Читать книгу Braune Augen - Anna-Irene Spindler - Страница 7

Das Wochenende

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Beim Frühstück musste Teresa ihre Pläne für den Samstag kurzfristig ändern. Eigentlich hatte sie vorgehabt ausgiebig Golf zu spielen, nachdem ihre Golfrunde am Vortag so ein abruptes Ende gefunden hatte. Aus dem leichten Nieseln war jedoch über Nacht ein handfester Regen geworden. Außerdem war es lausig kalt und auch der Wind nahm ständig zu. Sie beschloss erst in Rietingen ihre Einkäufe zu erledigen und danach in das ungefähr dreißig Kilometer entfernte Neuhaus zu fahren. Dort gab es ein kleines Archäologisches Museum mit Funden aus römischen Ausgrabungen. Anschließend konnte sie zum Essen gehen und abends in das Kino. Der neueste Film mit George Clooney war Anfang November angelaufen.

„Ja, das werde ich tun“, brummte sie vor sich hin und nickte dabei bekräftigend mit dem Kopf. Als sie die Wohnung verließ, hätte ihr der Wind beinahe den Schirm aus der Hand gerissen. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern und rannte über den Hof zur Scheune. Teresa wunderte sich über ihren Unternehmungsgeist. Normalerweise hätte sie sich bei so einem Hundewetter keinen Meter aus dem Haus bewegt. Eigentlich seltsam, dass sie heute unbedingt in die Stadt wollte. Als sie durch die Hofeinfahrt fuhr, sah sie in den Rückspiegel. Sie ließ ihren Blick über die Fenster des Schlosses schweifen. Hatte sie etwas vergessen oder suchte sie etwas?

„So ein Unfug!“, rief sie ärgerlich und wendete ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße zu.

Sicher würde trotz des gruseligen Wetters ein schöner Tag werden. Als sie ihren Wocheneinkauf erledigt hatte und in Richtung Neuhaus fuhr, ließ sogar der Regen etwas nach. Der Besuch in dem Museum lohnte sich wirklich. Es war auf dem Gelände der römischen Garnison errichtet worden, aus der später die Stadt Neuhaus hervor gegangen war. Bedauerlich war nur, dass die rekonstruierten und teilweise vollständig wieder aufgebauten Außenanlagen um diese Jahreszeit nicht mehr besichtigt werden konnten. Aber auch die Ausstellung selbst war höchst interessant. Da sie nichts Anderes vor hatte, nahm sie sich die Zeit und las die Beschreibungen der einzelnen Exponate genau durch. In einem der Räume war ein römisches Feldlager aufgebaut, damit man sich eine Vorstellung vom Leben der Legionäre machen konnte. Lebensgroße Puppen, mit sehr viel Liebe zum Detail angezogen, stellten die römischen Soldaten dar. Es war wirklich toll gemacht. Als eine Stimme über Lautsprecher die Besucher zum Verlassen des Museums aufforderte, konnte sie kaum glauben, dass es schon so spät war. Sie hatte die Zeit total vergessen. Ursprünglich wollte sie ein Chinarestaurant suchen. Aber da sie reichlich hungrig war, entschied sie sich für ein Restaurant mit regionalen Spezialitäten auf der Speisekarte. Es war nicht weit von ihrem Parkplatz entfernt und lag noch dazu auf dem Weg zum Kino. Die Einrichtung entsprach genau ihrem Geschmack: Kleine Tische, weiße Tischdecken, niedliche Blumengestecke, Kerzen. Sie konnte Restaurants, die bis unter die Decke dekoriert und mit allerlei Krimskrams überladen waren nicht ausstehen.

„Ich nehme die Renke mit Sauerampfersauce. Und bringen Sie mir den kalifornischen Chardonnay. Die halbe Flasche bitte.“

Ihre Bestellung wurde von dem charmanten Kellner mit einem „Aber gerne!“ quittiert. Da sie ja danach noch ins Kino ging, konnte sie es sich durchaus leisten jetzt am frühen Abend Wein zu trinken. Der Fisch schmeckte erstklassig und auch der Chardonnay war durchaus akzeptabel, vor allem zu diesem Preis. Sie nippte an ihrem Glas und nahm dezent die anderen Gäste in Augenschein. Es waren ausnahmslos Pärchen! Eine leichte Unzufriedenheit stieg in ihr hoch. Spontan fiel ihr Robert wieder ein. Er war Mitglied in ihrem alten Golfclub. Sie war ein paar Mal mit ihm ausgegangen. Selbstverständlich nur in Kneipen oder Restaurants in denen er ganz sicher keine Bekannten traf. Mit einer einfachen Sekretärin konnte er sich als erfolgreicher Geschäftsmann nicht in der Öffentlichkeit präsentieren. Er besaß vier gut gehende Nobelboutiquen, in denen ein Paar Socken zweihundert Euro und mehr kosteten. Am Anfang hatte er sie geflissentlich übersehen, wenn er das Sekretariat betrat. Das änderte sich schlagartig, als sie ihn während eines Turniers vor der Disqualifikation bewahrte. Er hatte vergessen seine Scorekarte zu unterschreiben, ehe er sie bei ihr ablieferte. Sie rannte ihm nach und machte ihn darauf aufmerksam. Als Dankeschön ging er mit ihr zum Essen. Es schmeichelte ihr, dass er sich mit ihr abgab. Robert war nicht nur erfolgreich, sondern auch sehr gutaussehend. Wo immer er auch auftauchte, umgab ihn sofort ein ganzer Schwarm schöner Frauen. Nach einiger Zeit fiel ihr auf, dass er sich nur dann um sie bemühte, wenn er gerade keine Andere hatte oder seiner augenblicklichen Flamme eins auswischen wollte. Aber das machte ihr weiter nichts aus. Robert konnte sehr charmant sein und Teresa genoss es, an seiner Seite unterwegs zu sein und im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Auch wenn dies immer nur solange dauerte, bis er eine Neue gefunden hatte. Sie hatte ihm vor ihrem Umzug die neue Anschrift und Telefonnummer mitgeteilt. Er wollte sich gleich mit ihr in Verbindung setzen. Bisher hatte er sich natürlich nicht gemeldet. Wie konnte es auch anders sein. Mit einem leisen Seufzer trank sie den letzten Schluck Wein und bezahlte. Es wurde höchste Zeit, wenn sie im Kino noch einen ordentlichen Platz ergattern wollte.

Der Film war toll! George Clooney sah einfach so richtig gut aus! Noch besser, als Robert. Sie war so hingerissen, dass sie zwischendurch sogar vergaß Gummibärchen in den Mund zu schieben. Gebannt verfolgte sie die Handlung auf der Leinwand. Gerade im Moment betrat er das Büro seines Chefs und begrüßte ihn mit einer leichten Verbeugung.

‚Das kann Antonio aber besser!‘

Vor Schreck ließ sie die Tüte mit den Bärchen fallen. Wie konnte ihr nur mitten in einem Film mit ihrem Lieblingsstar so ein lästerlicher Gedanke kommen. Sie hob ihre Bärchen auf und versuchte sich wieder auf die Handlung zu konzentrieren. Es war seltsam. Bisher hatte es sie noch nie gestört, dass der schöne George nicht wirklich groß war. Nicole Kidman, in ihren High-Heels, war deutlich größer als er. Sie versuchte sich zu erinnern, wie groß Antonio war. ‚Blödsinn!‘ Teresa schüttelte energisch den Kopf. Aber die Spannung war dahin. Als der Film zu Ende war, stellte sie fest, dass er ihr nicht sonderlich gut gefallen hatte. Warum, konnte sie im Endeffekt nicht sagen.

Der Regen hatte aufgehört und als sie auf der schmalen Landstraße von Rietingen zum Golfplatz fuhr, stieg gerade der Mond über den Wald empor. Die Wolken hatten sich verzogen. Es war eine sternklare Nacht. Es würde bestimmt sehr kalt werden. Gut, dass sie ihr Auto in die Scheune zu den Maschinen stellen konnte, sonst würde sie morgen bestimmt kratzen müssen. Sie schloß das Tor und ging quer über den Hof.

‚Ich muss mir unbedingt eine Taschenlampe in das Auto legen, sonst breche ich mir noch den Hals‘, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich vorsichtig Schritt für Schritt zu ihrer Wohnung vor tastete. Sie sperrte die Haustüre auf und machte Licht. Als sie ihre Jacke an den Haken hängte, sah sie den großen Schlüssel auf der Ablage. Automatisch, ohne nachzudenken zog sie die Jacke wieder an, nahm den Schlüssel und ehe sie sich versah war sie auf dem Weg zum Schloß hinüber. Der Mond stand jetzt bereits hoch am Himmel. Er tauchte die alten Gebäude in geheimnisvolles Licht. Sein Schein fiel durch die hohen Fenster herein und erhellte die Gänge, die von der spärlichen Beleuchtung des Treppenhauses nicht mehr erreicht wurden. Der Reihe nach öffnete sie die Türen. Ging von einem Raum zum nächsten. Alles war still und verlassen. Die Umrisse der wenigen Möbel waren im bleichen Mondlicht nur schwach zu erkennen. Bildete sie es sich nur ein, oder war unter der Tür vor ihr ein schwacher Lichtschimmer zu erkennen? Vorsichtig drückte sie die Klinke herunter, die sich auf Schulterhöhe befand. Ganz langsam schob sie die Tür auf. Es war die Bibliothek. Auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes brannten einige Kerzen. Dieses Zimmer war nicht wie die anderen mit einem Porzellanofen ausgestattet, sondern ein großer, offener Kamin befand sich in der Ecke. Darin flackerte ein helles Feuer. Auf dem Kaminsims standen ebenfalls Kerzen. Sie schloß die Tür und trat an den Ledersessel heran, der vor dem Kamin stand.

„Schön, dass Ihr heute abend noch vorbei kommt. Ich habe nicht damit gerechnet.“

Antonio stand auf und verbeugte sich. Bei ihm wirkte es natürlich, nicht gekünstelt und angelernt wie bei George Clooney.

„Wollt Ihr mir ein bisschen Gesellschaft leisten?“ Er schien über ihre Anwesenheit nicht im Geringsten erstaunt zu sein. Als sie nickte, wies er mit der Hand auf den zweiten Sessel vor dem Feuer. Komisch. Sie hätte schwören können, der wäre eben noch nicht da gewesen.

„Was lesen Sie gerade?“ Fragend blickte sie auf das Buch, das auf seiner Sessellehne lag.

„Cervantes“, kam prompt die Antwort

„Und ich dachte, Sie würden sich vielleicht für Wilde`s Canterville Ghost interessieren.“

„Oh nein, dieses Werk ziehe ich nur zu Rate, wenn ich Anregungen für den Umgang mit ungebetenen Besucherinnen brauche.“

Sie sah ihn von der Seite an. „Wenn ich Sie störe, müssen Sie es mir sagen. Ich möchte auf keinen Fall lästig sein.“

Er beugte sich in seinem Sessel nach vorn, nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Sein Kopf hob sich und sie sah ihm direkt in die Augen, die sich dicht vor ihrem Gesicht befanden.

„Es ist schon beinahe einhundert Jahre her, dass ich mich so netter Gesellschaft erfreuen durfte.“

Verlegen senkte sie den Blick. An Komplimente dieser Art war sie nicht gewöhnt. Er streckte die Beine aus, schlug sie über einander und lehnte sich wieder in seinem Sessel zurück.

„Was gefällt Ihnen denn so besonders an diesem armseligen Ritter?“

Sie fragte ihn weniger aus Interesse, sondern vielmehr um ihre Verlegenheit zu überwinden. Seinen Blick weiter auf die Flammen gerichtet antwortete er:

„Er sieht die Welt mit anderen Augen als seine Mitmenschen. Für ihn hat die Wirklichkeit keine Bedeutung. Sie ist ihm gleichgültig. Auch die Meinung der Menschen ist ihm einerlei. Schlechtigkeit und Böses existieren für ihn nicht. Er hat ein großes Ziel vor Augen. Das verfolgt er geradlinig und unverdrossen. Ich bewundere ihn.“ Er sah sie fragend an. „Was haltet Ihr von Alonso Quijano?“

Teresa wurde von dieser Frage ziemlich überrascht. Eigentlich hatte sie sich bisher keine Gedanken über Don Quijote gemacht. Ihr war das Buch viel zu fade und langatmig und sie war nie auf die Idee gekommen es ein zweites Mal zu lesen. Aber das wollte sie nicht unbedingt zugeben.

„Tja, also, die Menschen halten ihn für verrückt und wenn ich es recht bedenke haben sie glaube ich gar nicht so unrecht.“

„Ich denke er ist normaler als die meisten Leute. Was soll verrückt daran sein, das Leben so zu sehen wie es sein sollte und nicht wie es wirklich ist?“

„Wenn ich ehrlich bin, haben mich solche Fragen bisher nicht allzu sehr gekümmert.“

Antonio lachte. „Selbstverständlich. Ihr habt für derartige Dinge sicherlich keine Zeit, da Ihr ja den ganzen Tag beschäftigt seid.“ Er wendete seinen Blick von ihr ab und beobachtete wieder die Flammen. „Ich hingegen habe seit über zweihundert Jahren alle Zeit der Welt. Ihr werdet mich jetzt sicher für einen merkwürdigen, weltfremden Spinner halten.”

„Aber nicht doch! Es ist doch nicht seltsam, wenn ein Hausgeist vor dem Kamin sitzt und über Don Quijote philosophiert. Das ist vollkommen natürlich.“

Mit einem spitzbübischen Grinsen sah sie ihn an. Der melancholische Ausdruck in seinen Augen verschwand. Lachend drohte er ihr mit dem Finger.

„Nehmt Euch in acht Teresa! Wenn Ihr Euch über mich lustig macht, hole ich mein Leichentuch heraus und spuke heulend durch die Gänge, genau wie Sir Simon.“

Eine Weile sahen Beide stumm ins Feuer.

„Was haltet Ihr von einem Glas Wein?“, unterbrach Antonio die Stille und deutete auf die Gläser und die Flasche, die auf einem Tischchen neben dem Kamin standen.

„Das stand doch nicht von Anfang an da?“

„Nein!“ Er quittierte ihre Frage mit einem leisen Lächeln.

„Darf ich Euch aber trotzdem etwas einschenken? Ihr werdet sehen, es ist ein ganz ausgezeichneter Rotwein. Die deutschen Soldaten, die während dieses Krieges, den man jetzt den zweiten Weltkrieg nennt, hier einquartiert waren, haben ein paar Kisten davon vergessen. Der kommandierende Major hatte ihn aus Frankreich mitgebracht. Vermutlich Kriegsbeute. Der Aufbruch der Truppen erfolgte damals ziemlich überstürzt und der Major schien mir andere Sorgen zu haben, als seine Flaschen einzupacken.“ Er reichte ihr das Glas.

„Auf Euer Wohl!“ „Zum Wohl, Antonio!“

Noch nie zuvor hatte sie einen ähnlich großartigen Wein getrunken.

„Antonio, es ist ein wundervoller Wein!“

„Ja, ich denke er ist inzwischen ganz akzeptabel. Es ist ein 1929er Chateau Latour.“

„Mein Gott!“, entfuhr es ihr „der ist ein Vermögen wert.“

„Kann sein. Aber ich kann die Kisten nicht zu einer Weinauktion bringen, also trinke ich ihn lieber selbst.“

„Na, jetzt habe ich wieder etwas dazu gelernt“, meinte Teresa.

Fragend sah er sie an.

„Ich weiß jetzt, dass Geister zwar nicht frieren, aber offensichtlich öfter einmal durstig sind.“

„Nicht ganz. Ich verspüre weder Hunger noch Durst. Aber ebenso wie ich ein Feuer im Kamin als etwas sehr Angenehmes empfinde, liebe ich guten Wein und genieße ein entsprechendes Essen dazu. Äußere Einflüsse oder Umstände haben keine Bedeutung für mich. Empfindungen und Gefühle habe ich aber trotzdem.“ Er stockte kurz und fuhr dann fort: „Als wir uns das erste Mal trafen, war ich sehr betroffen, als ich Eure Ungläubigkeit und Ablehnung spürte. Mir war Euer Interesse für das Schloß nicht entgangen und ich hoffte nach vielen Jahren wieder etwas Gesellschaft zu bekommen.“

Antonio hob sein Glas. Teresa überlegte kurz, nahm ebenfalls ihr Glas zur Hand und sagte dann: „Wie wäre es, wenn wir dieses förmliche Sie – Ihr - Euch einfach weglassen und uns unterhalten wie gute Freunde?“

Die Flammen des Kaminfeuers tanzten in seinen Augen, als er nickte.

„Aber gerne. Auf dein Wohl, Teresa!“

„Auf dich, Antonio!“

Der Brauch, eine neu geschlossene Brüderschaft mit einem Kuss zu besiegeln, war ihm offenbar fremd. Sie hütete sich jedoch ihn darauf anzusprechen. Trotzdem empfand sie so etwas wie leises Bedauern. Ein Blick auf ihre Armbanduhr sagte ihr, das es fast zwei Uhr geworden war.

„Ich denke ich werde jetzt heim gehen. Es ist schon reichlich spät und ich möchte morgen früh nach Rietingen.“ Fast entschuldigend fügte sie hinzu: „Ich gehe normalerweise am Sonntag immer in die Kirche.“

Ängstlich sah sie ihn an. Würde er sie auslachen? Die meisten Menschen machten sich über sie lustig, wenn sie davon erzählte, dass sie regelmäßig zum Gottesdienst ging. Er hingegen schien darüber nicht sehr erstaunt zu sein und meinte nur: „Hier im Schloß gibt es auch eine kleine Kapelle. Ihr – äh, ich meine du kannst sie dir ja gelegentlich einmal ansehen.“

Er wollte sie zu ihrer Wohnung begleiten, aber sie lehnte ab.

„Das ist nicht nötig. Außer uns ist ja niemand hier, also wird mich keiner belästigen. Und verlaufen kann ich mich auch nicht.“ Sie streckte ihm die Hand hin. „Gute Nacht, Antonio!“

„Gute Nacht, Teresa! Angenehme Träume!“

Er nahm ihre Hand. Aber anstatt sie zu schütteln verabschiedete er sich mit einem Handkuss von ihr. Sie gingen gemeinsam zur Zimmertür. Er sah ihr nach als sie den Gang entlang ging. Sie spürte seinen Blick und drehte sich nach ihm um. Antonio war verschwunden. Und das Licht in der Bibliothek war aus, so als hätten das Feuer und die Kerzen nie gebrannt.

Teresa stand in ihrem Badezimmer vor dem Spiegel, kämmte sich die Haare und trällerte vor sich hin. Es war ein toller Tag gewesen! Das Abendessen, der Film und jetzt zum Abschluss noch das Treffen mit Antonio. Wie oft war sie in ihrer Kindheit und als Teenager von ihren Eltern und Freunden gehänselt worden, weil sie so hoffnungslos romantisch war. Ausgelacht hatte man sie, als sie mit den ausrangierten Kleidern ihrer Großmutter durch die Wohnung stolzierte und verkündete, sie wäre eine Prinzessin und ein verzauberter Prinz würde kommen und sie heiraten. Es konnte doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet sie jetzt einen Mann getroffen hatte, der zwar schon über zweihundert Jahre tot, aber trotzdem so charmant und gut aussehend war, dass selbst George Clooney wie ein müder Gigolo-Abklatsch wirkte. Noch nie zuvor hatte ihr jemand die Hand geküsst, nicht einmal während ihres Tanzkurses! Und Antonio hatte es gleich zweimal getan. Sie trällerte wieder vor sich hin und tanzte vergnügt zu ihrem Bett.

Ihren Plan, am Morgen nach Rietingen in die Kirche zu fahren, musste sie sehr schnell aufgeben. Teresa hatte vergessen den Wecker zu stellen und verschlafen. Hastig stopfte sie ein Stück Kuchen in den Mund und schlüpfte noch während sie kaute in ihren Mantel. Sie warf die Haustür hinter sich zu und spurtete über den Hof zu ihrem Auto. Das heißt sie wollte spurten. Sie kam keine drei Schritte weit, da rutschte sie aus und landete reichlich unsanft auf ihrem Hintern. Die Schottersteinchen des Hofes waren mit einer dicken Eisschicht überzogen. Als sie nachts vom Schloß zu ihrer Wohnung gegangen war, hatte es leicht geregnet. Es war dann wohl noch kälter geworden und so dieses prächtige Glatteis entstanden. Vorsichtig stand sie auf. Gut, dass sie ihren Mantel anhatte. Die kleinen Steine waren verflixt spitz und hart. Es würde einen schicken blauen Fleck geben.

‚Also gut, dann gönne ich mir einen gemütlichen, faulen Sonntag‘, dachte Teresa als sie auf einem weichen Kissen sitzend ihren Kaffee schlürfte. Sie würde lesen, fern sehen, Puzzle bauen, stricken, Tee trinken, ins Feuer schauen.

‚Schade eigentlich, dass der Sonntag auch nur vierundzwanzig Stunden lang ist‘, ging es ihr durch den Kopf. Ein bisschen traurig war sie schon, denn am ersten Advent wäre sie gerne in die Kirche gegangen. Da fiel ihr ein, was Antonio ihr am Abend zuvor gesagt hatte. Sie würde später in die Schlosskapelle hinüber gehen, dort eine Adventskerze anzünden und beten.

Teresa schaltete den Fernseher aus und stand vom Sofa auf. Ihre obligatorische Sonntagvormittag Sendung war zu Ende. Seit ihrer Kindheit gehörte ‚Die Sendung mit der Maus‘ zu ihren Lieblingsbeiträgen und sie fand die Geschichten heute noch genauso interessant wie damals, als sie acht Jahre alt gewesen war. Die Eisschicht im Hof war inzwischen weg getaut und man konnte sich gefahrlos hinaus wagen. Sie steckte eine Kerze in ihre Manteltasche, ging zur Maschinenhalle hinüber und suchte sich eine Gartenschere. Aus der Hecke neben der Straße schnitt sie ein paar Hagebuttenzweige ab. Von den Fichten hinter der Scheune stibitzte sie einige kleine Wedel. Sie räumte die Schere wieder auf, um sich keinen Ärger mit Alex einzuhandeln und machte sich dann im Schloß auf die Suche nach der Kapelle. Diese befand sich im zweiten Stock, auf der Westseite des Hauses. Es war ein kleiner Raum mit einem Erker. Dieser halbrunde Anbau hatte vier hohe, bunte Fenster in denen die Apostel mit ihren jeweiligen Symbolen dargestellt waren. In der Mitte zwischen den Fenstern befand sich ein kleiner Marmoraltar.

„Oh mein Gott!“

Sie starrte mit offenem Mund das Gemälde an, das in einem vergoldeten Rahmen zwischen den beiden mittleren Fenstern über dem Altar hing. Es stellte eine Szene aus dem Matthäus-Evangelium dar. Maria Magdalena begegnet dem auferstandenen Christus. Teresa konnte ihre Augen nicht abwenden. Es war als ob die Augen des gemalten Christus sie magisch in ihren Bann zogen. Noch nie zuvor hatte sie ein Gesicht von so überirdischer Schönheit gesehen. In den Augen lagen Milde und Verständnis. Als könnten sie bis in das Herz aller Menschen sehen und alle Sorgen und Nöte verstehen.

‚Ja. So muss er ausgesehen haben‘, schoss es ihr durch den Kopf. Maria Magdalena kniete vor dem Auferstandenen im Moos. Auch ihr Gesicht, das nur im Profil zu sehen war, war von einer so unglaublichen Schönheit, dass es einem beinahe den Atem verschlug. Es dauerte eine ganze Weile, ehe sie ihren Blick von den beiden Gestalten auf dem Altarbild losreißen konnte. Sie versuchte ihre mitgebrachten Zweige auf dem Boden vor dem Altar zu einem kleinen Kranz zu arrangieren. Es war eine reichlich stachelige Angelegenheit. Am Ende stellte sie noch die Kerze in die Mitte. Jetzt hatte es tatsächlich ein wenig Ähnlichkeit mit einem Adventskranz. Das nächste Mal würde sie noch drei Kerzen mitbringen, dann wäre es perfekt. Sie zwängte sich in einen der beiden kleinen Kirchenstühle, die nebeneinander vor dem Altar standen. Die Lederpolsterung der Kniebank war schon ziemlich abgewetzt und verschlissen. Wie viele Generationen hatten wohl schon hier gekniet und ihre Gebete und Bitten zu diesem wunderschönen Bildnis geschickt?

Nach einer halben Stunde verließ sie die Kapelle. Sie vergewisserte sich noch einmal, ob sie die Kerze ausgeblasen hatte, warf einen letzten Blick auf das Bild und schloß leise die Tür. Langsam schlenderte sie durch die Gänge und Räume. Sie ließ sich sehr viel Zeit. Obwohl sie es sich gar nicht so recht eingestehen wollte, wartete sie auf Antonio. Aber er ließ sich nirgends blicken. Es war fast drei Uhr, als sie das große, schwere Hauptportal hinter sich zusperrte. Es hatte wieder zu regnen begonnen und Wind war aufgekommen, der welke Blätter über den Hof blies. Das ganze Anwesen lag trostlos und verlassen da. So als hätte nie eine Menschenseele darin gewohnt. Traurig und niedergeschlagen kehrte sie in ihre Wohnung zurück. Als sie ihren Mantel aufhängte, sah sie ihr Spiegelbild an und sagte: „Sei ehrlich, du wolltest ihn wiedersehen. Und jetzt bist du traurig weil er nicht da war.“ Unwillkürlich nickte sie. Richtig! Sie hätte sehr gerne wieder seiner weichen Stimme zugehört. Sich mit ihm über Bücher unterhalten, auch wenn sie diese normalerweise als stinklangweilig einstufen würde. Einen Schluck Wein mit ihm getrunken und in seine geheimnisvollen braunen Augen gesehen. Plötzlich wünschte sie sich inständig, er hätte nicht nur ihre Hand, sondern auch ihren Mund geküsst. Sie betrachtete wieder ihr Spiegelbild. Röte war ihr in die Wangen gestiegen.

„Oh mein Gott, ich werde mich doch nicht etwa in ihn verlieben?“, stammelte sie. Unsinn! Sie fand ihn einfach nur nett. Das war alles. Entschlossen drehte sie sich um und marschierte in die Küche, um sich ihr verspätetes Mittagessen zu kochen.

Braune Augen

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