Читать книгу Braune Augen - Anna-Irene Spindler - Страница 4

Die Arbeit

Оглавление

Die Novembersonne schien bleich durch die Fenster ihres Wohnzimmers. Teresa sah kurz hoch. Vor über einer Woche war es der Sonne zum letzten Mal gelungen die dichte Nebelsuppe zu durchdringen. Der Blick auf die Uhr bestätigte ihr jedoch, dass ihr keine Zeit blieb hinaus zu gehen und ein paar Bälle zu schlagen. Mit einem Seufzer setzte sie sich wieder an ihren Esstisch. Schön brav faltete sie weiter Briefe und steckte sie in Kuverts. Das Mitgliederanschreiben musste unbedingt heute noch zur Post. Die kleine Postfiliale hatte aber nur bis sechzehn Uhr geöffnet. Der Infobrief war am Morgen fertig geworden. Eigentlich hatte sie gehofft das Ganze bis zum Mittag abschließen zu können. Aber der blöde Drucker machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Die Laserkartusche war leer und sie konnte in dem kleinen Büro keinen Ersatz finden.

Endlich, der vierhundertsiebenunddreißigste Brief verschwand im Kuvert. Den Infobrief-Stempel hatte sie schon heute Vormittag von der Post mitgebracht. Tack – bom – tack – bom – tack – bom! Ihre Stempeltechnik hatte sie in den vergangenen vier Jahren nahezu perfektioniert. Unwillkürlich musste sie an Charlie Chaplins Film ‚Moderne Zeiten‘ denken. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich vorstellte, wie es wäre, durch den Ort zu gehen und den Leuten Infobrief-Stempel auf die Stirn zu drücken. Tack – bom! Der letzte Brief bekam seinen Stempel. Jetzt nur noch zählen, das Einlieferungsformular ausfüllen und dann ab zur Post. ‚Golf- und Landclub Berghof e.V.‘ schrieb sie als Absender in das vorgesehene Feld.

‚Ein ziemlich hochtrabender Name‘, schoss es ihr durch den Kopf. ‚Klingt nach einem vornehmen Clubhaus Marke Präsidentenmausoleum und einer Sekretärin in gelbem Kostüm, mit rot lackierten Fingernägeln.‘

So hatte sie es sich auch vorgestellt, als sie am ersten November ihre neue Stelle als Clubsekretärin antrat. Das Ganze entpuppte sich als sehr ländlicher Landclub, der soweit ab vom Schuss lag, dass sie sich bei ihrem ersten Besuch viermal verfahren hatte, ehe sie endlich das Clubhaus erreichte.

Sie packte ihre Briefe zusammen, es waren tatsächlich vierhundertsiebenunddreißig, und stapelte sie in einer Box. Sie stopfte den Geldbeutel in die Tasche.

Wo war nur wieder dieser blöde Autoschlüssel? Immer wenn sie es besonders eilig hatte war er weg. Sie überlegte angestrengt. Die Schuhe! Richtig, sie hatte ihn als sie nach Hause gekommen war gleich in ihre Schuhe gesteckt, damit sie später nicht nach ihm zu suchen bräuchte.

„Du bist aber auch ein kluges Kerlchen”, lachte sie ihrem Spiegelbild in der Diele zu.

Der Postbeamte erkannte sie gleich wieder. Vermutlich kamen nicht allzu viele fremde Kunden zu ihm herein.

„Na, da waren Sie aber ordentlich fleißig!”

„Zum Glück hat der Golfclub hier nicht so viele Mitglieder. In meinem alten Club, waren es über achthundertfünfzig. Da habe ich zum Drucken, Falten und Kuvertieren einen ganzen Tag gebraucht.”

„Wo waren sie denn, ehe Sie zu uns hierher gekommen sind?” Neugierig schaute er sie durch seine Glasscheibe hindurch an.

„Es war ein Großstadtclub im Kohlenpott. Lange nicht so nett und gemütlich wie hier.”

Es konnte ja nichts schaden, wenn sie ein bißchen nett zu dem Mann war. In Zukunft würde sie noch oft mit ihm zu tun haben.

‚Na, hoffentlich ist er nicht von der ganz langsamen Truppe‘, dachte sie. Aber das Lächeln hatte offensichtlich doch etwas genützt. Schneller als erwartet war sie schon wieder auf dem Nachhauseweg. In den drei Wochen, seit sie hier wohnte, hatte sie ziemlich schnell den kürzesten Weg von Rietingen zum Golfplatz ausfindig gemacht. Eine schmale Straße führte am neu gebauten Clubhaus vorbei. Auf ihr gelangte man entlang der zweiten Spielbahn zum alten Gutsgebäude. Durch ein schmiedeeisernes Tor, das allerdings recht armselig und rostig in den Angeln hing, fuhr man in einen fast quadratischen Innenhof hinein.

Stilepochen waren zwar nicht unbedingt ihr Spezialgebiet, aber sie schätzte das Alter des Anwesens auf gut und gern dreihundert Jahre. Gegenüber der Einfahrt befand sich das Haupthaus. Es war zwei Stockwerke hoch. Die unzähligen Fenster riefen immer ein Gefühl der Hochachtung in ihr hervor, wenn sie an die Leute dachte, die für das Putzen der Fenster zuständig gewesen waren. Auf der linken Seite waren früher sicherlich die Stallungen gewesen. Jetzt war hier das Reich von Alex und seinem Greenkeeper-Team. Sämtliche Fahrzeuge und Maschinen des Golfclubs waren hier untergebracht. Die Platzarbeiter hatten hier ihren Aufenthaltsraum und Alex hatte sich ein kleines Büro eingerichtet. Er war neben ihr der einzige feste Angestellte des Clubs. Die vier anderen Arbeiter hatten sich mittlerweile für die Wintermonate arbeitslos gemeldet. Die meisten kleineren Clubs handhabten dies aus Gründen der Kostenersparnis so. Als sie in den Hof fuhr, war Alex gerade dabei, den Grünmäher zu putzen und für den Winter ‚einzumotten‘.

„Hallo schöne Frau! Wo kommst du denn her?” Alex‘ obligatorische Begrüßung hallte über den Hof.

„Ich habe den Weihnachts-Infobrief an die Mitglieder los geschickt.”

„Sei nicht so fleißig. Du weißt doch, je mehr man macht und je schneller man ist, desto mehr wollen sie von einem.”

Sie grinste ihn spöttisch an. „Tja, dafür bin ich für heute schon fertig und du noch nicht. Ätsch!”

„Wie viele Stunden arbeitest du denn jetzt?”

„Na ja, bis zum ersten März fünfzehn Stunden in der Woche. Danach je nach Bedarf. Du weißt doch wie es ist. Während der Turniersaison fang ich an Turniertagen um halb sieben an und bin abends um zehn fertig. Ich müßte mich schwer täuschen, wenn es in dem Club hier anders wäre.”

„Es ist nicht anders. Es ist schlimmer”, kam prompt Alex‘ Kommentar zurück.

Sie blickte über seine Schulter in die große Scheune, deren Tor weit offen stand.

„Glaubst du da drin ist noch Platz für mein Auto? Ich habe keine Lust im Winter immer gefrorene Scheiben zu kratzen.”

„Klar. Da auf der rechten Seite kannst du deinen Stadthopser bequem hinstellen. Ich denke dort schaffst sogar du das ein- und ausparken.”

Sie streckte ihm die Zunge heraus und musterte die angegebene Stelle eingehend.

„Willst du tatsächlich den ganzen Winter hier alleine wohnen?” Fragend sah Alex sie an.

„Natürlich. Mir gefällt es hier ausnehmend gut. Außerdem kann ich mir keinen Zweit- oder Drittwohnsitz leisten.”

„Wenn du meinst. Aber es ist verdammt einsam hier draußen.”

„Weißt du, mein ganzes bisheriges Leben habe ich in der Stadt verbracht. Lärm, Gestank, Sirenen, Gehupe, Betrunkene die grölend unter dem Fenster diskutieren. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich das hier genieße.”

Alex musterte sie skeptisch. „Mal sehen, ob du in zwei Monaten auch noch so begeistert von dieser ländlichen Idylle bist.”

„Hör auf zu unken. Es ist wunderschön hier.”

Mit einem liebevollen Blick musterte sie das gegenüberliegende Gebäude. Früher war es vermutlich der Wohntrakt für die Bediensteten, das Küchenhaus oder etwas Ähnliches gewesen. Im Parterre waren einige Räume renoviert und eingerichtet worden. Diese kleine Wohnung bewohnte jetzt sie.

„Weißt du eigentlich was sich in dem Hauptgebäude befindet?”

Ihr Blick streifte das Haus mit den vielen Fenstern. Alex sah kurz von seiner Arbeit hoch.

„Die Räume sind noch fast alle möbliert. Aber alles ist ziemlich heruntergekommen. Nichts Besonderes. Es wohnt wohl schon lange keiner mehr darin.”

„Woher weißt du das?”

„Ich habe sie mir angeschaut. Alle Schlüssel für das Haus sind in meinem Büro. Ich habe den Auftrag mich ab und zu im Haus umzusehen und eventuell bei Bedarf kleinere Reparaturen durchzuführen.”

„Wem gehört das hier eigentlich? Dem Golfclub?”

„Unsinn. Der Club hat das Gelände gepachtet und die Scheune hier angemietet. Der Grund und alle Gebäude sind in Privatbesitz. Wem sie eigentlich gehören weiß ich auch nicht. Es wird alles über eine Anwaltskanzlei abgewickelt.”

„Ja richtig! Meine Miete überweise ich auf das Konto eines Anwalts. Ich habe Glück, dass sie nicht allzu hoch ist. So kann ich sie auch momentan bezahlen, obwohl ich nicht die volle Stundenzahl arbeite.” Bedauernd schaute sie zum Himmel. „Schade, dass der Nebel schon wieder aufzieht. Da wird es heute nichts mehr mit spielen. Kommst du morgen?”

„Ja. Ich habe schon noch für ein paar Tage Arbeit.”

„Vielleicht können wir morgen ein, zwei Bahnen miteinander spielen. Was meinst du? Hast du wohl ein bißchen Zeit?”

Er überlegte kurz. „Ich denke doch. Wo kann ich dich finden? Im Büro?”

„Ja, ich schaue morgens die Post durch. Komm einfach vorbei wenn du fertig bist.”

„Also bis morgen!” Alex wendete sich wieder seiner Arbeit zu.

Sie holte die leere Box aus dem Auto und ging quer über den Hof zu ihrer Wohnung. Sie hängte ihre Jacke an den Garderobenhaken und stellte die Schuhe in den Schrank. Gut, dass ihr Schuhschrank so schmal war, sonst hätte sie ihn nicht verwenden können. Die Diele war im Vergleich zu ihrer letzten Wohnung nur winzig. Aber der Rest der Wohnung war wirklich in Ordnung. Eine kleine Küche mit einer Durchreiche zum Eßzimmer. Na ja, Eßzimmer klang vielleicht ein bißchen hochtrabend. Essplatz traf das Ganze sicher besser. Es musste aber auch keine fünfköpfige Familie hier verköstigt werden. Ein kleines Geländer trennte diesen Bereich vom Wohnzimmer ab, zu dem eine Stufe hinunter führte. Von ihrem Wohnzimmer war sie jedesmal wieder aufs Neue begeistert. Ihre Sitzgruppe aus hellem Kiefernholz passte toll zu dem alten Holzfußboden. Die zwei großen hohen Fenster und die Glastür gaben den Blick frei gegen Westen auf die vierte und fünfte Spielbahn des Golfplatzes. Dahinter sah man die jetzt kahlen Bäume des Waldes, der das Gelände des Golfplatzes fast vollständig umgab. Sie stellte sich vor wie wunderschön es im Frühling hier sein würde, wenn die Buchen, Eichen und Birken die neuen Blätter bekämen. Augenblicklich war der Frühling aber weit weg. Der Nebel zog schon wieder vom Wald quer über den Golfplatz zum Haus herüber. Dankbar betrachtete sie den großen Kaminofen, der an der Wand des Wohnzimmers stand. Seit sie hier wohnte hatte sie jeden Abend Feuer gemacht. Auch als es draußen noch gar nicht so kalt war. Der Ofen war einfach das Beste an der ganzen Wohnung. Für sie gab es nichts Schöneres als auf dem Sofa zu sitzen und in die Flammen zu sehen. Es war besser als Fernsehen. Anfänglich hatte sie sich beim Feuer machen ziemlich dumm angestellt.

‚Gut dass mich keiner sehen kann‘, dachte sie die ersten Male, als das Feuer erst nach dem dritten oder vierten Anlauf brennen wollte. Aber mittlerweile war sie ein richtiger Profi. Innerhalb kürzester Zeit flackerte ein lustiges Feuer im Ofen. Neben Alex‘ Maschinenhalle auf der anderen Seite des Hofes hatte sie einen Verschlag gefunden, der bis oben hin voll war mit fein säuberlich gehackten Holzscheiten. Da außer ihr keiner hier wohnte, war sie stillschweigend davon ausgegangen, dass das Holz für ihren Ofen gedacht war und hatte sich fleißig bedient. Draußen war es inzwischen stockfinster geworden. Sie schob ihren Sessel vor den Ofen und kuschelte sich mit ein paar Kissen und einer Tasse Tee gemütlich zurecht. Durch die Glasscheibe des Kaminofens beobachtete sie fasziniert die Flammen, die in unterschiedlichen Farben und Bewegungen das angekohlte Holz umzüngelten. Plötzlich fiel ihr Alex ein. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Es würde lange dauern, bis es ihr hier zu einsam und langweilig werden würde, da war sie sich ziemlich sicher.

‚04:23‘. Die leuchtenden Ziffern ihres Funkweckers vermittelten ihr das beruhigende Gefühl, dass sie sich mit dem Aufstehen noch lange Zeit lassen konnte. Sie schloß die Augen wieder und kuschelte sich fest in ihre warme Zudecke. Im Halbschlaf überlegte sie noch, warum sie eigentlich mitten in der Nacht wach geworden war. Normalerweise schlief sie wie ein Murmeltier. War irgend etwas anders als sonst? Sie sah das Gesicht auf dem Bild an der Wand neben ihrem Bett. Das grüne Licht der Digitalziffern ihres Weckers verliehen den braunen Augen ein ganz eigentümliches Leuchten. Sie funkelten und strahlten und wirkten echt und lebendig. Es kam ihr vor, als schauten sie mit einem leichten Lächeln auf sie herunter.

Braune Augen

Подняться наверх