Читать книгу Später, Lena, später - Anne Karin Elstad - Страница 3
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ОглавлениеLena lächelt schwach. Jetzt solltest du mich sehen, Kjell. Du würdest eine deiner unerschütterlichen Diagnosen stellen. Ich bin der Prototyp der einsamen Frau. Gefangen in meinen bitteren Gedanken, zusammengekrochen in meinem einsamen Sessel. Sogar ein Cognacglas ist dabei, um das Bild zu vervollständigen.
Lena hält ihr Glas gegen das Licht, weiß, daß es keinen Sinn hat, zu Bett zu gehen. Abwesend dreht sie das Glas, sieht zu, wie die goldene Flüssigkeit im Schein der Lampe umherschwappt. Wieder lächelt sie. Du irrst dich, Kjell. Einsam war ich bei dir. Weißt du, daß ich eine Zeitlang das lähmende Gefühl hatte, in einem Ei zu leben? Nein, ich war nicht verrückt, nur besessen von diesem Gedanken. Alles sollte golden sein, gelb, ewiger Sonnenschein und wir im Ei, ich, du, die Kinder, unsere Freunde, unsere Umgebung. Was außerhalb war, ging uns nichts an. Nichts durfte häßlich sein. Noch jetzt habe ich Angst, wenn ich an diese Einsamkeit denke, an das ewige Sonnengelb im Ei.
Beim nächsten Schluck merkt sie fröstelnd, daß sie genug hat. Doch, Kjell irrt sich. Sie hebt das leere Glas, betrachtet es. Auch hierin irrt er sich. Sie trinkt selten, allein fast nie. Wenn sie es tut, endet es normalerweise mit derselben Grübelei.
Bald fünf Jahre ist sie schon mit den Kindern allein.
Anfangs waren die Gedanken an ihr Leben mit Kjell, an ihren Aufbruch und dessen Folgen wie Stacheldraht, der sich in ihr müdes Gehirn bohrte. Sie wehrte sich dagegen, denn ihr neuer Alltag, die Kinder und die Stelle forderten alles, was sie an Energie und Stärke aufbringen konnte. Also verdrängte sie diese Gedanken. Baute eine Sperre zwischen sich und allem, was gewesen war, auf, zwang sich, für den jeweiligen Tag und für das, was vor ihr lag, zu leben. Erst jetzt, nach diesen fünf Jahren, wagt sie, das Verdrängte wieder hochkommen zu lassen. Jetzt gleiten die Bilder ruhiger an ihr vorbei, einige deutlicher als die anderen, aber es tut nicht mehr weh. Die scharfen, schmerzhaften Kanten der Erinnerungen scheinen abgeschliffen zu werden, jedesmal ein bißchen mehr, jedesmal, wenn sie nachgibt und den Gedanken freien Lauf läßt.