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KAPITEL 4

Schockdiagnose Second Level – alles komplizierter als gedacht!

Wie gehe ich mit dem Thema Unfruchtbarkeit um?

Zuerst war’s ein Schlag in die Fresse – anders kann ich’s nicht sagen. Ein Gefühl wie aufwachen im falschen Film, in einem anderen Leben, nicht meinem. So ziemlich alle meine Gedanken haben sich in kürzester Zeit verändert. Nacht für Nacht plagten mich Albträume, in denen ich mein Kind verlor oder vergeblich versuchte, schwanger zu werden. In mir schlummerten riesige Ängste und ich konnte sie nicht abstellen. Überall sah ich nur noch schwangere und glückliche Frauen mit Babys. Natürlich ist mir das zu dem Zeitpunkt nur so extrem vorgekommen, weil ich verstärkt darauf geachtet habe. Ich fragte mich oft, wieso mir das passieren muss?! Reicht die Endometriose nicht schon aus? Obendrauf nun auch noch Unfruchtbarkeit? Ziehe ich die Scheiße an wie ein Magnet? Ein gutes Jahr lang habe ich mich ganz schön hängen lassen – von wegen Positivity und so. Eigentlich bin ich ja immer ganz vorn mit dabei, wenn es darum geht, Zuversicht zu predigen, aber ich war einfach nur noch traurig und teilweise auch trotzig. Es fiel mir schwer, anderen zuzuhören, die über Schwangerschaft und Kinderplanung sprachen. Selbst im rappelvollen Wartezimmer des Kinderwunschzentrums und unter Gleichgesinnten habe ich mich bei jedem Termin unendlich einsam und verloren gefühlt. Theoretisch war ich natürlich nie allein mit dem Thema, doch „draußen“, im normalen Alltag, spricht kaum jemand darüber. Ich selbst brauchte ja fast zwei Jahre, bis ich (öffentlich) darüber reden konnte. Dabei tut der Austausch mit anderen so gut. Die Fakten ändern sich durch Gespräche zwar nicht, aber für die Psyche ist es schon tröstlich, dass man nicht alleine mit diesem Schicksal dasteht.

Und wie geht man jetzt am besten mit der Trauer beziehungsweise der Verzweiflung um?

Tja, wenn es ein Patentrezept gäbe, glaubt mir, ich würde es euch sofort verraten. Ähnlich wie bei richtig fiesem Liebeskummer hilft Schokoladeneis hier auch nicht, so viel kann ich schon mal sagen. Und wenn ihr mich fragt, Liebeskummer ist im Vergleich nur halb so schlimm … Also, was tun wir? Ich möchte auf keinen Fall Negativität versprühen, das ist klar, aber auch nichts schönreden. Wenn sich ein sehnlicher Wunsch, wie ein Kind zu bekommen, nicht erfüllt oder nur sehr schwer, dann ist das schmerzhaft. Es ist traurig und wir dürfen auch traurig sein. Wir dürfen sauer sein, stinksauer sogar – alle Gefühle haben ihre Berechtigung. Wir sind schließlich Menschen und keine Roboter. Es ist einfach ein Fakt: In manchen Lebensphasen scheint uns nun mal nicht sekündlich die Sonne aus dem Allerwertesten, und dann zwinge ich mich auch nicht dazu, rund um die Uhr alles wegzulächeln. Mich hat es eine Zeit lang echt fertiggemacht, wenn zu dem Gedanken, vielleicht nie mein eigenes Kind auszutragen, auch noch so viele andere Themen obendrauf kamen. Ich habe mich plötzlich nicht mehr als vollwertige Frau gefühlt aufgrund meiner neuen Diagnose – der primären Sterilität. Der Großteil unserer Gesellschaft hat nun mal diese Mutter-Vater-Kind-Lebensplanung und irgendwie hat man schnell das Gefühl, man erfülle nur unzureichend die Erwartungen anderer, wenn man keine Kinder auf die Welt bringt. Natürlich bin ich nicht weniger Frau, wenn ich keine Kinder bekomme. Mein Verstand weiß das und hat das immer gewusst. Trotzdem habe auch ich besonders sensible Phasen, in denen mich solche Gedanken verfolgen – beispielsweise, wenn ich mich gesundheitlich nicht fit fühle, meistens wegen der Endometriose, oder irgendein niederschmetterndes Untersuchungsergebnis hinzukommt. Das ist normal. Mit einer neuen Diagnose muss man erst mal wieder zurechtkommen. Ich versuche immer, mir Zeit zu geben, um mich mit der Situation anzufreunden, egal, um was es geht. Dann finde ich meistens einen Weg, damit umzugehen. Aus diesen emotionalen und gedanklichen Tiefs weiß ich mich mittlerweile ganz gut her-auszuholen. Denn den größten Druck machen wir uns ja oft selbst.

Seid sanft zu euch! Wir sind auf keinen Fall weniger Frau, bloß weil es bei uns schwieriger ist und nicht sofort oder im Worst Case gar nicht klappt. Ich weiß, es ist nicht leicht, ich denke auch nicht gern daran! Doch so oder so: Wir sind tolle Frauen und haben unglaublich viel Stärke, denn wir halten das alles aus. Wir entwickeln uns weiter, auch im Umgang mit Enttäuschung, Schmerz und Trauer. Die Gedanken, die jede Einzelne dazu hat, sind erlaubt, sie lassen sich ohnehin nicht einfach löschen. Und wenn ihr mal wieder ein Tief habt, dann erinnert euch einfach an diese Zeilen. Gebt sie anderen Betroffenen, vielleicht eurer Freundin, vielleicht eurem Partner. Ich denke, für Männer ist dieses Thema genauso wichtig wie für uns. Ist der Mann der sogenannte „Verursacher“, dann könnte er eventuell für eine Zeit in seinem Ego gekränkt sein. Keine Partnerin wird ihren Mann beziehungsweise Freund deshalb weniger männlich finden. Aber das eigene Empfinden ist ja immer etwas ganz anderes.

Betroffener, männlich:

Wenn man sich nicht mit dem Thema auseinandersetzt und keinerlei Vorwissen besitzt, ist die Diagnose recht schockierend. Für meine Frau war sie eigentlich schlimmer als für mich. Nach intensiven Recherchen machte ihr die Behandlung doch große Angst. Ich bin da eher pragmatisch rangegangen. Wir leben im Jahr 2020 und haben Gott sei Dank die Möglichkeit, mit technologischen Mitteln und medizinischer Hilfe Kinder zu bekommen. Natürlich hatte ich Angst, dass der Arzt mir sagen würde, ich könnte selbst unter medizinischer Aufsicht keine Kinder zeugen, weil meine Spermienqualität auch dafür zu schlecht sei. Das war aber zum Glück nicht der Fall. Das Gespräch mit dem Facharzt hat mir überhaupt sehr geholfen, weil ich mich selbstverständlich gefragt habe, warum gerade ich? Ich ernähre mich bewusst, lebe gesund. Vom Arzt zu hören, dass sehr viele Männer betroffen sind, half mir dabei, die Dia-gnose zu verkraften. Wir sind nicht alleine und künstliche Befruchtungen sind keine Seltenheit.

Wir haben unser Schweigen im engen Familien- und Freundeskreis schnell gebrochen. Das empfand ich sehr befreiend. Es hat sich auch herausgestellt, dass andere gute Freunde nach einem unerfüllten Kinderwunsch eine künstliche Befruchtung gemacht haben und diese beim ersten Versuch gelungen ist. Das macht Mut und es tat uns beiden unheimlich gut, darüber reden zu können. Mir, wie auch vielen anderen Männern, fällt es schon schwer, offen mit dem Thema umzugehen. Wir müssen uns dumme Sprüche (beispielsweise von Mannschaftskollegen) anhören. Das Highlight war wohl: „Kriegst du es nicht auf die Reihe? Soll ich mal bei deiner Frau vorbeischauen?“ Das ist dann wohl kaum der Moment, sich zu offenbaren, obwohl es dem Sprücheklopfer wahrscheinlich die Sprache verschlagen würde. Aber wenn wir ehrlich sind, unsensiblen Personen möchte man so ein intimes Thema auch nicht unbedingt anvertrauen. Mittlerweile haben wir die erste erfolgreiche ICSI hinter uns und können das alles noch gar nicht fassen. Der Moment, als die ersten Blutbilder die Schwangerschaft bestätigt haben, ist unvergesslich. Was die Behandlung betrifft, kann ich sagen, dass ich die ICSI sehr unkompliziert empfand, da ich mich gut informiert fühlte und meine Frau und ich uns bei allem gegenseitig unterstützen. Daher rate ich jedem Paar, nicht in Panik zu verfallen und nach vorn zu schauen. Unsere zuversichtliche Einstellung hat uns immer sehr geholfen.

Den eigenen Wert schätzen (lernen)

Wenn wir schon vom inneren Mantra sprechen: Wie schätzen wir uns denn jetzt selbst? Erst einmal ist es wichtig, zu erwähnen: Wir dürfen uns selbst wertschätzen. Das klingt vielleicht einfach, ist es aber für viele Menschen gar nicht! Sätze wie „Eigenlob stinkt!“ und Ähnliches haben leider über Generationen unser Denk- und Verhaltensmuster geprägt. Höchste Zeit, solche Glaubenssätze abzuschütteln. Wer seine eigenen Stärken sieht, ist nicht eingebildet! Wir sind toll und wir sind vor allem stark! Das dürfen wir uns ruhig häufiger sagen! Mir fällt es auch nicht immer leicht, aber dafür habe ich einen tollen Tipp: Post-its! Die kleinen klebenden Notizzettel verschönern schon eine ganze Weile als Selbstliebe-Reminder unsere Wohnung und ich kann euch sagen: Sie helfen mir! Eines meiner Lieblingsmantras, das ich euch gern mitgeben möchte, stammt von Rupi Kaur. Sie sagt sinngemäß: „So wie du dir selbst begegnest, zeigst du auch den anderen, wie sie dir begegnen sollen.“

Überhaupt spielen Begriffe – und ob diese für uns negativ oder positiv belegt sind – eine wichtige Rolle für die Selbstwahrnehmung. Das hat mir der Kinderwunschpsychologe Prof. Dr. Wischmann beigebracht. Bei meinem ersten Termin haben wir gleich etwas ganz Wesentliches vorgenommen: Wir haben Perspektiven getauscht. Das bedeutet, ich durfte seinen Blickwinkel auf mich einnehmen – und dieser war natürlich viel wertfreier. Nach den Sitzungen mit ihm konnte ich viele Dinge realistischer betrachten, zum Beispiel, dass ich eben nicht weniger Frau bin, nur weil meine „Eier“ nicht mitspielen, wie sie sollen. Ich habe angefangen, mehr auf mich zu achten, und mein Mindset stark verändert. Darauf gehen wir später noch genauer ein. In diesem Kapitel möchte ich mich erst mal einigen Begriffen zuwenden, die wir eventuell neu belegen können, wie beispielsweise „ungewollte Kinderlosigkeit“ im Vergleich zu „Unfruchtbarkeit“.

Unfruchtbarkeit heißt medizinisch „Sterilität“, was so endgültig klingt. „Fruchtbarkeitsstörungen“ ist der bessere Begriff, da es sich in den meisten Fällen um eine vorübergehende Situation handelt, die nicht zwangsläufig ausweglos ist.

Geteiltes Leid ist halbes Leid – Hashtags auf Instagram

Denkt daran: Wir sind alle nicht allein mit unseren Sorgen und Ängsten. Gerade im Social-Media-Bereich gibt es mehr zum Thema Kinderwunsch als manch einer vielleicht denkt. Viele Hashtags führen zu tollen Profilen mit wertvollen Erfahrungsberichten und schönen Bildern. Dazu benötigt ihr eigentlich nicht einmal einen Instagram-Account, und natürlich seid ihr auch nicht verpflichtet, (öffentlich) über eure eigenen Erlebnisse zu sprechen. Ihr könnt auch einfach nur Erfahrungen anderer mitlesen oder für euch interessante Nutzer privat per Nachricht kontaktieren. Manchmal führt eine Frage zur nächsten und schnell wird klar: Gegenseitiger Austausch kann super hilfreich sein. Gleichgesinnte kennenzulernen tut einfach gut und vor allem zeigt sich bei all den interessanten und so vielfältigen Erfahrungen wieder ganz klar: Wir sind alle individuell mit unseren persönlichen Bedürfnissen und unserer Situation.

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Na, wann ist es denn so weit?

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