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Mittelalterliches Wendelstein – Burgfest und Markttag

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Was würde uns auf der Burg erwarten? Wir waren alle gespannt. Schon von weitem kitzelte angenehmer Grillduft unsere Nasen, der unsere Mägen daran erinnerte, dass wir seit dem Apfelkuchen bei Darvina nichts mehr gegessen hatten.

Fackeln erhellten den mit Kopfsteinen gepflasterten Burgweg. Fröhliche Musik und Gelächter drangen zu unseren Ohren. Im Burghof herrschte lebhafter Betrieb. Knechte eilten herbei und nahmen unsere Pferde in Empfang. In der Mitte des Platzes brannte ein Feuer, darüber briet ein riesiger Ochse am Spieß, der von zwei kräftigen Burschen routiniert gedreht wurde. Sabine kicherte. „Die Balgarier essen und trinken gerne. Daher haben Ochsen und Fässer bei uns gewaltige Ausmaße. Aber bevor wir uns unters Volk mischen, zeige ich euch eure Kammern. Ihr wollt euch sicher erst erfrischen.“

Von mir aus hätten wir das „Erfrischen“ verschieben können. Mir knurrte der Magen, als hätte ich einen hungrigen Wolf verschluckt. Die Kammer, in die Sabine mich führte, duftete intensiv nach Lavendel. Die Einrichtung war karg. Ein Schrank, ein schmales Bett, Bettwäsche aus gebleichtem Linnen, dazu ein schmiedeeisernes Gestell mit einer Waschschüssel, einem Krug mit warmem Wasser und darunter, man glaubt es kaum, ein Nachttöpfchen mit Deckel. Alles aus Porzellan und liebevoll-kitschig mit Rosen bemalt.

Schön war das Kleid, das ausgebreitet auf dem Bett lag. Dunkelbraun mit weißen Einsätzen an den Seiten und Trompetenärmeln. „Suppentunker“ nannten wir das zu unserer Zeit, weil sie beim Essen in den Teller hingen, wenn man nicht aufpasste. Sabine half mir beim Auskleiden, was mir peinlich war. Und beim Anziehen dieses fremden Gewandes, wofür ich ihr dankbar war wegen der Schnürungen. Sie bürstete meine Haare und setzte mir ein entzückendes Mützchen auf, das Wendelsteinerinnen, Hexen und oft auch Priesterinnen in den verschiedensten Ausführungen trugen, wie sie mir erzählte.

Meine Freundinnen warteten, ähnlich herausgeputzt, vor meiner Tür. Nur Morbidia lümmelte in ihren üblichen Klamotten an der Wand und grinste. Vorsichtig stiegen wir die hohen Steinstufen hinunter, weil wir die Länge der Kleider nicht gewöhnt waren.

Im Hof eilte Graf Wendel auf uns zu. Ein fülliger Mann, dessen Wams über dem Bauch beträchtlich spannte, der uns zuvorkommend begrüßte und persönlich zum Fest geleitete. Er scheuchte Mägde hin und her, bis wir alle mit einem zinnernen Becher Met und einem Teller mit gegrilltem Ochsenfleisch und dicken Bohnen versorgt waren. Wir aßen mit den Fingern, die wir mit großen Stücken Fladenbrot sauberwischten. Einzig die enge Schnürung der Kleider hielt uns davon ab, einen Nachschlag zu erbitten.

Der Gaumen hatte seinen Spaß gehabt und nun, im Ganzen wohlgesättigt, mischten wir uns unter das feiernde Volk. Fackeln und Laternen erhellten den Burghof. Überall flackerten offene Holzfeuer. Sterne funkelten am dunklen Nachthimmel, und das sanfte Licht der Mondin segnete das Fest. Menschen und Pagoraner, Zwerge, Elfen und Feen aßen und tranken, tanzten und sangen in heiterer Gemeinsamkeit. Ein Miteinander unterschiedlichster Völker, das wir von unserer Welt nicht mehr kannten. Selbst einige jüngere Drachen hockten auf der Burgmauer, sahen dem Treiben zu und staubten den einen oder anderen Fleischfetzen ab.

Gaukler, Feuerschlucker, Wahrsager und Musikgruppen wie die „Irrlichter“ mit frechen und oft derben Liedern unterhielten die Menge:

„Neulich war’n wir am Straßenrand

da kam’n zwei Bauern angerannt.

Beide war’n halbtot

und ihre Nasen feuerrot.

Warum renn’n die denn bloss so schnell?

Sind die etwa kriminell?

Als wir sie dann fragten

sie uns alle beide sagten:

Ref.:

Wir geh’n in die Taverne,

da sin ma ja so gerne.

Alleman ans Fass

denn zusammen macht das Spass.

Zwischen all den holden Maiden

die sich auch noch knapp bekleiden,

Gesang und Alkohol

Ja, da fühlen wir uns wohl.“

Sogar einen Schwertschaukampf ließ Graf Wendel für uns aufführen. Christel und Lea schauten gebannt zu und seufzten ein ums andere Mal. Wobei die Frage offen blieb: war es der gut gebauten Recken wegen oder übten die klirrenden Schwerter eine solche Faszination auf sie aus?

In einer Ecke des Hofes saß eine Märchenerzählerin. Sie winkte uns freundlich zu sich. Wir ließen uns bei ihr nieder und lauschten bald so andächtig wie die Kinderschar, die sich um sie versammelt hatte.

Kurz vor Ende des Festes torkelte eine winzige, geflügelte Frau durch die Luft. Sie ließ sich schwer auf Morbidias Schulter sacken, die sich ein Lachen nur schwerlich verkneifen konnte. „Hiiicks“, tönte es und zwei violette Äuglein schielten uns entgegen, bemüht, das Gesehene zu verarbeiten.

„Na, Tammy, wieder zu viel Gänseblümchenwein erwischt?“, ulkte Graf Wendel.

„Hiicks … niemals Euere erlauchtigste Durchlaucht .. hiiicks“. So sah also eine Fee aus. Zumindest, wenn sie stockbesoffen war. Auf ihrem Kopf thronte ein lila Käppchen auf den wirren, blonden Locken, dessen Schild auf Halbmast hing. Als sie sich zu ihrer vollen Puppengröße aufrichtete, was erst nach mehreren Anläufen gelang, präsentierte sie sich in einem gelben Blüschen, auf dem ein dicker Fettfleck prunkte und einem lila Röckchen. Von den gelblila Kniestrümpfen war einer hochgezogen bis zum Schenkel, der zweite baumelte um den Knöchel über einem kleinen lila Schuh. Der andere war wohl unterwegs abhanden gekommen.

Leicht schwankend stand sie da und presste das Fäustchen auf die falsche Brustseite. „Ich, hiiicks, Tammy vom Stief.. mütterclan..ääh..chen, begrüße die Gäste vom Allerwertesten … hiiiiicks“. Weiter kam sie nicht. Sie kippte vornüber in Graf Wendels Hand, der sie mit Leichenbittermiene in der Tasche seines Wamses verstaute, trotz allem darauf bedacht, ihre Flügelchen nicht zu zerquetschen. Er verbeugte sich vor uns und wünschte uns eine angenehme Ruhe. „Wir sehen uns morgen zum Markttag“. Tammy schenkte uns zum Abschied einen herzhaften Schnarcher.

Pünktlich zum achten Glockenschlag weckte mich eine Magd, füllte meinen Krug mit warmem Wasser und reichte mir Bruchstücke eines Kräuterseifenblocks. Das Festkleid vom vorherigen Abend war verschwunden. Stattdessen fand ich meine eigene Kleidung vor, frisch gewaschen und gebügelt. Kurze Zeit später ertönte auf dem Gang ein kerniger Pfiff „antreten zum Frühstück“. Das hieß: Morbidia war ebenfalls schon wach.

Sie führte uns in die Küche der Burg. Linda, die Köchin und Haushälterin, hantierte emsig an einem steinernen Ofen. Mit einem Holzschieber zog sie heißes, duftendes Fladenbrot heraus. Eine Magd füllte Steingutschalen aus einem Eisentopf, der über dem offenen Feuer hing und in dem es verheißungsvoll blubberte. Bald saßen wir mit Knechten und Mägden am Tisch, brachen frisches Brot, tunkten es wie sie in den deftigen Fleischeintopf und tranken Dünnbier dazu. Morbidia trieb uns zur Eile an, da wir an diesem Tag noch nach Elfien aufbrechen wollten, ohne aber den Wendelsteiner Markt zu versäumen.

„Da staunt ihr, was?“, fragte Sabine, die sich zu uns gesellte. Das war nicht mehr der gleiche Burghof wie am Abend zuvor. Schon der Geruch hatte sich verändert. Es roch nach Wachs, Kräutern, frischen Backwaren, Schafwolle und Leder. Überall standen Buden in denen Händler, Handwerker, Bauern und Hexen ihre Waren und Dienste feilboten, selbst in den schmalen Gässchen, die zum Dorf führten. Morbidia händigte jeder von uns ein Säckchen Silberlinge aus. „Ein Geschenk von Fürstin Muriel. Mom meinte, ihr wollt vielleicht ein Andenken kaufen. Mit euren Euros kommt ihr hier nicht weit.“ Das war sehr aufmerksam von ihr. „Sabine wird euch begleiten. Ich gehe derweil meinen Vater besuchen. Wir treffen uns gegen Mittag wieder.“ Vater? Betrieben die Pagoraner hier auch einen Stand?

„Sie meint Drossel, unseren Haushofmeister“, löste Sabine das Rätsel für uns auf. „Morbidia ist ein Mischwesen.“ Mir stand eine Frage wohl offen ins Gesicht geschrieben, denn sie setzte hinzu „Die Menschen erreichen bei uns ein bemerkenswert hohes Alter. Sie werden nicht so alt wie die Langlebigen, aber drei-vierhundert Jahre können es schon sein.“ Das verblüffte uns. Obwohl, wenn ich es recht bedachte, wirkliche Greise hatten wir in Balgari noch keine gesehen.

Von einem der Stände winkte uns Darvina zu. Die hatten wir völlig vergessen. Ihr Angebot war reichhaltig. Seifen, Salben, Heilkräuter, Bienenwachs, sogar Honig aus dem Tal der Priesterinnen. Ich kaufte einen Quader Lavendelseife und ein Töpfchen Akazienhonig, bevor wir uns verabschiedeten. Darvina umarmte alle. „Ihr seid mir immer willkommen.“ Das war lieb von ihr, aber ich glaubte nicht, dass wir uns je wiedersehen würden.

Während Christel, Lea und Gelica sich zum nächsten Hexenstand aufmachten, schlenderte ich mit Lotta und Sabine an den Tischen und Karren der Bauern vorüber. Getreide, Gemüse, Früchte, Fässchen mit Wein und Bier und so manches Krüglein Selbstgebrannter wechselten den Besitzer.

Wir kamen an einem Stand der Elfen vorüber, bewunderten die feinen Spitzen und Stoffe, aber mehr noch diese anmutigen Wesen mit den komischen Ohren, die uns liebenswürdig begrüßten. Da weder Lotta noch ich nähen konnten, beließen wir es beim Schauen.

Auch die Zwerge waren vertreten mit Edelsteinen, Heilsteinen, Gold- und Silberschmuck. Lotta flüsterte mit einer der kleinen Verkäuferinnen und bekam nach einigem Hin und Her einen Brocken ungeschliffenen Rosenquarz in die Hand gedrückt. Litt sie etwa an Liebeskummer? Davon hatte sie mir gar nichts erzählt, wo wir doch sonst alles miteinander teilten.

Pünktlich zum Mittagsläuten trafen wir wieder beim Burgportal zusammen. Morbidia und Graf Wendel erwarteten uns schon. Unsere Freundinnen trugen diese süßen balgarischen Mützchen, manche mit Kristallen oder Perlen, andere mit Blumen oder Federn verziert. Mir hatten sie ein schwarzes mitgebracht mit einer Rose. Außerdem zeigten sie uns Traumfänger, Gefäße mit Räucherwerk und andere Kleinigkeiten, die sie erbeutet hatten. Ich war nur froh, dass nicht ich das ganze Zeug schleppen musste. Es fiel mir auf, dass Lea und Christel unentwegt miteinander tuschelten. Worum es ging, konnte ich nicht verstehen, nur Morbidias Blick ruhte einen Moment ungläubig auf den beiden. Sie belauschte mal wieder Dinge, die sie nichts angingen.

Morbidias Spiegel

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