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1 Batori

Der Möbelwagen kam kurz nach eins. Die Männer fingen sofort mit der Arbeit an.

Arpad Batori hatte fülliges Haar, das dunkelgrau geworden war, braune Augen und eine markante Hakennase. Er war der Halbbruder von Johannas Vater, und Johanna und Milli waren seine einzigen Verwandten.

Er umarmte Johanna und sagte leise: „Es wird alles gut werden, hab keine Angst.“

„Ich bin fertig!“, rief Milli dazwischen und versuchte, ein fröhliches Gesicht zu machen. „Wir müssen nur noch die empfindlichen Sachen ins Auto laden, drei Kartons und die Gitarre.“

„Machen wir“, sagte er und gab ihr einem Kuss auf die Wange.

Sie sollten vorausfahren. Rippel würde Johanna später direkt in die Klinik bringen.

Vor der Tür stand ein bordeauxfarbenes Auto mit schwarzem Dach, das wie eine Flunder aussah.

„Ist das neu?“, fragte Milli.

„Nein, ein Oldtimer. Ein Citroen, bestimmt dreimal so alt wie du. Der steht meist bei Dix Weber, in einer seiner Garagen.“ Batori lächelte. „Die Autowerkstatt hinter der Tankstelle, gleich am Ortseingang.“

„Kenn ich“, sagte Milli, „der ist okay. Chong und ich haben mal Musik bei dem gehört.“

Es war nicht viel Verkehr und der Citroen schwebte über die Autobahn. Die Sonne stand hoch am Himmel, und die Landschaft leuchtete nach einem kurzen kräftigen Regen. Hecken und Bäume, kleine Seen und Hügel dampften in der Sonne. All das hatte etwas ungemein Beschauliches.

„Du bist so still“, sagte Batori.

„Ich dachte bloß an die Schule und meine Deutschlehrerin“, sagte Milli. „Sie meint, dass es gut wäre, wenn Mama in die Klinik kommt; dann werde ich nicht um meine Jugend betrogen.“

Batori buschige Augenbrauen zogen sich zusammen. „So was sagt eine Lehrerin zu dir?“

Milli war klar, dass er so reagieren würde und antwortete ruhig: „So sind Vertrauenslehrer, die reden mit allen so.“

„Hmm, soso.“ Batori betrachtete sie nachdenklich. „Und woher weiß sie das mit der Klinik?“

„Keine Ahnung. Von mir bestimmt nicht.“

„Dann hat sie vermutlich auch von deinem Vater gehört, und dass du nun mit Johanna allein lebst?“

„Könnte sein“, antwortete Milli knapp.

Eine Weile fuhr Batori stumm weiter.

„Und was sagst du, wenn jemand nach deinem Vater fragt?“

Milli seufzte und lächelte nachsichtig. „... dass er tot ist.“

Ihr Onkel blickte sie bestürzt an. „Das tust du?“

„Ja. Wenn sogar Mama meint, das würde weitere Fragen ersparen.“

Sie fuhren eine Weile schweigend. Milli starrte den Himmel an. Über ihnen war ein riesiges X aus verwischten Wolkenbändern. Kreuzende Flugzeuge hatten Kondensstreifen hinterlassen, die sich langsam auflösten.

„Da mag sie vielleicht sogar recht haben“, sagte Batori schließlich. „Glaubst du denn, dass dein Vater tot ist?“

„Also … eigentlich denke ich, dass irgendwas anderes passiert ist“, antwortete Milli zögernd.

Batori nickte bedächtig und sah sie prüfend an. „Du bist ein tapferes Mädchen, Emily. Hast du mitbekommen, dass eine Lehrerin deine Mutter zu Hause besucht hat?“

Millis Augenbrauen wanderten erstaunt in die Höhe. „Nein. Weshalb?“

„Diese Frau wollte sich ein Bild vom Zustand deiner Mutter machen. Johanna hat mir davon erzählt, und wir beide waren überrascht, dass sie so viel über eure Verhältnisse wusste“, sagte Batori ruhig.

Millis Laune verfinsterte sich. Sie erinnerte sich an ein paar seltsame Andeutungen. Ihre Mutter hatte wissen wollen, ob sie etwas ausgeplaudert hätte.

„Etwas stimmt nicht, oder?“

„Allerdings, das denken wir auch“, erklärte Batori gelassen. „Jemand spioniert euch nach. Eine Frau, die sich als eure Nachbarin ausgab, war in der Schule und hat die Geschichte mit deiner Mutter breitgetreten. Die üblichen Verleumdungen: Alkoholismus, Tablettenmissbrauch und Selbstmordversuch. Die Rede war von Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Das Jugendamt hätte dich in ein Heim gesteckt oder zu Pflegeeltern gegeben.“

„Was!?“ Milli war entsetzt. Natürlich hatte sie sich gewundert, dass plötzlich alles so schnell gehen sollte: der Umzug zu ihrem Onkel und die Einwilligung ihrer Mutter in den Klinikaufenthalt.

„Ich hab mich schon gefragt, warum Mama plötzlich freiwillig in die Klinik geht“, sagte Milli erschüttert. „Du weißt doch, dass sie sich immer dagegen gewehrt hat ... ein Alptraum war das für sie. Ihr hättet mir ruhig was sagen können.“

„Deine Mutter schämt sich und wollte dich nicht belasten.“

„So ein Quatsch. Sie belastet mich mit allem.“ Milli sah eine Weile reglos aus dem Fenster. „Ich verstehe das nicht“, sagte sie dann, „Mama und ich haben keine Geheimnisse voreinander.“

„Es tut mir leid, Emily, aber wir wollten abwarten, bis wir wussten, was wir machen sollten. Da diese gesprächige Dame das Jugendamt aufgescheucht hatte und die Lage ernst wurde, habe ich dann das vorläufige Sorgerecht für dich beantragt. Und vor einer Woche habe ich es erhalten.“

Millis Mund klappte auf. Sorgerecht? Wie sich das anhörte! Batori war ihr Onkel. Genau genommen ihr Großonkel. Andererseits – die Sache hatte auch ihr Gutes. Er konnte Zeugnisse und Entschuldigungen unterschreiben und war eine Respektsperson; die Leute würden sie in Ruhe lassen, dafür würde er schon sorgen.

„Deine Mutter hat es nicht übers Herz gebracht, es dir zu sagen“, sprach Batori langsam weiter. „Sie macht sich Vorwürfe und wandte sich an Lorenz. Er ist ein guter Anwalt – einer der besten, glaub mir, ich kenne viele –, und er hat alle Möglichkeiten ausgeschöpft; wir hatten keine andere Wahl. Und so sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es das sicherste ist, wenn Johanna freiwillig in eine Klinik geht und du zu mir kommst.“

Für einen Moment kam es Milli so vor, als schwebte sie über einer großen Leere. Sie holte tief Luft und versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Okay, Batori. Mama ist ziemlich empfindlich geworden, aber nicht alles, was um sie herum geschieht, ist Einbildung.“

Ihr Onkel bedachte sie mit einem kritischen Blick.

Obwohl Batori vieles von ihrer Mutter wusste, ein paar Dinge würde vermutlich auch er nicht verstehen, dachte Milli, aber einen Versuch war es wert:

„Wir hatten wieder anonyme Telefonanrufe – wie damals im alten Haus, wo niemand dran war, und die Nummer ließ sich nicht zurückverfolgen“, erklärte sie, „und als wir die Nummer gewechselt hatten, ging es mit den Anrufen trotzdem weiter. Mich hat das nicht verrückt gemacht, aber Mama – du kennst sie ja.“

Sie machte eine Pause und trommelte auf ihren Oberschenkeln, während sie beschloss, die Fernsehsache mit den falschen Bildern und dem nervigen Störton nicht zu erzählen.

„Einmal haben uns ein Mann und eine Frau im Tiergarten beobachtet und sind uns gefolgt“, fuhr sie fort. „Eine Freundin von mir war dabei und hat es auch gesehen. Den Mann habe ich später noch einmal gesehen; er stand unten, schräg gegenüber vor unserem Haus und tat so, als warte er auf jemanden. Und auch die Frau habe ich wiedergesehen, und zwar bei mir an der Schule.“ Milli musste vor Ärger schlucken. „Davon habe ich Mama natürlich nichts erzählt. Sie hätte sich nur aufgeregt. Aber so ging das die ganze Zeit.“

Batori sah eine Weile geradeaus auf die Straße und schwieg.

„Deine Mutter hat mir auch einiges erzählt“, sagte er schließlich. „Aber du sollst dir keine Sorgen machen, Emily. Johanna wird sich erholen. Du bist bei uns in Sicherheit, bei mir und Emma und Lorenz. Aber sprich nicht mit Fremden über diese Dinge. Versprichst du das?“

Milli sah ihren Onkel verdutzt an und musste lachen. „Ehrlich, Batori, du machst Witze. Niemals würde ich davon freiwillig erzählen. Jetzt im Ernst, niemandem gegenüber. Ich bin doch nicht verrückt!“

Batori lächelte schwach und nickte.

„Emily, meine Liebe … ich denke, Professor Wissmut wird deine Mutter wieder gesundmachen. Ich kenne ihn gut, er ist ein bemerkenswerter Arzt. Und du sollst dich jetzt um dich selbst kümmern, neue Freunde finden und hier glücklich sein. In Ordnung?“

Milli schüttelte ihre Schuhe von den Füßen und verknotete die Beine zum Schneidersitz. „Trotzdem, ihr hättet mich einweihen sollen, ich bin schließlich kein Baby mehr.“

„Das tut mir leid“, antwortete ihr Onkel. „Du weißt, wie fürchterlich kompliziert deine Mutter sein kann. So hat sich alles in die Länge gezogen, bis es zu spät war.“

Koppelitz war bekannt als hübscher und gepflegter Luftkurort, umgeben von mehreren mittelgroßen und kleinen Seen. Frühling bis Herbst boomte der Tourismus. Es gab eine Anzahl Hotels und Pensionen, viele Cafés, zwei Campingplätze und eine FKK-Kolonie.

Die Koppelitzer waren stolz auf ihre Krankenhäuser. Sie waren nicht groß, aber auf dem neuesten technischen Stand. Es gab sogar zwei Kliniken für Plastische Chirurgie. Dann waren da noch die neue Willy-Brandt-Schule, auf die Milli nach den Osterferien gehen sollte, und das alte Schwimmbad. Ein neues war bereits in Planung.

Direkt vor der Stadt hatte sich der Elektronikkonzern Ziggedorn niedergelassen. Seitdem ging es mit dem Städtchen steil bergauf. Ein paar unliebsame Koppelitzer behaupteten, Ziggedorn sei ein skrupelloser Geschäftemacher. Sie wurden im Ort die Störenfriede genannt. Alle anderen betrachteten ihn als Wohltäter. Mit den Störenfrieden sympathisierten überwiegend Leute von außen, und zum Erstaunen der braven Koppelitzer wurden es immer mehr. So hatte sich Koppelitz zu einem Zentrum für Demonstrationen und Protestkundgebungen entwickelt. Für viele Koppelitzer war das verwirrend, aber nach anfänglichen Querelen beschloss der Stadtrat, sich mit den Störungen abzufinden. Laut Statistik belebte der Demonstrationstourismus das Geschäft der lokalen Gastronomie.

Dem Stadtrat gehörte auch Dr. Thor Ziggedorn an. Und das, obwohl er weit wichtigere andere Positionen bekleidete. Außerdem war er „chairman of the board“, Gründer und Inhaber der Anteilsmehrheit von Ziggedorn-Electronics.

Armut schien in Koppelitz ausgestorben, zumindest sah man sie nicht, und jeder in Koppelitz wusste, dass all die hübschen Parkanlagen, die Springbrunnen, der neu angelegte Kreisverkehr, Fahrradwege und öffentliche Toiletten, Papierkörbe und Bänke, der Kunstverein und die originelle Straßenbeleuchtung auf Ziggedorn zurückgingen.

Sie nahmen die Abfahrt Koppelitz. Der Citroen glitt gemächlich eine enge und kurvenreiche Landstraße entlang, die links und rechts von Bäumen gesäumt war. Einige waren bis zum Astansatz mit weißer Farbe angemalt, die in der Nacht das Licht der Scheinwerfer reflektierte.

Bei Ziggedorn-Electronics war offenbar Schichtwechsel und auf der Koppelitzer Landstraße hatte sich eine Schlange gebildet. Sie blieben vor dem Betriebsgelände an einer roten Ampel stehen, wo zwei junge Frauen ein selbstgemachtes Transparent in die Höhe hielten: TEILT UNTEREINANDER UND RETTET DIE WELT. Vor dem Ziggedorn-Gebäude lag ein großer Parkplatz. Wollte man hinein, musste man an einem Pförtnerhäuschen vorbei. Zur Verschönerung des Platzes standen hier und da Bäumchen in Kübeln herum. Links vorm Eingang gab es einen geräumigen Imbisswagen mit der Aufschrift: Pommes-Wuttke. Davor standen unter einer Zeltplane kleine Tischchen mit karierten Decken und Holzstühlen.

Das rechteckige Hauptgebäude war cremeweiß mit einem durchbrochenen dunkelblauen und ockerfarbenen Streifen im oberen Drittel. Über dem Haupteingang hing eine kunstvolle Neonreklame, die irgendwas mit Ziggedorn und Future pries. Auf dem flachen Dach stand eine riesige schüsselförmige Antenne. Links davon war ein schmaler zylindrischer Turm mit winzigen Fenstern, der eine Antenne in Form einer Kugel trug, und hinter dem Gebäude ragte ein obeliskenartiger alter Ziegelei-Kamin mit goldglänzender Spitze hervor. Das Ensemble hatte etwas Fantastisches, Altes und Neues nebeneinander.

Milli versuchte den Durchmesser der großen Schüssel auf dem Dach zu schätzen und kam auf zehn Meter.

„Solche Antennen werden auch zum Fernlenken von Drohnen oder Satelliten und Raketen verwendet“, sagte sie und betrachtete den Himmel, als gäbe es dort etwas zu entdecken. „Und natürlich auch zur Überwachung oder als geheime Waffen“, fügte sie stirnrunzelnd hinzu.

Batori warf ihr einen undefinierbaren Blick zu. „Dann hast du mit Tom – mit deinem Vater darüber gesprochen?“

„Neiiin!“ Milli lachte und verdrehte die Augen. „Guckst du keine Filme? Und Computerspiele, Science-Fiction und so … Aber nach den Antennen zu urteilen, ist dieser Ziggedorn schon ziemlich groß?“

Batori lächelte und senkte die Stimme. „Sogar noch größer als seine Antennen. Ziggedorn ist mittlerweile ein Weltkonzern. Sie haben vor einiger Zeit die Rüstungssparten anderer Unternehmen aufgekauft und haben jetzt eine führende Position im Bereich Luft- und Raumfahrttechnik, vor allem im militärischen Bereich. Waffenproduktion bringt viel Geld, besonders in Krisenzeiten.“

Milli hatte keine klare Vorstellung von Ziggedorn-Electronics, obwohl ihr Vater dort gearbeitet hatte. Sie wusste nur, dass er seine Arbeit mochte, er war mehr dort gewesen als zu Hause. Und zu Hause hatte er oft an seinen Sachen weitergearbeitet, oder mit befreundeten Wissenschaftlern über die Arbeit gesprochen.

„Schon merkwürdig, dass ein Weltkonzern ausgerechnet nach Koppelitz zieht“, sagte sie und schnaubte ungläubig.

„Ziggedorn hat viele Standorte, auch im Ausland – sogar in Krisengebieten“, erwiderte Batori in beiläufigem Ton. „Dein Vater war in der Nähe von Potsdam, seine Abteilung ist vor vier Jahren nach Koppelitz verlegt worden … dieses ganze Desaster –“, er brach mitten im Satz ab und sah Milli zerstreut an, „aber das weißt du ja …“

Es trat eine kurze Stille ein.

„Klar“, versicherte Milli, obwohl es gelogen war. „Du meinst, wir wären eh nach Koppelitz gezogen?“

Hinter ihnen hupte es und Batori gab Gas. Er nickte flüchtig. „Äh, ja – gewiss, und nun kommt ihr vier Jahre später.“

Aber Milli ging plötzlich ein Licht auf, und sie begriff, dass er mit Desaster nicht den Umzug gemeint hatte.

„Du meinst den Satellitendiebstahl“, sagte sie mit beleidigtem Gesicht. „Natürlich weiß ich das. Du kannst ruhig normal mit mir darüber reden, ich hab alles gegoogelt. Aber ich glaube nicht, dass Papa Ziggedorns Satelliten gestohlen hat. Wie soll er ihn aus dem Labor rausgeschmuggelt haben? Es erklärt auch nicht, warum er verschwunden ist. Er hätte uns niemals alleingelassen.“

Batori schwieg eine Weile. „Nun – merkwürdig ist es schon“, sagte er schließlich. „Ich halte deinen Vater auch nicht für einen Satellitendieb. Aber mir scheint, dass er den ganzen Schlamassel womöglich selbst verursacht hat. Er hat sich zu wenig um Konventionen geschert und war allzu furchtlos. Seine Arbeit war von entscheidender Bedeutung, Ziggedorn hat sie finanziert und jetzt ist das Ergebnis verschwunden. Und nur dein Vater hatte Zutritt zu dem Labor. Für Ziggedorn ist die Sache klar.“

Milli wurde ungeduldig. Sie hatte natürlich viel von Ziggedorn gehört. Entweder zerrissen sich die Leute über ihn das Maul, weil er so mächtig war oder sie bewunderten ihn gerade deshalb. Aber wenn sie Fragen über Ziggedorn und ihren Vater stellte, bekam sie nie klare Antworten.

„Vielleicht ist es keine so gute Idee, dass Mama und ich jetzt in Koppelitz wohnen. Was ist, wenn Ziggedorn sich an uns rächen will?“

„Nein Emily“, antwortete Batori scheinbar amüsiert. „Ziggedorn wird euch nichts tun.“

„Wieso bist du dir da so sicher? Du hast gesagt, dass Ziggedorn auch in Koppelitz wohnt.“

Er sah sie an und lächelte. „Emily, überleg mal: Wenn er sich an euch rächen wollte, wären die hundert Kilometer bis nach Berlin kein Hindernis. Und die zwanzigtausend bis zur anderen Seite des Erdballs auch nicht, nebenbei gesagt. Aber du kannst mir vertrauen. Wenn jemand Thor Ziggedorn kennt, dann bin ich das. Du und deine Mutter seid hier in Sicherheit.“

Er würde mir eh nichts Wichtiges sagen, dachte Milli und sparte sich weitere Fragen. Obwohl sie Ziggedorn nie begegnet war, hatte sie längst beschlossen, ihn nicht zu mögen.

„Ich könnte mal was trinken“, wechselte sie das Thema.

„Wir müssen noch kurz was bei Dix abholen, da kannst du auch deinen Durst löschen.“

Sie bogen nach links auf die Tankstelle ab. Ein alter Mann mit Strohhut winkte einen Gruß in ihre Richtung. Batori fuhr zu einer Ansammlung von bunt angestrichenen Garagen, die früher einmal der nationalen Volksarmee gehört hatten. Überall lagen Reste von Autos herum. Ein flaches Backsteingebäude diente als Büro. Über der Tür hing ein großes glänzendes Metallschild mit leuchtend blauen Lettern: DIX WEBER, KFZ MEISTERBETRIEB. Darunter ein gelb lackiertes mit schwarzer Schrift: Elektroinstallationen und Feinmechanik. Zehn Zentimeter tiefer: Ich repariere alles. Um den Türrahmen rankte sich eine blinkende Lichterkette.

In einer Garage nebenan werkelte ein Mann mit ungewöhnlich strubbligen Haaren. Sein kariertes Flanellhemd war ihm zur Hälfte aus der Jeans gerutscht. Dix Weber warf einen skeptischen Blick über die Schulter.

„Hast du deinen Weihnachtsschmuck immer noch in Betrieb“, begrüßte ihn Batori.

Dix Weber nahm einen dreckigen Lappen vom Boden und verteilte das Schmieröl auf seinen Händen gleichmäßiger, um sie dann beiden mit freudiger Energie zu schütteln. Milli wollte was sagen, aber ihr fiel nichts Gescheites ein. Unauffällig ging sie hinter Batoris Rücken in Deckung. Dix sah ziemlich gut aus. Millis Freundinnen hätten ihn sicher toll gefunden: Bartstoppel, struppige Haare, große weit auseinanderstehende Augen und ein Grübchen im Kinn.

„Die Lichterkette war Juttas Idee“, sagte Dix, als ginge ihn das nichts an, und an Milli gerichtet: „Ich glaube, Jutta kennst du noch nicht, sie ist meine neue Mitarbeiterin im Büro.“

Milli nickte und ärgerte sich, dass sie sich so unsicher fühlte.

Dix zeigte auf eine Baustelle, die ein paar hundert Meter weiter an das Ziggedorn-Gelände grenzte. Offenbar entstand dort eine neue Antenne.

Batori nahm die Stelle schweigend in Augenschein.

„Der hat was vor“, knurrte Dix. „Wie es scheint, irgendwas von Bedeutung.“

Batoris Gesicht war ernst geworden. „Mich wundert –“, begann er und sah dann plötzlich Milli an: „Emily, willst du nicht schon ins Büro gehen? Du hattest doch Durst … Jutta macht dir was zu trinken.“

Milli seufzte, gerade jetzt wo es interessant wurde, aber keine Chance, beide Männer hüllten sich in Schweigen.

„Was kann ich für dich tun?“, sagte Jutta hinter ihrem Computer. Sie hatte weiße Haare, rosa Lippen, eine spitze Nase und pechschwarze Augenbrauen, außerordentlich akkurat gezupft.

Milli betrachtete unschlüssig die Wände, die von oben bis unten voll mit Zeichnungen und alten Plakaten waren. Wo nichts hing waren Regale, vollgestopft mit Ordnern und Kram. Es roch nach Kaffee, Zimt und Zigarettenrauch, und es war außerordentlich warm.

„Dix meint, ich könne was zu trinken kriegen“, sagte sie. Vielleicht konnte sie Jutta etwas über die Antennen entlocken. Die Geheimnistuerei ging ihr langsam auf die Nerven.

„Du bist also die Nichte von Doktor Batori“, Jutta lächelte. „Da lerne ich dich endlich mal kennen. Nimm dir was aus unserem neuen Kühlregal – oder magst du was Warmes?“

Milli nahm sich einen Energy-Drink mit Holunder.

„Warum regt sich Dix so auf, wenn hier noch eine Antenne gebaut wird?“, fragte sie möglichst beiläufig.

Jutta stöhnte. „Das würde ich auch gern wissen. Er regt sich über alles auf, was unser Ziggedorn macht. All die guten Sachen, die er in Koppelitz unterstützt und finanziert. Die Firma ist sehr großzügig, das kannst du mir glauben. Aber Dix regt sich auch darüber auf. Ehrlich gesagt, ich hab’s aufgegeben ihn zu verstehen.“

„Dann ist Herr Ziggedorn wohl ziemlich beliebt?“, hakte Milli nach.

„Ganz bestimmt sogar“, sagte Jutta voller Überzeugung. „Dass es Koppelitz jetzt so gut geht, haben wir ganz allein ihm zu verdanken.“

Milli fragte sich mit einem Anflug von Unmut, was hier früher so schlimm gewesen sein mochte. Musste erst dieser obskure Ziggedorn kommen, um die Koppelitzer glücklich zu machen?

Als das Telefon klingelte, verdrückte sie sich nach draußen.

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