Читать книгу Todes Tochter - Anna-Lina Köhler - Страница 5

Enago

Оглавление

Nur durch das leicht gedimmte Licht, das von ein paar Fackeln ausgestrahlt wurde, vermochte Enago etwas zu sehen. Die Kälte in der Höhle war beißend. Sie kroch ihm unter die Haut und ließ ihn frösteln. Doch nicht nur die Kälte war der Grund dafür, dass ihm die Haare zu Berge standen. Die Angst vor dem, was vor ihm lag, ließ ihn innerlich verkrampfen. Zitternd kroch Enago vor seinen Meister. Er suchte immer noch nach den richtigen Worten, die sein Versagen erklären konnten.

Enago, was willst du hier? Warum vergeudest du meine Zeit?“ Es war eine grauenvolle Stimme, die da zu ihm sprach. Kalt und düster.

„Herr, ich habe euch aufgesucht, um euch etwas Wichtiges mitzuteilen.“

Was denn? Ich habe nicht viel Zeit!“, fauchte der düstere Meister.

„Natürlich, mein Herr.“

Langsam kroch Enago vorwärts. Er zitterte am ganzen Körper und sein Herzschlag war so laut, dass er befürchtete, man könne ihn hören.

„Ich erhielt gerade Kundschaft von unseren Spionen. Die Schattendiener, die ich losgeschickte, die Todes Tochter zu finden und ihre Beschützer zu töten, waren in zweierlei Hinsichten erfolgreich.“

Ein gurgelndes Lachen drang ihm entgegen.

Gut“, flüsterte die dunkle Kreatur. „Also haben sie sie gefunden und die Todesritter wurden in den endlosen Abgrund gestoßen?“

Enago schluckte. Er wagte es kaum, weiter zu sprechen.

„Sie haben sie gefunden, jedoch …“ Er räusperte sich und versuchte verzweifelt, die aufkommende Angst zu verbergen.

„Jedoch gelang es ihnen nur, einen der Beschützer zu töten. Danach haben auch sie den Tod gefunden.“

Wie bitte?“

Unter den scharfen Worten des Schattens zuckte Enago erschrocken zusammen.

Wessen Hand hat es gewagt, seine Klinge durch das dunkle Herz meiner Züchtungen zu stoßen?“

„Ich, ich weiß es nicht, mein Herr.“

Enago starrte gebannt auf den schmutzigen Boden vor ihm. Auf keinen Fall wollte er dem tödlichen Blick, den eiskalten Augen begegnen. Der Schatten verschmähte schlechte Nachrichten und von dem Großteil ihrer Überbringer hatte er nur ein paar leblose Fetzen übrig gelassen.

Sie läuft also noch immer lebendig herum? Die Zeiten sind also noch fern, in denen sie um Gnade winselnd vor mir knien wird?“

Enago antwortete nicht. Der Schatten hatte ihm zwar eine Frage gestellt, war sich dessen Antwort jedoch bewusst. Außerdem konnte Enago nicht mehr sprechen. Der Kloß in seinem Hals wurde immer größer, er zitterte. Stille begann sich in der Höhle auszubreiten. Es war eine beunruhigende Stille, eine tödliche Stille. Vorsichtig wagte es Enago, leicht den Kopf zu heben. Doch er erblickte nur kalte Höhlenwände und richtete seine Augen zurück auf den Boden.

„Meister?“ Der Schattendiener rief verunsichert nach seinem Herrn.

Enago!“

„Ja, Meister?“

Enago lief ein Schauer über den Rücken.

Komm ein Stück näher!“

Langsam bewegte er sich, immer noch kriechend, in Richtung der grauenvollen Stimme. Dabei wanderte sein Blick immer wieder leicht nervös umher. An den Wänden der Grotte hingen Knochen und Schädel. Manche schon älter, aber andere noch so frisch, dass Enago das faule Fleisch, das an ihnen hing, sehen und riechen konnte. Zwischen den Knochen konnte man ebenfalls frische Gedärme bewundern. Ein Herz hing neben einer schon fast völlig zersetzten Leber und ein frisches Auge glotzte traurig auf Enago herab. Trophäen! Alles Trophäen, die aus den Körperteilen und Innereien der Feinde des Schattens bestanden. Die, die es gewagt hatten, die dunkle Kreatur herauszufordern, sie in Frage zu stellen – ihn zu enttäuschen.

Ihm wurde schlecht und er musste sich zusammenreißen, um sich nicht zu übergeben. Seine schwarzen Locken fielen ihm ins Gesicht und er konnte seinen Schweiß schmecken, der ihm aus lauter Furcht von der Stirn tropfte. Während er auf dem kalten Steinboden kroch, schnitt er sich schmerzhaft die Handflächen auf und sah sein Blut über den Boden rinnen. Doch das machte ihm wenig aus. Seine Angst vor dem, was vor ihm lag, war größer als jeder Schmerz.

Fast hatte er den steinernen Thron der Kreatur erreicht, als er plötzlich eine Hand an seiner Kehle spürte. Sie schloss sich fest um seinen Hals, drückte immer fester zu, so wie der würgende Griff einer Schlange. Er spürte, wie es ihm mit der Zeit die Kehle zuschnürte. Er schnappte nach Luft, konnte kaum noch atmen. Dann verlor er plötzlich den Boden unter den Füßen. Er wurde höher gehoben, bis er den fauligen Atem seines Meisters roch und in die weißen Augen blickte. Er versuchte nicht hineinzuschauen, doch das schien schier unmöglich! Es war ein Todesweiß, in dem er sich selbst wiederfand - unter Schmerzen sterbend.

„Bitte, Meister“, keuchte er, denn er bekam kaum noch Luft. „Lasst mich leben. Ich bekomme keine Luft mehr.“

Und warum denkst du, dass ich dich leben lassen soll? Du hast dir in letzter Zeit zu viele Fehler erlaubt, Enago!“

Der faule Atem seines Herrn gab ihm fast den Rest.

„Ich werde sie für euch finden“, krächzte er verzweifelt. „Das, was eure Züchtungen nicht zu tun vermochten, werde ich für euch erreichen! Ich werde sie finden, euch persönlich bringen und sollte ich versagen, ...“

Die Hand, die sich um seinen Hals geschlossen hatte, war mit einem Mal verschwunden und er stürzte unsanft auf den Boden. Hart schlug er mit dem Kinn auf dem kalten Stein auf. Es wurde warm in seinem Gesicht.

Dann ist dein Schicksal besiegelt!“

Hektisch richtete sich Enago auf und stürzte panisch davon, die zischende Lache seines Meisters im Genick. Er rannte, rannte einfach geradeaus und selbst als er die Höhle schon lange verlassen hatte, hielt er nicht an. Er wagte es nicht, auch nur einen kurzen Blick zurückzuwerfen.

Der Schatten sah seinen Diener in Todesangst die Grotte verlassen und mehr eine Fratze als ein Grinsen breitete sich auf seinem scheußlichen Gesicht aus. Es bereitete ihm große Freude, Lebewesen leiden zu sehen. Schmerz und Leid zu verbreiten, das waren seine besten Freunde. Plötzlich hefteten sich seine weißen Augen auf ein purpurrotes Kissen, das neben seinem felsigen Thron stand, auf dem er saß. Auf diesem Kissen lag der schwarze Stein, den der Schatten in jener Nacht dem Zauberer Lunus abgenommen hatte. Der alte Mann hatte damals kaum Widerstand geleistet. Noch nicht einmal einen einfachen Zauber hatte der einst so mächtige Magier bewirken können. Das Einzige, was er getan hatte, nachdem seine Kehle mit Blut befleckt worden war, war, wissend zu lächeln.

„Gerechtigkeit wird siegen. Der Tod wird auch dich zurück in dein dunkles Grab zerren!“

Dann hatte die grausame Kreatur den schwarzen Stein aus Lunus lebloser Hand genommen und durch seine weißen, toten Augen die letzten Atemzüge des Zauberers genussvoll angesehen. Nun schien er nicht mehr aufzuhalten zu sein. Doch seine Flucht aus der Hölle hatte ihn fast seine ganze Lebensenergie gekostet, sodass er sich in diese Höhle zurückgezogen und erholt hatte.

Nun war er bereit. Bereit, diese Welt mit der Kraft des schwarzen Steines zu vernichten. Wüsste er doch nur, wie man ihn benutzt!




Todes Tochter

Подняться наверх