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Drachenfelsen und Zwergenhöhlen

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Der Start vom flachen Boden gestaltete sich für die Drachen schwierig, da sie gewöhnlich eine Abflugrampe brauchten. Sie trudelten dahin wie eine Horde betrunkener Albatrosse, bevor sie endlich normale Flughöhe erreichten. Wir überflogen die Wüste und nahmen Kurs auf ein Gebirge, das unseren Alpen glich. Nur, dass auf seinen Gipfeln keine Touristen für Selfies posierten. Stattdessen lagen dort Drachen und sonnten sich. Es gelang mir, einen Blick nach unten zu werfen und trotzdem meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Dichter Wald begann sich zu unseren Füßen auszubreiten. „Der gehört zu Wendelstein“, schrie mir Morbidia ins Ohr, „unsere übernächste Station.“ Sofern wir den heutigen Tag heil überstehen, dachte ich und sandte einen Hilferuf an die Göttin.

Im Sturzflug ging es den Felsen entgegen. Wir landeten überraschend sanft zwischen dem unheimlichen Getier, das sich hier zur Begrüßungsrunde eingefunden hatte. Unser Drache streckte galant einen Flügel zur Seite, dass ich bequem darauf hinuntergleiten konnte. Ein blauschillerndes Monster mit stark behaarten Füßen stapfte auf uns zu. Sein Haupt glich dem eines T-Rex. Maul und Zähne leider auch. Wir hörten seine Stimme in unseren Köpfen in Menschensprache mit uns reden. Wie war das möglich?

„Ich bin Xenus.“ Freundlich hieß er uns willkommen, bat aber darum, nicht zu lange zu bleiben, da in der Kolonie Nachwuchs heranreifte, welcher noch ungesittet auf Fremde reagierte.

Es blieb jedoch genug Zeit, uns davon zu überzeugen wie geduldig und tolerant Drachen waren. Die Kleinen benutzten die glänzenden Flügel der Erwachsenen als Turn- und Spielgeräte. Diese zeigten sich davon keineswegs genervt, ganz im Gegenteil. Sie ließen die Knirpse klettern, rutschen, schaukeln, was immer ihnen in den Sinn kam. Wenn sie vom Spielen müde waren, liebkosten die Alten sie bis sie einschliefen. „Nur so können sich Kinder richtig entwickeln“, belehrte uns Xenus. „Natürliches Spiel und viel Liebe. Ihr Menschen habt das leider vergessen.“

Erst als sich ein vorwitziger lila Racker in unsere Richtung bewegte, ersuchte er uns zu gehen. „Sie sind wirklich nicht so weit, dass sie Kontakt mit Euch aufnehmen können“, entschuldigte er sich noch einmal. „Drachenpipi hinterlässt Blasen auf Eurer Haut und mit Verlaub, seine Würze stört den empfindlichen, menschlichen Geruchsinn. Dennoch war es schön Eure Bekanntschaft zu machen. Kommt bald mal wieder und grüßt Kraag von mir.“

Wir zogen uns ein wenig enttäuscht zurück, ob des kurzen Aufenthaltes, winkten zum Abschied und bereiteten uns auf eine Kletterpartie in die Tiefe der Berge vor. Die Zwerge standen schon am Eingang einer Felsenhöhle und trippelten von einem Fuß auf den anderen. Morbidia trieb uns zur Eile an „König Kraag wartet nicht gerne“.

Ich stellte mir Zwerge bis dato immer vor, wie die zipfelbemützten, knollennasigen Gipsfiguren in den Gärten. Weit gefehlt. Sie waren zwar klein von Wuchs, unterschieden sich sonst aber kaum von uns. Die Männer schmückten sich mit kunstvoll frisierten Bärten und allerlei wunderlichen Kopfbedeckungen von Basecapes bis zu Kriegshelmen. Die Frauen trugen lange, geflochtene Zöpfe. Mit der Dichte und Länge ihres Haares und ihren beachtlichen Oberweiten konnte sich keine von uns messen. Männlein wie Weiblein waren wohlgenährt, gut bemuskelt, äußerst trinkfest, sangesfreudig und sehr gastfreundlich.

Allen voran König Kraag, der uns zu Ehren ein Fest veranstaltete, wie wir noch keines erlebt hatten. Die Zwerge unterhielten uns mit Liedern, Legenden und Kriegsgeschichten. Wir waren erstaunt, wie kämpferisch dieses kleine Volk sein konnte, selbst die Frauen. Diese führten uns einen Kriegstanz vor zu Ehren ihres Gottes Moradin. Sie waren bewaffnet mit Kampfhämmern, Speeren und Schwertern. Die Männer hämmerten mit ihren Bierhumpen dazu einen wilden Rhythmus auf die dicke Eichentischplatte. Zum Glück waren wir keine Feinde sondern willkommene Gäste, sonst hätten wir Reißaus genommen. Sogar Morbidia zog den Kopf ein und ließ ein leises, drohendes Zischen vernehmen.

Das selbstgebraute Bier, mit dem sie immer aufs Neue unsere Becher füllten, war das Beste, das wir je getrunken hatten. Das bestätigte mir auch mein Kopf, der am nächsten Tag gerne freigenommen hätte. Was nicht in Frage kam, da dieses Volk außergewöhnlich fleißig und sehr stolz auf seine Arbeit war. Deshalb wurden wir stundenlang durch unterirdische Gänge und Stollen geschleust, bergauf, bergab, wo uns nicht nur der Abbau von Edelmetallen und Edelsteinen vorgeführt wurde, sondern auch die Gewinnung von Balgur, einem magischen, schwarzen Gestein. Natürlich verriet uns keiner, welcher Zauber ihm innewohnte. Eines jedoch fanden wir selber heraus: der mächtige Balgur leuchtete im Dunkeln.

Als es ans Abschiednehmen ging, erwies uns der König eine unerwartete Ehrbezeugung. Er ließ es sich nicht nehmen, uns persönlich ein Stück des Weges zu begleiten. Kraag führte uns einen sehr steilen Weg zur Oberfläche, dass uns schon nach der Hälfte der Strecke die Puste ausging. Keuchend und prustend gelangten wir an ihrem Ende schließlich durch eine einfache Holztür in einen Stall. Dort warteten hellbraune, robuste Pferdchen mit blonden, langen Mähnen, gleichfarbigen Schweifen und Puscheln an den Fesseln auf uns, gesattelt und marschbereit. Wir ritten im Gänsemarsch über einen engen Gebirgspfad, dicht am Abgrund, hinunter in ein Tal. Am Rande eines ausgedehnten Sumpfgebietes verließ uns König Kraag. Nicht ohne jeder Einzelnen kräftig die Hand zu schütteln und uns Grüße an Darvina aufzutragen. Wer immer das auch sein mochte.

Über schmale Brücken und Holzstege gelangten wir wieder auf trockenen, sicheren Boden. Wir seufzten erleichtert auf. Sümpfe kannten wir nur aus dem Fernsehen, in Verbindung mit Schlangen, Krokodilen und Indiana-Jones. In einiger Entfernung ragte dichter, dunkler Wald empor, so wenig einladend wie das Sumpfgebiet. „Das sich mir keine dort alleine hineinwagt!“ Er war unser nächstes Ziel, klärte uns Morbidia auf, die Heimat der Hexen und Hexenmeister. Jetzt erfuhren wir auch, wer Darvina war. Obermeisterin der Hexengilde und eine Priesterin der Göttin.

Wir beschlossen den Rest des Tages hier zu verbringen, auf einem Stück Grasland zwischen Sumpf und Wendelsteiner Wald, im Schatten einer uralten Linde. Die Zwerginnen hatten uns die Satteltaschen vollgepackt mit frischgebackenem Brot, Wildschweinwürsten, Hirschschinken und allerlei anderen Leckerbissen für ein deftiges Picknick. Morbidia zauberte dazu ein Fässchen Zwergenbier hervor und ein Krüglein Selbstgebrannten. Am Abend saßen wir rund um ein Lagerfeuer, eingemummt in Decken und kommentierten die neuen Eindrücke, die in den beiden Tagen auf uns eingestürmt waren.

Morbidias Spiegel

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