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1 Alkohol und Mädchen

„Was meint er mit der Maske des Biedermanns?“, fragte Lisa.

„So was wie der Wolf im Schafspelz oder des Pudels Kern oder der Piranha in der Badewanne“, zählte Ben auf.

„Was war noch mal im Pudel?“, fragte Lisa irritiert.

„Mephistopheles, der Abgesandte des Teufels“, sagte Ben.

„Redet keinen Schwachsinn. Im Grunde hat er nur versucht, uns auszuhorchen“, schnaubte Chong und schüttelte sich vor Ärger. „Ich hasse so was … ich hasse es!“

„Du Dödel hast ihm ja freiwillig alles erzählt“, lachte Milli, „aber er wird uns schon nicht verpetzen.“ Zugleich fiel ihr ein, dass sie Emmas alten Ghettoblaster vergessen hatte. Sie verharrte einen Moment unentschieden und beschloss dann, ihn später abzuholen.

Als sie sich von Jutta verabschiedet hatten, hatte niemand mehr daran gedacht. Stattdessen hatte Jutta noch mal ganz ausführlich erklärt, was für ein großer Wohltäter Ziggedorn war.

Ziggedorns Zaun, wie Lisa die Anlage nannte, die Ziggedorn-Electronics von der Außenwelt abschirmte, war nicht weit entfernt. Sie liefen über das matschige Feld und über die Straße, die zum Ostufer des Koppelitzer Sees führte, vorbei an der Baustelle der neuen Antenne.

„Diese Straße weiter hoch und dann rechts, direkt am See, ein bisschen verschanzt, da wohnt Lukrezia“, sagte Lisa. „Das Grundstück der Ziggedorns reicht bis ans Ufer, was gegen die Bauvorschriften verstößt. Man kann da nicht mehr spazieren gehen.“

„Das Haus ist eine Festung“, Chong schnalzte mit den Lippen und drehte sich zu Milli und Ben um. „Drumherum ist eine Mauer, bewachsen mit stachligem Grünzeug und obendrauf spitzen Scherben. Richtig fies. Und wenn man vor dem Stahltor steht, wirkt das Haus total mickrig, wie ein grauer, kleiner, platter Bungalow. Aber es ist terrassenförmig über drei Ebenen den Hang runter gebaut, was man nur vom See aus sieht. Mir scheint die unterste Ebene am größten. Die haben sagenhaft viel Platz und einen Swimmingpool, trotz Privatstrand. Dann gibt es auch noch ein cooles Gästehaus, das versteckt hinter Bäumen liegt.“

„Seid ihr mit Lukrezia befreundet?“, fragte Milli verblüfft.

„Chong ja“, entfuhr es Lisa. Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm und kicherte. „Vor allem mit Gästehäusern kennt er sich aus, und Lukrezias Swimmingpool ist ihm ganz besonders ans Herz gewachsen.“

„Das ist nicht fair!“ Chong wurde rot. „Lukrezia hat mich reingelegt, und seit der Party lässt sie mich nicht mehr in Ruhe.“

Milli blieb stehen. „Wie bitte? Ihr geht auf Lukrezias Partys?“

„Bloß nicht stehen bleiben“, sagte Chong, „so interessant ist das nun auch wieder nicht.“

„Ich finde schon“, bemerkte Lisa mit fröhlichem Gesicht.

Milli ließ sich zum Weitergehen bewegen und sah Lisa ungläubig an. „Das musst du mir erklären.“

Lisa hakte sich bei ihr ein und pfiff ein paar Takte aus einem albernen Werbespot.

„Ach komm Chong – bitte! –, lass mich das erzählen.“

„Weiber“, murmelte er und kickte nach einer Plastikflasche, in der dreckiges Wasser hin und her schwappte.

„Also gut“, begann Lisa. „Das war im Januar zu Hause bei Lukrezia auf ihrer Geburtstagsparty. Chong konnte es mal wieder nicht lassen, zu experimentieren, gemeinsam mit Lukas Jahn, der für so was immer zu haben ist. Die beiden haben sich ins Gästehaus abgesetzt, offenbar um dort alchemistische Studien zu betreiben. Mit Hilfe der Hausbar.“ Lisa schüttelte sich und verzog das Gesicht, als hätte sie in einen sauren Apfel gebissen. „Sie haben dann ihre Ergebnisse im Selbstversuch getestet. Chong war so was von knülle, er konnte kaum noch gehen.“

„Ich hab nur Goji-Schnaps probiert“, protestierte Chong. „Der ist tierisch gesund.“

Lisa rollte ihre Augenbälle. „Gojibeeren sind gesund, der Schnaps nicht“, sagte sie schulmeisterlich. An Milli und Ben gerichtet setzte sie ihre Erzählung fort: „Goji- oder Wolfsbeeren, das sind die kleinen roten Beeren, die Chongs Mutter bei sich im Garten züchtet. Wir essen die meistens getrocknet.“

Chong, der sie von der Seite beobachtet hatte, lächelte grimmig.

„Trotzdem“, sagte Lisa und blieb stehen. Sie wischte ein paar Fussel von ihrer Jacke und hob dramatisch die Hände. „Oh ja! Ich sehe es noch vor mir: die Jungs stockbesoffen. Lukrezia tritt in Erscheinung und das Schauspiel beginnt.“

„Mann, ich war hinüber, der totale Blackout“, sagte Chong matt.

„Ja, ja, ja“, fuhr Lisa gnadenlos fort. „Lukrezias Plan ging nicht ganz auf. Sie hatte Chong vom Gästehaus erzählt. Natürlich wollte sie dort mit ihm allein sein. Lukas Jahn war nicht eingeplant, also musste sie improvisieren.“

Milli sah Chong zweifelnd an und fragte: „Lukrezia wollte mit dir allein sein, so richtig geplant?“

„Lukrezia überlässt nie was dem Zufall“, klärte Lisa sie auf.

„Das ist Lisas Theorie“, sagte Chong ärgerlich.

„Du hättest besser aufpassen sollen“, erklärte Lisa. „Du unterschätzt Lukrezia.“

Drei Krähen stritten mit großem Radau um ein Stück Abfall. Für einen Moment waren sie abgelenkt.

„Und was ist dann passiert?“, fragte Milli neugierig.

„Julia Hutter, die in der Schule neben mir sitzt, trat auf den Plan“, erklärte Lisa wild gestikulierend. „Lukrezia überredete sie, Lukas wegzulocken. Sie wusste, dass er auf sie steht. Julia musste sich auch nicht besonders anstrengen, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf.“

Milli betrachtete Chong mit gesteigertem Interesse.

„Es ist nichts passiert“, sagte Chong ärgerlich.

„Wie willst du das wissen, wenn du einen Blackout hattest?“

Chong wandte das Gesicht ab und murmelte etwas Unverständliches.

„Nichts passiert – kann nicht sein“, bohrte Lisa weiter. „Du hast mir erzählt, dass es im Gästehaus einen Infrarotkamin gibt, der auf den ersten Blick wie echtes Feuer aussieht.“

„Der war schon an, als Lukas und ich reinkamen.“

„Davon rede ich doch du Dödel!“ Lisa schrie beinahe vor Eifer. „Jemand hat den vorher angemacht. Alles war geplant. Die coole Schnapsbar, die nette Atmosphäre, die Kissen vor dem Kamin – zu viel Arrangement auf einmal. Das macht sich nicht von allein.“

„Wir wollten nur mal gucken –“, Chong stieß einen Schrei aus und landete auf dem Hosenboden im Matsch. „Wollt ihr mich fertig machen?“ Er sprang wieder auf die Beine und wischte das Gröbste ab.

Lisas Blick verfing sich in Chongs schmutziger Hose und sie schloss kopfschüttelnd die Augen.

„Wie auch immer, kurze Zeit später fand man Chong im Swimmingpool, komplett angezogen und bester Laune trotz der Kälte. Es war ja immerhin Januar.“

„Krass“, sagte Ben. „Für mich wäre das der sichere Tod.“

„Nicht mit so viel Alkohol im Blut“, klärte Lisa ihn auf.

Milli musterte Chong bestürzt und belustigt.

„Im Januar haben die noch Wasser im Becken“, murmelte Ben.

„Gefällt Ziggedorn besser. Er ist ein Ästhet“, sagte Chong ärgerlich. Dann lachte er und fuhr grimmig fort: „Der Pool ist natürlich beheizt.“

„Aber bloß, dass er nicht zufriert.“ Lisa klatschte in die Hände, um sich wieder die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu sichern. „Unser Freund Chong war nicht allein im Pool … in seinen Armen lag Lukrezia. Er trug sie heldenhaft zum Beckenrand, diese kleine hinterlistige Kuh. Sie hat gezittert wie Espenlaub und so getan, als wäre sie von der Titanic ins Eismeer gestürzt, und Chong Dachs ihr edelmütiger Retter.“

Vor Begeisterung klatschte nun auch Milli in die Hände. Die Geschichte war einfach zu unwahrscheinlich, um nicht wahr zu sein.

„Was hätte ich tun sollen“, sagte Chong trocken. „Die Dame rief um Hilfe.“

„Gerufen ist noch milde ausgedrückt“, sagte Lisa spitz. „Die Dame hat gequietscht als bekäme sie ein Klistier verabreicht. Hast du dich jemals gefragt, wie sie da überhaupt rein gekommen ist – die Dame?“

Chong lächelte säuerlich.

Lisa setzte ihre Erzählung für Milli und Ben fort: „Ich war nämlich nüchtern und konnte alles beobachten. Chong war allein und kam im Schneckentempo den Weg zurück. Er hat geschwankt wie eine Hochseeboje. Sie kam hinterher und ist dann einfach in den Pool gesprungen, wo sie zu schreien anfing.“

Milli sah abwechselnd Lisa und Chong an. „Du meinst, Chong ist einfach gegangen?“

„Ja. Er hat sie dort allein vor dem gemütlichen Infrarotkamin sitzenlassen. Lukrezia behauptet aber, er hätte sie ins Wasser geschubst.“

„Hä? Warum sollte er das tun?“

„Angeblich, weil sie nichts von ihm wollte.“

Milli sah Chong entgeistert an.

Chong steckte die Hände in die Taschen und betrachtete den Himmel. „Ich kann mich an nichts erinnern.“

„Da siehst du mal“, sagte Lisa pikiert. „Er spielt den Kavalier. Zufällig hab ich aber gesehen, dass die Dame selbst rein gesprungen ist. Wenn Chong sie gestoßen hat, dann bin ich Rumpelstilzchen.“

Milli wusste nicht, ob sie lachen durfte. Chong tat ihr plötzlich leid. Die Hochstimmung der letzten Minuten war verflogen.

„Und was wurde aus der Party?“, fragte Ben.

„Das frische Bad hatte Chong ernüchtert, so dass er wieder gerade gehen konnte, da –“

„Diana Schwert, diese seltsame Hausdame“, fiel Chong Lisa ins Wort, „hat uns in Bademäntel gesteckt und den großen Kamin im Wohnzimmer angemacht. Ich kann mich noch an das Schaffell erinnern, auf dem ich saß … und an Lisas nüchtern grimmigen Blick.“

Alle, außer Lisa, lachten.

„Wie ein Tanzäffchen hat sie sich an ihn gehängt“, entfuhr es Lisa, „und er hat es sich gefallen lassen.“

„Die Sache ist gegessen“, sagte Chong genervt.

„Für dich vielleicht schon“, erwiderte Lisa ungerührt, „aber für Lukrezia nicht. Sie wird diese Schlappe nicht einfach einstecken. Darauf kannst du wetten. Sie ist gewohnt, zu kriegen, was sie will.“

Chong grinste und antwortete: „Wenn ich ein alter Spießer wäre, würde ich jetzt sagen: Die Dame ist noch in lernfähigem Alter. Denn was mich angeht, ist die Geschichte beendet.“

„Haben Lukrezias Eltern nichts gesagt?“, schaltete Milli sich ein.

„Die waren verreist“, antwortete Lisa mit einem Seitenblick auf Chong.

„Und ihr – habt ihr schon eure Schuhe gesehen“, wechselte er auffallend diskret das Thema. An seinen Turnschuhen klebte reichlich Matsch, und er versuchte, sie an einem Grasbüschel abzuwischen. „Meine kann ich zum Glück in die Waschmaschine stecken.“

„Jetzt kapier ich, warum Lukrezia bei dir so affektiert tut“, kam Milli ohne Umschweife auf das Thema zurück. „Sie ist in dich verknallt.“

Chong heulte auf wie ein Wolf und blieb abrupt stehen. „Ihr denkt wohl, dass ihr den totalen Durchblick habt?“

Milli versuchte ihn weiterzuschieben, und er wehrte sich mit einem Griff, der sie manövrierunfähig machte.

„Lukrezia verknallt sich nicht einfach nur so“, sagte er ärgerlich. „Sie sieht gut aus und das weiß sie. Der Rest ist eine reine Machtfrage und die kalkuliert sie eiskalt. Lisa weiß das genau.“

Milli versuchte sich zu befreien, konnte sich aber nicht losmachen.

„Hey Chong, das ist unfair. Ich kann kein Kung Fu.“

„Das ist kein Kung Fu.“ Er lachte und ließ sie frei.

„Du bist ganz schön selbstsicher, was?“

„Wäre das schlimm?“, fragte er zurück.

Milli schnaubte. „Du willst dir nix von Mädchen sagen lassen ...“

Chong hob einen Stock vom Boden auf und stocherte im Sand herum. „Was wollt ihr? Erst nervt Lisa und jetzt du. Die Sache ist viel simpler, als ihr denkt. Lukrezia Ziggedorn versucht, sich in mein Leben zu drängen, da hat sie aber nichts zu suchen. Ich bestimme, was mich beschäftigt oder nicht beschäftigt, und nicht du oder Lisa oder sonst wer. Ist das so schwer zu verstehen?“

Milli schluckte. Für eine Sekunde verstand sie, warum Lukrezia sich an Chong die Zähne ausbiss. Er tat nicht nur überlegen, sein Benehmen war auch noch entmutigend. Es gelang ihr, ein paarmal zu husten, um ihre Bestürzung zu verbergen.

Langsam gingen sie weiter, und Lisa hakte sich bei Milli ein.

„Take it easy“, flüsterte sie. „Mit Freiheit und Selbstbestimmung hat er einen Tick. Das hat alles mit seinem Kung Fu zu tun. Manchmal redet er auch irgendwie – philosophisch, aber das kriegst du noch früh genug mit.“

Four on Level 4

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