Читать книгу Homer Pym - Anne Plichota - Страница 9

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KAPITEL

Nach dem, was passiert war, war an Schlaf nicht zu denken. Homer wälzte sich im Bett herum, seine Gedanken überschlugen sich und seine Erinnerungen überschwemmten ihn erneut, wie Meereswellen bei Flut, nichts konnte sie aufhalten.

In den letzten fünf Jahren hatte sich seine Erinnerung mehr und mehr auf das sorgenvoll verzerrte Gesicht seiner Mutter beschränkt, als er sie fragte: »Wo ist Papa? Wo ist er, Mama, sag schon!«

Offenbar war Georg Finck danach in die Grenatier-Klinik eingewiesen worden, eine psychiatrische Einrichtung für Kinder und Jugendliche nicht weit von Homers Zuhause. Er hatte schon oft davon gehört, ohne auch nur zu ahnen, dass Georg dort eingesperrt sein könnte.

Ihm wurde bewusst, dass niemand um ihn herum sich jemals wirklich um Georg Gedanken gemacht hatte, und er hatte große Schuldgefühle, dass auch er niemals nach ihm gefragt hatte.

Armer Georg …

Homer wälzte sich mindestens zum achtundzwanzigsten Mal herum. Auf dem Bauch liegend und die Arme um das Kissen geschlungen, schloss er die Augen, machte sie wieder auf, seufzte und knipste schließlich die Nachttischlampe an.

Warmes Licht erhellte sein Zimmer, einen gemütlichen Raum mit weiß getünchtem Parkett und farbenfrohen Möbeln. An den Wänden hingen Poster seiner Lieblingsfilme und -sportler, neben ein paar Polaroid-Fotos seiner Freunde, und auf seinem Schreibtisch herrschte ein kleines Durcheinander. Insgesamt war es ein typisches Jugendzimmer.

Nur sein Bett passte nicht ganz ins Bild. Ein kleines Kinderbett, verziert mit ausgesägten Tierumrissen. Immerhin hatte Homer seiner Mutter schon die Bettbezüge mit den kindischen Motiven ausreden können, für die er sich immer geschämt hatte, wenn Freunde ihn besuchen kamen. Und sie hatte ihm versprochen, dass er zu Beginn der siebten Klasse endlich ein richtiges Bett für Große bekäme, mit Platz für zwei und Bettbezügen, die eines Jugendlichen würdig waren.

Er sollte sie besser noch mal an dieses Versprechen erinnern.

Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit zu Bibi Zwos Käfig hingezogen. Auch die kleine Rennmaus schien nicht schlafen zu können. Sie hockte auf den Hinterbeinen und beobachtete Homer aufmerksam.

»Hast du Hunger?«, fragte er sie und steckte ihr einen Kürbiskern durch die Gitterstäbe des Käfigs.

Doch die Rennmaus verschmähte seine Gabe und schaute ihn bloß weiter an.

»Du willst raus, oder? Na gut, komm.«

Er öffnete den Käfig, und die Rennmaus kletterte blitzschnell seine Hand hinauf, die er ihr hinstreckte.

»Danke.«

Homer verschlug es den Atem und er erstarrte. Hatte er wirklich gehört … was er gerade gehört hatte? Sicher nicht! Außer in Filmen oder Comics konnten Tiere nicht sprechen. Zumindest nicht mit Worten.

Der ganze Tag war seltsam gewesen. Georgs Auftauchen vor dem verbotenen Nebengebäude hatte ihn ziemlich verstört, vielleicht ja so sehr, dass er jetzt schon Stimmen hörte. Schöner Mist, dachte er sich. Wenn das so weitergeht, lande ich auch noch in der psychiatrischen Anstalt.

»Nein, verrückt bist du nicht / in keiner Hinsicht.«

Jetzt beschleunigte sich sein Atem zusammen mit seinem Herzschlag. Er halluzinierte nicht, die Stimme war real!

Zitternd knipste er nun auch die Lampe auf seinem Schreibtisch an und inspizierte sein Zimmer. Da war niemand, weder irgendein Psychopath noch ein Horrorclown. Vielleicht ein Gespenst? Jetzt hör aber auf, warum sollte hier ein Gespenst sein? Einen Moment lang fragte er sich, ob sich da jemand einen Scherz mit ihm erlaubte. Nina vielleicht? Nein, die würde so etwas nie tun.

Er setzte Bibi Zwo in seine zu einer Schale geformten Handflächen und betrachtete sie eindringlich.

»Bist du das?«

Das Schnäuzchen des kleinen Tieres zuckte, dann flitzte es los und entkam aus den Händen seines jungen Besitzers.

»Natürlich bin das ich / ist das so verwunderlich?«

Sie schlüpfte zwischen Homers Beinen hindurch und sauste auf die Tür zu, die einen Spalt weit offen stand. Dort angekommen, drehte sie sich noch einmal um und blickte den vor Verblüffung erstarrten Homer mit ihren winzigen Äuglein durchdringend an.

»Komm!«, rief sie mit piepsiger Stimme.

Dann verschwand sie im Flur.

Homer stand mitten in seinem Zimmer und rieb sich das Gesicht, wie er es immer tat, wenn er etwas nicht begreifen konnte. Offenbar war er dabei durchzudrehen.

Oder da geschah wirklich etwas Unwirkliches.

Um das herauszufinden, war es wohl das Schlauste, einen Blick in den Flur hinaus zu werfen.

Als er zur Tür ging, merkte er, wie weich seine Knie waren und dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Dong. Do-Donnng.

Er machte die Taschenlampenfunktion seines Smartphones an und spähte erst nach rechts und dann nach links. Nichts. Er beschloss dranzubleiben und ging weiter in Richtung Treppe. Beim Anblick von Bibi Zwo, die auf dem Treppenabsatz hockte, hätte er beinahe sein Smartphone fallen lassen. Sie wartete auf ihn, da war er sich sicher. Doch sobald sie ihn sah, flitzte sie die Stufen hinunter bis ins Erdgeschoss.

»Das gibt’s doch nicht!«, murmelte Homer.

Warum hatte er sie bloß aus dem Käfig gelassen … Seine Mutter war in dieser Hinsicht ziemlich streng, also war es besser, dass die beiden sich nicht plötzlich über den Weg liefen, schon gar nicht beim Frühstück. Also hatte Homer keine Wahl, als der kleinen Maus hinterherzurennen, um sie wieder einzufangen.

Er machte sie ganz leicht im Eingangsbereich ausfindig, denn sie machte sich deutlich bemerkbar.

»Nein, nein, nein, bleib da!«, zischte er, als er sah, dass sie sich der Katzenklappe in der Haustür näherte.

Umsonst! Die Rennmaus sprang hoch und verschwand durch die Klappe, die eingebaut worden war, damit Aristid raus- und reinkonnte, wie es ihm gefiel. Als Homer zwei oder drei Jahre alt war, hatte er sich auch ein paar Mal durch diese Klappe gezwängt. Aber mittlerweile war er etwas kräftiger als ein Shiba … Also musste er erst die Alarmanlage ausschalten, bevor er die Haustür öffnen konnte. Draußen war die Nacht dunkel und furchteinflößend.

Wie er solche Situationen hasste … Mit etwas Glück träumte er bloß. Doch das Gefühl von Kieselsteinen, die sich ihm in die nackten Fußsohlen bohrten, zeigte ihm deutlich, dass dies kein Traum war. In der Eile hatte er dummerweise vergessen, seine Turnschuhe anzuziehen.

Bibi Zwo schien ihm den Weg zeigen zu wollen. Sobald er sie aus den Augen verlor, tauchte sie wieder im Lichtkegel seines Smartphones auf und lockte ihn immer weiter vom Haus weg. Zumindest hatte Homer diesen Eindruck, denn die Entfernungen, die Wahrnehmungen, die Geräusche erwiesen sich im Dunkeln so ganz anders als gewohnt.

Er hatte überhaupt kein gutes Gefühl. Und als er schließlich sah, dass die Rennmaus die Mauer hinaufkletterte, um durch den Schornstein in das verbotene Nebengebäude zu schlüpfen, geriet er richtig aus der Fassung. Nicht dass sich seine Rennmaus wie Georg Finck, der sich für Telemachos hielt, am Ende noch in einen Mini-Weihnachtsmann verwandelte!

Er drückte das Ohr lauschend gegen die Tür und fing an, das kleine Tier anzuflehen: »Bibi! Bibi Zwo! Los, komm da bitte raus! Ich bekomme sonst noch Riesenärger wegen dir!«

Er hörte es hinter der Tür kratzen. Erleichtert darüber, dass sie sich offenbar nicht verletzt hatte, und voller Angst, dass er sie vielleicht nicht mehr dort herausbekäme, fing er an zu zittern.

»Komm doch du her / Ich warte, bitte sehr!«, ertönte wieder dieselbe Piepsstimme.

Jetzt ging es wieder los. Er hörte Stimmen. Er war genauso verrückt wie Georg Finck. Vielleicht war das ja ansteckend?

Genau in diesem Moment war der Akku seines Telefons leer. Die Taschenlampenfunktion erlosch, und er stand da, barfuß in der dunklen Nacht, und merkte, wie Panik in ihm hochkam.

»Homer, los! Lausche meinen Infos / Dritte Lade Arbeitszimmer / dort ist der Schlüssel ganz wie immer / Hol ihn schnell heraus und komm zurück zum Nebenhaus …«

Homer Pym

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