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Die Balgarenburg und der Abschied von Balgari

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Die Drachen setzten uns im Vorhof einer gigantischen Burganlage ab. Sie war auf einem schwer zugänglichen Felsplateau errichtet. Das Gebirge bildete eine natürliche Schutzmauer auf der Rückseite. Schroffe Felshänge sicherten den Zugang zur Vorderseite hin. Es gab nur einen Tunnel, der talwärts führte. Er gabelte sich an seinem Ausgang und gab den Weg nach Elfien auf der einen Seite und nach Wendelstein auf der anderen Seite frei. Ein magisches Tor verhinderte das Eindringen von Feinden. Wer bei Sinnen war, versuchte es erst gar nicht.

Morbidia ließ uns stehen und schritt auf drei Männer zu, die unsere Ankunft beobachtet hatten. Vor dem mittleren hielt sie inne. „Lord Darjal, ich bringe Euch meine Gäste und bitte Euch sie willkommen zu heißen, bevor ich sie wieder in ihre Welt zurückbringe.“

Ich war nicht fähig, meinen Blick von dem Empfangskomitee zu lösen. Ungläubig starrte ich hinüber. Das also waren die Erbauer unserer Parallelwelt, die Bewahrer des Planeten Erde. Riesige Kerle mit prächtigen Schwingen auf dem Rücken. „Engel“, flüsterte Lotta. Nein, keine Engel, das war eine lächerliche Vorstellung. Hier handelte es sich um Wesen, die aus einer Welt weit außerhalb unseres Vorstellungsvermögens stammen mussten. Morbidia nahm sich vor ihnen aus wie eine Zwergin.

Als Lord Darjal, der oberste Balgare auf uns zukam, wäre ich am liebsten geflüchtet. Ich merkte, wie auch meine Freundinnen sich hinter mir in steife Stöcke verwandelten. Er war attraktiv und makellos. Ich erinnerte mich an die Beschreibung von Schneewittchen: mit einer Haut so weiß wie Schnee, Lippen so rot wie Blut und Haaren so schwarz wie Ebenholz. Wie groß er wohl war? Über zwei Meter mit absoluter Sicherheit. Sexy? Keine Spur. Der Typ war schwindelerregend heiß.

Der Balgare unterzog uns einer eingehenden Musterung, bevor er mit einer angenehmen, dunklen Stimme versicherte „Im Namen der Göttin, Ihr seid uns willkommen.“ Seine nächsten Worte verblüfften mich. Er richtete sie direkt an Christel und Lea „Eure Bitte sei Euch gewährt.“ Welche Bitte? Ich drehte mich um, sah aber nur, wie den beiden dunkle Röte die Hälse hinaufkroch und sich über ihren Gesichtern verteilte.

Lord Darjal winkte die zwei anderen Hünen herbei. „Jaryl, der Burgverwalter und Dunar, der Stallmeister“, stellte er sie vor. „Prinzessin Morbidia, Ihr begleitet mich. Dunar führt unsere Freundinnen ein wenig herum. Jaryl bringt sie später zu uns in die Halle.“

Spröde, wie es sonst gar nicht unserer Art entsprach, folgten wir dem blauhaarigen Dunar mit den blauen Schwingen. Er lenkte uns zu den Ställen und Weiden, die seitlich an die Burg anschlossen. Eine Zoobesichtigung? Das war nun nicht gerade das, was ich erwartete hatte. Warum konnten wir die Burg nicht durchstreifen? Die Mauern, die Türme, die Wohn- und Wirtschaftsgebäude anschauen?

Zugegeben, solche Tiere, wie sie Dunar uns zeigte, hatten wir in unserer Welt noch nie gesehen. Elefantenvögel, gigantisch wie die Balgaren selber. Laufvögel, die eine Höhe von drei Metern und ein Gewicht von nahezu vierhundert Kilo erreichten. Er erklärte uns, dass sie vor mehr als tausend Jahren auch in unserer Welt lebten. Dort waren sie ausgestorben, weil ihr Lebensraum nach und nach zusammenschrumpfte.

Die Herde verharrte in der Ferne und belauerte uns misstrauisch.

„Ihre Erinnerungsgabe weist euch als Menschen aus. Sie bringen euren Geruch mit dem Tod in Verbindung, den eure Vorfahren über sie brachten.“

„Über diesen langen Zeitraum können sie sich das merken?“, fragte Christel beeindruckt. Dunar nickte. „Das und mehr.“

Unsere Spezies besaß wirklich ein einzigartiges Talent dafür auszurotten, was ihr im Weg stand. Ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Notwendigkeit.

Neben dem Vogelgehege siedelten die Balbagas. Große, den Alpakas ähnliche Reit- und Lasttiere. Sie hatten starke Muskeln und dichte Wolle. Das Schönste an ihnen aber waren ihre großen, feuchten Braunaugen, die uns unter Ponyfransen und dichten, schwarzen Wimpern neugierig beäugten. Wir vernahmen, genau wie bei den Drachen, Geräusche und Stimmen in unseren Köpfen.

„Sie versuchen gerade eure Sprache zu lernen.“ Dunar lachte, als wir ihn ungläubig anstarrten. „Sie kommen mit Menschen nur selten in Kontakt. Da sie äußerst geschwätzig und wissbegierig sind, gefällt es ihnen gar nicht, hier eine Unterhaltung zu verpassen.“

„Sie können reden?“ Mir fiel die alte Fernsehsendung „Welt der Wunder“ ein, die längst nicht mehr ausgestrahlt wurde. Eine Doku über Graupapageien mit denen man sich richtig unterhalten konnte, die nicht nur nachplapperten. Niemand wollte das glauben. Was würden die Leute wohl hierzu sagen?

„Sie benutzen die Gedankensprache, sobald sie wissen, welche Bedeutung eure Wörter haben und sie euren Dialekt verstehen.“ Hier wären wir gerne geblieben, um das zu erleben, aber Jaryl kam über den Hof auf uns zugehastet, um uns zu holen.

Die Ratshalle der Balgaren war ihrer Größe angemessen. Die Decke wurde von zwölf mächtigen Säulen getragen, in die die Abbilder der Burgbewohner eingemeißelt waren. Balgurquader beleuchteten Wandmalereien, die die Kunstwerke eines Michelangelos bei weitem übertrafen. Lord Darjal bat uns an einem großen schwarzen Tisch Platz zu nehmen. Wir kletterten umständlich auf die hohen Stühle, was dem Balgarenoberhaupt ein amüsiertes Lächeln entlockte.

Der Lord war kein Mann, der lange um den heißen Brei herumredete. Kaum hatte Jaryl uns den schweren balgarischen Rotwein in Kristallkelche geschenkt und einen Segen darüber gesprochen, erfuhren wir, dass Christel und Lea in Balgari bleiben wollten. Deshalb also dieses ständige Getuschel, seit wir Wendelstein verlassen hatten. „Ich habe mich entschlossen, ihrer Bitte nachzukommen. Auch Graf Wendel ist einverstanden. Wenn noch eine von euch den Wunsch verspürt bei uns zu leben, möge sie jetzt sprechen.“

Ich hörte in Gedanken Königin Eyrins Worte „Träume können in Erfüllung gehen.“ War ich bereit in Balgari zu bleiben? Ich schaute Lotta an, die nachdenklich ihre Unterlippe mit den Zähnen malträtierte. Unsere Überlegungen wurden von Gelica unterbrochen, die zögernd antwortete „Ich. Ich würde gerne bleiben. Aber ich habe Mann und Kinder, die ich nicht zurücklassen will, da ich sie über alles liebe.“ Und nachdem es eine Weile still blieb, fügte sie bitter hinzu „Wer würde sich nicht wünschen, in einer besseren Welt zu leben als der unseren. Seine Familie in Sicherheit zu wissen bei all den Unruhen, der Armut, den weltweiten Kriegen ….“.

Lotta schüttelte den Kopf. Ich nickte und ergriff das Wort. „Lotta und ich kehren zurück, Lord Darjal. Ich verstehe jedoch Gelicas Wunsch. Wenn wir Familien hätten, würden wir uns auch anders entscheiden, so fern die Möglichkeit bestünde die Unseren nachzuholen.“

Morbidia, die bisher geschwiegen hatte, mischte sich ein. „Wenn Ihr einverstanden seid, Balgare, nehme ich Gelica mit zurück in die Menschenwelt. Dort kann sie die Ihren nach deren Willen fragen. Sind sie bereit Balgarier zu werden, wird sich ein Ort für sie finden, notfalls in Vampora. Aber ich denke, dass ihr Platz eher bei den Hexen und Hexenmeistern wäre. Für Darvinas Zustimmung verbürge ich mich.“

Nach kurzer Bedenkzeit stimmt Lord Darjal zu. Wenig später, nach einem tränenreichen Abschied von Christel und Lea, nahm er uns mit zur Drachenhöhle der Burg.

Ich wagte es, ihm eine letzte Frage zu stellen. „Nichts geschieht hier ohne Eure Zustimmung, mein Lord. Warum also waren wir hier?“ Er nahm meine Hand und hielt sie fest umschlossen. „Ihr werdet es erkennen, wenn die Zeit reif dafür ist. Dann sehen wir uns wieder. Möge die Göttin mit Euch sein.“

Zwei grüne Flugdrachen brachten uns zum Rand von Vamporas Wüste, wo Daniel in einem nachtblauen Van bereits wartete. Wir waren kaum eingestiegen, als sich das siebte Tor vor uns entsiegelte. Die Pagoraner setzten Lotta und mich vor unserem schäbigen Wohnblock ab, wo wir in zwei winzigen Appartements hausten. Bei Gelica öffneten sich die Schleusen. Sie verabschiedete sich von uns mit einer Sintflut aus Tränen.

Morbidia umarmte uns „Wenn ihr es euch anders überlegt, ruft mich. Wir treffen uns wieder, meine Schwestern“. Während Lotta bereits die Haustür aufschloss, raunte Daniel mir fast die gleichen Worte zu, die Eyrin mir gesagt hatte. Es war gar nicht so einfach, von Telepathen umgeben zu sein. Sie wussten einfach alles.

Es vergingen viele Jahre bis ich meine Freundinnen und die faszinierende Welt meiner neuen balgarischen Freunde wiedersehen durftef. Und den Mann, der meine Seele berührt hatte.

Wie Lord Darjal richtig sagte „… wenn die Göttin Euch gnädig ist.“

So sei es.

Ich bin Bea.

Wir schreiben den 30. Mai 2025.

Morbidias Spiegel

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