Читать книгу Braune Augen - Anna-Irene Spindler - Страница 8
Die Vergangenheit
ОглавлениеDie ganze Woche über blieb das Wetter so unfreundlich. Es nieselte oder regnete fast pausenlos. Graue Wolken hingen düster und drohend am Himmel. Sogar am Mittag benötigte man noch Beleuchtung in den Zimmern. Ihre Arbeit im Büro war in der Regel in zwei Stunden erledigt, so dass sie schon um elf Uhr Feierabend machen konnte. Alex kam nur noch morgens kurz vorbei, um zu prüfen ob der Platz und die Übungsanlage noch bespielbar waren. Ansonsten gab es für ihn nichts mehr zu tun, da er die Maschinen schon alle winterfest gemacht hatte. Zugegebener Maßen nicht ganz uneigennützig bot ihm Teresa an, immer wieder einmal im Schloß nach dem Rechten zu sehen, so dass er deswegen nicht extra herfahren musste. Antonio bekam sie nicht zu Gesicht. Zweimal wanderte sie durch das ganze Haus ohne ihn zu treffen. Sie kam sich ziemlich albern vor. Schließlich war sie schon fast soweit zu glauben, sie hätte sich alles nur eingebildet. Am Freitag war sie schließlich so niedergeschlagen, dass sie beschloss am Wochenende ihre Schwester zu besuchen. Sie hatte zwar überhaupt keine Lust, bei dem miesen Wetter so weit zu fahren. Aber Alles war besser, als allein herum zu sitzen und Trübsal zu blasen. Vielleicht hatte Alex ja doch recht gehabt, als er ihr prophezeit hatte, sie würde es nicht lange hier aushalten. Am Telefon erzählte ihre Schwester, dass sie am Freitag Abend zu einer Elternbesprechung in den Kindergarten musste und Teresa hatte kein Interesse mit ihrem extrem redseligen Schwager den Abend zu verbringen. Also einigten sie sich darauf, dass Teresa, falls überhaupt, erst am Samstag Morgen losfahren würde. Wenigstens schien das Fernsehprogramm halbwegs akzeptabel zu sein. Sie hatte Tee gekocht und wollte sich gerade mit ein paar Lebkuchen auf dem Sofa niederlassen, als das Telefon klingelte. Es war Alex.
„Bist du so lieb und hängst morgen früh das Schild mit der Platzsperrung hinaus. Es soll laut Wetterbericht die ganze Nacht weiter regnen, da müssen wir den Platz unbedingt zu machen. Es wäre toll, wenn du das übernehmen könntest, dann muss ich morgen nicht extra hinaus kommen.“
Alex konnte betteln wie ein kleiner Junge. Sie überlegte kurz und meinte:
„Ich kann das doch auch heute noch machen. Wahrscheinlich fahre ich morgen früh weg, da vergesse ich es vielleicht.“
„Kein Problem. Du bist doch meine Beste. Ich danke dir. Tschüs! Einen schönen Abend noch!“, klang Alex‘ Stimme durch den Hörer.
„Ade, Alex!“ Teresa legte auf und stellte ihre Teekanne seufzend unter die Wärmehaube. Sie schnappte sich ihre Jacke und ging zur Scheune hinüber. Nach einer kurzen Suche fand sie die Platzsperre-Tafel. Fast war sie versucht sich ins Auto zu setzen. Aber ihr Umweltbewusstsein siegte und sie entschied sich zu Fuß zu gehen. Es war zwar finster, aber inzwischen kannte sie den Weg schon beinahe im Schlaf. Der Sturm zerrte wie verrückt an ihrem Schirm. Krampfhaft hielt sie ihn fest. Es war ein scheußliches Wetter. Obwohl sie nur zehn Minuten bis zum Abschlag der ersten Spielbahn brauchte, war sie trotz des Regenschirmes völlig durchnässt. Mit klammen Fingern tauschte sie die Schilder aus und machte sich dann gleich wieder auf den Heimweg.
„Eine blöde Idee, zu Fuß zu gehen“, schimpfte sie vor sich hin.
„Zu meiner Zeit galt es als höchst unschicklich im Finstern allein herum zu spazieren.“
Sie stieß einen spitzen Schrei aus und ließ das Schild fallen. Entschlossen hielt sie ihren Schirm fest und drehte sich blitzschnell um. Diesem Wüstling, der ihr hier nachts auflauerte, würde sie mit dem Regenschirm eins überziehen, dass ihm Hören und Sehen verginge. Sie wollte gerade zuschlagen, da erkannte sie Antonio, der im strömenden Regen schräg hinter ihr stand.
„Mein Gott, hast du mich erschreckt! Um ein Haar hätte ich dich erschlagen.“ Erleichterung schwang in ihrer Stimme mit.
„Ich schätze, da bist du gut zweihundert Jahre zu spät dran. Die Arbeit hat dir schon Friedrich von Bernwald abgenommen“, lachte er. „Trotzdem hast du dir kein schönes Wetter für einen abendlichen Spaziergang ausgesucht. Komm, lass uns gehen, ehe wir wegschwimmen.“
„Gute Idee! Stell dich unter!“
Sie hielt den Schirm über ihn und gemeinsam marschierten sie zurück.
„Ich habe Tee gemacht. Wenn du Lust hast, kannst du eine Tasse mit trinken“, bot sie Antonio an, während sie die Türe aufsperrte.
„Gerne.“ Er folgte ihr in die Diele. Sie sahen aus wie zwei gebadete Mäuse. Als sie die Pfütze bemerkten, die sich in kürzester Zeit unter ihren Schuhen gebildet hatte, mussten beide lachen.
„Es hätte tatsächlich nicht viel gefehlt und wir wären weggeschwommen“, sagte Teresa und wischte sich die Lachtränen von den Wangen.
Sie ließen die nassen Schuhe im Windfang stehen und gingen hinein. Teresa musterte Antonio.
„Ich schau einmal ob ich etwas Trockenes für dich zum Anziehen habe. Du bist ja auch tropfnass.“
„Oh, dass ist nicht nötig, meine Sachen trocknen schnell. Wenn es dir recht ist, mache ich inzwischen Feuer.“
Teresa ging in das Schlafzimmer und zog sich um. Jetzt fühlte sie sich schon gleich behaglicher. Noch während sie sich die Haare trocken rubbelte, ging sie in das Wohnzimmer zurück, um Antonio auch ein Handtuch zu bringen. Er stand vor dem Kaminofen, in dem bereits ein lustiges Feuer flackerte.
„Hier, für dich“, sagte sie und hielt ihm das Handtuch hin. Er drehte sich um. Da sah sie, dass seine Kleidung und auch seine Haare vollkommen trocken waren. So als hätte er keinen einzigen Tropfen Regen abbekommen.
„Danke, aber ich benötige das nicht mehr.“ Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht.
„Es ist so schwierig für mich, nicht zu vergessen, dass du kein normaler Mensch bist. Du siehst einfach nicht aus wie ein Geist. Und du benimmst dich auch nicht so!” Nachdenklich und fast ein wenig vorwurfsvoll sah sie ihn an.
„Wie muss sich denn ein Geist deiner Meinung nach benehmen?“
„Ich...ich...weiß auch nicht so genau. Auf jeden Fall sieht ein Geist nicht so aus wie du. Geister sind alt und runzlig. Manchmal sieht man sogar schon ihre Knochen. Sie haben zerlumpte Kleider, sind fast durchsichtig oder doch zumindest ganz weiß. Und sie erscheinen nur nach Mitternacht und laufen nicht am helllichten Tag auf Golfplätzen herum. Außerdem ist es ihr Job Menschen zu erschrecken und nicht mit ihnen Wein zu trinken oder sie im Regen nach Hause zu begleiten.“ Sie war sehr zufrieden mit ihrer Argumentation. Erwartungsvoll sah sie ihn an, was er wohl erwidern würde.
„Woher weißt du das? Kennst du noch andere Geister?“
„Natürlich nicht! Aber das steht doch in jedem Buch und in Filmen wird es auch so dargestellt.“ Herausfordernd blickte sie ihn an.
„Vielleicht sollte ich ein Buch schreiben oder dorthin fahren, wo Filme gemacht werden.“ Er runzelte die Stirn und nickte ein paar Mal mit dem Kopf. Der Gedanke schien ihm zu gefallen. Dann drehte er sich um und schaute in das Feuer. Für ihn war der Fall erledigt. Teresa trug das Tablett mit der Teekanne, den Tassen und den Lebkuchen in das Wohnzimmer. Während sie einschenkte, fragte sie unvermittelt:
„Wer ist Friedrich von Bernwald?“
Antonio nahm die Tasse in die Hand und sah sie dabei nachdenklich an.
„Wie viel Zeit hast du?“
„Ich habe heute nichts mehr vor.“
Teresa war inzwischen sehr neugierig geworden. Endlich würde sie mehr über ihren ungewöhnlichen Freund erfahren. Sie zog die Beine hoch, kuschelte sich in einer Sofaecke zurecht und schob sich einen Lebkuchen in den Mund. Auffordernd blickte sie Antonio an.
„Friedrich von Bernwald war unser Nachbar. Seine Ländereien befanden sich dort, wo heute Rietingen liegt. Er war unglaublich machthungrig und setzte Alles daran, sich unseren Besitz einzuverleiben. Als mein Vater starb war ich erst vierzehn Jahre alt. Auch meine Mutter war noch jung. Mit vierzehn hatte sie meinen Vater geheiratet und mit neunundzwanzig war sie Witwe geworden. Nicht lange nach dem Tod meines Vaters begann Bernwald meiner Mutter den Hof zu machen. Ich konnte ihn von Anfang an nicht ausstehen. Er war ein aufgeblasener, fauler Schmarotzer. Zum Glück durchschaute ihn meine Mutter ebenfalls und wies seine Anträge immer wieder zurück. Ich denke sie war ebenso standhaft wie Odysseus‘ Penelope, die sich auch jahrelang mit aufdringlichen Freiern herumschlagen musste. Sechs Jahre lang kam er fast täglich zu uns, um meine Mutter zu überzeugen, dass er der Richtige für sie wäre. Mittlerweile hatte ihm sein verschwenderischer Lebensstil viele Schulden eingebracht. Er konnte sich vor Gläubigern nicht mehr retten. Einen Tag nach meinem einundzwanzigsten Geburtstag starb meine Mutter. Sie war beim Reiten vom Regen überrascht worden und kam völlig durchnässt nach Hause. Sie erkältete sich, bekam einen grauenvollen Husten und starb zwei Monate später an einer Lungenentzündung.“
Antonio machte eine Pause. Er stand auf und ging zum Kaminofen. Er drehte ihr den Rücken zu. Teresa konnte sein Gesicht nicht sehen. Aber am Vibrieren seiner Stimme hatte sie erkannt, dass er auch nach so langer Zeit noch tiefe Trauer empfand.
„Meine Mutter hatte sich verzweifelt mit aller Kraft an das Leben geklammert. Sie wollte unbedingt meinen Geburtstag erleben. Unser Notar erzählt ihr, dass Bernwald sich kurz nachdem sie krank geworden war, um meine Vormundschaft bemüht hatte. Er wollte unseren Besitz unbedingt an sich bringen, ehe ich volljährig wurde. Nachdem ihm das nun misslungen war, versuchte er sein Glück bei mir. Der Reihe nach wollte er mich mit seiner Schwester und seinen diversen Cousinen verkuppeln. Da er einsah, dass diese Methode nicht funktionierte, griff er allmählich zu drastischeren Mitteln. Elfmal versuchte er erfolglos mich beiseite zu schaffen. Oh ja, Friedrich von Bernwald war in der Beziehung sehr einfallsreich. Seine Bemühungen reichten von vergifteten Suppen über angesägte Brücken bis zu umstürzenden Bäumen. Woher er das Geld nahm, um seine gedungenen Handlanger zu bezahlen, weiß ich bis heute noch nicht. Sein zwölfter Versuch schließlich war von Erfolg gekrönt, zumindest teilweise. Nachdem er einige Monate lang nichts unternommen hatte, wurde ich etwas nachlässig. Außerdem wandelte ich zu diesem Zeitpunkt gerade auf Freiersfüßen und hatte andere Dinge im Kopf. Es war im August 1769. Es war zwei Uhr nachmittags. Ich verließ das Schloß, um meine Verlobte, Baronesse Viktoria zu besuchen, aber ich kam nicht sehr weit. Friedrich hatte im Wald zwischen zwei Bäumen ein Seil dicht über dem Boden gespannt. Mein Pferd stolperte und stürzte. Ich schlug mit dem Kopf gegen eine Wurzel an und blieb benommen liegen. Bernwald hatte hinter einem Baum gewartet. Er sprang heraus und erschlug mich mit einem Knüppel. Kurz bevor ich starb, konnte ich noch sein freudestrahlendes Gesicht erkennen. Die Todesart war gut gewählt. Es kam niemand auf die Idee, es könnte kein Unfall gewesen sein. Aber er hatte sich zu früh gefreut. Der jetzt vermeintlich herrenlose Besitz war trotzdem nicht für ihn zu haben. Die deutsche Linie der Maybach-Berghof war zwar mit mir ausgestorben, aber meine Mutter hatte noch zwei Brüder, die rechtmäßig Erbansprüche erhoben. So gingen alle Ländereien in den Besitz der Grafen von Gerona über und Friedrich von Bernwald leer aus. Leider habe ich sein Gesicht nicht sehen können, als er es erfuhr. Seine Reaktion war bestimmt bemerkenswert.“
Antonio war während seiner Erzählung vor dem Ofen hin und her spaziert. Jetzt blieb er stehen und sah sie fragend an. „Jetzt kennst du fast meine ganze Lebensgeschichte. Habe ich dich gelangweilt?“
„Oh nein!“, kam Teresas Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Es war richtig aufregend. Du erzählst so anschaulich. Keine Dichter könnte sich eine spannendere Geschichte ausdenken. Es war fast so, als hätte sich die Zeit zurückgedreht und ich wäre selbst dabei gewesen und hätte das alles miterlebt.“
Sie nippte an ihrer Tasse. Der Tee war zwar inzwischen kalt geworden, aber das bemerkte sie gar nicht.
„Was ist aus diesem Bernwald geworden? Er lebte doch nicht etwa glücklich und zufrieden bis zum Ende seiner Tage?“
„Aber nein. Er hatte den Schock über die Sinnlosigkeit seines Mordes wohl noch gar nicht ganz verdaut, da forderte ihn einer seiner Gläubiger zum Duell. Bernwald hatte den Fehler begangen ihn als Lügner zu betiteln. Diesen Fehler bezahlte er dann an einem nebligen Septembertag im Morgengrauen mit dem Leben.“
Teresa starrte einen kurzen Moment vor sich hin und meinte dann mit einem Seufzer: „Ach ich wünschte, ich hätte damals gelebt und nicht in der Gegenwart. Heute denken die Menschen nur noch nüchtern, handeln rational und haben keine Phantasie mehr.“
Antonio lachte und fragte sie: „Wie alt bist du?“
„Vierundzwanzig, warum?“
„Naja, wenn du, sagen wir einmal im Jahr 1742 geboren wärest, hättest du mit vierundzwanzig vielleicht schon acht Kinder und wärst fett und zahnlos. Du hast doch selbst die Bilder meiner Vorfahren in der Galerie hängen sehen. Das heißt, wenn du überhaupt so alt geworden wärest.“
„Aber deine Mutter sah auch nicht so aus. Sie war bildschön und kein bisschen fett.“
„Das stimmt allerdings. Als das Bild gemalt wurde, war sie sechsundzwanzig Jahre alt. Sie achtete sehr auf ihre Figur, aß wenig und machte jeden Tag gymnastische Übungen. Außerdem hatte sie auch keine acht sondern nur ein Kind. Sie wollte zwar immer fünf oder sechs haben, aber mein Vater war dagegen. Er liebte meine Mutter sehr und wollte nicht, dass sie im Kindbett starb. Es gab nur wenige, die so robust waren wie Maria Theresia von Österreich, die sechzehn Geburten überlebte.“ Er lachte wieder und fuhr fort: „Die Zeit heute ist gar nicht so schlecht. Früher wäre es undenkbar gewesen, sich so lange mit einer Frau allein zu unterhalten. Spätestens nach fünf Minuten tauchte deren Anstandsdame auf und achtete darauf, dass man immer mindestens drei Meter Abstand hielt. Und über derartig unschicklich Themen wie Schwangerschaft und Kindbett hätte man sich niemals unterhalten dürfen.“
„Dafür, dass du dich nie mit jungen Damen allein unterhalten durftest, machst du deine Sache aber gar nicht schlecht.“
„Ich hatte ja auch Jahrhunderte Zeit zum Üben. Außerdem habe ich so selten Gelegenheit mich zu unterhalten, da kann ich nicht auf eine Gouvernante warten.“
Sie stand auf und legte Holz im Ofen nach. Da fiel ihr wieder ein was sie ihn noch fragen wollte:
„Wieso bist du heute plötzlich draußen aufgetaucht? Die ganze Woche habe ich dich nicht gesehen und auf einmal bist du da. Woher wusstest du überhaupt wo ich bin?“
Antonio grinste. „Gnädigste, ich weiß Alles und Nichts entgeht mir! Zumindest Nichts was sich auf meinem alten Besitz abspielt. Wenn du mich nicht siehst, muss das ja nicht unbedingt heißen, dass ich nicht da bin. Könnte ich deiner Bemerkung im Übrigen entnehmen, dass du mich gesucht hast?“
Fragend sah er sie an. Sie wurde rot und blickte verlegen zu Boden. Einen Augenblick überlegte sie, was sie auf seine Frage antworten sollte. Dann nahm sie ihren Mut zusammen, hob den Kopf und blickte ihm in die Augen.
„Ja, ich habe dich gesucht. Ich habe dich vermisst. Es ist schön, sich mit dir zu unterhalten.“
Gespannt hielt sie den Atem an. Was würde er antworten? Seine Augen hatten wieder diesen grünen Schimmer und das geheimnisvolle Leuchten, wie damals in ihrem Traum, als er sie mit einem warmen Blick ansah.
„Auch mir bereitet es große Freude mit dir zu sprechen. Ich habe so unendlich lange darauf gewartet. Und”, fügte er fast streng hinzu „es hat mir überhaupt nicht gefallen, dass du heute abend allein draußen herum gelaufen bist.“
„Oh, das macht mir nichts aus. Hier habe ich keine Angst. Räuber und andere böse Buben lauern heutzutage nicht mehr auf einsamen Landstraßen, sondern vor Diskotheken, in der U-Bahn und in Parkhäusern.“
„Möchtest du etwas zu essen?”, wechselte sie das Thema.
„Nein danke. Ich würde mich gerne verabschieden, ich habe deine Zeit glaube ich schon zu lange in Anspruch genommen. Aber wenn du morgen nichts Besseres vor hast, möchte ich dir etwas zeigen.“
Sie standen beide auf. Teresa machte einen Knicks, neigte leicht den Kopf und sagte schelmisch: „Aber gerne. Stets zu Euren Diensten. Gute Nacht, Hoheit.“
Antonio verbeugte sich mit formvollendeter Höflichkeit.
„Gute Nacht, Prinzessin, schlaft wohl.“
Er lächelte sie an. Dann wurden seine Umrisse schwächer und er verschwand. Sie stieß sie Luft aus, ließ sich auf das Sofa plumpsen, schnappte sich das Telefon und sagte den Besuch bei ihrer Schwester ab. Nach diesen verregneten, trübseligen Tagen kam ihr die Aussicht auf dieses Wochenende geradezu paradiesisch vor.
Gleich nach dem Frühstück fuhr sie zum Einkaufen nach Rietingen, damit sie sich den Tag möglichst freihalten konnte. Und sie hatte sich nicht umsonst gefreut. Es wurde ein tolles Wochenende!
Sie traf Antonio im Treppenhaus des Schlosses und er bot ihr eine ausgedehnte Führung an. Er wusste zu allen Kleinigkeiten, die im Schloß zu sehen waren, herrliche Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Einerlei ob es um die Vorhänge ging oder den braunen Jagdhund betraf, der links unten auf einem der Gobelins dargestellt war. Ihm fiel zu Allem etwas ein. Er zeigte ihr die Weinkisten im hintersten Winkel des Kellers und er stieg mit ihr auf den Dachboden. Von dort konnte man über eine extrem steile Treppe zu einer Art kleinem Balkon gelangen, der sich auf dem Dachfirst zwischen den vielen Kaminen befand. Er war mit einem rostigen schmiedeeisernen Geländer umgeben und wurde früher nur von den Bediensteten betreten, die für das Hissen der Familienfahne zuständig waren. Von dort hatte man einen fantastischen Blick über die ganze Umgebung. Antonio zeigte ihr, wie weit sich der Besitz zu seinen Lebzeiten erstreckt hatte und erzählte ihr, wie die Landschaft damals hier aussah. Sie nahm sich fest vor, bei Sonnenschein noch einmal herauf zu kommen und Aufnahmen vom Golfplatz zu machen, der sich wie ein grüner Teppich vor dem Schloß ausbreitete.
„Wollen wir uns auch die Kapelle noch anschauen?“, fragte er sie.
„Wenn es dir nichts ausmacht, verschieben wir das auf ein anderes Mal. Ich bin schon ganz wirr im Kopf vor lauter Historie. Es wäre schade wenn ich etwas nicht mitbekäme.“
Das Abendessen, zu dem sie ihn später einlud, war genauso gelungen wie der gesamte Tag. Er brachte einen vorzüglichen Wein mit und Teresa war sehr stolz auf das Essen. Ihr Filet Wellington war dem edlen Tropfen durchaus angemessen. Auch mit dem Sonntag war sie äußerst zufrieden. Morgens fuhr sie nach Rietingen zur Kirche und stellte danach eine zweite Kerze in die Kapelle des Schlosses. Dort traf sie Antonio und lud ihn zu einem Spaziergang ein. Sie wanderten quer über den Golfplatz und weit in den Wald hinein, den sie bisher immer nur von Ferne gesehen hatte. Er zeigte ihr die Stelle, wo ihm Friedrich von Bernwald aufgelauert hatte und ärgerte sich im Nachhinein noch über seinen Leichtsinn und seine Dummheit. Später fing es sogar noch an zu schneien. Als sie durch den weißen Flockenwirbel zurück wanderten, kam sich Teresa vor wie in einem Märchen.
Es war einmal eine Mädchen, das traf in einem alten Schloß einen verzauberten Prinzen....
Vor dem Haupteingang trennten sie sich und Antonio verabschiedete sich wie immer mit einer Verbeugung von ihr.