Читать книгу Braune Augen - Anna-Irene Spindler - Страница 6

Die Begegnung

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Das stürmische Gebimmel der Türglocke riss Teresa aus dem Schlaf. Mit einem Ruck richtete sie sich auf. Aber das hätte sie wohl besser gelassen. Ihr war ja so schlecht! Sie schaffte es gerade noch bis zum Badezimmer. So blieb ihr die ziemlich unerfreuliche Putzerei des Fußbodens erspart. Die Glocke läutete gnadenlos weiter. Teresa hatte das Gefühl ihr Kopf würde bei diesem infernalischen Lärm jeden Augenblick zerspringen.

„Ist ja gut, ich komme ja schon!“

Irgendwie schaffte sie es bis zur Tür zu gelangen.

„Wunderschönen guten Morgen. Ich wollte nachschauen, was mit dir los ist.“

Alex streckte ihr die Tasche mit den Brezeln entgegen. Ein Blick auf die Tüte genügte. Sie presste die Hand vor ihren Mund und rannte so schnell sie konnte in Richtung Bad. Als sie nach einigen Minuten wieder herauskam, stand Alex im Wohnzimmer. Er musterte sie interessiert.

„Ich würde sagen, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder eine üble Magenverstimmung oder eine feuchtfröhliche Nacht. Wobei ich bei näherer Betrachtung eher letzteres vermute.“

Sein vielsagender Blick verweilte auf der leeren Cognacflasche, die neben dem Sofa auf dem Boden lag.

„Ha, ha! Sehr witzig!“, brummte Teresa.

Alex sah sie mitleidig an und meinte: „Komm mit zu mir in mein Büro, ich habe gerade Kaffee gemacht. Ich lade dich ein. Dann kann ich auch gleich meine Brezeln selber essen. Du siehst nicht aus als hättest du sehr viel Appetit heute morgen.“

„Wenn du auch Kamillentee hast, komme ich gerne mit. Ich muss mich nur schnell anziehen.“

„Du bist doch schon angezogen. Oder sollte ich vielleicht besser sagen noch?“ Er grinste.

„Geh schon voraus, ich komme gleich nach”, brummte sie kläglich.

Kaltes Wasser und der heiße Kamillentee, den Alex für sie aufgebrüht hatte, brachten sie wieder halbwegs in Schwung. Nach und nach kamen ihr die Ereignisse des vergangenen Tages wieder in den Sinn.

„Du Alex! Ist dir schon einmal irgend etwas Außergewöhnliches in den Gebäuden hier aufgefallen?“ Neugierig schaute sie in an.

„Ich verstehe nicht was du meinst. Worauf willst du hinaus?”

„Hast du vielleicht schon mal jemanden im Haus herumlaufen sehen oder beim Herumschnüffeln beobachtet?”

Alex schüttelte den Kopf. „Also seit ich hier bin ist mir im Hauptgebäude und auch in den Nebenhäusern Keiner begegnet.” Mit einem Schmunzeln fügte er hinzu: „Außer natürlich eine gewisse junge Dame mit fürchterlichem Brummschädel. Wie kommst du darauf, dass hier außer uns sonst noch wer sein könnte? Hast du jemanden gesehen?”

Hastig antwortete sie: „Nein, natürlich nicht. Ich wundere mich nur, dass in ein Haus, das schon so lange leer steht noch niemand eingebrochen ist.”

„Tja, vielleicht haben auch moderne Einbrecher noch Angst vor Gespenstern.”

Überrascht sah Teresa ihn. „Wie kommst du auf Gespenster?”

Alex nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.

„In Rietingen und auch noch weiter entfernten Ortschaften kursieren die wildesten Gerüchte und Geschichten über das Schloß. Als ich hier anfing und den Leuten davon erzählte, dass ich hier arbeite, hielten mich die meisten für verrückt. Sie erzählten mir, dass es im Schloß schon seit Jahrhunderten spuken soll und mich die Geister über kurz oder lang vertreiben würden. Aber bisher ist mir noch kein in Bettlaken gehüllter Spukegeist begegnet.”

Einen kurzen Augenblick lang war sie versucht von ihrem Erlebnis zu erzählen, verwarf diesen Gedanken aber gleich wieder. Alex würde sie höchstens auslachen und ihr erzählen, sie hätte viel zu tief in die Cognac Flasche geschaut und dann an Stelle von weißen Mäusen ein Schlossgespenst gesehen.

„Schreibst du mir ein paar Aushänge für die Mitglieder?”, fragte Alex sie nach einer kurzen Pause. Für ihn war das Thema offensichtlich erledigt. Sie nickte und verabschiedete sich von ihm.

Es war Freitag war und auch die Sonne spitzte ab und zu zwischen den grauen Wolken hindurch. Deshalb waren deutlich mehr Spieler unterwegs als an den letzten Tagen. Die meisten kamen zu ihr an den Tresen, um ein bißchen zu plaudern. Einerseits freute sie sich, dass die Mitglieder sie bereits nach so kurzer Zeit voll akzeptierten. Andererseits hielten die mitteilsamen Golfer sie natürlich auch von der Arbeit ab. Trotzdem war sie um kurz vor zwei mit ihrer Arbeit fertig. Sie sperrte das Büro ab und verließ das Clubhaus. Unterwegs traf sie Alex. Er war mit seinem Auto schon auf dem Heimweg. Er hielt neben ihr an und öffnete das Fenster.

„Hast du die Information über die Wintergrüns ausgehängt?“

„Aber klar, für dich tue ich doch alles.“

Er lachte. „Du bist ein Schatz! Also bis zum Montag. Und trink nicht wieder so viel!“

Sie klopfte mit der flachen Hand auf das Autodach und Alex fuhr davon. Teresa atmete tief ein. Die frische Luft tat ihr gut. Spontan beschloss sie, später noch ein bisschen auf den Platz zu gehen. Als sie durch die Einfahrt den Hof betrat, musterte sie unwillkürlich das Haus. Vielleicht war ja wieder ein Fenster offen. Alle waren fest verschlossen. Trotzdem ging sie nicht zu ihrer Wohnung, sondern steuerte schnurstracks auf das Haupthaus zu. Jetzt erst fiel ihr auf, dass ihre Finger die ganze Zeit mit dem großen Schlüssel spielten, der sich immer noch in ihrer rechten Hosentasche befand. Sie sperrte die Tür auf. Das Erdgeschoss interessierte sie nicht. Sie lief sofort die Treppe hinauf. Der Reihe nach ging sie durch alle Räume und landete schließlich, wie schon am Tag zuvor, in der Ahnengalerie. Sie blieb vor seinem Bild stehen. Diesmal betrachtete sie es sehr viel genauer. Auch nach heutigen Maßstäben konnte man den Mann als äußerst gut aussehend bezeichnen. Ihr Blick ging zwischen dem Gesicht des Mannes und den Zügen der Frau auf dem Bild neben ihm hin und her. Die Ähnlichkeit war frappierend. Die braunen Augen, die dunklen Haare, die leicht hervorstehenden Backenknochen und das ein wenig kantige Kinn. Auch schien er von ihr die schlanke, hochgewachsene Gestalt geerbt zu haben, denn alle anderen hochedlen Mitglieder derer von Maybach-Berghof neigten ziemlich zur Fülle. Verstohlen blickte sie von einem Ende der Galerie zum anderen. Sie wartete einige Minuten, aber nichts passierte. Tief durchatmend warf sie einen letzten Blick auf das Porträt und verließ die Galerie.

Teresa war froh, dass sie auf den Golfplatz gegangen war. Bereits nach einer Viertelstunde waren ihre Kopfschmerzen verflogen. Auf der siebten Spielbahn holte sie Wolfgang und Konrad ein. Das waren zwei von der ganz unverwüstlichen Sorte. Seit sie hier arbeitete war noch kein Tag vergangen, an dem die Beiden nicht auf dem Platz unterwegs gewesen waren. Ganz egal ob es regnete, stürmte, schneite oder ob die Sonne vom Himmel brannte. Sie waren immer da! Nach der neunten Bahn verabschiedeten sich die Beiden und sie ging allein weiter. Als sie das zehnte Grün verließ und zum elften Abschlag ging, sah sie von Weitem auf der Bank neben dem Herrenabschlag jemanden warten.

‚Prima‘, dachte sie ‚dann habe ich ein bisschen Gesellschaft.‘

Beim Näherkommen konnte sie jedoch nirgends eine Tasche mit Schlägern sehen. Offensichtlich war es ein Spaziergänger. Zügig marschierte sie an der Bank vorbei zum Damenabschlag. Sie wendete kurz den Kopf um „Hallo“ zu sagen.

„Antonio!“, entfuhr es ihr, als sie ihn erkannte.

Sein Name kam ihr wie selbstverständlich über die Lippen. So als hätte sie ihn schon tausendmal ausgesprochen.

„Schön, dass ihr Euch noch an meinen Namen erinnert. Das ist mehr als ich zu hoffen wagte. Besonders nach dem Schrecken, den ich Euch eingejagt habe.“

Er stand auf und verbeugte sich wieder auf diese unnachahmlich elegante Weise, wie er es schon bei ihrem ersten Zusammentreffen getan hatte. Sie war so überrascht, dass sie keinen Ton hervorbrachte. Er jedoch redete munter darauf los: „Ein interessantes Spiel dieses Golf. Ich habe schon oft vom Schloß aus zugesehen. Schön, dass man es jetzt auch hier bei uns spielt. Zu meinen Lebzeiten war es nur in Schottland und in den Niederlanden verbreitet. Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich Euch gerne ein Stück des Weges begleiten und Euch zusehen.“

Das Einzige, was Teresa zustande brachte, war ein zustimmendes Nicken. Sie stellte sich mit einem reichlich flauen Gefühl hin um den Ball abzuschlagen. Das Ergebnis war jämmerlich. Der Ball rollte kaum vierzig Meter weit.

„Müsste der Ball nicht durch die Luft fliegen? Auch schien er mir nicht genügend Entfernung zurück gelegt zu haben.“ Fragend sah er sie an.

Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass jemand, der vor mehr als zweihundert Jahren gelebt hatte, einmal über ihren Golfschwung lästern würde. Sie fing schallend zu lachen an. Als sie sich beruhigt hatte, sah sie ihn eindringlich an und meinte:

„Halten Sie mich bitte nicht für neugierig. Aber bevor wir weiter machen möchte ich doch Einiges geklärt haben. Es ist richtig, dass Sie vor über zweihundert Jahren gelebt haben und auch gestorben sind?“

„Das ist richtig“, nickte der Mann zustimmend.

„Nun gut. Dann muss ich annehmen, dass Sie, so unglaublich es auch klingt, ein Geist sind?“ Fast ängstlich wartete sie auf seine Antwort.

„Es trifft es zwar nicht ganz exakt. Aber ja, ich denke zum allgemeinen Verständnis kann man es so nennen.“

Sie stieß die Luft aus, die sie vor Anspannung angehalten hatte.

„Das ist unmöglich!“

Mit einem bittenden Ausdruck in den Augen sah er sie an.

„Aber Ihr seht mich doch und könnt auch mit mir sprechen. Warum wollt Ihr es nicht akzeptieren? Nur weil die landläufige Meinung gilt, dass es so etwas nicht geben kann? Jahrhunderte hindurch waren die Menschen überzeugt, die Erde wäre eine Scheibe. Magellan hat das Gegenteil bewiesen. 1768, ein Jahr vor meinem Tod, segelt James Cook los, mit dem Auftrag den unbekannten Südkontinent zu finden. Alle Welt war damals von dessen Existenz überzeugt. Cook hat die Wissenschaftler eines Besseren belehrt. Jeder sagt es gibt keine Geister. Muss es deshalb tatsächlich so sein? Wie wäre es? Wollt Ihr nicht ein wenig Magellan und Cook spielen und Neues, Unbekanntes entdecken?“

Eifer und Begeisterung schwangen in seiner Stimme mit, als er so auf sie einredete. Nachdenklich blickte sie zu Boden.

„Sie müssen mir ein wenig Zeit geben. Ich muss mich erst mit diesem Gedanken vertraut machen.“

Ein leises Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sagte:

„Einverstanden! Das kann ich nachvollziehen. Auch ich brauchte eine ganze Weile, um mich damit abzufinden, dass mein Leben nicht mit siebenundzwanzig Jahren zu Ende war, sondern unter etwas veränderten Bedingungen fortdauerte.“

Schweigend gingen sie neben einander her. Teresa war tief in Gedanken versunken. Sie hatte gänzlich vergessen, dass sie eigentlich Golf spielen wollte. Ihren Ball hatte sie einfach auf der Spielbahn liegen lassen. Er musterte sie von der Seite.

„Wäre es ungehörig, Euch nach Eurem Namen zu fragen?“

Sie schmunzelte. „Ich denke es würde den guten Sitten nicht widersprechen. Mein Name ist Teresa. Teresa Lambert.“

„Teresa. Ein schöner Name. Meine Großmutter mütterlicherseits hieß auch so. Als kleiner Junge hatte ich schreckliche Angst vor ihr. Sie hatte einen schwarzen Schnurrbart und bestand darauf, dass ich mich jeden Morgen mit kaltem Wasser aus dem Brunnen wusch. Aber wie ich sehe tragt Ihr keinen Bart.“

„Ich werde auch nicht kontrollieren, ob Sie sich morgens waschen.“

Ein Schauer lief ihr über den Rücken und sie fröstelte. Es fiel ihr erst jetzt auf, dass es schon beinahe ganz finster geworden war.

„Mir wird kalt. Sehen wir zu, dass wir zum Haus zurückkommen.“ Und mit einem Seitenblick auf Antonio fügte sie hinzu: „Dieses Problem scheinen Sie nicht zu haben.“

Genau wie auf dem Bild trug er Stiefel, Reithosen und ein weißes Hemd.

„Dies ist eines meiner Privilegien. Ich empfinde weder Hitze noch Kälte und ich kann auch nicht krank werden. Von unschätzbarem Vorteil, wenn man ein altes zugiges Schloß bewohnt.“

Sie schlugen eine zügigere Gangart ein und erreichten nach kurzer Zeit das Gutshaus. Teresa stellte ihre Golftasche in der Scheune ab. Als sie über den Hof zu ihrer Wohnung gingen, fiel ihr auf, dass man nur das Geräusch ihrer eigenen Schritte hören konnte. Ihr Begleiter ging vollkommen lautlos über die Steine.

„Einen schönen Abend noch“, verabschiedete sich Teresa von ihrem Begleiter.

Antonio sah sie mit einem warmen Blick an und erwiderte: „Ich wünsche Euch eine Gute Nacht. Schlaft wohl, Teresa.“

Sie drehte sich zu ihm um. Er war verschwunden!

„Auf Wiedersehen, Antonio!“, rief sie über den Hof und ging hinein.

An diesem Abend fand sie lange keine Ruhe. Ihre Gedanken eilten hin und her. Sie versuchte sich abzulenken. Aber weder Abspülen, noch Bügeln oder Fernsehen halfen ihr dabei, ihr Denken wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Zu viel war in den letzten zwei Tagen passiert. Es war schon weit nach Mitternacht, als sie endlich einschlafen konnte.

Braune Augen

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