Читать книгу Homer Pym - Anne Plichota - Страница 13
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Homer! Homer! / Komm wieder zu dir!«
Bibi Zwo rüttelte bereits seit einigen Minuten an der Schulter ihres Besitzers, ohne dass dieser reagierte. Vergeblich zog sie ihn am Ohrläppchen und tätschelte ihm die Wange. Homer saß mit weit aufgerissenen Augen auf dem Sofa und rührte sich nicht. Körperlich war er anwesend, doch sein Geist war woanders. Wahrscheinlich noch auf Ithaka.
Plötzlich fing er heftig an zu zittern. Er holte tief Luft, wie ein Taucher, der wieder an die Wasseroberfläche kommt, und starrte die Rennmaus, die nun auf einem seiner Knie hockte, unverwandt an.
»Ich bin eingeschlafen und habe geträumt, oder, Bibi?«, murmelte er noch ziemlich durcheinander.
Die Rennmaus schüttelte verneinend den Kopf und trippelte über den Oberschenkel des Jungen bis zur Tasche seiner Pyjamahose, in der sie verschwand.
»Aber was machst du denn da?«, rief Homer.
Er half ihr wieder heraus und hätte sie vor Schreck beinahe fallen lassen, als er zwischen ihren kleinen Pfoten einen vergoldeten Knopf mit einem eingravierten I erkannte.
»Soll das heißen, dass das alles wirklich passiert ist?«, stammelte er.
»Die Riesin mit dem Hut, das große Zirkuszelt, der bucklige Zwerg, die Chimäre und der Zerberus – alles bizarr, aber wahr …«
Homer blieb vor Erstaunen über das Gesagte der Mund offen stehen. Sofern sie nicht seine Gedanken lesen konnte, konnten seine Rennmaus und er unmöglich exakt den gleichen Traum gehabt haben.
Behutsam nahm er den Knopf und begutachtete ihn näher.
»Irre … das ist einfach total irre.«
Doch weder er noch die Maus wagten den heikelsten und wunderbarsten Punkt an dieser außergewöhnlichen Erfahrung anzusprechen. Homer starrte auf die traurig weiße Leinwand, während Bibi ihn im Blick behielt.
»Was hat Papa da gemacht?«, murmelte er.
Er hatte dieses Wort – »Papa« – schon so lange nicht mehr laut ausgesprochen, dass es ganz seltsam klang.
Die Rennmaus wiegte nachdenklich den Kopf hin und her.
»Und wo ist er da überhaupt? Kannst du mir das sagen?« Seine Stimme klang plötzlich ganz panisch. »Ist das das Paradies? Denn wenn es das Paradies ist, dann heißt das, dass er …«
Er wagte nicht, den Satz zu Ende zu sprechen. Den Gedanken hatte er in den letzten fünf Jahren zwar schon oft gehabt, aber ausgesprochen hatte er ihn noch nie.
»Wem wir im Paradies begegnen / ist nicht mehr am Leben«, sprach Bibi Zwo es aus. »Doch auf Ithaka tobt das Leben / und dort ist dein Vater, welch ein Segen!«
»Es wäre ein Segen, wenn er wieder leibhaftig hier bei uns wäre. Denn ich hab keine Ahnung, was dieses Ithaka ist, geschweige denn, wo es ist und wie man da hinkommt!«
»Die Fragen klingen kompliziert / doch die Antworten sind bereits hier.«
Homer dachte nach … auf jeden Fall waren die Antworten schlimmer als die Fragen!
»Du bist schon zu müde zum Denken / und solltest etwas Schlaf dir schenken«, empfahl ihm die Rennmaus.
Homer musste ihr recht geben. Er fühlte sich vollkommen kraftlos, doch als er schließlich im Bett lag, war alle Müdigkeit plötzlich verschwunden. Im Schein seiner Nachttischlampe betrachtete er noch lange das Stück Filmrolle, das der Zerberus im Pelzmantel hatte sehen wollen, konnte aber nichts Ungewöhnliches daran erkennen. Sicherheitshalber verstaute er es in der Schutzhülle seines Handys, damit es auch ja nicht verloren ging. Wer weiß … vielleicht würde er es ja irgendwann noch einmal brauchen?
Seine Haare und sein T-Shirt rochen noch immer nach Zuckerwatte und gebrannten Erdnüssen vom Jahrmarkt, und seine nackten Füße waren schwarz vor Schmutz. Doch er wollte nicht noch einmal aufstehen, um zu duschen und sich umzuziehen, aus Angst, die Erinnerung an das Bild seines Vaters am Schiffsmast, an seinen Hilferuf und seine nach ihm ausgestreckte Hand könnte verschwimmen.
Mit dem vergoldeten Knopf in der Hand ließ er den Film dieses unglaublichen Abends noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen. Der Film …
Die Gedanken in seinem Kopf fingen an zu rasen, sodass ihm fast schwindelig wurde.
»Das kann doch nicht sein … das kann einfach nicht sein«, wiederholte er immer wieder.
Er blickte auf die Uhr: fast drei Uhr morgens. Lylou und Sascha schliefen bestimmt tief und fest, doch er musste seine Gedankengänge einfach jemandem mitteilen. Seine Theorie und das, was er entdeckt hatte, klangen zwar vollkommen verrückt, aber wem außer seinen beiden besten Freunden konnte er sie anvertrauen?
Sein Kopf war kurz vorm explodieren. In Windeseile tippte er etwas auf sein Handy. Ihm war klar, dass Lylou und Sascha ihn für verrückt halten würden, doch dann drückte er entschlossen auf »Senden«:
Ich weiß, wo mein Vater ist!!!!!