Читать книгу Seeland. Per Anhalter zum Strudelschlund - Anna Ruhe - Страница 12

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Habt ihr Hunger?«, fragte Muriel und rührte in einen dampfenden Topf. »Cidumpilzragout, ist noch von heute Mittag übrig«, erklärte sie. »Leider ist es etwas dickflüssig, das Wasser geht schon wieder zur Neige.«

Max nickte dankbar, während Muriel zwei dampfende Schalen füllte und jedem dazu einen Tee einschenkte. Neugierig musterte Max die weißen Metalltassen. Das Getränk darin war klar und farblos wie Wasser und roch süßlich.

Ziggy kramte in einem Schrank herum und wandte sich dann mit srengem Blick an seine Söhne. »Jungs, wo ist die Kiste mit den Karten schon wieder abgeblieben?«

Maik und Manon erklärten ihrem Vater gleichzeitig, wo die Kiste sich gerade befand. Schnell verließen sie die Küche – jeder mit einer anderen Vermutung.

Als Max seine Tasse zum Mund führte, zischte Emma: »Trink das bloß nicht! Schmeckt total widerlich.«

Doch zu spät, Max hatte bereits einen Schluck genommen. »Igitt!«, prustete er. »Was ist das? Schmeckt wie ranziges Bratfett mit Zucker.« Unauffällig stellte er seine Tasse neben sich auf die Bank. Doch anstelle eines »Ich hab’s dir ja gleich gesagt«, lächelte Emma ihn nur an und Max fiel auf, dass sie sich schon eine ganze Weile nicht mehr gestritten hatten.

»Das wird ja immer schräger«, murmelte Emma.

»Vielleicht ist das ja ein noch unentdeckter Ort?« Max zog eine Grimasse. »Sieht jedenfalls so aus, als ob die hier von uns genau so wenig wissen wie wir von denen.«

»Und was, wenn der Tunnel wirklich ein Geheimgang war? Dann müssten schon andere vor uns hier gewesen sein.«

Maila hüpfte herüber, rutschte zu Emma auf die Bank und strahlte sie an. Sie war ziemlich klein und schmächtig und mit ihren bunten Haarbändern schätzte Max sie auf ungefähr sieben Jahre. »Ich weiß nicht, warum meine Mutter alle mit dieser Brühe quälen muss. Ich trinke dieses Zeugs jedenfalls nicht.«

»Was ist das denn?«, fragte Emma.

»Cidumtee.« Maila zog ihre Mundwinkel so weit nach unten, wie sie konnte. »Sie macht überall Cidum dran!«

»Cidum?« Max hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon Maila sprach.

»Na, Cidumpilz! Wir sind Pilzbauern.«

Emma kicherte. »Ach, du meinst diese Riesendinger?«

»Genau. Wir haben ein paar Plantagen in den Höhlen. Deswegen gibt es bei uns ständig Cidum – in allen Variationen. Sogar auf meiner Geburtstagstorte lagen welche. Ich kann’s nicht mehr sehen.« Maila schüttelte sich. »Immerhin gibt es zum Abendessen immer Elmo!«

»Elmo?« Emma hob ihre Augenbrauen, doch schon im nächsten Moment polterte Ziggy herein und ließ die Kiste unter seinem Arm mit einem Rums auf den Tisch fallen. »Jetzt wollen wir mal sehen, wo euer Dorf liegt. Das wäre doch gelacht.« Mit diesen Worten breitete er mehrere gummiartige Matten vor Max und Emma aus. Eine von ihnen hielt er in die Höhe und zog daran herum.

»Das ist ja der Hammer!«, entfuhr es Max, als er sah, wie Ziggys Finger in dem zähen Material verschwanden und sich darin entlanggruben. Der Gummilappen schien eine dreidimensionale Landkarte zu sein, formbar wie ein Kaugummi. In dem zwei bis drei Zentimeter dicken milchigen Material steckten lauter winzige Insellandschaften. Wie bei einer Modelleisenbahn, dachte Max, nur viel kleiner.

Ziggy legte die Karte zurück auf dem Tisch, beugte sich darüber und schüttelte den Kopf. Er legte Zeige- und Mittelfinger an eine Stelle, dann schob er beide behutsam auseinander. An den Rändern legte sich das Gummi in Falten, wie die Haut eines Nilpferds, doch mittig vergrößerte sich der Kartenausschnitt wie unter einer Lupe. Plötzlich erkannten sie darauf Häuser, Pflanzen sowie Wasserstraßen und die dazugehörigen Ortsnamen.

Während Ziggy weiter die Karte absuchte, breitete sich vor Emma und Max eine gigantische Wasserlandschaft aus. Nur vereinzelt sahen sie Höhlen, Inseln oder Landzungen. Alle Dörfer und Städte lagen – so wie Eldena – auf Plattformen im Wasser.

»Wo genau soll denn euer Bittie Cross liegen? Über dem Wasserfall habt ihr gesagt?« Ziggy rieb sich die Stirn. »Wie sieht es denn dort aus?«

Emma blickte Max ratlos an. »Na ja. Es ist grün und wir haben statt Wasser Erde unter unseren Füßen.«

»So, so.« Ziggy schien sich offensichtlich immer noch nicht sicher, ob er die beiden ernst nehmen sollte. Er zog kräftig am Kartenrand, dort wo der Wasserfall eingezeichnet war. Allerdings endete die Karte genau an dieser Stelle. »Das verstehe ich nicht. Da sind nur Steine und Wasser, schaut selbst. Es gibt hier kein Dorf mit dem Namen Bittie Cross.«

Max und Emma blickten ratlos auf den Rand der Karte.

»Gibt es denn nicht noch eine andere Karte, die die Region hinter dem Wasserfall zeigt?«, fragte Max.

»Nein, das ist schon die detaillierteste Höhlenkarte, die ich habe. Da ist das Cidumfeld, dort der Wasserfall und ringsum sind die Felswände, weiter geht es nicht. Habt ihr außer diesem Wasserfall noch andere Anhaltspunkte?«

Max überlegte, wie er erklären sollte, was doch eigentlich so simpel war. Während er seine Hände in die Hosentaschen schob, ertastete er den Briefumschlag seines Vaters. Er fühlte sich gar nicht so anders an als Ziggys komische Karte. Kurz entschlossen zog er den Umschlag heraus und legte ihn auf den Tisch. »Ich hab noch eine Adresse, vielleicht ist die ja auf der Karte zu finden.«

Ziggy beugte sich darüber und augenblicklich hellte sich seine Miene auf. »Holdeener Steg 71543, Distrikt Emptern. Na also, das ist in Milmar!« Hastig bewegte er die Karte in eine andere Richtung, bis darauf eine große Stadt erschien und sein Blick über ein verzweigtes Straßennetz flog. Kurz darauf tippte sein Zeigefinger auf den Holdeener Steg. »Aber ich dachte, ihr wolltet zurück in euer Dorf?«

»Das wollen wir auch. Die Person, die dort wohnt, kann uns vielleicht sagen, wie wir wieder nach Hause kommen.«

»Das versteh ich nicht. Wieso glaubt ihr, im Holdeener Steg in Milmar zu erfahren, wie ihr zurück in dieses Bittie Cross findet?«

Max brachte es einfach nicht über sich zu erzählen, dass dort vielleicht sein Vater lebte, den er selbst aber gar nicht kannte. »Den Umschlag hab ich bei meiner Oma in Bittie Cross gefunden. Also könnte derjenige, für den der Umschlag bestimmt ist, doch wissen, wie man nach Bittie Cross kommt«, erklärte er.

»Und dieser Typ heißt Mortensen Hickmans?« Emma las den Namen über der Adresse laut vor und schaute Max mit großen Augen an. Offenbar verkniff sie sich nur mit Mühe eine ganze Reihe weiterer Fragen.

Ziggy hingegen schien die Erklärung zu genügen. Er kramte weiter in der Box herum, bis er eine andere Karte gefunden hatte, die er ihnen hinhielt. »Die hier könnt ihr mitnehmen, davon habe ich mehrere. Sie ist zwar kleiner, aber damit kommt man in Milmars Straßen gut zurecht.«

»Wirklich? Die sieht echt teuer aus«, sagte Emma ungläubig.

Ziggy lachte auf. »Ach was, die bekommst du für ein paar läppische Greshams an jedem Kiosk.«

»Das ist kein Papier, oder?«, fragte Max.

»Papier? Nein, Karten müssen aus Elastopri sein, sonst könnte man sie ja gar nicht unter Wasser vergrößern.«

»Unter Wasser?«, fragte Emma und hob eine Augenbraue.

»Na, wenn ihr zum Beispiel in die Unterstadt von Milmar wollt, die liegt vollständig unter Wasser. Kinder, Kinder, habt ihr davon wirklich noch nie gehört?« Ziggy nestelte in seiner Brusttasche herum. »Ich nehme mal an, dann habt ihr auch nichts, womit ihr eine Fahrt nach Milmar bezahlen könnt.«

Max und Emma starrten verwirrt auf die zwei ungewöhnlichen Münzen, die Ziggy ihnen hinhielt. Mehrere ineinandergesteckte Ringe bildeten zwei runde Metallscheiben. Anscheinend konnte man jeden Ring einzeln abnehmen.

»Nehmt schon«, sagte Ziggy. »Am Hafen, wo wir angekommen sind, fährt mehrmals am Tag ein Wasserbus nach Milmar. Wenn ihr den Express nehmt, seid ihr morgen früh in Milmar. Ein großer Gresham müsste für eine Fahrt pro Person ausreichen. Ich hoffe, ihr findet diesen Mortensen und er kann euch weiterhelfen.«

Max zog an der Karte, wie er es bei Ziggy beobachtet hatte. »Ist Milmar denn sehr groß?«, fragte er, als sein Finger tastend über die vielen Hochhäuser strich.

»Das kann man wohl sagen. Milmar ist die Hauptstadt von Seeland. Die verzweigten Straßen sind anfangs ein wenig verwirrend, aber wenn ihr euch strikt an die Karte haltet, solltet ihr euch eigentlich nicht verirren.«

Seeland. Max schaute Emma an, der wohl das gleiche Wort durch den Kopf tobte. Sie waren wirklich in einer ganz anderen Welt gelandet.

Seeland. Per Anhalter zum Strudelschlund

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