu begleiten. Natürlich geschieht das im Endeffekt mit Liebe, doch mit göttlicher und nicht mit menschlicher Liebe und diese Liebe verliert den größeren Auftrag nicht aus den Augen, egal wie sehr der Mensch leidet.
Um dies aber umsetzen zu können, ist es notwendig eine gewisse Distanz zu wahren. Es wäre ansonsten nicht möglich unseren Job dauerhaft gut zu machen. Ich hatte diese Distanz immer wahren können. Sogar zu Beginn meiner Laufbahn hatte ich keine allzu großen Probleme damit.
„Ich muss mich am Riemen reißen! Ah Gott sei Dank, da kommt ja seine Mutter. Sie wird ihn gleich stillen und er wird beruhigt sein. Zum Glück herrscht Frieden in dieser Gegend zum momentanen Zeitpunkt. Die Männer sind im Dorf und beschützen die Wälder. Es gibt genügend zu essen und die Feuer können ohne Bedenken die ganze Nacht brennen. Optimale Voraussetzungen also für meinen neuen Schützling.“
Was sollten diese Gedanken? Und emotionalen Gefühle? Und überhaupt…
Es brauchte eine Weile bis es mir dämmerte. Dann stelle ich mit Erschrecken fest - Ich fühlte wie ein Mensch! Ja, das war es! Das durfte nicht sein, da war etwas schief gelaufen. Ich konnte unmöglich dieses Leben in diesem Zustand begleiten. Es war ein Ding der Unmöglichkeit!
„Michael! Michael? Michael hilf mir mal kurz! Da stimmt was nicht!“
Er antwortete nicht, das kommt schon vor, nicht oft, aber hin und wieder. Meistens dann, wenn wir rufen, obwohl es nicht notwendig wäre. Doch jetzt war es nötig, bitter nötig sogar.
Kurz streifte mich der Gedanke, ob das wohl schon die Prüfung sein sollte. Doch das wäre absurd, beschloss ich direkt im Anschluss.
Zum einen, weil es unfair wäre, schließlich wusste ich, dass ich meine Emotionen schon lange im Griff hatte - Das hatte ich den Oberen auch schon unzählige Male bewiesen.
Dass es dieses Mal nicht funktionierte, musste ein Fehler sein. Nur die obersten Engel konnten unser Gefühlsleben durcheinanderbringen und das taten sie nur in absoluten Ausnahmefällen und eigentlich auch nur bei den Ursprünglichen.
Dadurch, das diese nie Menschen waren, konnten sie manchmal emotionale Reaktionen ihrer Schützlinge absolut nicht nachvollziehen. So wie wir Quereinsteiger lernen mussten unsere Emotionen unter Kontrolle zu halten, so mussten diese, wenn sie dazu neigten die Menschen wegen ihren Gefühlsregungen zu bewerten, manchmal mit diesem Mittel eines Besseren belehrt werden. Das war eine recht harte Rüge und die meisten empfanden es als eine sehr bittere Konsequenz.
Jemand der die gesamte Ewigkeit noch keine Emotion verspürt hatte, empfindet es fast als Folter, wenn er kurzzeitig einem Gefühl wie etwa der Trauer ausgesetzt wird. Aus diesem Grund kommt es so gut wie nie vor, dass die hohen Engel dieses Mittel anwenden. So oder so ist es aber niemals eine Prüfung.
Somit war ich mir sicher, dass es sich hierbei um ein Versehen handelte. Eine Stimme in mir jedoch gab zu bedenken: „Auch Fehler geschehen selten, äußerst selten. Äußerst, äußerst selten. Hm.“
Aber es musste sich hier trotzdem um einen handeln!
„Michael!!!“
Ich bekam keine Antwort. Nicht zu diesem Zeitpunkt und auch nicht die nächsten Jahre. Zeit wird von uns anders empfunden, doch anhand Kilians Alter konnte ich wissen wie lange ich nun schon in dieser Lage festsaß.
Er hatte gerade seinen zweiten Geburtstag hinter sich, war ein gesunder, aufgeweckter kleiner Kerl und bisher von größeren Einschnitten in seinem Leben verschont geblieben. Sogar seine komplette Familie war noch am Leben, was zu jener Zeit nicht selbstverständlich war. Kein Krieg hatte die schöne Heimat meines Schützlings erreicht und auch Mutter Natur war diesem Volk sehr freundlich gestimmt gewesen.
Wunderbare Voraussetzungen also für ihn und somit eigentlich ebenso für mich. Doch ich war am Ende meiner Kräfte.
Emotional mitfühlen und den Job zufriedenstellend ausführen war eigentlich ein Paradoxon. Eigentlich waren wir dazu da, unsere Schützlinge auf dem Weg ihres persönlichen Plans zu halten, Trost zu spenden in schwierigen Zeiten, vorzeitigen Tod zu verhindern und immer wieder zu versuchen, den Menschen den Zugang zu ihrer eigenen Seele zu vermitteln. Wenn sie dazu in der Lage wären, hätten wir kaum mehr was zu tun, denn an und für sich weiß die Seele jedes einzelnen mehr als wir, auch unsere Seele.
Auch wir Schutzengel sind noch nicht im völligen Eins - So wissen wir zwar mehr als der normale Mensch und natürlich sind für uns manche Geheimnisse entschlüsselt – Doch auch für uns ist die Reise noch lange nicht zu Ende.
Hätte also ein Mensch den Zustand erreicht, der gemeinhin als erleuchtet gilt, könnten wir uns etwas zurücklehnen. An und für sich erstreckt sich unsere Aufgabe dann auf das Verhindern des vorzeitigen Todes und ein wenig darauf, dass unser Schützling den Zugang nicht wieder verliert. Keineswegs ist es nämlich so, dass selbstverständlich wäre, dass diese Menschen diesen Zustand durchgehend halten können. Solange sie sich auf der Erde bewegen, werden die Erdhaftung und die materiellen Geister versuchen, den Menschen ans Niedere zu binden.
So ist es sogar für diese reifen Personen immer wieder ein Kampf, sich diese Geisteshaltung zu bewahren. Je öfter sie jedoch unzählige kleine Schlachten gegen das Ego gewinnen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie dauerhaft zurückgeschleudert werden.
Ein Mensch also, der diesen Zustand verinnerlicht hat, geht automatisch den Weg seines göttlichen Plans, findet den Trost in seiner eigenen Seele und erfühlt im Normalfall sogar oft, wenn ungeplante Gefahr droht.
Eigentlich könnten wir dann gehen, doch wie gesagt, wir müssen weiterhin darauf achten, dass der Pfad nicht verlassen wird und wir sind mit einer Eigenschaft ausgerüstet, welche auch ein Mensch im erleuchteten Zustand nicht hat - Wir können blitzschnell in die Realität eingreifen, wenn Gefahr droht.
Hier saß ich also nun fix und fertig und bekam keine Antwort. Jedes Mal wenn der Kleine weinte, schmerzte meine Seele. Wenn er Hunger hatte und seine Mutter oder die Geschwister zu spät reagierten, wurde ich sauer. War er alleine etwas außerhalb der Hütte unterwegs, bekam ich Angst, ich könne etwa eine unerwartete Gefahr nicht rechtzeitig erkennen.
Wenn schmerzhafte Erfahrungen anstanden, welche aber seine Entwicklung unterstützen sollten, musste ich mich mit aller Gewalt am Riemen reißen, diese nicht zu verhindern.
So musste Kilian mit ansehen, wie sein Großvater sich beim Holzhacken so stark verletzte, dass er vor seinen Augen verblutete. Mein Kleiner war dann über Stunden verwirrt und mit dem Leichnam alleine, bis andere Dorfbewohner ihn dort fanden.
Ich war außer mir, es zerriss mir das Herz. Ich begann anzuzweifeln, ob das mit dem göttlichen Plan wirklich so umgesetzt werden müsse und war sauer mit den Oberen, solche grausamen Situationen zuzulassen. Ich war mir sicher, dass der Mensch auch ganz sanft lernen könnte. So etwas als Engel zu denken war gefährlich, aber ich konnte es nicht verhindern.
Ich sendete all meine Liebe in meinen Schützling und redete beruhigend auf ihn ein und hätte ich Tränen gehabt, ich hätte lauthals mit ihm mit geweint. Kinder nehmen uns meist noch weit besser wahr, doch ich hätte Kilian in jener Situation, wie in vielen anderen, auch gerne physisch in den Arm genommen.
Ich liebte dieses Kind.
Wir besitzen zwar immer die göttliche Liebe für unsere Schützlinge, doch das hier war menschliche und göttliche Liebe zugleich.
Es konnte so nicht weitergehen. Doch wenn nicht so, wie dann?
Nachdem mir Michael und auch die anderen höheren Engel nicht antworten wollten, war ich recht hilflos. Natürlich konnte ich mich mit anderen Schutzengeln unterhalten, doch ich bezweifelte, dass diese Rat hätten.
Ich suchte nach Hinweisen in meinen längst verschütteten, menschlichen Erinnerungen. Doch was sollte mir das bringen? Ich wusste ja, dass das, womit ich es zu tun hatte, Emotionen waren. Natürlich hatte ich diese als Mensch gehabt. Und selbstverständlich konnte ich mal besser, mal schlechter mit diesen Gefühlsregungen leben.
Doch damals waren es wenigstens nur meine Gefühle, ich hatte nicht noch zusätzlich eine Dauerverbindung zu jemand anderem. Wobei – Waren da nicht vage schemenhafte Ahnungen? Irgendetwas war angeklungen, als ich diesen Satz dachte. Das war seltsam, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht an dieses Leben oder die Gegebenheiten erinnern. Selbst wenn ich es könnte, würde das ja nicht mein Problem lösen. Nicht direkt zumindest.
Ein wenig halfen die Gedanken an meine Menschenzeit trotzdem, denn zumindest wusste ich, dass es möglich sein konnte, diese Empfindungen einigermaßen in geregelte Bahnen zu lenken. Zumindest musste ich das wohl geschafft haben, bevor ich den Kreislauf der Reinkarnationen durchbrochen hatte.
Wenn ich es schon einmal überwunden hatte, dann würde mir das auch ein zweites Mal gelingen.
So versuchte ich, wann immer meine menschlichen Gefühle mich zu überrumpeln drohten, meinen Geist auf das Göttliche zu richten. Das hatte damals geholfen und es half mir auch jetzt. Es gab mir schlicht immer wieder die Sicherheit, dass alles was passierte, schon seine Richtigkeit haben musste, egal was es in Kilian oder mir auslöste. Schwer war es dennoch, denn diese lästigen Empfindungen waren schließlich nach wie vor vorhanden.
Meine andere Strategie war, diese anstrengende Bindung positiv zu sehen und ich beschloss, mich diesem für mich so besonderen Schützling eben auch entsprechend zu widmen.
Wenn wir annahmen, und im Prinzip war das für mich weniger eine Annahme als ein Faktum, dass nichts zufällig geschah, musste es für diese Konstellation einen Grund geben. Es war bestimmt von Vorteil, aufzuhören gegen etwas anzukämpfen, wenn man keine Chance hatte, zu gewinnen. Besser war es, die Gegebenheiten zu akzeptieren und das Positivste herauszuholen. Solange ich meinen Auftrag nicht vernachlässigte, sollte das wohl in Ordnung sein und da mir ja nach wie vor niemand antwortete, blieb mir ohnehin nichts anderes übrig.
Auch schien seitens des Kleinen ein Unterschied zu früheren Schützlingen vorhanden zu sein. Er war noch ein Kind und aus diesem Grund ohnehin sensibler für unsere Energien. Doch Kilian reagierte manchmal regelrecht, als würde er mich physisch wahrnehmen.
Manchmal unterhielt er sich in seiner kindlichen Sprache lange mit mir und ignorierte dafür sogar menschliche Spielgefährten. Oft sah er mir direkt in die Augen und lächelte mich an. Solcherlei Dinge kommen bei Kindern vor, doch bei ihm verhielt es sich ungewöhnlich auffällig.
Vielleicht war diese Verbundenheit nicht nur einseitig wahrnehmbar - Oder aber ich projizierte meine eigenen Empfindungen, überlegte ich wiederholt.
Ich wusste es nicht, das galt es wohl abzuwarten. Normalerweise verlieren Kinder spätestens mit zwölf bis vierzehn Jahren den direkten Zugang in unsere Welt. Meist schon mit etwa zehn.
So arrangierte ich mich mit der Angelegenheit und konnte mit einigem Energieaufwand auch eine einigermaßen passable emotionale Distanz erreichen. Zumindest insoweit, als dass ich nicht bei jedem drohenden Bienenstich in die Realitäten eingreifen wollte.